Hochliteratur kommt vor dem Fall

by Zeilenschwimmerin Ronja

Hoch­li­te­ra­tur. Die­ser Begriff wird gern gebraucht, auch an der Uni. Er soll eine bestimmte Art von Lite­ra­tur vom Rest, der Popu­lär- und Schund­li­te­ra­tur abgren­zen. Aber hier stellt sich für mich nun die Frage: Wo ver­läuft denn eigent­lich die Grenze? Was ist hoch, was popu­lär und was ist Schund? – Von Zei­len­schwim­me­rin Ronja

Hoch­li­te­ra­tur, da muss man doch sofort an Goe­the den­ken. Der steht ja schließ­lich in ganz Deutsch­land auf dem Lehr­plan und ist in der Wis­sen­schaft hoch­ge­lobt und viel­be­spro­chen. Popu­lär­kul­tur, das sind dage­gen all die Kri­mis und Fan­tasy-Romane in der Aus­lage der gro­ßen Buch­hand­lun­gen. Und Schund­li­te­ra­tur ist das, was man in den hin­te­ren Ecken oder zu Bil­lig­prei­sen im Inter­net fin­det, Nacken­bei­ßer und Ähn­li­ches. Hoch, das heißt qua­li­tät­voll, intel­lek­tu­ell, bedeu­tungs­voll, nicht wahr? Popu­lär und Schund ist dage­gen ein­fach und bedeu­tungs­los, schnell gele­sen, aber ohne Wir­kung. So ein­fach kann man sich die Ein­tei­lung machen. Wären da nicht ein paar Pro­bleme: Wie beur­teilt man lite­ra­ri­sche Qua­li­tät? Sind Gen­res wirk­lich ein gutes Merk­mal, um Hoch- von Popu­lär­li­te­ra­tur zu tren­nen? Was macht ein Werk bedeutungsvoll?

Hoch­li­te­ra­tur & Populärliteratur …

Ein Dozent an mei­ner Uni unter­schied stän­dig zwi­schen Hoch- und Popu­lär­li­te­ra­tur. Dar­auf ange­spro­chen, was das aber denn nun heiße, geriet er ins Schwim­men. Die Begriffe sind schwam­mig, nicht klar defi­niert. Die Zuge­hö­rig­keit zur Hoch­li­te­ra­tur erscheint mir bei­nahe will­kür­lich. Das möchte ich an einem Bei­spiel darlegen.

Goe­thes „Die Lei­den des jun­gen Wert­her“ ist ein Brief- und Lie­bes­ro­man. Zu sei­ner Zeit sehr beliebt, ein Best­sel­ler sozu­sa­gen. Die moderne Ent­spre­chung – bei die­sem Ver­gleich wer­den sich Goe­the-Fans die Zehen­nä­gel auf­rol­len – wäre ein Roman wie „P.S. Ich liebe Dich“ von Cece­lia Ahern, ebenso ein Brief- und Lie­bes­ro­man und Best­sel­ler. Wie komme ich auf diese gera­dezu got­tes­läs­ter­li­che Idee? Abge­se­hen von den Gen­re­über­ein­stim­mun­gen und der Beliebt­heit zu Zei­ten der Erschei­nung unter­schei­den sich die bei­den Romane natür­lich. Inhalt­lich und sprach­lich. „Haha! Ja! Die Spra­che!“, ruft mein ima­gi­nä­rer Goe­the-Fan an die­ser Stelle tri­um­phie­rend. „Die ist nun wirk­lich ein Qua­li­täts­merk­mal von Goe­the! Somit hast du dein Argu­ment selbst ad absur­dum geführt!“ Doch habe ich das? Mein Ver­gleich beruht auf einer Betrach­tung der bei­den Werke in ihrem jewei­li­gen his­to­ri­schen Kon­text. Goe­thes Spra­che mag heut­zu­tage beson­ders erschei­nen, doch damals war seine Schreib­weise (und ich möchte ihm an die­ser Stelle ein gewis­ses sprach­li­ches Talent nicht in Abrede stel­len) nichts Unge­wöhn­li­ches. Ebenso wie die Schreib­weise von Cece­lia Ahern für heu­tige Ver­hält­nisse nichts Unge­wöhn­li­ches ist.

… oder hohe Popu­lär­li­te­ra­tur & popu­läre Hochliteratur …

Was den Inhalt angeht, behan­deln beide Romane die ‚unsterb­li­che‘ Liebe zu einer ande­ren Per­son, die (aus unter­schied­li­chen Grün­den) nicht erfüllt wer­den kann. Der Ver­gleich erscheint mir daher umso fai­rer. Nun die Frage: Wenn „Die Lei­den des jun­gen Wert­her“ heute geschrie­ben würde, würde dann irgend­je­mand von Hoch­li­te­ra­tur spre­chen? Der ein­zige Unter­schied, den ich bis­her her­aus­fil­tern konnte, ist die Tat­sa­che, dass Goe­the seit über 180 Jah­ren tot ist, wäh­rend Frau Ahern noch unter uns weilt. „Die Lei­den des jun­gen Wert­her“ hat nun schon über 200 Jahre über­dau­ert und wird immer noch gele­sen. Das ist eine Erfolgs­ge­schichte, doch ist Erfolg, wie man von Best­sel­ler­lis­ten weiß, nicht zwin­gend gleich­zu­set­zen mit Qualität.

