Das Okapi und der Tod

by Satzhüterin Pia

Ein skur­ri­les, poe­ti­sches und mit­rei­ßen­des Buch hat die deut­sche Autorin Mariana Leky mit „Was man von hier aus sehen kann“ geschaf­fen. Satz­hü­te­rin Pia hat sich in das Dorf im Wes­ter­wald mit sei­nen lie­bens­wür­dig-schrä­gen Bewoh­nern bege­ben und her­aus­ge­fun­den, was Oka­pis und Träume mit dem Tod gemein­sam haben.

Die Geschichte der Ich-Erzäh­le­rin Luise ist oft trau­rig und berüh­rend, doch obwohl in allen drei Tei­len von „Was man von hier aus sehen kann“ der Tod all­ge­gen­wär­tig ist, ist es weder depri­mie­rend noch düs­ter. Luise ist zu Beginn des Romans zehn Jahre alt und lebt in einem Dorf im Wes­ter­wald. Einem Dorf vol­ler skur­ri­ler und höchst lie­bens­wer­ter Cha­rak­tere. Weil ihre Eltern zu sehr mit ihrer unglück­li­chen Ehe beschäf­tigt sind, befin­det sich Luise mehr in der Obhut ihrer Groß­mutter Selma und deren bes­tem Freund, dem Opti­ker des Dor­fes, als der ihrer Eltern. Selma wirkt ein biss­chen wie eine Art Dorf­äl­teste. Sie steht mit Rat und Tat jedem zur Seite, es könnte jedoch auch der Ein­druck ent­ste­hen, die Auf­merk­sam­keit der Dorf­ge­mein­schaft möge etwas mit ihren Träu­men zu tun haben…

„Immer, wenn der alten Selma im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächs­ten Tag jemand im Dorf.“ (Klap­pen­text)

Dies ist im Dorf all­ge­mein bekannt, denn drei­mal schon kam es ganz genau so und auch Luise hat bereits davon gehört. Nun hat Selma wie­der von einem Okapi geträumt und erzählt lie­ber nie­man­dem davon. Außer Luise. Nun, und ihrer Schwä­ge­rin Els­beth. Nicht gerade für ihre Ver­schwie­gen­heit bekannt, weiß es kurz dar­auf das gesamte Dorf und die ver­blei­ben­den 24 Stun­den wer­den nun gezählt. Wen es tref­fen wird, ist unklar, dass es so sein wird, haben die ver­gan­gene Okapi-Träume längst bewie­sen. Also rücken die sich mit dem bal­di­gen Tod kon­fron­tiert sehen­den Dorf­be­woh­ner mit unbe­que­men Wahr­hei­ten heraus.

Leky zeich­net die unter­schied­li­chen Figu­ren sehr gekonnt, in ihrer Absur­di­tät, Lie­bens­wür­dig­keit und auch Hilfs­lo­sig­keit. Der Opti­ker zum Bei­spiel ist schon sehr lange in Selma ver­liebt. Jeder weiß es, nur weiß er nicht, dass es jeder weiß und so schweigt er wei­ter und macht Selma damit (ver­se­hent­lich) glücklich.

„Sie rollte den ohren­be­täu­ben­den Draht ab.“ (S. 91)

Die Spra­che des Romans ist groß­ar­tig – flie­ßend, über­ra­schend, bild­haft und ver­fei­nert durch zahl­rei­che Ver­glei­che, Wie­der­ho­lun­gen und Meta­phern. Die Kunst dabei ist, dass es nicht über­la­den wirkt. Zunei­gung, Freund­schaft und Liebe hal­ten das Dorf auch im Ange­sicht des Todes zusam­men, doch Leky lotet die Nuan­cen fein aus und eines ist der Roman trotz allem nie: kitschig.

Die Geschichte lebt auch von char­man­tem Witz, wie dem des Opti­kers, des­sen Kit­tel ein „Mit­ar­bei­ter des Monats“-Schild ziert – nun, er ist ja auch der ein­zige Mit­ar­bei­ter. Oder Sel­mas Schwä­ge­rin, die aber­gläu­bi­sche Els­beth, die einen ange­säg­ten Hoch­sitz mit Kle­ber und Draht kit­ten will. Ein Hoch­sitz, auf dem der ewig betrun­kene und sein Kind schla­gende Palm sitzt. Ein Hoch­sitz, den der Opti­ker aus Ohn­macht dem klei­nen, geschla­ge­nen Mar­tin gegen­über, ansägte. Ein Hoch­sitz, den er Els­beth kurz­ent­schlos­sen zu kit­ten hilft (zuge­ge­be­ner­ma­ßen effek­ti­ver mit Nägeln und Brettern).

„Ein Okapi ist ein abwe­gi­ges Tier, das im Regen­wald lebt“, rief ich, „es ist das letzte große Säu­ge­tier, das der Mensch ent­deckt hat. Es sieht aus wie eine Mischung aus Zebra, Tapir, Reh, Maus und Giraffe.“ (S. 139)

Ähn­lich abwe­gig wie ein Okapi wir­ken auch die Dorf­be­woh­ner. Und auch genauso magisch wie bei die­sem unglaub­wür­di­gen und noch immer mys­tisch anmu­ten­den Tier, wir­ken einige Aspekte des Romans. Ange­fan­gen bei der Frau, die von einem Okapi träumt und so den nahen­den Tod eines Dorf­be­woh­ners vor­aus­sa­gen kann. Die bun­ten Gestal­ten bil­den ein noch bun­te­res Puz­zle, aber die­ses Puz­zle ver­än­dert sich nicht. Wie­der­ho­lun­gen, ein wir­kungs­voll ein­ge­setz­tes und belieb­tes Stil­mit­tel Lekys, ent­fal­ten ihre Wir­kung umso bes­ser: Sie funk­tio­nie­ren immer, denn alles bleibt wie es ist und kei­ner bricht aus sei­nem Mus­ter aus. Dorf­be­woh­ner im Westerwald.

Im Kon­trast dazu steht Lekys Spra­che – Bil­der, Ver­glei­che und Zusam­men­hänge, erfri­schend neu und immer wie­der über­ra­schend. So skur­ril ein Okapi anmu­ten mag, so gleich sieht doch jedes Tier die­ser Gat­tung aus. So skur­ril die Bewoh­ner wir­ken mögen, sie blei­ben, wer sie sind. Und so wie Oka­pis in der Tier­welt erfri­schend her­aus­ste­chen, so erfri­schend schön liest sich Mariana Lekys „Was man von hier aus sehen kann“.

Was man von hier aus sehen kann. Mariana Leky. DuMont. 2017.

Foto und Illus­tra­tion: Satz­hü­te­rin Pia

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1 comment

Über das E und U – Bücherstadt Kurier 10. Februar 2018 - 14:04

[…] Le­kys Ro­man „Was man von hier aus se­hen kann“ hat nicht nur den Preis als Lieb­lings­buch der un­ab­hän­gi­gen Buch­händ­ler 2017 […]

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