Das Schnürschuh-Theater beweist seine Wandlungsfähigkeit

by Bücherstadt Kurier

Die Büh­nen­fas­sung von Wolf­gang Herrn­dorfs Best­sel­ler „Tschick“ hat das Publi­kum ver­gan­ge­nen Sams­tag im Schnür­schuh-Thea­ter Bre­men rest­los begeis­tert und für lan­gen Bei­fall mit ste­hen­den Ova­tio­nen gesorgt. - Von Sophia Zimmermann.

Zwei Jun­gen, die mit­ein­an­der nichts am Hut haben, wer­den durch die Tat­sa­che ver­eint, dass sie als ein­zige aus ihrer Klasse nicht zu Tat­ja­nas Geburts­tag ein­ge­la­den sind. Der Erzäh­ler der Geschichte, Maik Klin­gen­berg (Mathias Hil­big), ist 14 Jahre alt, zunächst eher unschein­bar und unsterb­lich in Tat­jana ver­liebt, die man sei­ner Mei­nung nach nicht anders als „super“ bezeich­nen kann. Daheim hängt bei ihm der Haus­segen schief: Seine Fami­lie hat große Geld­pro­bleme, sein Vater eine Affäre, die er kaum mehr geheim hält und seine Mut­ter ertränkt ihre Sor­gen in Alkohol.
Und dann ist da noch Andrej Tschichat­schow (Pas­cal Makowka), genannt „Tschick“, der selbst gerne mal alko­ho­li­siert in der Schule erscheint. Aus Russ­land emi­griert, hoch­in­tel­li­gent aber im Unter­richt eher ein­sil­big, hat er bis­her kein Wort mit Maik gewech­selt. Das ändert sich an dem Tag, an dem Tschick mit einem geklau­ten Lada vor Maiks Haus­tür erscheint. Nach anfäng­li­cher Skep­sis lässt Maik sich über­zeu­gen, die bei­den wagen das Aben­teuer und fah­ren gemein­sam „in die Wala­chei“, wo Tschick Ver­wandte hat.
Der Lada, hier eine schwarze Büh­nen­platte mit vier Rol­len ver­se­hen, fun­giert im Laufe des Stücks noch als Tisch oder Behand­lungs­bett und wird durch ein­drucks­volle Licht­tech­nik von Jür­gen Peter­sen auch mal ganz schnell, als Tschick sich an des­sen Rand stellt, zum Steg, von dem aus man einen wei­ten See über­bli­cken kann.

Eine Reise

Auf ihrer Reise begeg­nen sie den skur­rils­ten Cha­rak­te­ren, dar­ge­stellt durch Susanne Baum und Hol­ger Speng­ler. Diese hau­chen jeder der Gestal­ten Ein­zig­ar­tig­keit ein. So springt Speng­ler mühe­los zwi­schen cho­le­ri­schem Vater, fröh­li­chem Groß­fa­mi­li­en­kind und hämi­schem Leh­rer in Cord­ja­cke hin und her, der einen spie­lend in die eigene Schul­zeit zurück­wirft. Auch Susanne Baum schafft es in den unter­schied­lichs­ten Figu­ren das Publi­kum zu über­zeu­gen und zieht als Isa, ein umher­streu­nen­des Mäd­chen, das die Jungs auf einer Müll­halde auf­ga­beln, vor allem Maik in den Bann.
Auch wenn die bei­den anfangs von ihr genervt sind, so wird sie doch bald zur treuen Gefähr­tin auf ihrer Reise. Und genau so hell glän­zen die Haupt­dar­stel­ler Hil­big als Maik und Makowka als Tschick durch ihre her­aus­ra­gende Per­for­mance. Mit einer enor­men Büh­nen­prä­senz und den sym­pa­thi­schen Macken der Figu­ren wer­den die Zuschau­en­den schnell an die Geschichte gefes­selt und gera­ten in den sich ver­selbst­stän­di­gen­den Sog des Stücks.

Ori­gi­nal­ge­treue Bühnenfassung

Regis­seur Chris­toph Jacobi hat mit der Büh­nen­fas­sung von Robert Koall ein bewe­gen­des Stück geschaf­fen, das immer wie­der Lacher oder zumin­dest ein klei­nes Lächeln in die Gesich­ter der Zuschau­en­den bringt. Die von den Jacobi, Koall, den Schau­spie­lern und zuletzt Herrn­dorf gemein­sam geschaf­fe­nen Cha­rak­tere besit­zen Tiefe und eine Lie­bens­wür­dig­keit, die das Herz auf­ge­hen lässt. Auch das von Rolan Khay­yat eher schlicht gehal­tene Büh­nen­bild birgt einige Über­ra­schun­gen: Für eine ganz beson­dere Stim­mung sorgt der tech­ni­sche Ein­satz eines Bea­mers, wel­cher den ein­zel­nen Spiel­si­tua­tio­nen eine ganz andere Dimen­sion gibt. Wäh­rend Tschick und Maik im Auto Schutz vor Regen suchen, zeigt das auf die Lein­wände an der Rück­wand pro­ji­zierte Bild Regen­trop­fen in der Makro-Film­per­spek­tive, wel­che in Zeit­lupe am Boden zer­schel­len. Und als die bei­den den Ster­nen­him­mel betrach­ten, tau­chen die beweg­ten Bil­der in die Milch­straße ein und las­sen einen in der Ferne die blaue Erde erblicken.
End­lich mal wie­der eine Adap­tion, die der Buch­vor­lage treu bleibt und doch so viel Eige­nes schafft. Die­ser fan­ta­sie­volle Road­t­rip lässt sich ohne Vor­be­halte allen emp­feh­len, die mal wie­der ein rundum herz­er­fri­schen­des Thea­ter­stück sehen wol­len, das einen mit einem Lächeln auf den Lip­pen zurück­lässt. Oder um es mit Maiks Wor­ten zu sagen:
„Die Welt ist schlecht, das hat­ten mir meine Eltern erzählt. Und viel­leicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Pro­zent schlecht. Aber das Selt­same war, dass Tschick und ich auf unse­rer Reise fast aus­schließ­lich dem einen Pro­zent begeg­ne­ten, das nicht schlecht war.“

Wer sich selbst ein Bild vom Stück machen will, der hat dazu am 24. Sep­tem­ber und am 18. Okto­ber 2015 jeweils um 19 Uhr Gele­gen­heit. Ticket­re­ser­vie­run­gen und wei­tere Infor­ma­tio­nen sind auf der Home­page des Thea­ters zu fin­den: www​.schnu​er​schuh​-thea​ter​.de.

Foto: W. Gerbracht
Mat­thias Hil­big (grü­nes Shirt) Pas­cal Makowka (graues Shirt)

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