Genie, Hexenjagd und viel aufgewirbelter Staub

by Bücherstadt Kurier

Seit ein paar Jah­ren hat die Öffent­lich­keit Alan Turing und seine tra­gi­sche Lebens­ge­schichte wie­der­ent­deckt. Der „Vater des Com­pu­ter“, wie der geniale Mathe­ma­ti­ker genannt wird, hat erst kürz­lich den Film „The Imi­ta­tion Game“ inspi­riert. Dass nicht alle Werke auf dem Markt, die den Turing-Hype nut­zen, ent­staubt wer­den müs­sen, zeigt Buch­stap­le­rin Maike. Sie hat Rolf Hoch­huths Erzäh­lung „Alan Turing“ von 1987 unter die Lupe genom­men, das in die­sem Jahr in einer Neu­aus­gabe erschie­nen ist.

Der bri­ti­sche Mathe­ma­ti­ker Turing knackt wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges die Enigma der Deut­schen. Doch als Kriegs­held kann er nicht gefei­ert wer­den: Homo­se­xua­li­tät ist zu die­ser Zeit kri­mi­na­li­siert und Turing wird ver­ur­teilt und durch che­mi­sche Kat­ration bestraft. Ein grau­sa­mer Ein­griff in sei­nen Kör­per und Geist, der zu sei­nem Selbst­mord führt.
Soweit Turings Geschichte. Doch Hoch­huth kon­stru­iert sie undurch­sich­tig, indem er sie größ­ten­teils durch fik­tive Tage­bü­cher einer Ver­trau­ten Turings prä­sen­tiert. Diese Monica ist unglück­lich in den Mathe­ma­ti­ker ver­liebt und sin­niert über sein Gefühls­le­ben und sei­nen Ein­fluss auf die Nachwelt.

„Einer, der drei Minu­ten braucht, einen Brief zu schrei­ben – aber andert­halb Stun­den, um ein Kuvert dafür zu suchen.“

Das Buch kommt als ein sehr kopf­las­ti­ges Werk daher, das die Lesen­den wenig packt. Auch sprach­lich ver­stärkt sich der zähe Ein­druck: Die gestelzte Spra­che und der kom­plexe, ver­schach­telte Satz­bau ent­frem­den eher von den han­deln­den Figu­ren, als dass man ihnen näher kommt. Der Auf­bau der Erzäh­lung – Ver­satz­stü­cke aus fik­ti­ven Tage­bü­chern und Noti­zen – ergibt kein voll­stän­di­ges Bild über Turings Arbeit an der Ent­rät­se­lung der Enigma und der Zeit nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Unzäh­lige Ver­weise auf Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur sowie Kriegs­an­ek­do­ten len­ken ab und machen die Lek­türe lang­at­mig. Fast meint man den Staub zu rie­chen, der aus Moni­cas Tage­bü­chern aufsteigt.

„Will ich ein künst­li­ches Kind, weil ich kein natür­li­ches haben kann […]?“

Man merkt dem Buch seine fast 30 Jahre an. Die Art und Weise, wie Turings Homo­se­xua­li­tät und die dar­aus resul­tie­rende gesell­schaft­li­che Äch­tung dar­ge­stellt wer­den, wirkt ver­al­tet und bevor­mun­dend. Nur durch die Auf­zeich­nun­gen der fik­ti­ven Monica kommt man Turing nahe, und auch das ist oft zumal so ver­klärt, dass man mit den Augen rol­len muss.
Die Rei­se­auf­zeich­nun­gen Turings – eben­falls rein fik­tiv – sind gespickt von hoch­in­tel­lek­tu­el­len Über­le­gun­gen, sodass Turing sich als Mensch völ­lig den Lesen­den ent­zieht. Erfri­schend posi­tiv dage­gen tun sich die Anek­do­ten über Turings unkon­ven­tio­nel­len Cha­rak­ter her­vor, der so herr­lich ver­schro­ben wirkt, dass sofort Sym­pa­thie für ihn erweckt wird. Auch der Gedanke, dass Geist und Kör­per nicht getrennt, son­dern zusam­men die bes­ten Resul­tate erzie­len kön­nen, wir­ken dem Kli­schee des ent­halt­sa­men Wis­sen­schaft­lers ent­ge­gen. Packend sind die Über­le­gun­gen, wie Mensch und Maschine zusam­men­wir­ken und die Zukunft beein­flus­sen kön­nen, nicht zuletzt, da viele Vor­aus­sa­gen 2015 schon längst ein­ge­trof­fen sind.
Getrübt wird das schnell wie­der, wenn in der Ver­zweif­lung Turings, keine Kin­der haben zu kön­nen, geschwelgt wird. Auch, dass Monica und nicht Turing die Haupt­fi­gur ist, ver­zerrt die Annahme, dass es in dem Buch rein um den Infor­ma­ti­ker geht.

Wer eine Bio­gra­phie über Turing sucht, wird hier nicht fün­dig. Schade: Gerade, da Alan Turing durch den Film „The Imi­ta­tion Game“ und nicht zuletzt durch die Reha­bi­li­tie­rung 2013 wie­der stark in den Fokus der Medien gerückt ist, habe ich mir von die­ser Erzäh­lung mehr ver­spro­chen. Statt­des­sen musste ich mich durch ein ver­geis­tig­tes Werk kämp­fen, dem ich nie trauen konnte, wel­che Aus­sa­gen Fakt und wel­che Fik­tion sind.

Alan Turing, Rolf Hoch­huth, Rowohlt, 2015 (Erst­erschei­nung 1987)

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