Keine toten Vögel

by Bücherstadt Kurier

„Tote Vögel sin­gen nicht“ ist der sechste und mit­rei­ßendste Band der Fla­via-Reihe. Bücher­horte­rin Clau­dia warnt: Lesen der Rezen­sion auf eigene Gefahr, hier wird eini­ges ver­ra­ten, was selbst der Klap­pen­text noch ver­tu­schen will!

Die Heim­kehr von Har­riet de Luce

Fla­via ver­steht die Welt nicht mehr, denn sel­bige wird ihr unter den Füßen weg­ge­ris­sen. Mit der Nach­richt, dass ihre Mut­ter gefun­den wurde, hat ihr Vater die drei Schwes­tern im letz­ten Band scho­ckiert. Nach zehn Jah­ren der Unge­wiss­heit, was in den Ber­gen von Tibet gesche­hen ist, hat man ihre Mut­ter Har­riet im Jahre 1951 end­lich gefun­den. Zehn Jahre des lei­sen Hof­fens, dass sie viel­leicht doch wie­der zurück­keh­ren und Bucks­haw wie­der ein fröh­li­ches Zuhause wer­den könnte.

Alles wird mit die­ser Nach­richt zer­schla­gen. Am Tag der Rück­kehr durch­schrei­tet Har­riet de Luce nicht selbst Bucks­haws Tore ... sie wird in einem mit dem Union Jack behäng­ten Sarg nach Hause gebracht – in einem eigens für sie bereit­ge­stell­tem Zug und einer Schar von Uni­for­mier­ten. Ganz Bucks­haw ist anwe­send, als Fla­via und ihre Fami­lie starr das Pro­ze­dere über sich erge­hen las­sen. Sogar Tante Feli­city ist uni­for­miert, wie Fla­via ver­wirrt fest­stellt. Das ist aber nicht die ein­zige beun­ru­hi­gende Erfah­rung, die Fla­via an die­sem Mor­gen macht. Denn nie­mand Gerin­ge­res als der ehe­ma­lige Pre­mier­mi­nis­ter Win­s­ton Chur­chill ist anwe­send und wech­selt ein paar Worte mit ihrem Vater – und ihr selbst. Zudem spricht sie ein Frem­der an, sie solle ihrem Vater drin­gend aus­rich­ten, das Nest des Col­chi­cus und der Wild­hü­ter seien in Gefahr...

Fla­via ver­steht nichts davon, aber ihr wird klar, dass sich ihr Leben von nun an ändern wird. Noch bevor sie wei­tere Über­le­gun­gen anstel­len kann, wird der fremde Mann vor den abfah­ren­den Zug gesto­ßen und ver­stirbt noch vor Ort.

Unge­be­tene Gäste auf Buckshaw

Nach­dem ihre Mut­ter in ihrem Bou­doir auf­ge­bahrt wurde, sieht sich Fla­via nicht nur der Ver­zweif­lung ihres inner­lich gebro­che­nen Vaters gegen­über. Lena, die Cou­sine ihrer Mut­ter, von der sie zuvor noch nie etwas gehört hat, zieht mit ihrer uri­gen Toch­ter Undine auf Bucks­haw ein, um an der bald statt­fin­den­den Beer­di­gung teil­zu­neh­men. Fla­via hat mit Undine ganz schön zu kämp­fen, denn sie scheint reich­lich frei erzo­gen wor­den zu sein – und ist dazu lei­der noch ziem­lich intel­li­gent. Dabei will Fla­via nur eins: Ihre Mut­ter im größ­ten Expe­ri­ment der Geschichte wie­der zum Leben erwecken.

Der dra­ma­ti­sche Höhe­punkt der Reihe

Die­ser Band treibt die Dra­ma­tik, die sich in Fla­vias Fami­li­en­ge­schichte ver­birgt, auf die Spitze und die Rah­men­hand­lung nimmt end­lich den Haupt­teil der Geschichte ein. Brad­ley weiß, wie man gute Geschich­ten erzählt, und hier merkt man das ganz beson­ders. Alle bis­he­ri­gen Gescheh­nisse die­nen als Vor­be­rei­tung auf die­sen Band und die Eröff­nung des gro­ßen Geheim­nis­ses um Har­riets Schicksal.

Nach dem abrup­ten Ende des letz­ten Ban­des und der Ankün­di­gung, man habe Har­riet gefun­den, hofft man als Leser natür­lich auf das Beste. Für die Fami­lie, die nur mehr aus einem fra­gi­len Kon­strukt besteht, die davor steht, alles zu ver­lie­ren, was sie kennt und liebt.

Auf den ers­ten Sei­ten spielt Brad­ley gera­dezu mit die­ser Hoff­nung, nur um dem Leser den Sarg quasi auf dem Ser­vier­tel­ler zu prä­sen­tie­ren. Es ist eine regel­rechte Qual, die ori­en­tie­rungs­lose Fla­via zu beglei­ten – gefan­gen in den Kon­ven­tio­nen, in der Rolle der wür­de­voll trau­ern­den Toch­ter. Als Kind, das sie schon fast nicht mehr ist, ver­steht sie schon so vie­les, aber auch umso weni­ger ... Und immer wie­der tritt ihre Bezie­hung zum Vater in den Vor­der­grund, die ein­fach nur als herz­zer­rei­ßend zu bezeich­nen ist. So viel hin­ter Mas­ken in Schach gehal­te­nes Leid, so viel Liebe.

Und dann wäre da noch Fla­vias Ent­schluss, ihre in Tro­cken­eis ver­wahrte Mut­ter für ihren Vater wie­der­zu­erwe­cken. Die­ser Ent­schluss und die Wir­run­gen um den Toten am Bahn­gleis füh­ren sie in die Luft – und zu eige­nen Ermitt­lun­gen, mit denen sie in die Ver­gan­gen­heit ihrer Mut­ter vor­dringt. Und end­lich wer­den Geheim­nisse gelüf­tet, die nur für Fla­via allein bestimmt sind...

„Tote Vögel sin­gen nicht“ ist unbe­dingt zu emp­feh­len, wenn man die ers­ten Fla­via-Bände gele­sen hat. Diese sollte man auch ken­nen, da in die­sem Band viele Andeu­tun­gen aus ihnen erklärt wer­den. Man sollte aller­dings Taschen­tü­cher bereit halten.

„The Dead in Their Vaul­ted Arches“ erschien 2014 beim Orion Ver­lag. Pen­ha­li­gon ver­öf­fent­lichte den Band 2015 im Hard­co­ver, Blan­va­let Anfang 2016 im Taschenbuch.

Fla­via de Luce – Tote Vögel sin­gen nicht. Alan Brad­ley. Über­set­zung: Gerald Jung, Katha­rina Orgaß. Blan­va­let. 2016.

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1 comment

Wunderbar flaviaesk – Bücherstadt Kurier 17. Februar 2019 - 13:47

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