Ich bin dann mal weg – Mit Hape Kerkeling auf Pilgerreise zu mir selbst

by Bücherstadt Kurier

Nach­dem ich kurz nach Weih­nach­ten 2015 den Kino­film „Ich bin dann mal weg“ mit Devid Strie­sow gese­hen hatte, war in mir die Neu­gierde auf das gleich­na­mige Buch von Hape Ker­ke­ling geweckt wor­den. Die­ser war mir zwar schon lange ein Begriff, vor allem wegen sei­ner Par­odie der Köni­gin Bea­trix der Nie­der­lande und des Bür­gers Horst Schlem­mer. Ansons­ten wusste ich jedoch nicht viel von die­sem Enter­tai­ner. Außer eben, dass er eine Pil­ger­reise nach Sant­iago de Com­pos­tela unter­nom­men, und damit einen regel­rech­ten Hype aus­ge­löst hat, näm­lich den, auf dem Jakobs­weg zu pilgern.

Mein Exem­plar von Hape Ker­ke­lings Pil­ger-Tage­buch aus dem Piper-Ver­lag ist ein Taschen­buch. Vorn auf dem Umschlag prangt ein hüb­sches Bild von Devid Strie­sow als „Pil­ger Ker­ke­ling“ vor einem klei­nen, süd­län­disch anmu­ten­den Stein­häus­chen, einer Vieh­hütte viel­leicht. Im Buch fin­den die Leser neben viel Text auch eine Menge Fotos – zum Film, aber auch pri­vate Fotos von Ker­ke­lings Pil­ger­reise. Wenn ich die Fotos von Strie­sow und dem „ech­ten Ker­ke­ling“ so mit­ein­an­der ver­glei­che, finde ich, dass die Macher des Films die Haupt­fi­gur optisch sehr gut besetzt haben. Die sehen sich beide ziem­lich ähn­lich, so als Pilger.

Bevor es dann los­geht, wird das Haupt­thema des Buches hervorgehoben:

Der Weg stellt jedem nur eine Frage:
Wer bist du?

So for­mu­liert und an die­ser Stelle im Buch der­art expo­niert hin­ge­schrie­ben, wer­den bei den Lesern große Erwar­tun­gen geweckt: Jeder von uns will doch irgend­wie erfah­ren und wis­sen, wer er ist. Viel­leicht hel­fen Ker­ke­lings Erleb­nisse auf der Pil­ger­reise auch, zu sich selbst zu finden?
Ker­ke­lings Rei­se­be­richt erin­nert gleich zu Beginn an ein Tage­buch. Das finde ich natür­lich sehr span­nend, denn neu­gie­rig wie ich bin, hoffe ich, einen tie­fe­ren Blick in die Erleb­nisse und in das See­len­le­ben eines Pro­mis erha­schen zu können.

Ich bin dann mal wegWie alles begann oder: Warum begibt sich ein Enter­tai­ner auf den Jakobsweg?

Auf den ers­ten Sei­ten erfahre ich, dass Ker­ke­ling einen kör­per­li­chen und see­li­schen Zusam­men­bruch hatte, der ihn zum Umden­ken zwingt. Er will sich eine Aus­zeit von sei­ner Arbeit gön­nen und eine Reise unter­neh­men. Bei der Suche nach einem pas­sen­den Rei­se­ziel kommt ihm zufäl­lig (zufäl­lig?!) ein Buch über den „Jakobs­weg der Freude“ in die Hände. Obwohl er das Buch „anma­ßend“ fin­det, kauft er es – und liest es in einer Nacht. Das Buch ver­heißt, durch die Pil­ger­schaft zu Gott und zu sich selbst zu fin­den. Dies ver­an­lasst Ker­ke­ling, die unge­wöhn­li­che Reise zu wagen, auch wenn er noch hadert: „Bin ich eigent­lich noch ganz dicht?“

Er macht sich also auf den Pil­ger­weg, fliegt nach Bor­deaux und von dort nimmt er die Bahn nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Immer noch zwei­felnd, das Rich­tige zu tun, liest er ein Wer­be­pla­kat: „Wis­sen Sie, wer Sie wirk­lich sind?“ Seine spon­tane Ant­wort lau­tet: „Nein!“ Spä­ter liest er die Fort­set­zung des Wer­be­pla­ka­tes: „Will­kom­men in der Wirk­lich­keit.“ Der­ar­tige – wie soll ich es nen­nen? – „Zei­chen“ kom­men immer mal wie­der vor. Ker­ke­ling schreibt dar­über, als ob dies ganz nor­mal sei. Ich dage­gen denke mir, dass es zu viele Zufälle die­ser Art sind. So etwas gibt es doch nicht, oder?

