Klassiker der Weltliteratur im Videospiel

by Bücherstädter Peter

Lite­ra­tur als nar­ra­ti­ves Medium und Video­spiel als inter­ak­tiv-nar­ra­ti­ves Medium ste­hen unver­än­der­lich im sym­bio­ti­schen, fami­liä­ren Ver­hält­nis zuein­an­der. Das eine aus dem ande­ren ent­sprun­gen und durch moderne Tech­no­lo­gie in den letz­ten 30 Jah­ren mög­lich gemacht, spie­gelt in vie­len sei­ner Facet­ten die eigene Her­kunft wider und greift offen in die nar­ra­tive Kiste der Welt­li­te­ra­tur. Code­jä­ger Peter lädt dazu ein, einige Bei­spiele zu bespre­chen, von klei­nen Ver­wei­sen, über Adap­tio­nen hin zur Aneig­nung von Moti­vik und Thematik.

Ver­dammt in alle Ewigkeit

Eines der bekann­tes­ten und auch am bes­ten geeig­ne­ten Bei­spiele an die­ser Stelle ist die lang­jäh­rige Video­spiel­se­rie „Cast­le­va­nia“ (1986). Die ers­ten Able­ger aus frü­hes­ten Kon­so­len­zei­ten führ­ten die Spie­len­den in eine von Bram Sto­ker, der Gothic Novel und der Mytho­lo­gie der Mons­ter­erzäh­lun­gen des 18. Jahr­hun­derts inspi­rierte Welt. Dra­cula als Per­so­ni­fi­zie­rung des Bösen ist in allen Ite­ra­tio­nen und Reboots von „Cast­le­va­nia“ mit von der Par­tie. Aus dem grund­le­gen­den Figu­renar­se­nal von Men­schen und Mons­tern wurde über die Jahre durch das Hin­zu­fü­gen von neuen Krea­tu­ren, Fami­li­en­ver­hält­nis­sen und Cha­rak­te­ren eine eigene Mytho­lo­gie erschaf­fen, bezieht sich aber in Ver­wei­sen und den Wur­zeln des Designs immer auf Sto­ker, Shelly und Co. „Cast­le­va­nia“ hat sich über die Jahre, bis zum letz­ten erschie­ne­nen Teil „Lords of Shadow 2“ (in dem man als Dra­cula gegen den Teu­fel selbst ins Felde zieht) so weit ver­selb­stän­digt, dass in den ver­gan­ge­nen Mona­ten sogar eine Seri­en­ad­ap­tion des Video­spiels erschie­nen ist. Eine Adap­tion zwei­ten Gra­des sozusagen.

Eine sehr viel weni­ger nach­voll­zieh­bare und obsku­rere Adap­tion eines der größ­ten Werke der Welt­li­te­ra­tur (im Gegen­satz zu Bram Sto­ker, des­sen Werk sich vor allem sei­ner The­ma­tik wegen gro­ßer Beliebt­heit erfreut und weni­ger auf­grund der lite­ra­ri­schen Qua­li­tät [per­sön­li­cher Mei­nungs­alarm]) ist „Dan­tes Inferno“. Es han­delt sich um einen soge­nann­ten specta­cle-figh­ter[1], der sich Dante Ali­ghie­ris ers­ten Teil der „Gött­li­chen Komö­die“ zum Aus­gangs­stoff nimmt. Es scheint auf den ers­ten Blick ein absur­des Unter­fan­gen zu sein, ein Vers­epos über den Auf­bau der Höl­len­kreise in ein Video­spiel zu ver­wan­deln. Doch es brauchte nur eine Hand­voll Hand­lungs­än­de­run­gen und Dra­ma­ti­sie­run­gen um ein stim­mi­ges Werk zu schaf­fen. Anstatt unbe­hin­dert von Ver­gil durch die Kreise geführt zu wer­den, ist Dante ein heim­keh­ren­der Kreuz­rit­ter, der seine Frau (tot und in den tiefs­ten Höl­len­kreis ver­schleppt) nicht wie­der­fin­det und sich des­halb an allen Ver­damm­ten und Dämo­nen vor­bei in die Tiefe vorkämpft.

Das Level­de­sign ori­en­tiert sich an den ori­gi­na­len Kup­fer­sti­chen zu Dan­tes Werk und ist wun­der­bar furcht­erre­gend. Und auch Ver­gil steht den Spie­len­den zur Seite und erklärt in Ori­gi­nal­ver­sen, was vor sich geht. Die gewalt­tä­tige Natur eines specta­cle-figh­ters passt aus­ge­zeich­net zu der mar­tia­li­schen Dar­stel­lung der Höl­len­qua­len und fügt sich naht­los in die düs­tere Stim­mung von Dan­tes Inferno. Kleine Details, wie das Auf­tre­ten aller im Epos nament­lich genann­ten ver­damm­ten Sün­der und die Option, sie nach Erfah­ren ihrer Ver­ge­hen zu ver­dam­men oder zu erlö­sen, fügt sich in den lehr­rei­chen und unter­halt­sa­men Cha­rak­ter des Spiels ein.

