Das Mittelalter in kleinen Happen

by Worteweberin Annika

Mit­tel­al­ter: Rit­ter, Burg­fräu­lein, Dra­chen, wilde Kämpfe und große Feste… Das alles ist heute bei jun­gen Lese­rin­nen und Lesern sehr beliebt. Worte­we­be­rin Annika hat sich einige moderne Bear­bei­tun­gen von Tex­ten aus dem Mit­tel­al­ter und der frü­hen Neu­zeit ange­schaut, die sich beson­ders an Kin­der richten.

„Das Nibe­lun­gen­lied“, der „Iwein“ Hart­manns von Aue und „Ein kurtzwei­lig Lesen von Dil Ulen­spie­gel“ gehö­ren wie viele andere über­lie­ferte Texte aus dem Mit­tel­al­ter und der Frü­hen Neu­zeit als Kul­tur­gü­ter auch in unse­rer heu­ti­gen Zeit nicht nur in ver­staubte Regale, son­dern wecken zu Recht auch das Inter­esse eines heu­ti­gen Publi­kums. Nicht abwe­gig ist es da, dass auch Kin­der und Jugend­li­che diese Texte ken­nen­ler­nen und lesen sol­len und/oder wol­len. Ganz ein­fach, könnte man mei­nen, wenn man eine zeit­ge­nös­si­sche Bear­bei­tung zur Hand nimmt. Aller­dings hält nicht jede Bear­bei­tung auch das, was sie verspricht.

Gele­sen oder gesungen

Eines gilt es bei alle dem natür­lich schon vor­weg zu beach­ten: Pro­duk­ti­ons- und Rezep­ti­ons­wei­sen und ‑ange­wohn­hei­ten sind heute völ­lig andere als im Mit­tel­al­ter. Wäh­rend damals Lite­ra­tur vor allem münd­lich und im gro­ßen Kreis zum Bei­spiel am Hof vor­ge­tra­gen wurde, wird Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur (KJL) heute ent­we­der still gele­sen oder aber in einer Vor­le­sungs­si­tua­tion im klei­ne­ren Kreis rezi­piert. Kin­der sind heute zu einer eige­nen Ziel­gruppe gewor­den, die nicht mehr nur als „kleine Erwach­sene“ betrach­tet wer­den. Die Ver­lags­pro­gramme für Kin­der und Jugend­li­che sind umfang­reich, und in ande­ren Medien, zum Bei­spiel im Fern­se­hen, wird auch jun­gen Men­schen fast rund um die Uhr etwas erzählt. Die Erwar­tun­gen an eine Geschichte sind daher bei Kin­dern und Jugend­li­chen heute andere, was einige Ver­än­de­run­gen in moder­nen Bear­bei­tun­gen schnell erklä­ren kann. Trotz­dem geht es der KJL heute wie auch der Lite­ra­tur im Mit­tel­al­ter zumeist um Wer­te­ver­mitt­lung durch Unter­hal­tung. Doch das gelingt nicht über­all gleich gut…

Aus def­ti­gem Schalk wird intel­li­gente Rebellion

Soweit so gut. Was machen nun moderne Autoren mit dem mit­tel­al­ter­li­chen Text­ma­te­rial? Erich Käs­t­ner macht in sei­nem „Till Eulen­spie­gel“ aus den 96 def­ti­gen Geschich­ten um den umher­zie­hen­den Dill Ulen­spie­gel 12. Bei der Aus­wahl der Geschich­ten spart Käs­t­ner die ekel­haf­ten aus und kom­bi­niert andere so, dass Tills Strei­che immer zu mehr oder min­der nach­voll­zieh­ba­ren Reak­tio­nen auf vor­he­rige Taten wer­den. Dadurch wird sein Till deut­lich sym­pa­thi­scher und lus­ti­ger, im Kern blei­ben die früh­neu­zeit­li­chen Geschich­ten aber erhalten.

Hinzu kommt aber etwas ande­res: Käs­t­ners Bear­bei­tung ent­stand 1938 im Deutsch­land vor dem Zwei­ten Welt­krieg. Zeit­kri­tik und ein päd­ago­gi­sches Kon­zept ver­steckt er in den Geschich­ten über einen Mann, der sich auf intel­li­gente Art und Weise weh­ren kann, und die Leute, die sich so leicht her­ein­le­gen lassen.

