Die Schnepfe und ich

by Worteweberin Annika

Mit „Die Vögel“ ist im Gug­golz Ver­lag der zweite erfolg­rei­che Roman des Nor­we­gers Tar­jei Vesaas erschie­nen. Es ist ein Roman über Vogel­spu­ren in der Luft und die fei­nen Schwin­gun­gen in uns selbst, zart wie Schnep­fen­spu­ren im Sumpf. Worte­we­be­rin Annika ist mit der Schnepfe geflogen.

In „Die Vögel“ geht es um die Geschwis­ter Mat­tis und Hege. Mat­tis, der von allen nur „der Dus­sel“ geru­fen wird, ist Hege seit dem Tod der Eltern vor vie­len Jah­ren ein Klotz am Bein. Wenn er arbei­ten soll, ver­kno­ten sich schnell seine Gedan­ken, so dass er zum Unter­halt der Geschwis­ter nicht bei­tra­gen kann. Dafür hat Mat­tis wache Sinne.

Gesagt in Vogelschrift

Eines nachts beob­ach­tet er, dass die Flug­bahn einer Schnepfe über das kleine Häus­chen der Geschwis­ter führt. Auf dem soge­nann­ten Schnep­fen­strich fliegt der Vogel jede Nacht auf die Balz. Mat­tis ist ver­zau­bert, ver­wan­delt, doch Hege und die Dorf­be­woh­ne­rin­nen und Dorf­be­woh­ner kön­nen ihn nicht verstehen.

„Strei­fen führ­ten durch die Luft über dem Haus – noch von der Schnepfe, die wäh­rend sei­nes Schlafs hier ent­lang­ge­flo­gen war, heute Nacht und von nun an alle Nächte. Bei­nahe fühlte zu schla­fen sich an wie eine Sünde.“ (S. 87)

Die Schnepfe und Mat­tis ver­bin­det ein untrenn­ba­res Band, glaubt er. Doch dann ent­wi­ckelt sich der Som­mer anders als gedacht für die Geschwis­ter. Mat­tis rudert nicht nur zwei gold­braune Mäd­chen, son­dern auch den Holz­fäl­ler Jør­gen über den See. Bald muss er sich ent­schei­den, wo sein Platz sein soll.

Sprach­zau­ber

Tar­jei Vesaas erzählt vom Schick­sal des Dus­sels nach der Begeg­nung mit der Schnepfe. Er tut das sprachmäch­tig, vage und doch gewandt. Wir lau­schen Mat­tis wir­ren, unfer­ti­gen Gedan­ken und kön­nen seine Ver­zau­be­rung fast ver­ste­hen: „Die Schnepfe und ich irgend­wie. Wir flie­gen dar­über irgend­wie. Und das wird immer so blei­ben!“ (S. 225)

In Mat­tis ein­fa­chen Wor­ten und den schnör­kel­lo­sen Sät­zen der Erzählin­stanz liegt Poe­sie, die die Über­set­zung von Hin­rich Schmidt-Hen­kel beein­dru­ckend her­aus­ar­bei­tet. Wie die Schnepfen­fe­dern auf dem Buch­um­schlag ist die­ser Roman in sei­ner natür­li­chen Ein­fach­heit etwas ganz beson­ders Kunst­vol­les. Das Paket machen das kluge Nach­wort von Judith Herr­mann und die hoch­wer­tige Buch­ge­stal­tung kom­plett. „Die Vögel“ ist ein wun­der­ba­rer Roman, mit dem man für ein paar Stun­den aus der Zeit fal­len kann wie Mat­tis, der über den See rudert, wäh­rend an ihm die Motor­boote vorbeizischen.

Der Autor

Tar­jei Vesaas (1897−1970) wuchs in einer Bau­ern­fa­mi­lie auf und avan­cierte zu einem der wich­tigs­ten nor­we­gi­schen Schrift­stel­ler. Er wurde 1964 mit dem Preis des Nor­di­schen Rates aus­ge­zeich­net und war mehr­fach für den Nobel­preis im Gespräch, trotz­dem war er vor sei­ner Wie­der­ent­de­ckung durch den Gug­golz Ver­lag in Deutsch­land kaum bekannt. Vesaas‘ Roman „Das Eis-Schloss“ erschien im Vor­jahr bei Guggolz.

Die Vögel. Tar­jei Vesaas. Aus dem Nor­we­gi­schen von Hin­rich Schmidt-Hen­kel. Gug­golz. 2020.

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