Men­schen, Mons­ter, tan­zende Geister

Die „Witcher“-Serie ist in sich bereits eine Adap­tion einer gleich­na­mi­gen Erzäh­lungs- und Roman­reihe und beinhal­tet zusätz­lich dazu eine Viel­zahl von lite­ra­ri­schen Ver­wei­sen auf andere Werke der Welt­li­te­ra­tur. Die Hand­lung der Spie­le­reihe setzt nach dem Ende sei­ner lite­ra­ri­schen Vor­lage ein und hat bis auf sein Figu­renar­se­nal auf der Hand­lungs­ebene keine Deckung damit. Die Welt von „The Wit­cher“ bedient sich einer Viel­zahl von mytho­lo­gi­schen Vor­la­gen. Die sla­wi­sche Sagen­welt ver­bin­det sich mit Grimms Mär­chen, klas­si­scher Moti­vik der fan­tas­ti­schen Lite­ra­tur und der Geschichte des euro­päi­schen Mit­tel­al­ters. Zum Ver­ständ­nis der Natur der unter­schied­li­chen Ver­weise sind einige Bei­spiele hilf­reich: In „The Wit­cher 2“ kön­nen die Spie­len­den im zwei­ten Akt in einer Mine die Über­reste eines Zwer­ges ent­de­cken, der den Namen Balin („Der Herr der Ringe“) trägt und ein Tage­buch bei sich hat.

In „The Wit­cher 3“ betre­ten die Spie­len­den ein Buch, das von allen Figu­ren aus Grimms Mär­chen bevöl­kert wird. Nach die­sen sehr offe­nen Ver­wei­sen sei noch eine sehr dezente Anspie­lung erwähnt: Im Erwei­te­rungs­pa­ket „Hearts of Stone“ für „The Wit­cher 3“ gehen sowohl Ger­alt von Rivia (der Wit­cher) als auch einer der ande­ren Prot­ago­nis­ten einen Pakt mit einer Mephi­s­to­fi­gur ein und die Hand­lung dreht sich darum, sich dem Pakt wie­der zu ent­zie­hen. Dabei ver­hilft der Spie­lende einem Geist dazu, einen letz­ten unter­halt­sa­men Abend auf einer Hoch­zeit in der Welt der Leben­den zu ver­brin­gen. Am Ende des Abends sagt Ger­alt: „May the moment last.“, wobei es sich um eine Para­phrase des Code­wor­tes aus Goe­thes Faust han­delt. Wenn Faust end­lich zufrie­den sei und Mephisto seine Seele erhält, soll er zum Augen­bli­cke sagen „ver­weile doch, du bist so schön.“ Diese Anspie­lung ist wegen der faus­ti­schen Natur der Hand­lung eine äußerst offenkundige.

Sym­biose

Video­spiele sind ein neues Medium für lite­ra­ri­sche Pro­duk­tion und fügen dem bis­he­ri­gen Fun­dus erzäh­le­ri­scher Mög­lich­kei­ten eine Viel­zahl neuer Facet­ten hinzu. Dabei kön­nen und wol­len sie auch nicht von ihren Wur­zeln getrennt wer­den. So wie die moderne Lite­ra­tur sich auf ver­gan­gene Kunst bezieht, ist auch das Medium Video­spiel sei­nen Ursprün­gen ver­pflich­tet. Es erwei­tert diese nicht nur und macht sie (nicht nur) für neue Genera­tio­nen par­al­lel zu Lite­ra­tur zugäng­lich, son­dern fügt ihr auch eine neue Bedeu­tung und eine andere, krea­tive Art von Tiefe hinzu.

[1] Gen­re­bezeich­nung, z.B.: God of War, Cast­le­va­nia: Lords of Shadow, Bat­man: Ark­ham Asylum

  • Cast­le­va­nia (37 Teile). Stu­dio: Diverse. Publis­her: Konami. 1986–2014. Alle Platt­for­men, Einzelspieler.
  • The Wit­cher / The Wit­cher 2: Assas­sins of Kings / The Wit­cher 3: Wild Hunt. Stu­dio: CD Pro­ject Red, Publis­her: CD Pro­ject Red, 2007–2015, Platt­for­men: PC, Play­sta­tion 3, Play­sta­tion 4, Xbox 360, Xbox One. Einzelspieler.
  • Dante’s Inferno, Stu­dio: Vis­ceral Games. Publis­her: Elec­tro­nic Arts. 2010. Platt­for­men: Play­sta­tion 3, Xbox 360, PSP. Einzelspieler.
  • Ger­alt-Saga (5‑teilige Roman­reihe, 4 Erzähl­bände, 1 Ein­zel­ro­man). Andrzej Sap­kow­ski. 1990–2013.
  • Divina Commedia. Dante Ali­ghieri. 1472.
  • Dra­cula. Bram Sto­ker. Archi­bald Cons­ta­ble and Com­pany. 1897.

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