Bimmelt eine Schultriangel über Literatur: Clemens Setz im Gespräch „Lange Nacht der Bücher“ in Wien

by Wortklauberin Erika

Cle­mens Setz (links) und Flo­rian Scheuba (rechts) bei der „Lan­gen Nacht der Bücher“ in Wien

Cle­mens Setz sprach im Zuge der „Lan­gen Nacht der Bücher“ in Wien mit Flo­rian Scheuba über Michael Köhl­meier, das Schrei­ben, Twit­ter und den Roman „Bot. Gespräch ohne Autor“. Wort­klau­be­rin Erika hat sich ins Publi­kum gesetzt und dem Autor auf der ORF-Bühne am 6. Novem­ber 2019 gespannt zugehört.

Als Flo­rian Scheuba die ORF-Bühne betritt, bin ich eigent­lich auf Michael Köhl­meier gefasst und dar­auf ein­ge­stellt, dass der Mär­chen­er­zäh­ler von sei­nen neu­es­ten Pro­jek­ten erzählt. Als statt­des­sen der Kaba­ret­tist Scheuba mit den Wor­ten, es sei inzwi­schen Tra­di­tion, dass die „Lange Nacht der Bücher“ – die Auf­takt­ver­an­stal­tung zur Wie­ner Buch­messe – nicht immer ganz nach Plan laufe, Cle­mens Setz ankün­digt, bleibe ich den­noch sit­zen. Der Gra­zer ist Autor und Über­set­zer und gehört zu den aktu­ell wich­tigs­ten Ver­tre­tern der öster­rei­chi­schen Lite­ra­tur. Zuletzt hat er etwa den Ber­li­ner Buch­preis erhal­ten und war auch für den Öster­rei­chi­schen Buch­preis 2019 nominiert.

Erzäh­lun­gen über Erzäh­lun­gen über Erzählungen

Das Gespräch beginnt mit dem ange­kün­dig­ten Gast des Abends: Michael Köhl­meier. Cle­mens Setz erzählt, dass Köhl­meier ihn zum Lesen und Schrei­ben gebracht habe. Aus­lö­ser war, so Setz, der Roman „Bevor Max kam“. Darin wird durch Fort­set­zungs­er­zäh­lung eine Geschichte erzählt – mit vie­len Aus­schwei­fun­gen. Eine der Geschich­ten in der Geschichte mit dem Titel „Die trau­rigste Geschichte“ habe ihn inspi­riert – und dazu gebracht, das Buch für sech­zehn Jahre zur Seite zu legen und nicht mehr weiterzulesen.

Die­ser Bericht über Köhl­mei­ers Erzäh­lung bringt Cle­mens Setz und den Mode­ra­tor Flo­rian Scheuba dazu, sich über abge­bro­chene Bücher zu unter­hal­ten. Auch der Bun­des­prä­si­dent hat im Rah­men der Eröff­nungs­rede erklärt, er lese nie­mals Bücher von Aga­tha Chris­tie zu Ende, um immer wie­der aufs Neue raten zu kön­nen, wie es denn aus­geht. Cle­mens Setz macht das ähn­lich: Er sagt, er habe schon Bücher abge­bro­chen, weil er befürch­tete, dass es aus­geht, wie er denkt.

Es ist span­nend zu beob­ach­ten, wie Köhl­meier trotz sei­ner phy­si­schen Abwe­sen­heit doch Raum auf der Bühne ein­nimmt: als Gesprächs­ge­gen­stand, aber auch als poli­ti­sche Prä­senz. Scheuba cha­rak­te­ri­siert den Vor­arl­ber­ger Autor etwa als „Erzäh­ler der Nation“ und als „poli­ti­sches Gewis­sen“. Auf die Frage, ob dies auch ein Ziel für Cle­mens Setz sei, erwi­dert er ruhig: Ja, schon. Mit der Bekannt­heit gehe auch Ver­ant­wor­tung ein­her. Setz sieht sich selbst nicht als so bekannt wie Köhl­meier, aber ver­sucht auch, diese Ver­ant­wor­tung wahr­zu­neh­men, zum Bei­spiel über Twitter.