Erkennt­nis des Tages: Werde wer du bist

Zu Beginn der Reise bezeich­net Ker­ke­ling sich selbst als „eine Art Bud­dhist mit christ­li­chem Über­bau“, das heißt: als einer, der „auf der spi­ri­tu­el­len Suche“ ist. Ker­ke­ling erin­nert sich an seine katho­li­sche Kind­heit und Jugend, wäh­rend der er bereits auf der Suche nach Gott war und sich mit den Fra­gen beschäf­tigte: „Wer ist Gott?“ und „Gibt es Gott wirk­lich?“. An die­ser Suche hat sich bis heute nichts geän­dert. Nur, dass er heute zunächst ein­mal fragt: „Wer sucht denn hier eigent­lich nach Gott?“ Dar­aus ent­wi­ckelt er die erste Erkennt­nis des Tages: „Erst mal her­aus­fin­den, wer ich selbst bin.“ Ich kann mich mit die­ser Posi­tion durch­aus iden­ti­fi­zie­ren. Denn dies soll­ten doch Kern­fra­gen eines jeden Men­schen sein: „Wer bin ich?“ und „Gibt es einen Gott?“ bzw. „Wer ist Gott?“. Dem­zu­folge ver­spricht Hape Ker­ke­lings Pil­ger­be­richt inhalt­lich tief­schür­fend zu wer­den, denke ich mir hoffnungsvoll.

Eine „Erkennt­nis des Tages“ fin­den die Leser übri­gens am Ende eines jeden Tages­be­rich­tes. Darin fasst Ker­ke­ling in einem kur­zen Satz zusam­men, wel­che Erkennt­nisse und Erleuch­tun­gen ihm die Erleb­nisse und seine Gedan­ken­gänge wäh­rend des Pil­gerns tags­über gebracht haben. Auf eine knappe Art und sehr poin­tiert ver­deut­li­chen sie die Ver­än­de­rung, die er so nach und nach durchmacht.

Als wäre man selbst unterwegs

Wenn ich ein Buch lese, dann begebe ich mich mit jeder Faser mei­nes Geis­tes dort hin­ein. Ich lebe quasi den Inhalt des Buches selbst mit. Vor mei­nem geis­ti­gen Auge „sehe“ ich das, was geschieht, „spüre“ das, was der Autor spürt. So ergeht es mir auch in den ers­ten Tages­be­rich­ten in Ker­ke­lings Buch. Der Autor schreibt sehr aus­führ­lich über seine Erleb­nisse, über die Men­schen, die er trifft, über die Schmer­zen in sei­nen Füßen und Gelen­ken, die er vom unge­wohn­ten Wan­dern hat. Ich spüre mit ihm die totale Erschöp­fung am Abend nach einer kilo­me­ter­lan­gen Pilgeretappe.
Ker­ke­ling beschreibt auch sehr ein­drucks­voll die ver­schie­de­nen Land­schaf­ten, durch die sein Pil­ger­weg ihn führt. Gespickt wird das auch immer wie­der mit Fotos, die er wäh­rend sei­ner Reise gemacht hat. So bekomme ich einen Ein­druck von der Schön­heit die­ses Weges, manch­mal auch von der Häss­lich­keit und dem Lärm, wenn es an einer viel­be­fah­re­nen Fern­straße ent­lang­geht. Genauso soll es sein, denke ich. Das macht ein gutes Buch aus.

Mit vie­len Gedan­ken­gän­gen Ker­ke­lings kann ich mich selbst iden­ti­fi­zie­ren. Einige Cha­rak­tere, die Ker­ke­ling wäh­rend der Reise trifft, kann ich mir sehr gut vor­stel­len, sol­chen Men­schen bin ich in mei­nem Leben oft genug begeg­net. Sie haben bei mir Ähn­li­ches bewirkt wie bei Ker­ke­ling. Nur so einen schrä­gen Typen wie den Perua­ner Amer­ico habe ich noch nie getrof­fen. Muss ich auch nicht. Ich glaube sowieso nicht daran, dass es der­art mys­te­riöse Men­schen gibt. Der kommt mir irgend­wie unwirk­lich vor. So unecht. Schade, denke ich, durch diese Figur ist das bis­her eigent­lich gelun­gene Buch kit­schig geworden.

