Eine Füchsin, ein Mädchen und viele Gefühle

by Zeichensetzerin Alexa

Was pas­siert mit uns, wenn wir tot sind? Viel­leicht wer­den wir als Tiere wie­der­ge­bo­ren? Als Bär viel­leicht. Oder als Fuchs? Die elf­jäh­rige Jules hat sich mit ihrer Schwes­ter Syl­vie viele Gedan­ken dar­über gemacht. Aber da wusste Jules noch nicht, dass sie ihre Schwes­ter ver­lie­ren würde. Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat Jules‘ Geschichte in „Renn, Senna, renn“ von Kathi Appelt und Ali­son McG­hee, gele­sen von Johann von Bülow, gelauscht.

Jules‘ Fami­lie wird seit dem Tod ihrer Mut­ter von stil­ler Trauer beglei­tet. Doch anders als Syl­vie und ihr Vater erin­nert sich Jules kaum noch an sie. Manch­mal wird sie wütend auf sich selbst, aber auch auf Syl­vie und ihren Vater, weil sie keine Erin­ne­run­gen mit ihnen tei­len kann. Wenn sie wütend ist oder auf­ge­wühlt, dann beginnt sie, ihre Stein­samm­lung zu sor­tie­ren. Steine sind in die­ser Geschichte mehr als nur ein Hobby oder Talis­mane – sie sym­bo­li­sie­ren Wün­sche und Hoff­nung. Und damit die Wün­sche in Erfül­lung gehen, müs­sen sie auf die Steine geschrie­ben und diese in den Fluss gewor­fen wer­den. Syl­vies innigs­ter Wunsch ist es, noch schnel­ler zu ren­nen. Jules hin­ge­gen hat kei­nen, der ihrer Mei­nung nach nur annä­hernd so groß wäre.

Der Fluss ist aller­dings gefähr­lich und gehört zu den ver­bo­te­nen Orten, die Jules und Syl­vie nie­mals betre­ten dür­fen. Das betont ihr Vater immer wie­der. Als die bei­den Schwes­tern die­ses Ver­bot igno­rie­ren, beginnt die Tra­gö­die: Syl­vie rennt, statt mit Jules zurück zu lau­fen, voran – so schnell, dass sie sich nicht mehr hal­ten kann, und stürzt in den rei­ßen­den Fluss.

Trau­er­be­wäl­ti­gung und Neuanfang

Zur glei­chen Zeit wird im Wald die Füch­sin Senna gebo­ren und deren Mut­ter merkt schon bald, dass ihre Toch­ter anders ist als andere Füchse. Zuneh­mend spürt Senna, dass sie irgend­et­was mit Jules ver­bin­det. Diese riecht ver­traut und Senna fühlt sich zu ihr hin­ge­zo­gen. Senna muss Jules eine wich­tige Bot­schaft von Syl­vie über­brin­gen und irgend­wann begreift sie, was sie zu tun hat.

Ab der Geburt der Füch­sin wird die Geschichte im Wech­sel aus der Sicht von Senna und Jules erzählt. Wäh­rend Senna wächst und das Jagen lernt, ver­ar­bei­tet Jules den Tod ihrer Schwes­ter. Es ist die „Nach der Syl­vie Zeit“, in der alles anders ist als vor­her. Der Ver­lust hat Spu­ren hin­ter­las­sen, schmerz­li­che Gedan­ken, Vor­würfe. Es ist eine Zeit des Still­stands und das Zurück­keh­ren in den All­tag fällt weder dem Vater noch Jules leicht.

Spä­tes­tens als Jules in die Schule zurück­kehrt und sich der Tat­sa­che stel­len muss, zum ers­ten Mal ohne ihre Schwes­ter dort zu sein, wird die Geschichte ergrei­fend emo­tio­nal. Die herz­li­che Auf­nahme der Mit­schü­le­rin­nen und Mit­schü­ler hilft Jules, sich will­kom­men und gebor­gen zu füh­len – auf der ande­ren Seite erin­nert sie alles, was sie in der Schule sieht, an ihre Schwester.

Wün­sche und Hoffnung

„Renn, Senna, renn“ sorgt für eine Ach­ter­bahn­fahrt der Gefühle: Trauer, Wut, Freude, Hoff­nung. Johann von Bülows ein­fühl­same Les­art unter­stützt die emo­tio­nale Ebene, ohne zu sehr ins Dra­ma­ti­sche zu rut­schen. Zwi­schen Inhalt und Sprach­klang bleibt stets noch aus­rei­chend Raum, um Ver­knüp­fun­gen her­stel­len und sich Gedan­ken machen zu kön­nen. Wie wür­den wir an Jules‘ Stelle reagie­ren? Wie wür­den wir uns füh­len? Was wür­den wir tun? Bülow schafft es gekonnt, die Emo­tio­nen und die Atmo­sphäre der Geschichte sprach­lich ein­zu­fan­gen und zu trans­por­tie­ren, ohne sie den Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rern aufzuzwingen.

„Renn, Senna, renn“ ist eine trau­rige, ergrei­fende Geschichte, aber sie hat auch etwas Tröst­li­ches: Die Vor­stel­lung, dass die Seele eines Ver­stor­be­nen irgendwo noch wei­ter­lebt, uns beglei­tet, viel­leicht auch auf uns war­tet, macht Mut und weckt Hoff­nung – zumin­dest kann der Gedanke daran hel­fen, wie­der Kraft zu schöpfen.

Renn, Senna, renn. Kathi Appelt, Ali­son McG­hee. Über­set­zung: Uwe-Michael Gutzsch­hahn. Spre­cher: Johann von Bülow. 4h, 43 Min., unge­kürzt. 2018. Ab 10 Jahren.

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