Lyrik und Twitter

Twit­ter sei „gut für schnell“, näm­lich um eine schnelle Reak­tion in weni­gen Zei­chen zu üben. Das sei nicht immer gut, und manch­mal sei er zu schnell, aber er übe. Darin liege zugleich etwas Poe­ti­sches, zumin­dest für Cle­mens Setz, der betont: „Deut­sche Lyrik fin­det für mich heut­zu­tage auf Twit­ter statt.“

Das bringt mich als Zuhö­re­rin zum Nach­den­ken: Twit­ter eig­net sich für einen Schnell­schuss in die Welt, manch­mal öffent­lich, manch­mal geschützt. Die Ver­knap­pung hat tat­säch­lich manch­mal etwas Poe­ti­sches an sich.

Setz nutzt Twit­ter einer­seits zur Selbst­cha­rak­te­ri­sie­rung, wie mir ein Blick auf sei­nen Twit­ter-Feed zeigt, ande­rer­seits auch zur Kom­men­tie­rung aktu­el­ler Ereig­nisse rund um ihn und sein Leben. Er cha­rak­te­ri­siert sich auf Twit­ter als „Schultri­an­gel der deut­schen Lite­ra­tur “, und auch dar­über spricht er mit Schoba.

Es liege etwas Schü­ler­haf­tes in die­ser Beschrei­bung. Setz erklärt, er wolle kein harm­lo­ser Mensch sein, aber ihm pas­siere das irgend­wie. Die Tri­an­gel sei genauso harm­los, aber zugleich eine omi­nöse Prä­senz. In der Schule war man einer­seits aus­er­wählt, wenn man die Tri­an­gel im Musik­un­ter­richt bekam, und trug gleich­zei­tig eine Nar­ren­kappe, weil sie nur an die­je­ni­gen ging, die kein ande­res Instru­ment spie­len konn­ten. Ande­rer­seits sei eine Tri­an­gel jedoch in jedem Orches­ter prä­sent. Cle­mens Setz erzählt etwa von einem Dvořák-Kon­zert, das er ein­mal gehört hat: Der Tri­an­gel­spie­ler habe super­glück­lich aus­ge­se­hen, dort zu spie­len. Ebenso kom­men­tiert er auf Twit­ter die gro­ßen und klei­nen Ereig­nisse sei­nes All­tags – zum Bei­spiel Kurio­si­tä­ten der Buch Wien.

Buch Wien 2019: High­lights des ers­ten Abends

Die Buch Wien, die zwi­schen dem 6. und dem 10. Novem­ber in der Messe Halle D in Wien zahl­rei­chen Lite­ra­tur­lieb­ha­ben­den die Pfor­ten öff­nete, ver­zeich­net im Jahr 2019 wie­der einen Besu­cher­re­kord mit 55.000 Besu­che­rin­nen und Besu­chern. Die Fest­wo­che selbst wurde am Mon­tag, 4. Novem­ber mit der Ver­lei­hung des Öster­rei­chi­schen Buch­prei­ses an Nor­bert Gst­rein begon­nen, ein wei­te­res High­light war die Mes­se­party am 8. November.

Der erste Abend hatte neben der „Lan­gen Nacht der Bücher“ eini­ges zu bie­ten: etwa die Aus­stel­lung „Die letz­ten Tage der Mensch­heit“, mit der Debo­rah Sengl das Thea­ter­stück von Karl Kraus mit aus­ge­stopf­ten Rat­ten neu inter­pre­tiert, oder die Poe­try-Slam-Nacht mit Annika Blanke (DE), Sarah Anna Fern­bach (AT), Paule Daro (LU), Jessy James LaF­leur (BE), Domi­nik Muheim (CH) und Chris­tiani Wet­ter (LI), die für laut­star­ken Jubel sorgte.

