Die Suche nach dem Sinn der Worte

by Zeichensetzerin Alexa

Anfang die­ses Jah­res ist ein lie­be­voll gestal­te­tes Buch erschie­nen: „Der Wort­schatz“, der Debüt-Roman von Elias Vor­pahl. Zusam­men mit dem Wort, das seine Bedeu­tung ver­ges­sen hat, begibt sich Zei­chen­set­ze­rin Alexa auf eine fan­tas­ti­sche Reise und Sinnsuche.

Wenn wir spre­chen, den­ken wir meist gar nicht lange dar­über nach, wel­che Wör­ter wir wäh­len. Manch­mal ver­ges­sen wir Wör­ter und ihre (tie­fere) Bedeu­tung. Das ist, wenn man ernst­haft dar­über nach­denkt, ganz und gar fürch­ter­lich – vor allem, weil ein Wort, wie jenes in Vor­pahls Buch „Der Wort­schatz“, nur exis­tie­ren kann, wenn es gedacht, aus­ge­spro­chen oder auf­ge­schrie­ben wird. Sonst ver­ges­sen auch Wör­ter, wel­chen Sinn sie tragen.

„Die Welt der Spra­che ist stets im Wan­del. Man­che Worte, die heute an der Ober­flä­che des Flus­ses trei­ben, wer­den in hun­dert Jah­ren ver­ges­sen sein. Wisst ihr, der Sprach­fluss hat keine Mün­dung. Jah­re­lang dach­ten wir, dass wir irgend­wann irgendwo ankom­men wür­den. Aber das stimmte nicht. Der Fluss fließt immer wei­ter. Es sind bloß andere Worte, die an sei­ner Ober­flä­che trei­ben.“ (S. 74)

Allein beim Schrei­ben die­ses Tex­tes wird das eine Wort hin­ter das nächste gesetzt, ver­scho­ben, gelöscht, wie­der hin­ge­schrie­ben – man­che Wör­ter wer­den nur gedacht und fin­den kei­nen Weg aufs weiße digi­tale Blatt. Sie schwir­ren irgendwo zwi­schen Gedanke und Blatt und ver­schwin­den schließ­lich gänz­lich. Manch­mal ent­fal­len uns Wör­ter aber auch nur, dann suchen wir und suchen – wie hieß das doch gleich? Mir fehlt da die­ses Wort …

Auch das Wort, der Protagonist/die Prot­ago­nis­tin in die­sem Buch, ist noch nicht ver­lo­ren. Es begibt sich auf die Suche nach sei­nem Sinn und begeg­net auf sei­ner Reise einer Reihe fan­tas­ti­scher Wesen, vie­len ande­ren Wör­tern, die einen „wich­ti­ger“ als die anderen:

„Es gibt viele Worte, für die nicht die Qua­li­tät einer Geschichte ent­schei­dend ist. Für sie zählt nur, wer sie erzählt. Die ach so wich­ti­gen Worte, mit ach so viel Bedeu­tung. Hoch­mut. Beflis­sen­heit. Facet­ten­reich­tum. Sie wür­den es nicht ertra­gen, ein Wort ohne Bedeu­tung gewin­nen zu sehen.“ (S. 118)

Ums Gewin­nen geht es bei den „Wort­spie­len“, bei denen Wör­ter gegen­ein­an­der antre­ten und ver­su­chen, das Publi­kum mit dem Geschich­ten­er­zäh­len zu über­zeu­gen. Dabei geht es weni­ger darum, von Din­gen zu erzäh­len, die bekannt sind, son­dern viel­mehr um die Fan­ta­sie: „Denke dir etwas Neues aus. Benutze die Fan­ta­sie. Dann ist es völ­lig egal, was du ver­ges­sen hast.“ (S. 113) Die­sen Tipp erhält das Wort von der Echse, als es bei den Wort­spie­len antritt.

Vor­pahl webt so man­chen Gedan­ken über Sprach­wan­del, die Qua­li­tät von Tex­ten bezie­hungs­weise „große[n] Geschich­ten“ (S. 113) und die Hier­ar­chie der Worte (man­che sind „wich­ti­ger“ als andere, wodurch sprach­li­che Abgren­zung statt­fin­det) in sei­ner Geschichte ein. Dabei setzt er das Wort in eine fan­ta­sie­volle Welt, in der es Auf­strich und Unter­strich zum Früh­stück gibt, Umlaut­ar­bei­ten statt­fin­den und kos­ten­lose i- und ü‑Tüpfelchen von Typo­gra­fen ver­ge­ben wer­den. Die Welt, in der das Wort sich bewegt, heißt Spra­chen und ist vol­ler Geschich­ten, Wort­spiele und –rät­sel. Aber auch Gefah­ren lau­ern hier.