Über­haupt lässt die Qua­li­tät der Tages­be­richte nach der Hälfte des Buches deut­lich nach. Ker­ke­ling bemerkt dies auch selbst: „Die Zeit zum Schrei­ben finde ich jetzt kaum noch.“ Er beschreibt jetzt nur noch die Abläufe der ein­zel­nen Tage. Tief­schür­fende Gedan­ken fin­den sich eher sel­ten. Als Lese­rin bedaure ich das sehr. Auf diese Weise wird aus der Pil­ger­reise, die auch mich zum Nach­den­ken über teils phi­lo­so­phisch anmu­tende Fra­ge­stel­lun­gen ver­lei­tet hat, eine lang­wei­lige Anein­an­der­rei­hung von Tages­ge­scheh­nis­sen der harm­lo­sen Art. So ver­kommt auch die ersehnte Ankunft in Sant­iago de Com­pos­tela, die doch eigent­lich der Höhe­punkt der Reise – und des Rei­se­be­rich­tes – wer­den sollte, zu einer lang­wei­li­gen Anein­an­der­rei­hung von Handlungsabläufen.

Selbst­fin­dung oder Eigenreklame?

Ein wenig unsym­pa­thisch kommt Ker­ke­ling zudem daher, wenn er ver­steckte Reklame für sein Buch und für seine Per­son macht. Dass er bei­spiels­weise immer mal wie­der von ande­ren Pil­gern aus Deutsch­land erkannt und um ein Auto­gramm gebe­ten wird, hätte er nicht so oft und aus­führ­lich erwäh­nen müs­sen. Hat er aber, und so frage ich mich, was mir das über den Men­schen „Ker­ke­ling“ sagt.
Das Nach­wort von Ker­ke­lings Buch ist beson­ders kit­schig. Zum Abschied hat er sei­nen Pil­ger­freun­din­nen Shee­lagh und Anne und sich selbst je ein Pil­ger­glöck­chen geschenkt. Jedes Mal, wenn einer von ihnen die­ses läu­ten hört, sol­len die ande­ren dies spü­ren. Mehr als ein Jahr nach der Pil­ger­reise läu­tet Ker­ke­ling wäh­rend einer Fern­seh­sen­dung in Deutsch­land sein Glöck­chen. Und was für ein Zufall: Die bei­den Freun­din­nen hören es auch – zwar logisch erklärt, aber eben auch ein kit­schi­ger Zufall.

Ein Mehr­wert für die Leser?

Wel­ches Fazit lässt sich nun aus die­sem Pil­ger­be­richt Ker­ke­lings zie­hen? Kein leich­tes Unter­fan­gen, hier­auf eine Ant­wort zu finden!

Als viel­sei­tig inter­es­sier­ter Mensch beschäf­tige ich mich selbst­ver­ständ­lich auch mit exis­ten­ti­el­len Fra­gen wie der nach Gott und nach mir selbst. Aus die­sem Grund lese ich auch gerne Bücher, die sich mit genau die­ser The­ma­tik beschäf­ti­gen. Ein sol­ches Buch schien mir Hape Ker­ke­lings Bericht über seine Pil­ger­reise nach Sant­iago de Com­pos­tela zu sein.
Anfangs ver­sprach Ker­ke­lings Reise-Tage­buch, genau auf jene oben auf­ge­führ­ten grund­le­gen­den Fra­gen, die uns Men­schen beschäf­ti­gen, eine Ant­wort ver­su­chen zu wol­len. Die erste Hälfte des Buches ent­hält denn auch Berichte und Beschrei­bun­gen, die phi­lo­so­phisch anmu­ten und den Lesern viel Stoff zum Nach­den­ken geben. Dadurch wird die­ser Rei­se­be­richt durch­aus lesens­wert. Jeder kann sich mit den teil­weise phi­lo­so­phi­schen Äuße­run­gen iden­ti­fi­zie­ren. Dabei schreibt Ker­ke­ling lie­bens­wert, wit­zig, warmherzig.
Lei­der rutscht das Buch in der zwei­ten Hälfte ins Nichts­sa­gende ab. Die Anein­an­der­rei­hung von Hand­lungs­ab­läu­fen ist ein­fach nur lang­wei­lig, manch­mal arg kit­schig und auch ver­rucht eso­te­risch. Schade!

Auch wenn mein Fazit lau­tet, dass Ker­ke­lings Pil­ger­be­richt nicht kon­se­quent die gro­ßen Erwar­tun­gen, die zu Beginn geweckt wer­den, erfüllt, hat die­ses Buch mir doch die Lust berei­tet, wenigs­tens die ein oder andere Etappe des Jakobs­we­ges gehen zu wollen.

Ros­wi­tha
Gast­au­torin

Ich bin dann mal weg. Hape Ker­ke­ling. Piper Ver­lag. 2015. Erst­ver­öf­fent­li­chung: 2006.

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