Klick, klick, klick

by Worteweberin Annika

Verena Roß­ba­cher erzählt in „Ich war Die­ner im Hause Hobbs“ von Erin­ne­run­gen, von den rich­ti­gen und den ver­fälsch­ten. Worte­we­be­rin Annika hat sich mit dem Prot­ago­nis­ten Chris­tian Klick für Klick durch das Plas­ti­skop sei­ner Erin­ne­run­gen gearbeitet.

„Ich war im Her­zen immer schon eher ein Fall für den Senio­ren­tel­ler,“ sagt Chris­tian, genannt Kri­schi, über sich selbst. Wäh­rend der Schul­zeit bil­det er mit sei­nen Freun­den Olli, Gösch und Isi ein Vie­rer­ge­spann der Hesse und Frisch lesen­den, „pseu­do­ge­bil­de­ten“ Außen­sei­ter mit flau­mi­gen Bär­ten und einer Anti­pa­thie gegen Jeans­ho­sen. Seine Kind­heit und Jugend ver­bringt Kri­schi haupt­säch­lich bei Olli und sei­nem lebens­fro­hen Vater Charly. Der lei­tet den soge­nann­ten DoN­eiDa, eine der ers­ten schwei­ze­ri­schen Selbst­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen für Dro­gen­ab­hän­gige. Nach der Schule gehen die Jun­gen ihrer Wege, nur Chris­tian und Olli blie­ben vor­erst im klei­nen Feld­kirch. Dann besucht Chris­tian die Die­ner­schule in den Nie­der­lan­den und wird schließ­lich Die­ner im Hause Hobbs in Zürich.

Detek­tiv des Vergangenen

Im Dienst für Ber­na­dette und Jean-Pierre Hobbs sowie deren Kin­der und den Bru­der Gerome fühlt Chris­tian, hier Robert genannt, sich zwar wohl – doch bald ver­mischt sich seine Arbeits­welt mit sei­ner Ver­gan­gen­heit aus Feld­kirch und der Die­ner weiß nicht mehr, wie er sich ver­hal­ten soll. Jahre spä­ter ver­sucht er zu rekon­stru­ie­ren, was in sei­ner Zeit im Hause Hobbs, aber auch viele Jahre frü­her, vor­ge­fal­len ist. Lang­sam brei­ten sich Ver­wick­lun­gen, Ver­rat, Betrug, Kunst­fäl­schung und Selbst­mord aus, die eine kri­mi­ähn­li­che Sog­wir­kung entfalten.

Nach und nach stellt Chris­tian fest, dass seine Erin­ne­run­gen nicht mit den Bil­dern der Ver­gan­gen­heit ein­her­ge­hen, die sich andere gemacht haben oder die auf Fotos fest­ge­hal­ten wur­den. Sei das nur die Farbe eines Raum­an­zu­ges auf der Beer­di­gung von Charly, seien es die Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten sei­ner Freunde oder sei es die kom­plette Erin­ne­rung an eine Person.

„Ich fühlte mich betro­gen, von allen, von allem, vor allem von mei­nen Erin­ne­run­gen. Was nütz­ten sie mir, wenn kei­ner sie teilte? […] Heute denke ich, mit mei­nem Gedächt­nis stimmt viel­leicht etwas nicht. Ent­we­der, es sind zu viele unwich­tige Details, sodass wich­tige unter­ge­hen, oder mit mei­nem Gedächt­nis stimmt ein­fach ganz gewal­tig etwas über­haupt nicht.“ (S. 205)

Sprünge durch die Zeit

Durch das Auf­schrei­ben eines Berichts ver­sucht Chris­tian, sei­nen Erin­ne­run­gen und der Wahr­heit auf den Grund zu gehen. Er wird durch seine Erin­ne­rungs­feh­ler zum unzu­ver­läs­si­gen Erzäh­ler, dem die Leser nicht unbe­dingt trauen kön­nen. Hier­durch ent­steht wei­tere Span­nung, die aber von den Lese­rin­nen und Lesern for­dert, sich ganz auf die Erzäh­lung ein­zu­las­sen. Folgt man Kri­schi beim Sprin­gen zwi­schen den Zeit­ebe­nen, beim Grü­beln über die Wahr­haf­tig­keit des Erin­ner­ten, beim Zie­hen von Schlei­fen durch die Ver­gan­gen­heit, brei­tet sich nach und nach ein schil­lern­des Pan­orama einer mög­li­chen Ver­gan­gen­heit aus.

„Die Bil­der zie­hen an mir vor­über wie in einem Plas­ti­skop. Klick um Klick schaue ich mir diese fest­ge­fro­re­nen Sze­nen an und erin­nere mich an die Tage und Situa­tio­nen, an die Gesprä­che und Gefühle und ver­su­che, sie in einen Zusam­men­hang zu brin­gen.“ (S. 181)

Keine ein­fa­che Geschichte

Im Erzäh­len spielt Chris­tian mit Bezü­gen auf die aktu­elle Popu­lär­kul­tur mit „Harry Pot­ter“ und „Down­ton Abbey“ aber auch auf Klas­si­ker wie „Effie Briest“ und „Der große Gatsby“, vor allem auch James Joy­ces‘ „Ulys­ses“, den Chris­ti­ans Freund John ein­mal jähr­lich liest. Das schafft einen klei­nen Ret­tungs­an­ker, der davor bewahrt, in den Grü­be­leien und unzu­ver­läs­si­gen Erin­ne­run­gen ver­lo­ren zu gehen.

Das sich im Roman immer wie­der­ho­lende Man­tra des Erzäh­lers – „Es war ein schlam­pi­ger Tag. Dies ist eine ein­fa­che Geschichte.“ (S. 7) – gilt sicher­lich nur in Tei­len, denn „Ich war Die­ner im Hause Hobbs“ ist viel mehr als nur eine ein­fa­che Geschichte: span­nende Spu­ren­su­che, iro­ni­scher Blick auf die schwei­ze­ri­sche und all­ge­mein west­li­che High Society, gekonnt erzählt im Jon­glie­ren mit ver­schie­de­nen Strän­gen und Zeit­ebe­nen. Ein tol­ler, unter­halt­sa­mer und trotz­dem anspruchs­vol­ler Roman!

Ich war Die­ner im Hause Hobbs. Verena Roß­ba­cher. Kie­pen­heuer & Witsch. 2018.

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