„In einem ganz ande­ren Teil der Welt der Spra­che hat­ten zwei Wesen Wit­te­rung auf­ge­nom­men, ihr neues Opfer zu jagen. Die­ses Opfer war ein Wort ohne jeg­li­che Bedeu­tung.“ (S. 35)

Vor­pahl hat mit „Der Wort­schatz“ nicht ein­fach nur eine Hom­mage an das geschrie­bene Wort ver­fasst, son­dern auch so man­chen inter­tex­tu­el­len Ver­weis ein­ge­baut. So erin­nert das Kapi­tel „Die ver­rückte Tee­party“ an „Alice im Wun­der­land“, die Wort­spiele an Wal­ter Moers‘ „Die Stadt der Träu­men­den Bücher“ und der fik­tive Schrift­stel­ler, der sich als Erzäh­ler zu erken­nen gibt, an Cor­ne­lia Funkes „Tin­ten­herz“. Trotz die­ser Ein­flüsse bewahrt sich „Der Wort­schatz“ die Indi­vi­dua­li­tät. Es ist eine Mischung aus vie­len klei­nen Geschich­ten und vie­len span­nen­den Gedan­ken rund um die Spra­che, vor allem aber ist „Der Wort­schatz“ eine Geschichte über ein Wort, das um das Über­le­ben kämpft.

Span­nend sind dar­über hin­aus die Meta­ebe­nen. Das Buch beginnt mit einem Pro­log: „Der alte Mann griff nach sei­ner Feder. Er ahnte nun, wie die Geschichte begin­nen musste.“ Und dann schreibt die­ser Mann, der fortan als Erzäh­ler der Geschichte fun­giert, genau den glei­chen Satz: „Der alte Mann griff nach sei­ner Feder …“ Spä­ter, als das Wort ihm begeg­net und ihn fragt, wozu die ganze Reise, bezieht er die Lesen­den mit ein:

„Wärst du direkt zu mir gekom­men, […] klopf­test an die Tür und frag­test: ›Wie ist das noch­mal mit der Welt der Spra­che?‹ Wer hätte sich die Mühe gemacht, das zu lesen? Wer hätte es geglaubt? Er ist bei uns. Jetzt gerade liest er jede Zeile und ich bete, dass er bis zum Ende liest.“ (S. 152)

Erwäh­nens­wert sind neben der lie­be­vol­len Gestal­tung des Romans von Lena Stad­ler die unauf­dring­li­chen, den Text unter­stüt­zen­den Illus­tra­tio­nen von Julia Stolba, die sowohl zu Beginn eines Kapi­tels (als illus­trierte Initiale) als auch inner­halb des­sen zu fin­den sind.

„Der Wort­schatz“ über­zeugt mit viel Liebe zum Detail: Die Auf­ma­chung des Buches ist anspre­chend, die Geschichte etwas für Kopf und Herz. Es berei­tet Freude, das Wort auf sei­ner Reise zu beglei­ten, dabei so man­ches Unter­halt­sa­mes über die Welt der Spra­che zu erfah­ren und sich an die Wich­tig­keit der Wör­ter zu erin­nern. Ein gro­ßer Buch­tipp für alle, die gerne fan­tas­ti­sche, mär­chen­hafte Geschich­ten lesen.

Der Wort­schatz. Elias Vor­pahl. Illus­tra­tion: Julia Stolba. Gestal­tung: Lena Stad­ler. Buch­blatt. 2018.

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2 comments

Elias Vorpahl 19. November 2018 - 19:53

Wow! Vie­len Dank für diese wun­der­bare Rezen­sion. Mir feh­len die Worte.

Wie es der Zufall will, wurde der Wort­schatz gerade heute in die Short­list des Lovely­Books Leser­prei­ses 2018 gewählt, was mich sehr glück­lich macht. Jetzt kann jede Lese­rin und jeder Leser noch bis zum 27.11.2018 für „Der Wort­schatz“ abstimmen:

Ich freue mich über jede Stimme! 🙂

Liebe Grüße an das ganze Team vom Bücher­stadt Kurier und noch ein­mal vie­len Dank!
Elias Vorpahl

Reply
Elias Vorpahl im Interview – Bücherstadt Kurier 20. März 2019 - 18:59

[…] Zei­chen­set­ze­rin Alexa in „Der Wort­schatz“ tief in die Welt der Spra­che ein­ge­taucht ist, wollte sie nun mehr vom Autor Elias […]

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