Ein problematisches Erstlingswerk: „Verschwundene Seelen“

by Satzhüterin Pia

Satz­hü­te­rin Pia hat sich den Debüt­ro­man „Ver­schwun­dene See­len – Die Ver­ges­se­nen der Wirk­lich­keit“ der noch sehr jun­gen Autorin Annika Meyer in dem eben­falls noch jun­gen Fabu­lus-Ver­lag zu Gemüte geführt. Ein Buch, das Fra­gen auf­wirft: Wie sehr steht ein Roman wirk­lich für sich und wie sehr las­sen wir uns von der Bio­gra­fie der Autorin beeinflussen?

Verschwundene Seelen

Alina und sechs wei­tere jugend­li­che Mit­schü­ler wer­den aus­er­wählt, das Zau­ber­buch – das Buch des Lebens – vor den Schat­ten­men­schen zu beschüt­zen. Von den nicht näher benann­ten „Guten“ wer­den ihnen über­na­tür­li­che Fähig­kei­ten ver­lie­hen. Jeder hat zwei, die sich an den vier Ele­men­ten ori­en­tie­ren: Was­ser, Luft, Feuer und Erde. Als der Kampf gegen die bru­ta­len Schat­ten­men­schen beginnt, ver­gisst die Welt, dass Alina und ihre Mit­strei­ter jemals exis­tiert haben. Jeg­li­che Erin­ne­run­gen an sie sind getilgt. Kön­nen die sie­ben jun­gen Men­schen das Zau­ber­buch beschüt­zen und im Kampf gegen die „Bösen“ bestehen?

Aus alt mach neu: Eine wack­lige Geschichte

Die Geschichte hat das Genre Fan­tasy nicht neu erfun­den: Jugend­li­che Aus­er­wählte bekom­men magi­sche Fähig­kei­ten, um die Mensch­heit vor bösen Schat­ten­men­schen zu beschüt­zen. Nicht zu ver­ges­sen: Sie sehen neben ihren neuen Fähig­kei­ten nun natür­lich auch wun­der­schön aus.
Wahn­sin­nig schnell stol­pern die sie­ben Jugend­li­chen hier in diese neue Welt hin­ein, hin­ter­fra­gen nur auf weni­gen Sei­ten, ob das, was ihnen hier gerade pas­siert, wirk­lich legi­tim ist. So wird Alina wäh­rend des Trai­nings mit den drei „Guten“ so hart ins Gesicht geschla­gen, dass sie fast bewusst­los wird. Sie wehrt sich wäh­rend der Kämpfe bit­ter­lich und scheint sich über diese Art des Trai­nings zeit­weise zu wun­dern. Letzt­end­lich aber ent­schul­digt sie sich und macht alles, was von ihr ver­langt wird. Bald schon wird gar nichts mehr hinterfragt.

Aber Leser dürf­ten hin­ter­fra­gen. Denn gerade eine Fan­tasy-Welt muss in sich schlüs­sig sein. Ist eine Geschichte nicht voll­ends durch­dacht, wirft sie Fra­gen auf, die sie nicht beant­wor­ten kann. Lässt sie ver­schie­dene – überirdische/ magi­sche – Dinge ein­fach so sein, holt der Text mich als Lese­rin nicht ab. Magie lässt sich in unse­rer Welt nicht logisch erklä­ren. Aber in einer fan­tas­ti­schen Welt, oder viel­mehr beson­ders in einer sol­chen Welt, sollte erklärt wer­den, wie und warum diese Welt so funk­tio­niert. Das pas­siert bei der 17-jäh­ri­gen Autorin jedoch nicht. Meyer hat mit 13 nach eige­ner Aus­sage „ein­fach so drauf los geschrie­ben“ und dies ist deut­lich in ihrem Erst­lings­werk spürbar.
Auch die obli­ga­to­ri­sche Lie­bes­ge­schichte zwi­schen der nor­ma­len Schü­le­rin, die aus­ge­wählt wurde, und dem unnah­ba­ren Schul­schwarm, der natür­lich eben­falls aus­ge­wählt wurde, über­zeugt nicht.

Sprach­li­cher Super­gau: Hat das Lek­to­rat geschlafen?

Der holp­rige Ein­stieg ver­läuft sich nicht. Auch nach hun­dert Sei­ten bleibt der Stil uner­fah­ren, die Sätze und For­mu­lie­run­gen oft­mals platt und gut gefüllt mit Kli­schees und Phra­sen. Die sehr bild­hafte und ein­falls­rei­che Spra­che zeigt, wie viel Zeit und Mühe Annika Meyer in ihre Geschichte hat ein­flie­ßen las­sen. Lesen lässt es sich den­noch schwer­lich. Wie­der­ho­lun­gen, syn­tak­tisch merk­wür­dige oder schlicht­weg unvoll­stän­dige Sätze, sowie Recht­schreib­feh­ler drän­gen die Frage nach dem Lek­to­rat auf: Hat das Lek­to­rat geschla­fen? „Mia schaute sie fröh­lich.“, heißt es auf Seite 43. Moment. Sie kann fröh­lich schauen oder sie fröh­lich anschauen, aber sie fröh­lich schauen? Nein. An ande­rer Stelle wird der Name Luna sechs­mal auf acht Zei­len genannt. Eine wei­tere Seite arbei­tet mit ins­ge­samt drei ver­schie­de­nen Satz­an­fän­gen. Nur drei! Ein Zitat von Seite 25 ver­deut­licht die häu­fi­gen Wie­der­ho­lun­gen im Text:

„Aber sie haben auch diese unheim­li­che, durch­sich­tige Farbe. Wenn man das über­haupt Farbe nen­nen kann.“ Alina konnte sich noch genau an diese durch­sich­tige Farbe erin­nern. Sie war unheimlich.

