Feiert man in Russland Weihnachten an Silvester?

by Bücherstadt Kurier

Viele Euro­päer fra­gen sich: Warum hat Sil­ves­ter in Russ­land weih­nacht­li­che Tra­di­tio­nen und Bräu­che – den Tan­nen­baum, die Besche­rung, den Weih­nachts­mann? Der Grund dafür sind his­to­ri­sche Ereig­nisse. Bücher­städ­te­rin Tanja weiß mehr.

Nach dem ers­ten Welt­krieg und nach der Revo­lu­tion 1918 wur­den durch die gewalt­same Macht­über­nahme durch die kom­mu­nis­ti­schen Bol­sche­wi­ken alle reli­giö­sen Feste und Fei­ern und damit ver­bun­dene Bräu­che und Tra­di­tio­nen gänz­lich ver­bo­ten. Mit der Zeit hat man jedoch etwas zurück­ge­ru­dert, um den Men­schen in ihrem schwe­ren Leben eine Freude zu berei­ten. Von der Wie­der­erste­hung der Reli­gion war dabei natür­lich keine Rede, es wur­den ledig­lich ein paar weih­nacht­li­che Bräu­che, wie geschmück­ter Tan­nen­baum, Besche­rung der Kin­der durch den Weih­nachts­mann mit sei­nem Schnee­mäd­chen, erlaubt. Das alles aber ohne einen Fun­ken reli­giö­ser Hin­ter­ge­dan­ken und bitte zum Neujahrsfest.
So wurde 1935 aus einem Weih­nachts­baum ein Neu­jahrs­tan­nen­baum. Er wurde in Russ­land oft schon ein paar Tage vor dem Sil­ves­ter-Abend geschmückt. Die Spitze des Tan­nen­bau­mes schmückte nun anstatt des acht­ecki­gen Beth­le­hem-Ster­nes der fünf­eckige rote Kreml-Stern. Beim Tan­nen­baum­schmuck wur­den die Engel und Jesus-Figu­ren durch Rake­ten, Häs­chen und Bär­chen ersetzt.

Aus dem hei­li­gen Niko­laus, der bis­her die Geschenke den Kin­dern brachte, wurde Ded Moroz (Väter­chen Frost), der den Opa aller Kin­der im Lande sym­bo­li­sierte und am 31. Dezem­ber die Geschenke brachte. Er trug einen lan­gen hell­blauen (mitt­ler­weile einen roten) Man­tel mit Pelz­kra­gen, einen brei­ten Gür­tel und eine typisch rus­si­sche Pelz­mütze. Ein dicker Eis­zap­fen diente ihm als Wan­der- und Zau­ber­stab. Das rus­si­sche Väter­chen Frost reiste aus Sibi­rien in einer schi­cken Pfer­de­troika an, in Beglei­tung sei­ner hüb­schen Enke­lin Sne­gu­rot­schka, die auf Deutsch über­setzt Schnee­mäd­chen bedeutet.
Die rus­si­sche Sne­gu­rot­schka war ein­ma­lig. Kein ande­rer Weih­nachts­mann der Welt hatte so eine Schön­heit an sei­ner Seite. Sie ist kein klei­nes Mäd­chen, son­dern eine junge Frau, sym­bo­li­siert das zum Eis gewor­dene Was­ser und ist mit ihrer Schön­heit und Herz­lich­keit ein Vor­bild für jedes kleine Mäd­chen. Tra­di­tio­nell trug sie einen wei­ßen oder hell blauen mit Per­len und sil­ber­nen Fäden bestick­ten Man­tel. Den Kopf schmückte ein klei­nes Krön­chen oder eine Mütze mit Pelz­rand. Ihr lan­ges blon­des Haar war zu einem fes­ten Zopf gefloch­ten. Meis­tens reiste sie zuerst an und kün­digte die Ankunft von Ded Moroz an. Für die Neu­jahrs-Feier, die über­all in rus­si­schen Schu­len, Kin­der­gär­ten und Kon­zert­hal­len ver­an­stal­tet wur­den, ver­klei­de­ten sich Kin­der gerne als Schnee­flo­cken, Häs­chen oder Bär­chen – ähn­lich wie an Kar­ne­val. Alle ver­sam­mel­ten sich um den Weih­nachts­baum und rie­fen drei Mal laut nach Väter­chen Frost, der dann kam und für jeden die Geschenke brachte. Die Kin­der muss­ten noch even­tu­ell bestimmte Auf­ga­ben erfül­len (Gedichte auf­sa­gen, sin­gen, tan­zen, etc.), um ihre Geschenke zu ver­die­nen. Oft waren es Obst, Man­da­ri­nen und Süßig­kei­ten. Frü­her gab es in Russ­land nur kurz vor Sil­ves­ter Man­da­ri­nen und sie waren sehr beliebt!
Den Sil­ves­ter-Abend ver­brach­ten viele rus­si­sche Fami­lien zu Hause mit Freun­den und Ver­wand­ten an einem reich gedeck­ten Tisch. Die Tafel zer­brach fast unter diver­sen Sala­ten, Vor- und Haupt­spei­sen sowie süßen Lecke­reien. Als Vor­speise wur­den oft Deli­ka­tes­sen wie zum Bei­spiel Lachs oder Kaviar ser­viert. Um Mit­ter­nacht ließ man in Russ­land die Kor­ken knal­len und begrüßte das neue Jahr mit einem Glas Sekt und gro­ßem Feu­er­werk. Es heißt ja in Russ­land: „Wie du das Neu­jahr begrüßt (fei­erst) – so lebst du das ganze Jahr.“ Nach Mit­ter­nacht ging die Sil­ves­ter-Party mit Sin­gen, Tan­zen und nicht zuletzt Trin­ken in Russ­land rich­tig los.
Das Neu­jahr und die Feier dazu wur­den zum Sym­bol der Unver­letz­lich­keit der Fami­lie, zum Fami­li­en­fest und zum Ver­spre­chen schö­ner und bes­se­rer Zukunft.