Damit möchte ich aber weder aus­drü­cken, dass Goe­the keine Hoch­li­te­ra­tur ver­fasst hat, noch möchte ich des­halb „P.S. Ich liebe Dich“ in einer sol­chen Auf­zäh­lung sehen. Viel­mehr hadere ich mit dem Begriff Hoch­li­te­ra­tur selbst und sei­ner her­ab­las­sen­den, unde­fi­nier­ten Aus­le­gung durch Literaturwissenschaftler*innen und ‑kritiker*innen.

Letzt­end­lich ist doch für den Wert eines Buches, intel­lek­tu­ell oder emo­tio­nal, nicht ent­schei­dend, ob ein*e berühmte*r Kritiker*in oder ein*e Literaturwissenschaftler*in mit Dok­tor­grad gesagt hat, die­ses Buch sei wert­voll. Das ist eine per­sön­li­che Sache. Sicher tra­gen Bücher immer (mit weni­gen Aus­nah­men viel­leicht) eine Bot­schaft in sich, gewollt oder unge­wollt hin­ter­legt von der/dem Autor*in. Es kommt aller­dings dar­auf an, ob der/die Leser*in die Bot­schaft ent­schlüs­seln kann oder möchte und wie sie/er das tut. Dar­über hin­aus ist jede Lek­türe auch eine Inter­pre­ta­tion. Das gilt auch für Filme und Serien. „Die Simp­sons“ etwa sind für die einen bloß eine dumme, ame­ri­ka­ni­sche Fern­seh­se­rie, für die nächs­ten wit­zige Unter­hal­tung und für viele dane­ben auch noch eine sati­ri­sche Gesell­schafts­kri­tik. Zu wel­cher Gruppe man gehört, kommt dar­auf an, ob man mit den ent­hal­te­nen Codes* etwas anfan­gen kann und ob man bereit ist, sich dar­auf einzulassen.

… oder ein­fach hoch­po­pu­läre Literatur?

In die glei­che Bre­sche wie Popu­lär- und Hoch­li­te­ra­tur schlägt auch die Ein­tei­lung in soge­nannte U- und E‑Literatur, „Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur“ und „ernst­hafte Lite­ra­tur“. Ers­tere soll Spaß machen und ist mas­sen­taug­lich, wäh­rend letzte vor allem einen künst­le­ri­schen und intel­lek­tu­el­len Anspruch habe. Also: glei­ches Prin­zip, ande­rer Name. Nun sind wir uns ver­mut­lich alle einig, dass es Bücher gibt, die sprach­lich pom­pö­ser, inhalt­lich kom­ple­xer und ins­ge­samt for­dern­der (oder auch anstren­gen­der) sind als andere. Es spricht für mich jedoch nichts dage­gen, dass ein sol­ches Buch trotz­dem Spaß machen kann bezie­hungs­weise ein unter­halt­sa­mes Buch auch inhalt­lich und sprach­lich wert­voll sein kann. Wie bei den meis­ten Din­gen ist eine schwarz-weiß Ein­tei­lung stark ver­ein­fa­chend und unzu­rei­chend. Es müsste also min­des­tens eine wei­tere Kate­go­rie, zum Bei­spiel „ernst­hafte Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur“ (EU) oder „unter­hal­tende Ernst­li­te­ra­tur“ (UE – viel­leicht auch Ü?), her, um der viel­schich­ti­gen Rea­li­tät etwas gerech­ter zu werden.

Das Pro­blem der Defi­ni­tion der Begriffe und vor allem der Frage, woran sprach­li­che, inhalt­li­che oder künst­le­ri­sche Qua­li­tät fest­ge­macht wird, bleibt jedoch, egal ob von Hochliteratur/Populärliteratur oder U- und E‑Literatur die Rede ist. Kunst und ihre Beur­tei­lung ist eben immer subjektiv.

* Der Begriff Code geht auf das Enco­din­g/­De­co­ding-Modell von Stuart Hall zurück. Des­sen Grund­lage ist die Auf­fas­sung von Tex­ten als grund­sätz­lich mehr­deu­tig. Je nach­dem mit wel­chem Vor­wis­sen und wel­cher Mei­nung ihr einen Text lest (oder einen Film seht etc.) vari­iert die Bedeu­tung eines Tex­tes im Ver­gleich zur Les­art eines ande­ren Men­schen, da ihr sehr wahr­schein­lich die im Text ent­hal­te­nen Codes (bspw. den Ver­weis auf ein ande­res Buch) anders ent­schlüs­selt (oder viel­leicht auch gar nicht entdeckt).

Illus­tra­tion: Zei­len­schwim­me­rin Ronja

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