Hmm, köstlich – oder?

by Wortklauberin Erika

Die TV-Serie „Han­ni­bal“ besticht nicht nur durch span­nende Hand­lun­gen und grau­sig-schön insze­nierte Tat­orte, son­dern auch durch das Essen – auf mehr­fa­che Weise. Wort­klau­be­rin Erika setzt sich zum Psy­cho­lo­gen Han­ni­bal an den Tisch und hofft, nicht selbst auf dem Sil­ber­ta­blett zu landen.

Die­ser Arti­kel nimmt eini­ges aus der Serie vor­weg und sollte des­halb nicht gele­sen wer­den, wenn man die Serie noch nicht gese­hen hat.

Ist das Mensch auf dem Teller?

Essen spielt in der TV-Serie „Han­ni­bal“ noch eine grö­ßere Rolle als etwa noch in „Das Schwei­gen der Läm­mer“ (1991). Dort ist der Akt des Men­schen­fres­sens noch als grau­same, ekel­hafte, dre­ckige Ange­le­gen­heit dar­ge­stellt. Ein Reiz der TV-Serie ist dage­gen die Insze­nie­rung des Essens, zu dem Han­ni­bal (Mads Mikkel­sen) in mehr oder min­der jeder Folge lädt. Da Zuschaue­rin­nen und Zuschauer der Serie mehr wis­sen als der Prot­ago­nist Will Gray­ham (Hugh Dancy) und die Poli­zei, wird jedes Fest­mahl zu einem Ner­ven­kit­zel. Man fragt sich unwill­kür­lich: Ist das tat­säch­lich Schwein oder doch ein Mensch?

Die schau­rige Ant­wort auf diese Frage liegt auf der Hand, nach­dem den Mord­op­fern des Seri­en­kil­lers, den Will Gray­ham in der ers­ten Staf­fel jagt, stets genau das Kör­per­teil fehlt, das gerade bei Han­ni­bal auf dem Tel­ler lan­det. Doch kann man es sich noch schön­re­den. Die Küche Han­ni­bals ist groß und ste­ril, er kocht wie ein Hau­ben­koch und es regt sich der Hun­ger mit jeder Folge mehr. Mit dem Hun­ger – viel­leicht auf Mensch?, fragt man sich da doch zwei­felnd – regt sich der Zwei­fel am Bild des psy­cho­pa­thi­schen Kan­ni­ba­len. Dr. Han­ni­bal Lec­ter ist Psy­cho­loge, hoch gebil­det und ein viel­sei­ti­ger Mensch, der sich nicht von sei­ner Liebe zum Men­schen­fleisch lei­ten lässt. Oder viel­leicht doch?

Man kommt nicht um das leise Gefühl herum, dass die TV-Serie die Mani­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken Dr. Lec­ters auch auf das Publi­kum anwen­det. Sie schei­tern aller­dings auf­grund des Mehr­wis­sens des Publi­kums. Zuschaue­rin­nen und Zuschau­ern ist Han­ni­bal Lec­ter keine unbe­kannte Figur: Der Men­schen­fres­ser ist bekannt, auch wenn er in der TV-Serie in einem zivi­li­sier­ten Kleid gezeigt wird.

Han­ni­bal auf dem Teller

Die Neu­in­sze­nie­rung Han­ni­bals mit­tels der Gerichte, die er kocht, geht jedoch noch wei­ter. Der Cha­rak­ter des Han­ni­bal Lec­ter wird vor­ran­gig über seine Küche, sei­nen Ess­tisch und in den ers­ten zwei Staf­feln sein Pati­en­ten­zim­mer cha­rak­te­ri­siert. Betrach­tet man sei­nen Ess­tisch und das dar­auf Auf­ge­tischte über den Lauf der drei Staf­feln genauer, bemerkt man in der Insze­nie­rung der zwei­fel­haf­ten Köst­lich­kei­ten eine Stei­ge­rung. Das spie­gelt sich beson­ders stark im Intro der jewei­li­gen Staf­fel wider, aber auch im Rah­men der Serie.

In der ers­ten Staf­fel sieht jedes Gericht, das zur Per­fek­tion ange­rich­tet ser­viert wird, schlicht­weg köst­lich aus. Es liegt nicht zu viel und nicht zu wenig auf dem Tel­ler, die Menüfol­gen machen den Mund wäss­rig. Han­ni­bal Lec­ter ist erfolg­rei­cher Psy­cho­loge, er hat das FBI mit dem Empa­then Will Gra­ham in der Hand und die volle Kon­trolle über seine Opfer. Er insze­niert die Leich­name kunst­voll, krea­tiv und grau­sam-schön, jeden auf eine andere Weise.

In der zwei­ten Staf­fel wer­den die Tel­ler üppi­ger, vol­ler. Han­ni­bal hat die volle Kon­trolle – und ver­liert sie in einer Abwärts­spi­rale aus Gewalt. Er wird unvor­sich­tig, gerät in den Fokus der Ermitt­lun­gen, wird schluss­end­lich gejagt und als der Men­schen­fres­ser ent­tarnt, der er ist. Er muss flie­hen. In der drit­ten und letz­ten Staf­fel wan­delt sich das Üppige hin zu einem über­vol­len Memento Mori, auf dem die Flie­gen sit­zen. Wenn­gleich Han­ni­bal nach Vene­dig flieht, kann er sei­nem Schick­sal nicht entkommen.

Eine Figu­ren­cha­rak­te­ri­sie­rung auf der Makro­ebene der Serie kommt durch­aus häu­fi­ger vor, aller­dings nicht in einem Grad wie in Bryan Ful­lers „Han­ni­bal“. Die Psy­che des Men­schen­fres­sers, der zugleich ein gebil­de­ter Mensch mit hohen Stan­dards und ein­ge­hen­der Kennt­nis ver­schie­de­ner Kul­tu­ren ist, wird über das Essen erschlos­sen, das auf den Tisch kommt. Dem Essen kommt damit eine zen­trale Rolle in der Insze­nie­rung und Ästhe­tik der TV-Serie zu, was sel­ten der Fall ist.

Men­schen – eine Köstlichkeit?

Es wird in der Serie nicht klar, ob Han­ni­bal zuerst die Lust auf das Men­schen­fleisch hatte oder sich lange fort­ge­bil­det hat und schluss­end­lich in einer grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Anwand­lung begann, Men­schen zu essen. Diese Frage ist auch sekun­där. Wich­ti­ger ist viel­mehr das, was die Serie ent­hüllt: Dass selbst in einem ver­meint­li­chen Mann von Welt, einem Mensch der Kul­tur und der fei­nen Künste, ein Men­schen­fres­ser ste­cken kann.

Eine War­nung muss noch gege­ben wer­den: „Han­ni­bal“ ist nichts für schwa­che Ner­ven. Wenn­gleich ästhe­tisch bis ins kleinste Detail aus­ge­stal­tet, ver­spürt man irgend­wann kei­nen Hun­ger mehr.

Han­ni­bal. Creator: Bryan Ful­ler. Roman­vor­lage: Tho­mas Har­ris. Dar­stel­ler: Hugh Dancy, Mads Mikkel­sen, Caro­line Dha­ver­nas. USA. 2013–2015 (33 Epi­so­den). Stu­dio­ca­nal. Ab 18 Jahren.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #lit­fut­ter. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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