Auslandskorrespondent zwischen den Welten

by Bücherstadt Kurier

Auf den ers­ten Blick erwar­tet das wache Lese-Herz sich einen span­nen­den Polit-Thril­ler vol­ler Schwarz-Weiß-Male­rei. Das Cover von Dirk Brauns‘ „Wir müs­sen dann fort sein“ ist rot und zeigt eine Figur, die ver­meint­lich flüch­tet. Wort­klau­be­rin Erika schaut sich das Buch genauer an.

Wir müssen dann fort seinGepaart mit dem Cover ver­spricht auch der Klap­pen­text von Dirk Brauns Roman viel – viel­leicht zu viel? Ein Aus­lands­kor­re­spon­dent in Weiß­russ­land, der den hie­si­gen Dik­ta­tor inter­viewen wird. Der Titel, der irgendwo an eine über­stürzte Flucht den­ken lässt. Und schließ­lich die Andeu­tung einer Vater-Sohn-Geschichte, in wel­che das Inter­view mit dem weiß­rus­si­schen Dik­ta­tor so gar nicht pas­sen will.

Gestat­ten, Oli­ver, Auslandskorrespondent

Oli­ver Hackert steht in der Mitte sei­nes Lebens, wel­ches er sich als Aus­lands­kor­re­spon­dent in Minsk auf­ge­baut hat, vor der bis­lang größ­ten Her­aus­for­de­rung. Es ist keine beruf­li­che Her­aus­for­de­rung, son­dern viel­mehr eine emo­tio­nale, wie sich bald her­aus­stellt: Er will, ange­spornt durch das gute Zure­den sei­ner Frau, end­lich den jah­re­lan­gen Zwist mit dem Vater been­den. Die Ein­la­dung, wel­che die­ser ihm zuge­schickt hat, kommt dabei gerade recht: Der Vater, ehe­ma­li­ger Staats­po­li­zist und Schrift­stel­ler, wird 75 und nimmt dies zum Anlass, sich mit Oli­ver zu versöhnen.
Zugleich berei­tet Oli­ver mit dem „Ber­li­ner Tag­blatt“ ein poli­tisch harm­lo­ses Image für sich vor, um sein Inter­view nicht zu gefähr­den. Im Gehei­men spricht er mit Exil-Weiß­rus­sen, wel­che in Deutsch­land ein siche­res Ziel gefun­den haben. Genauso unter der Hand plant er mit sei­ner Frau Darya einen Umzug nach Deutsch­land, sollte er in Weiß­russ­land poli­tisch in Ungnade fallen.

Viel steht auf dem Spiel

Es wird schnell klar, dass in Dirk Brauns‘ „Wir müs­sen dann fort sein“ viel auf dem Spiel steht: Oli­vers Kar­riere, sein Leben, die Ver­söh­nung mit dem Vater. Dane­ben eröff­net sich eine schiere Unend­lich­keit an The­men, die nur gestreift wer­den kön­nen: das Leben der Ver­trie­be­nen im deut­schen Exil; das sexu­elle Erwa­chen Oli­vers, woran ihn seine ehe­ma­lige Nach­ba­rin erin­nert; der Geis­tes­zu­stand von Daryas Bru­der; der Tod der Mut­ter und die Unfä­hig­keit des Vaters, dar­über hinwegzukommen.
Diese und noch wei­tere The­men wer­den wie neben­bei gestreift, Dirk Brauns Erzäh­lung ver­weilt kurz dar­auf, um im Anschluss wei­ter­zu­flie­ßen, ohne noch­mals dar­auf zurück­zu­kom­men. Oli­ver Hackert hat viel erlebt, und vie­les über­wun­den, doch der Besuch im alten Heim lässt alte Wun­den wie­der aufbrechen.

Fazit

Was soll man aller­dings von die­sem Roman hal­ten, der vie­les ist, und zugleich alles andere als erwar­tet? Auf der einen Seite ist die inten­sive Recher­che, wel­che durch die lebens­na­hen Dar­stel­lun­gen des Lebens in Weiß­russ­land sowie des Exil­le­bens zu erken­nen ist und durch das Nach­wort noch­mals her­vor­ge­ho­ben wird. Dirk Brauns schreibt nicht ein­fach so aus dem Bauch her­aus, son­dern mit einem kla­ren Ziel vor Augen und einer Art ‚Mis­sion‘. Ande­rer­seits nimmt sich der Roman mit den vie­len The­men, die gestreift wer­den, zu viel vor. So pral­len die poli­tisch auf­ge­la­dene Berufs­welt und die Welt der per­sön­li­chen Erfah­run­gen Oli­vers auf­ein­an­der, ohne dabei einen Kom­pro­miss zwi­schen die­sen bei­den Erfah­rungs­räu­men zu fin­den. Die Unver­ein­bar­keit die­ser bei­den ‚Wel­ten‘ wird etwa durch eine strikte Tren­nung des Figu­ren­sor­ti­ments deut­lich. So tre­ten Vater Hackert und Darya, Oli­vers Frau, nicht mit­ein­an­der in Verbindung.

Wir müs­sen dann fort sein. Dirk Brauns. Galiani. 2016.

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