Das Lek­to­rat hätte hier sehr viel mehr her­aus­ho­len kön­nen – die Geschichte hat das Poten­tial. Ein Blick vorne ins Buch ver­rät, dass Elmar Klupsch das Lek­to­rat über­nom­men hat: Ein Mensch mit tol­lem Wer­de­gang und einer eige­nen lite­ra­ri­schen Agen­tur, die Autor und Ver­lag zuein­an­der brin­gen soll. Was also ist hier schiefgelaufen?

Erneut auf das junge Alter der Autorin zurück­zu­füh­ren, ist die Spra­che der Figu­ren. Das mys­te­riöse kleine Mäd­chen Love­lyn, wel­che den jugend­li­chen Aus­er­wähl­ten in einer Blume aus dem Boden wach­send erscheint und als erklä­rende Figur fun­giert, sagt an einer Stelle an Luna gerichtet:

„Wenn du stirbst, wird sich nie­mand an dich erin­nern. Weder deine Fami­lie, noch deine Freunde, noch sonst jemand … Und jetzt halt ein­fach mal die Klappe.“

Dies ist bei wei­tem nicht die ein­zige Text­stelle, an der die Spra­che der Figu­ren ein­fach nicht zu ihnen pas­sen will. Ben, einer der drei „Guten“, die Alina und ihre Freunde trai­nie­ren, sagt auf Seite 77 zum Bei­spiel: „Ihr habt eine rie­sen­große, super wich­tige Auf­gabe auf­ge­brummt bekom­men.“ Flap­si­ger, jugend­li­cher Stil bei egal wel­cher Figur – ob Kind, Erwach­sen, mys­tisch oder normal.
Etwas irri­tiert zurück, lässt auch eine Szene auf Seite 109, unmit­tel­bar bevor Alina zum Kampf geru­fen wird:

Alina stand gerade unter der Dusche, und das heiße Was­ser lief über ihren Kör­per. Sie streckte den Kopf nach oben und spürte das heiße Was­ser auf Augen und Lip­pen nie­der­pras­seln. Sie nahm das Sham­poo vom Boden und öff­nete es. Lang­sam ergoss sich der weiße dick­flüs­sige Inhalt auf ihre Hand.

Kann ein Roman nur für sich stehen?

Natür­lich ist das alles erklär­bar und ent­schuld­bar. Die Autorin hat schon mit 13 ange­fan­gen zu schrei­ben und sie hat das Buch schon mit 17 Jah­ren ver­öf­fent­licht. Das Lek­to­rat hat ganz offen­sicht­lich Mist gebaut. In der Lite­ra­tur­theo­rie und –wis­sen­schaft ist es jedoch umstrit­ten, die Bio­gra­fie des Autors bei der Bewer­tung des Tex­tes mit ein­flie­ßen zu las­sen. Das Werk müsste eigent­lich für sich ste­hen kön­nen. Liest man andere Rezen­sio­nen zu Annika Mey­ers Debüt­ro­man, wird das Alter der Autorin bei­nahe durch­weg immer genannt – in die­ser Rezen­sion ist es nicht anders. So jung, uner­fah­ren und auch leis­tungs­stark die Autorin und die Tat­sa­che, dass sie, Jahr­gang 1999, bereits ein Buch ver­öf­fent­licht hat, auch sein mögen: Kann das Buch dadurch gleich so anders bewer­tet werden?

Wenn man mich fragt: Bes­ten­falls nicht. Die Geschichte hat eine nette Grund­idee, aber eine – für mich – kata­stro­phale Spra­che und zeit­weise auch Umset­zung. Sie hat Unge­reimt­hei­ten, Fan­tasy funk­tio­niert nicht ein­fach, indem alles ein­fach so hin­ge­stellt wird und zudem viel zu viele Ele­mente beinhal­tet. Die Figu­ren sind ent­we­der über­zeich­net, wie in 08/15-High­school-Tee­nie­fil­men oder blei­ben viel zu blass. Die Lie­bes­ge­schichte trägt keine spür­bare Che­mie an die Leser heran und der flap­sige Sprach­stil aller Figu­ren wirkt voll­kom­men fehl am Platz.
Als ich zu lesen begann, wusste ich nicht, wie alt die Autorin ist, aber es hat mich nicht über­rascht, als ich es dann erfuhr. Viel­leicht hätte Annika Meyer noch ein paar Jahre mit der Ver­öf­fent­li­chung war­ten sol­len. Es ist eine unge­sunde Mischung aus Neu­gierde, wie die Geschichte wei­ter­geht und Neu­gierde, wel­che Feh­ler und unschöne For­mu­lie­run­gen noch zu fin­den sind, die mich beim Lesen vor­an­ge­trie­ben haben. Bis zum Ende hat es lei­der nicht gereicht.

Ver­schwun­dene See­len – Die Ver­ges­se­nen der Wirk­lich­keit. Annika Meyer. Fabu­lus Ver­lag. 2016.

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1 comment

Menschen, die Götter spielen – Bücherstadt Kurier 15. August 2016 - 22:32

[…] stol­pert man als Le­se­rIn in „Göt­ter“ schnell über zahl­rei­che Feh­ler. Es ist er­neut das Lek­to­rat von El­mar Klup­sch, was un­an­ge­nehm auffällt. […]

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