Birgit Böllinger

by Zeichensetzerin Alexa

„Ein Buch soll mich an- oder auf­re­gen, Denk­ar­bei­ten mit­ge­ben, zur Aus­ein­an­der­set­zung auf­for­dern. Und ich mag es, wenn das in eine gute Geschichte ver­packt ist – das kön­nen die Ame­ri­ka­ner einfach.“

Foto © Bir­git Böl­lin­ger

Bücher­städ­te­rin Alexa hat sich mit Bir­git Böl­lin­ger im Café La Roche getrof­fen und ihr einige Fra­gen zu ihrer Per­son und ihrem Lite­ra­tur­blog „Sätze&Schätze“ gestellt.

BK: Liebe Bir­git, bitte stelle dich kurz unse­ren Lesern vor.

Zwar mag ich gerne über mei­nen Blog spre­chen und über Bücher, aber über mich selbst nicht so sehr. Ich ver­fremde hier ein­fach mal ein Zitat von Fer­nando Pes­soa: „B.B. ist, wie Sie wis­sen, eine in Augs­burg aus­ge­bil­dete Zei­tungs­re­dak­teu­rin, und lebt und arbei­tet immer noch in einem jour­na­lis­ti­schen Beruf in die­ser klei­nen Groß­stadt. Außer­dem ist sie 1,70 m groß, nicht mager und geht gebückt. Aber all das ist recht neben­säch­lich!“ Haupt­säch­lich: Lese­rin seit ca. 40 Jahren.

BK: Wie ent­stand „Sätze&Schätze“?

Beim Kaf­fee­klatsch mit einem Freund, eben­falls Viel­le­ser. Wir spra­chen über Bücher und jam­mer­ten über man­gelnde Aus­tausch­mög­lich­kei­ten. Man trifft nicht alle Tage Men­schen, die über­haupt Freude am Lesen haben, dann viel­leicht sogar noch einen ähn­li­chen Geschmack – jeden­falls nicht in unse­rer klei­nen Groß­stadt. „Lese­zir­kel“ waren mir zu ver­schult und aka­de­misch – das Kon­zept, „alle lesen jetzt am sel­ben Buch und dann reden wir mal drü­ber“, das ist nicht meins. Ich will spon­tane Gesprä­che und Reak­tio­nen! So ent­stand die Idee, das ein­fach mal in den vir­tu­el­len Raum zu stel­len und zu sehen, was passiert.

BK: Und was ist dann passiert?

Erst hat­ten wir 2 Fans (uns sel­ber). Nach einem Monat viel­leicht 50. Und plötz­lich kamen schub­weise immer mehr Leute auf die Seite, dann das Inter­view mit dem Bücher Maga­zin, die Zusam­men­ar­beit mit Euch – wer weiß, was noch alles kommt…

BK: Was macht dir an die­sem Pro­jekt beson­ders Spaß?

Eben die Reak­tio­nen, der Aus­tausch, die Begeg­nun­gen –und dass ich stän­dig mit neuen Ideen im Kopf beim Lesen ande­rer Sei­ten den Lap­top zuklappe. Das Blog­gen ist vor allem für mich selbst eine Bereicherung.

BK: Was ist deine Moti­va­tion dabei? Hast du ein Ziel, das du unbe­dingt errei­chen möchtest?

Wir – inzwi­schen ich – woll­ten anfangs ein­fach nur unsere Begeis­te­rung für bestimmte Bücher und Gen­res mit­tei­len, auch Alter­na­ti­ven anbie­ten zu den vie­len Neu­erschei­nun­gen, die meistein­ge­hendst bespro­chen wer­den. Mit einer so hohen Reso­nanz hat­ten wir eigent­lich nicht gerech­net. Das moti­viert natür­lich zusätz­lich – rund 800 Fans auf der Face­book-Seite: Als ich das zum ers­ten Mal sah, habe ich mir die Augen gerie­ben. Freude und Zwei­fel gin­gen dabei jedoch inein­an­der über. Ich dachte mir: „Jetzt wird es ernst, Quatsch kannst Du da kei­nen machen.“ Das hat sich wie­der beru­higt. Solange ich Spaß dabei habe, mache ich das wei­ter. Ein Ziel ver­binde ich damit nicht – es soll nur mir Freude machen und den Lesern.

BK: Du sag­test „inzwi­schen ich“ – ist dein Mit­grün­der nicht mehr dabei?

Ja, ihm ging irgend­wann ein biss­chen der Spaß dran ver­lo­ren und er ent­schied auf­zu­hö­ren, das war okay für uns beide.

BK: Gibt es auch Schwie­rig­kei­ten bei die­sem Projekt?

Zu viele Ideen, zu wenig Zeit.Manchmal auch Selbst­zwei­fel: Ich mache zu viel, wen inter­es­siert das, wie kann ich über­haupt (also Urtei­len über Literatur)?

BK: Wie suchst du die The­men dei­ner Bei­träge aus?

