Eine zeitlose Geschichte

by Bücherstadt Kurier

Vla­di­mir Petro­witsch erin­nert sich in spä­ten Tagen an die zärt­li­chen Far­ben sei­ner ers­ten Liebe. Den Som­mer 1833, er selbst zählte 16 Jahr, ver­brachte die Fami­lie auf dem Lande. Die Fami­lie: bestehend aus Mut­ter, Vater, Kind, wird mit einer durch­ge­hen­den Kühle cha­rak­te­ri­siert. Vla­di­mir berei­tet sich auf die Uni­ver­si­tät vor, ihm fehlt es an nichts, nur Zunei­gung sind die Eltern nicht ver­mocht ihm zu geben, die er sich rasch in sei­ner neuen Nach­ba­rin sucht, der fünf Jahre älte­ren Prin­zes­sin Zas­je­kina. Sie bezog mit ihrer Mut­ter den nach­bar­li­chen Flü­gel des­sel­ben Hau­ses. Aus einem ver­arm­ten Adels­ge­schlecht stam­mend bezirzt sie tag­täg­lich sie ver­eh­rende Männer.

Vla­di­mir aber bleibt für sie stets ein Kind, er selbst beginnt jedoch von der ers­ten Minute Feuer zu fan­gen und bemerkt rasch, wie sehr Lei­den­schaft Lei­den schafft. Wie Wachs in ihren Hän­den formt die Prin­zes­sin ihren Pagen und lässt ihn gar eine Mut­probe absol­vie­ren, nicht ahnend, wie weit seine Liebe zu ihr reicht. Bei all den recht kind­li­chen Ver­an­stal­tun­gen zeigt sich für Vla­di­mir bald, dass Zas­je­kina keine Kokette ist, nein, sie ist ver­liebt, doch lei­der wohnt der Glück­li­che den ande­ren Ver­eh­rern nie bei. Zunächst für nie­man­den ersicht­lich, stößt der Leser recht schnell dar­auf, was es nicht weni­ger genüss­lich macht, son­dern die Tra­gik der Geschichte umso mehr erweitert.

124 Sei­ten, die sich schnell lesen und doch nicht den Ein­druck erwe­cken, schnell ver­ges­sen wol­len zu sein. Die Geschichte selbst zeigt keine Skan­dale, wie wir sie heute gewohnt sind, es zeigt sich nichts Neues, was nicht von vie­len ande­ren schon auf­ge­deckt wurde. Dies ist kei­nes­wegs eine Kri­tik, son­dern soll über­lei­ten zu Tur­gen­evs Spra­che, die fili­gran ein gol­de­nes Geflecht spinnt, was sich über die Prot­ago­nis­ten legt. Ein Som­mer­traum ver­gan­ge­ner Jahre wird ein­drucks­voll – nicht geschil­dert, son­dern – erlebt. Bil­der stei­gen auf und man erin­nert sich unwei­ger­lich an die eige­nen ers­ten herz­er­wär­men­den Erleb­nisse mit dem ande­ren Geschlecht, wenn man spürt, wie Schmet­ter­linge oder wahl­weise Amei­sen in der Magen­ge­gend pul­sie­ren, wie die Hände feucht wer­den, wie das Herz schnell und laut klopft, wie süß die Früchte der ers­ten Liebe schme­cken. Wir erin­nern uns gern. Und somit ist es trotz Rah­men­in­for­ma­tio­nen eine sehr zeit­lose Geschichte, die von der Atmo­sphäre lebt.

Eine rüh­rende Vater-Sohn-Bezie­hung ver­dich­tet den Kon­flikt, der Vater gibt sich unnah­bar, wäh­rend der Sohn lie­bes­hung­rig umher­irrt: „Anfangs fürch­tete ich mich zu sprin­gen, indes mein Vater ver­ach­tete zage Men­schen, und so hörte ich auf, mich zu fürch­ten.“ Tur­gen­evs Geschichte hätte keine Ein­lei­tung gebraucht, denn Vla­di­mirs Erin­ne­run­gen leben auch gut allein, es hätte nicht ein­mal eine Hand­lung dazu gebraucht.

Ich stelle das Buch leise zurück, ver­harre einen Augen­blick und genieße die Stille, wenn meine Gedan­ken sich allein for­men müs­sen. Die Stille, wenn eine Geschichte endet und ihren Platz in die wohl­sor­tierte Ord­nung fin­det. Die Stille, wenn Prot­ago­nis­ten schla­fen gehen und die Bil­der verblassen.

Autoren­por­trait:
Ivan Ser­ge­je­vich Tur­genev wurde 1818 in Orjol gebo­ren. Er stu­dierte Lite­ra­tur und Phi­lo­so­phie in Mos­kau, Sankt Peters­burg und Ber­lin. Bevor er sich der Lite­ra­tur zuwandte, war Tur­genev kurz­zei­tig als Staats­be­am­ter in Sankt Peters­burg tätig. Tur­genev zählt zu den bedeu­tends­ten euro­päi­schen Novel­len­dich­tern. Ab 1855 hielt er sich vor­wie­gend in Deutsch­land und Frank­reich auf, wo er sich u.a. mit George Sand und Gust­ave Flau­bert befreun­dete. Tur­genev starb 1883 in Bou­gi­val bei Paris. (Quelle: Dio​ge​nes​.de)

Nicole
urwort​.com

Titel: Erste Liebe; Autor: Ivan Ser­ge­je­vich Tur­genev; Ver­lag: Dio­ge­nes; Erschei­nungs­jahr: 2009

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0 comment

Krümel 13. Juli 2014 - 12:52

Ich habe Tur­genev auch immer sehr gerne gele­sen, leise und atmo­sphä­risch dicht.
LG Heidi

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Tanja 20. Juli 2014 - 22:27

Ich werde die­ses Buch noch unbe­dingt lesen – dann aber in Originalsprache…
LG
Tanja

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