Hinter dem Schweigen Gottes

by Bücherstädter Peter

Die Glau­bens­frage. Nichts könnte mei­ner Gedan­ken­welt fer­ner sein. Noch nie hat sie sich gestellt. Nicht seit ich den­ken kann, hat Reli­gion in mei­nem Leben eine tra­gende Rolle gespielt und trotz­dem oder gerade des­we­gen ist „Schwei­gen“ von Shūs­aku Endō eine Reise vol­ler Ent­de­ckun­gen. – Von Code­jä­ger Peter

„Schwei­gen“ ist eine Geschichte von Ein­deu­tig­kei­ten, von Moti­ven, Meta­phern und Alle­go­rien, wel­che sich nicht ver­ste­cken (Jesus, Judas und Got­tes­fi­gu­ren wohin das Auge blickt), von Ein­deu­tig­kei­ten in den Welt­vor­stel­lun­gen der Prot­ago­nis­ten, die auf­ein­an­der pral­len und von der Leere, die sich auf­tut, wenn sie verschwinden.

Welt­an­schau­ung und Glaube 

Die bei­den jun­gen Mis­sio­nare Garpe und Rodri­gues schleu­sen sich im 17. Jahr­hun­dert bei Nacht und Nebel nach Japan ein, wo der katho­li­sche Glaube nach Jahr­zehn­ten der Mis­sio­nie­rung ver­bo­ten wurde und seine Anhän­ger gna­den­los ver­folgt wer­den. Die Kon­fron­ta­tion der bedin­gungs­lo­sen Got­tes­furcht mit der reli­giö­sen Nai­vi­tät der Ein­hei­mi­schen und der Bru­ta­li­tät der Herr­schen­den ist der Motor, der die Hand­lung des Romans vorantreibt.
Rodri­gues als emo­tio­na­ler Anker­punkt der Geschichte kämpft nicht nur mit sei­nen Ver­fol­gern son­dern auch mit sich selbst, mit sei­ner Vor­stel­lung des­sen, was er sein sollte, und mit dem anhal­ten­den Schwei­gen Got­tes zum Lei­den der japa­ni­schen Katho­li­ken. Dabei rückt er sich selbst bewusst und nicht ohne Selbst­re­fle­xion in eine Erlö­ser­rolle. Er sieht sein Spie­gel­bild mit dem Bild Jesu ver­schmel­zen, sieht der Fol­ter und dem Mär­ty­rer­tod bei­nahe mit Vor­freude ent­ge­gen, nur um mit dem Mär­ty­rer­tum ande­rer kon­fron­tiert zu wer­den, die für ihn ihr Leben lassen.

Das wie­der­holte, genaue Durch­ex­er­zie­ren einer Pas­si­ons­ge­schichte und die expli­zi­ten Gedan­ken­gänge des Prot­ago­nis­ten soll­ten aber nicht von der tie­fe­ren Fra­ge­stel­lung ablen­ken. Wie wich­tig ist das Ritual und die Form für den Glau­ben? Wie ver­hält sich christ­li­che Moral, wenn sie mit der Rea­li­tät in Kon­flikt gerät? Der fana­ti­sche Glaube des Rodri­gues mag in der Rück­schau unver­ständ­lich anmu­ten, doch reprä­sen­tiert er nichts ande­res als eine gefes­tigte Welt­an­schau­ung, die auf die Probe gestellt wird.

Japa­ni­sche Kul­tur­re­fle­xion und west­eu­ro­päi­sches Kulturselbstverständnis

„Schwei­gen“ ist ein his­to­ri­scher Roman. Es tre­ten – neben den auf rea­len Per­so­nen basie­ren­den Prot­ago­nis­ten – his­to­ri­sche Bege­ben­hei­ten und Figu­ren des Japan im 17. Jahr­hun­dert auf und, wie in vie­len his­to­ri­schen Erzäh­lun­gen, wird stel­len­weise Wert auf die Beschrei­bung der Zeit gelegt, der Ört­lich­kei­ten, der Kul­tur. Dies ist wich­tig, um die unauf­lös­li­che Trenn­li­nie zwi­schen den har­ten Wahr­hei­ten Japans und Rodri­gues kle­ri­ka­ler Innen­welt stets greif­bar zu machen. Ein Fas­zi­no­sum der Erzäh­lung ist die vom Autor als japa­ni­scher Katho­lik gewählte Außen­an­sicht auf die Ver­hält­nisse Japans. Indem er seine (obwohl zeit­lich weit ent­fernte) Innen­an­sicht auf die Erleb­nisse der Neu­an­kömm­linge pro­ji­ziert, tref­fen sich japa­ni­sche Kul­tur­re­fle­xion und west­eu­ro­päi­sches Kul­tur­selbst­ver­ständ­nis und kre­ieren ein auf inter­es­sante Weise irri­tie­ren­des und sze­nen­weise ver­stö­ren­des Bild der Ereignisse.

Die Spra­che in „Schwei­gen“ bleibt ihrem Titel treu. Sie ist zurück­ge­nom­men, sach­dien­lich und beschrei­bend, ohne detail­ver­liebt zu sein. Die Gedan­ken­welt des Prot­ago­nis­ten ver­fließt gleich­be­rech­tigt mit der Hand­lung. Im Katho­li­zis­mus des 17. Jahr­hun­derts scheint die Jen­seits­fi­xie­rung bereits einen Schritt zurück­ge­tre­ten zu sein, doch steht sie zu jedem Zeit­punkt auf glei­cher Stufe mit dem Dies­seits. Gedan­ken und Hand­lun­gen sind eins. Rodri­gues ist sich jedem sei­ner Schritte bewusst, reflek­tiert, ohne in andere Spra­che zu verfallen.
Das Innen und das Außen spie­geln sich und über allem steht die Leere, die Got­tes Schwei­gen hin­ter­lässt. Die Spra­che des Romans scheint in ihrer Unauf­ge­regt­heit und beschrei­ben­den Neu­tra­li­tät (nicht umsonst fügen sich Briefe, Log­buch­ein­träge, Beam­ten­no­ti­zen naht­los ein) eine Ant­wort zu erwar­ten, sie in Aus­sicht zu stel­len und ent­zieht sie wie­der jeder Erreich­bar­keit, wenn sie zum Grei­fen nahe scheint. Dies gilt für die Figu­ren, wie auch für die Lesenden.

„Schwei­gen“ ist ein Roman der phi­lo­so­phi­schen Refle­xion, ein his­to­ri­scher Roman, ein Roman des­sen Kern sich umso wei­ter ent­zieht, desto mehr man durch seine ober­fläch­li­che Ein­deu­tig­keit blickt. Ein fas­zi­nie­ren­des Werk, des­sen Wert über Glau­ben und Nicht­glau­ben steht und des­halb seine Kraft auf jeden wir­ken lässt, ob gläu­big oder nicht.

Schwei­gen. Shūs­aku Endō . Über­set­zung: Ruth Lin­hart. Sep­time Ver­lag. 2015.

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