Etwas mehr Gefühl

Zeit­geist kann man auch aus der Bear­bei­tung des Nibe­lun­gen­lieds von Auguste Lech­ner her­aus­le­sen. Den im Text dar­ge­stell­ten Unter­gang der Bur­gun­den been­det sie mit den Wor­ten: „Denn nun war es so, wie es sein musste, nach allem, was gesche­hen war.“ Ein Satz, der sich vom Zeit­punkt des Ent­ste­hens 1950 aus auch als Geschichts­deu­tung nach dem Zwei­ten Welt­krieg lesen lässt.

Ansons­ten ist Lech­ners Bear­bei­tung der Nibe­lun­gen recht eng. Das feh­lende Vor­wis­sen der heu­ti­gen Lese­rin­nen und Leser gleicht Lech­ner dadurch aus, dass sie die Vor­ge­schichte von Sieg­fried aus­er­zählt und so aus dem Nibe­lun­gen­lied auch eine Com­ing of Age Story bas­telt. Ansons­ten ver­än­dert Lech­ner vor allem eines, näm­lich, dass sie Emo­tio­nen in die Figu­ren legt, die dort im Mit­tel­al­ter sicher­lich noch nicht so gemeint waren. Aus heu­ti­ger Sicht funk­tio­niert eine Geschichte mit Emo­tion aber ein­fach viel besser.

Vor­sicht!

Eine sehr starke Ver­än­de­rung erhält hin­ge­gen der „Iwein“ in Feli­zi­tas Hop­pes Bear­bei­tung „Iwein Löwen­rit­ter“. Was auf dem Buch­rü­cken als Nach­er­zäh­lung aus­ge­zeich­net wird, ist tat­säch­lich etwas ganz ande­res. Ekla­tant ist hier zum Bei­spiel die Umin­ter­pre­ta­tion des Frau­en­bil­des auf eine auch heute nicht zeit­ge­mäße Weise. In Hop­pes Bear­bei­tung sind Frauen ent­we­der zickig und unqua­li­fi­ziert, oder sie sind klug und des­we­gen aber lei­der kom­plett unbe­liebt, denn schlaue Frauen fin­den lei­der, keine Freunde. Ein­zi­ger Aus­weg: Man lässt die Män­ner beim Schach­spie­len gewin­nen, das mer­ken sie ja doch nicht. Denn Iwein zum Bei­spiel ist bei Hoppe ein dum­mer Held, der drauf­haut, wenn es sein muss – und eben kein selbst­lo­ser Rit­ter, der sich wei­ter­ent­wi­ckeln muss, um sei­ner Frau wür­dig zu werden.

Bei Hoppe sind es also einer­seits die ver­mit­tel­ten Rol­len­bil­der, vor denen man sich in Acht neh­men sollte, aber ins Gewicht fällt eben auch die Umin­ter­pre­ta­tion von The­men wie Rit­ter­tum, Gewalt oder auch der Löwen­fi­gur, die von einer Außen­pro­jek­tion des Iwein zu einem mit den Kin­dern ver­bün­de­ten Kuschel­tier wird. Wäh­rend hier nur der Inhalt und Sinn der Geschichte ver­dreht wird, sollte man sich vor allem wegen der ande­ren Aus­sa­gen über­le­gen, ob man diese Bear­bei­tung sei­nen Kin­dern zumu­ten möchte.

Ja, mit­tel­al­ter­li­che und früh­neu­zeit­li­che Texte kön­nen auch heute funk­tio­nie­ren, beson­ders mit einer Por­tion Zeit­geist ver­se­hen für Kin­der. Was aller­dings weder heute noch damals funk­tio­niert, sind platte Rol­len­bil­der oder ein Ton, der Lese­rin­nen und Leser nicht ernst­nimmt. Bei der Aus­wahl der Texte sollte man also die Augen auf­hal­ten – wenn man es tut, machen alte Texte Kin­dern auch heute noch Spaß.

  • Till Eulen­spie­gel. Erich Käs­t­ner. Mit Illus­tra­tio­nen von Wal­ter Trier. Mit einem Nach­wort von Sybil Grä­fin Schön­feldt. Ceci­lie Dress­ler Ver­lag. 8. Auf­lage 2011.
  • Die Nibe­lun­gen. Glanz­zeit und Unter­gang eines mäch­ti­gen Vol­kes. Auguste Lech­ner. Neu über­ar­bei­tet und mit einem Glos­sar ver­se­hen von Fried­rich Ste­phan. Arena. 9. Auf­lage 2013.
  • Iwein Löwen­rit­ter. Erzählt nach dem Roman von Hart­mann von Aue. Feli­ci­tas Hoppe. Mit Illus­tra­tio­nen von Michael Sowa. Fischer Ver­lag. 2008.

Illus­tra­tion: Worte­we­be­rin Annika

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