Ein wei­te­res High­light ist die „Lange Nacht der Illus­tra­tion“ der „Drawing Ladies Vienna“. Die Illus­tra­to­rin­nen des Krea­tiv-Netz­werks, das Flo­rine Glück und Janina Kep­c­zyn­ski gegrün­det haben, saßen rund um einen Tisch herum und bezeich­ne­ten das Tisch­tuch aus Papier: Die vie­len Ein­zel­zeich­nun­gen wur­den am Schluss zu einer gro­ßen Illus­tra­tion zusam­men­ge­fügt.

Die Buch Wien ist als Messe sehr viel­fäl­tig, und das weiß auch Cle­mens Setz im Gespräch mit Schoba zu schät­zen: Er nennt sie (mit Augen­zwin­kern) einen „selt­sa­men Ort“.

Gespräch ohne Autor

Schließ­lich dreht sich das Gespräch um Setz’ letz­tes Pro­jekt, „Bot – Gespräch ohne Autor“ (erschie­nen im Suhr­kamp Ver­lag 2018). Geplant war das Buch als eine Art Gesprächs­band. Den gibt es von vie­len Autorin­nen und Autoren, etwa Daniel Kehl­mann oder Herta Mül­ler. Setz hat mit „Gespräch ohne Autor“ etwas Ähn­li­ches ver­sucht. Gemein­sam mit der Lek­to­rin Ange­lika Klam­mer habe er vor­be­rei­tete Fra­gen durch eine Stich­wort­su­che in sei­nem elek­tro­ni­schen Tage­buch zu beant­wor­ten ver­sucht. Das Ergeb­nis sind pas­send-unpas­sende Ant­wor­ten zu Fra­gen, die sich um alle Lebens­be­rei­che dre­hen. Flo­rian Schoba wählt einige Fra­gen aus dem Buch aus, um sie auch Cle­mens Setz noch­mals zu stel­len. Schließ­lich sei das Inter­es­sante an Inter­views, zu beob­ach­ten, dass Autoren und Autorin­nen nicht so reagie­ren wie sonst. Eine Frage im Buch, die für Schoba unge­nü­gend beant­wor­tet ist, ist etwa: Nimmt man sich nicht oft zu ernst?

Cle­mens Setz erklärt dazu: „Auf alle Fälle“. Als Autor stehe er oft in einem star­ken Dis­kon­ti­nuum zwi­schen All­tag und Inter­view­si­tua­tio­nen. Er genieße aller­dings die­ses etwas chao­ti­sche Gefühl, auch weil er Inter­view­si­tua­tio­nen mag und sich als Enter­tai­ner wahrnimmt.

Gespräch mit Autor

Das Gespräch bewegt sich in viele ver­schie­dene Rich­tun­gen, und Cle­mens Setz kommt auch dar­auf zu spre­chen, was der Kon­takt mit sei­nen Lese­rin­nen und Lesern für ihn bedeu­tet. Manch­mal komme es näm­lich vor, dass Men­schen ihm nach einer Lesung Geschich­ten erzäh­len. Setz erzählt: „Sie schen­ken einem das, und das ist unver­dient, das kann ich nicht annehmen“.

Ande­ren Autoren pas­siert das auch, etwa dem Autor von „Fight Club“, Chuck Palah­niuk, oder David Seda­ris. Jeder gehe etwas anders damit um. David Seda­ris etwa erzähle bei Lesun­gen von die­sen Geschich­ten. Setz hin­ge­gen schreibt sie in sein Tage­buch, um die Geschenke zu wahren.

Das Inter­view endet mit einer Pas­sage aus Setz’ „Gespräch ohne Autor“, die er vor­liest: Eine selt­same Situa­tion. Und sollte sich jemand wun­dern: Cle­mens Setz hat „Bevor Max kam“ übri­gens sech­zehn Jahre spä­ter fer­tig gele­sen. Die Fol­ge­ge­schichte zur „trau­rigs­ten Geschichte“ trägt den Titel „Die all­er­trau­rigste Geschichte“.

Fotos: Wort­klau­be­rin Erika

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