So wie ich lese –ich ste­cke eine Zeit in der ame­ri­ka­ni­schen Lite­ra­tur fest, da führt der Weg dann von Fitz­ge­rald zu Chee­ver, zu Roth und Saul Bel­low etc. Zur­zeit sind es die Bri­ten. Dar­aus spei­sen sich dann meist die Buch­vor­stel­lun­gen. Ein Buch führt dabei zum nächs­ten, dar­aus speist sich der Blog. Und dazwi­schen viel Lyrik – irgend­ein Gedicht­band liegt bei mir immer griff­be­reit. Vie­les ergibt sich spon­tan, Ideen lie­gen in der Luft, oder ich habe das Gefühl, jetzt hatte ich wie­der ein­mal „zu viel Erns­tes“ auf dem Blog – dann läuft mir wie­der ein Tuchol­sky, ein Rin­gel­natz oder auch ein Barock­dich­ter über den Weg.

BK: Wel­ches Genre liest du am liebsten?

Bel­le­tris­tik und Lyrik – bei der Bel­le­tris­tik lie­gen die Schwer­punkte in der ame­ri­ka­ni­schen, deut­schen und jüdi­schen Lite­ra­tur, zeit­lich nicht beim Aktu­el­len, eher jenes, was mit „Klas­sik der Moderne“ umris­sen wird.

BK: Gibt es bestimmte Kri­te­rien bei der Aus­wahl der Bücher, die du liest?

Die Aus­wahl ergibt sich schon ein­mal aus den eige­nen Schwer­punk­ten: habe ich in der spär­li­chen Lese­zeit die Aus­wahl zwi­schen einem neu­über­setz­ten Faulk­ner oder einem Buch von der jüngs­ten Lon­g­list für den nächs­ten Buch­preis, dann greife ich zum Faulk­ner. Zwei Kri­te­rien: Ein Buch soll mich an- oder auf­re­gen, Denk­ar­bei­ten mit­ge­ben, zur Aus­ein­an­der­set­zung auf­for­dern. Und ich mag es, wenn das in eine gute Geschichte ver­packt ist – das kön­nen die Ame­ri­ka­ner einfach.

BK: Was machst du, wenn du mal nicht für den Blog schreibst?

Arbei­ten, lesen, leben.

BK: Hast du dir etwas für 2014 vorgenommen?

Nein –ich nehme mir grund­sätz­lich nie etwas vor. Ich bin zwar rela­tiv struk­tu­riert, aber planlos.

BK: Was war als Kind dein Traumberuf?

Der erste Berufs­wunsch, an den ich mich erin­nere: Jour­na­lis­tin. Aber da war ich bereits schon pubertierend.

BK: Wel­che drei Bücher wür­dest du auf eine ein­same Insel mitnehmen?

Da würde ich mir doch end­lich einen Ebook-Rea­der zule­gen – aber wahr­schein­lich gibt es auf der Insel kei­nen Strom?

BK: Nein, kein Strom.

Dann Robin­son Cru­soe von Daniel Defoe – das erscheint mir prak­tisch, um auf der Insel zu überleben.Im Ernst: In die Situa­tion möchte ich nie­mals, nie­mals kom­men, diese Aus­wahl tref­fen zu müs­sen. Aber wenn, dann wäre klar: Die gesam­mel­ten Gedichte von Ber­tolt Brecht.

BK: Warum aus­ge­rech­net diese?

Weil ich in die­sen Gedich­ten immer wie­der etwas ent­de­cken kann, weil ich immer wie­der auf sie zurück­greife, weil mir die Hal­tung, die darin ver­bor­gen ist, gefällt, weil Brecht will, dass seine Leser denken.

BK: Hast du ein „abso­lu­tes Lieblingsbuch“?

Ein aus­drück­li­ches Lieb­lings­buch habe ich nicht, es gibt nur wel­che, die ich immer wie­der lesen kann, so den gro­ßen Gatsby, wie eigent­lich fast alles der unten genann­ten bevor­zug­ten Autoren. Und Lyrik. Ein Buch, das dem Attri­but Lieb­lings­buch nahe kommt, dies aber nicht nur aus lite­ra­ri­schen Grün­den, son­dern auch, weil es mit Erin­ne­run­gen an bestimmte Per­so­nen und eine Lebens­phase ver­knüpft ist: „Feinde, die Geschichte einer Liebe“ von Isaac Bas­he­vis Singer.

BK: Wel­ches Buch wür­dest du am liebs­ten nie wie­der in die Hand nehmen?

Auch hier fal­len mir eher Namen ein­zel­ner Autoren ein, die mir nicht beson­ders lie­gen, denn bestimmte Bücher. Aktu­el­les Bei­spiel: „Söhne und Lieb­ha­ber“ von D. H. Law­rence, der dritte Ver­such, einen Roman die­ses Schrift­stel­lers zu lesen – es geht ein­fach nicht.

BK: Hast du Lieb­lings-Schrift­stel­ler? Oder Schrift­stel­ler, die dich in irgend­ei­ner Weise inspiriert/beeinflusst haben?

Ber­tolt Brecht wegen sei­ner Nüch­tern­heit, Klar­heit. F. Scott Fitz­ge­rald wegen der Ele­ganz sei­ner Spra­che. Kafka ‚weil er das Ver­bor­gene sicht­bar macht. Ray­mond Car­ver, John Chee­ver, und noch einige Ame­ri­ka­ner. Isaac B. Sin­ger und Elias Canetti.