Erst nach vie­len Jahr­zehn­ten des Reli­gi­ons­ver­bo­tes darf Weih­nach­ten in Russ­land nun als gro­ßes reli­giö­ses Fest gefei­ert wer­den. Aller­dings lie­gen der Hei­lig­abend und die gesam­ten Weih­nachts­tage am 6. Januar und an den dar­auf fol­gen­den Tagen, da die rus­sisch-ortho­doxe Kir­che immer noch nach dem alten julia­ni­schen Kalen­der rech­net. Es wer­den lange fei­er­li­che Got­tes­dienste zele­briert, zu denen natür­lich wun­der­schöne Weih­nachts­ge­sänge und Kanons gehören.

Lei­der kann ich zum rus­si­schen Weih­nach­ten der ortho­do­xen Kir­che nichts aus der ers­ten Hand berich­ten, da ich schon seit 1995 in Deutsch­land lebe und rus­si­sches Weih­nach­ten nie erlebt habe. Als Deut­sche aus Russ­land mit deut­schen Urvä­tern, die im 18. Jahr­hun­dert nach Russ­land aus­sie­del­ten, kann ich mich aber an einige Momente aus mei­ner Kind­heit erin­nern. Ich weiß noch, dass wir immer schon am 24. Dezem­ber den Tan­nen­baum in der Stube auf­ge­stellt und geschmückt hat­ten – zur Ver­wun­de­rung der Nach­barn. Und dass mein Bru­der und ich an dem Abend oder früh am Mor­gen fast schon heim­lich kleine Geschenke beka­men. Meine Mut­ter sagte: „Heute ist Weih­nach­ten, darum hat das Christ­kind­chen die Geschenke gebracht. Es muss so sein.“ Ich habe es damals nicht hin­ter­fragt, habe mich als Kind ein­fach über die zusätz­li­chen Geschenke noch vor dem Neu­jahrs­fest gefreut. Jetzt ver­stehe ich aber, dass sie aus Angst vor Repres­sio­nen nicht mehr getan und erzählt hat zum schöns­ten Fest des Jah­res. Aber auch für die­sen Fun­ken alter Tra­di­tio­nen, die sie ver­sucht hat, wei­ter­zu­ge­ben, bin ich ihr sehr dankbar.

Foto: Lara
Ein Bei­trag zum Lese­pro­jekt “Rus­si­sche Literatur”.

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