BK: Wel­che ist, dei­ner Mei­nung nach, die bis­her beste Buch­ver­fil­mung? Gibt es eine, auf die du dich beson­ders freust?

Wenn wir von Roma­nen spre­chen: Nein. Ich fürchte mich eher davor. Lite­ra­tur­ver­fil­mun­gen sehe meis­tens nicht an oder wenn, dann bin ich ent­täuscht. Ich mag Dok­tor Schi­wago, aber nicht, weil es eine gelun­gene Buch­ver­fil­mung wäre, son­dern natür­lich wegen Omar Sharifs Augen. Ein biss­chen auch wegen Julie Chris­tie. Und weil ich beim Anschauen mei­nen Hang zum Kitsch aus­le­ben kann.
Mit Dra­men sieht es bes­ser aus – es gibt bei­spiels­weise sehr gute Shake­speare-Ver­fil­mun­gen (wobei ich immer noch Mel Gibb­son als Ham­let ver­dauen muss). Ach, beim Schrei­ben fal­len mir doch noch zwei gute Lite­ra­tur­ver­fil­mun­gen ein: „Jules et Jim“. „Fah­ren­heit 451“. Bei­des Filme von Truf­faut, fällt mir auf.

BK: Wenn du bestim­men könn­test, wel­ches Buch ver­filmt wer­den sollte – wel­ches Buch wür­dest du wäh­len? Und warum aus­ge­rech­net dieses?

Da möchte ich lie­ber gar nichts zu ent­schei­den haben – ich drü­cke mich.

BK: Wo liest du am liebsten?

Auf mei­nem Sofa.

BK: Wie lau­tet dein Lieblingszitat?

Das wech­selt, ein aus­ge­spro­che­nes Lieb­lings­zi­tat habe ich nicht. Aber ich habe ein Lieb­lings­ge­dicht – das Sonett Nr. 19 von Ber­tolt Brecht. Die letz­ten drei Zeilen:
Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brau­che dich, wie‚s immer sei.
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

BK: Gibt es ein Wort, das dir beson­ders gefällt?

Chùtzpe. Manch­mal habe ich sie, manch­mal wünschte ich mir mehr davon.

BK: Wenn du ein Buch wärst, wel­ches wärst du?

Optisch? Hap­tisch? Inhalt­lich? Ich weiß es schlicht­weg nicht. Dazu müss­tet ihr die Men­schen in mei­ner Umge­bung fra­gen. Wahr­schein­lich bin ich dann: Viele Bücher.

BK: Wel­che Frage hast du dir in einem Inter­view schon immer mal gewünscht? Wie würde deine Ant­wort dar­auf lauten?

Ich bin schon über­rascht und freu­dig gestimmt, dass mit mir jemand ein Inter­view führt. Wobei ich bis­her immer die Fra­gende war. Und fest­stelle: Mir war ganz wohl in die­ser Rolle, weil es sich hin­ter Fra­gen gut ver­ste­cken lässt. Das heißt, dass ich mir auch nie eine Frage gewünscht habe. Aber mir fällt natür­lich was ein: Hät­ten Sie etwas dage­gen, monat­lich alle Bücher Ihrer Wahl umsonst und ohne Gegen­leis­tung von uns zu bekom­men? Meine Ant­wort: Nö, kei­nes­falls, her damit!

BK: Was machst du, wenn unser Buch­fink dich besu­chen kommt?

Ganz auf­ge­regt ganz viel Kaf­fee. Kuchen und Vogel­fut­ter holen.

BK: Vie­len Dank für das Interview!

Sonett Nr. 19

Nur eines möcht ich nicht: daß du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst
Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst

Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn.
Du bist mir bei­gesellt, als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dun­kel, in dem wir noch stehn!

So gilt kein: »Laß mich, denn ich bin verwundet!«
So gilt kein »Irgendwo« und nur ein »Hier«
Der Dienst wird nicht gestri­chen, nur gestundet.

Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brau­che dich, wie‚s immer sei.
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

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3 comments

buzzaldrinsblog 8. Mai 2014 - 12:48

Oh, die­ses Inter­view ist ja eine tolle Idee … ich habe es mit viel Inter­esse und gro­ßer Begeis­te­rung gele­sen und freue mich vor allen Din­gen an der Tat­sa­che, dass wir die­selbe Lei­den­schaft für die Ame­ri­ka­ner teilen. 🙂

Reply
wederwill 8. Mai 2014 - 13:45

Danke für die­ses wun­der­bare Inter­view – glei­cher­ma­ßen an die Fra­gen­stel­len­den und natür­lich an die Gefragte, die (wie immer) geist­reich, beschei­den und äußerst sym­pa­thisch ist!
Das Wederwill-Team

Reply
Bücherstadt Kurier 1. Juni 2014 - 19:21

Vie­len Dank! Wir freuen uns, dass euch das Inter­view gefällt und bedan­ken uns an die­ser Stelle gleich noch­mal bei Bir­git, dass sie dem Inter­view zuge­stimmt hat!

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