Martin Kordić

by Bücherstadt Kurier

Ich nehme meine Figu­ren und ihre Geschich­ten ernst.

Wort­klau­be­rin Erika hat sich mit Mar­tin Kor­dićs Roman „Wie ich mir das Glück vor­stelle“ auf die Suche nach dem Glück bege­ben – und dem Autor dabei einige Fra­gen gestellt.

BK: Lie­ber Herr Kor­dić, vie­len Dank, dass Sie Zeit für uns und die­ses kleine Inter­view haben. Ich habe Ihr Buch „Wie ich mir das Glück vor­stelle“ in vol­len Zügen genos­sen. Die erste Frage des Inter­views dreht sich des­halb wohl um das all­ge­meinste über­haupt: Wie sind Sie auf die Idee gekom­men? Und wie auf den ver­krüp­pel­ten Prot­ago­nis­ten Viktor?

MK: Es gab nicht diese eine zün­dende Idee. Zumin­dest nicht, was die Geschichte und das Thema betrifft. Bei der Figur war das aber tat­säch­lich so. Das kann ich exakt auf einen Tag zurück­da­tie­ren. Da saß ich in Bos­nien-Her­ze­go­wina mit mei­ner Cou­sine vor dem Haus und habe Was­ser­me­lone geges­sen. Und sie erzählte mir von einer Art Camp in der Nähe, das von Non­nen gelei­tet wird, und in dem ver­sucht wird, ver­wais­ten Kin­dern und Jugend­li­chen durch Arbeit und Gebet wie­der Sta­bi­li­tät im Leben zu geben. An die­sem Tag hatte ich Vik­tor, den Erzäh­ler in mei­nem Roman, zum ers­ten Mal klar vor Augen. Wie er zum Ende des Krie­ges so eine Art Gemein­schaft ver­lässt, ganz auf sich allein gestellt. Was dabei aber sehr wich­tig ist, ist, dass Vik­tors autis­ti­sche Wesens­züge keine Folge des Krie­ges sind, son­dern dass er von Geburt an beson­ders ist, einen ande­ren Blick auf die Welt hat – und die Welt auf ihn.

BK: Gibt es für die Stadt der Brü­cken ein bestimm­tes (viel­leicht sogar rea­les) Vor­bild, in der sich Vik­tor und sein Gefährte durch den Kriegs­zu­stand schlagen?

MK: Die topo­gra­phi­schen Bild­wel­ten und Kon­flikt­li­nien haben ihren Ursprung zu gro­ßen Tei­len in Bos­nien-Her­ze­go­wina, genauer: in der Stadt Mostar und der unmit­tel­ba­ren Umge­bung. Für mich war die­ses Her­aus­he­ben des Sujets aus der unmit­tel­ba­ren Rea­li­tät im Schrei­ben aber ein sehr wich­ti­ger Moment. Ich wollte kein doku­men­ta­ri­sches Buch schrei­ben, son­dern vor allem eine Geschichte erzäh­len. Eine Geschichte, die eine in sich geschlos­sene Welt erzählt, ein Gefühl. Inso­fern sind reale Bezugs­punkte für die Ent­ste­hung des Romans zwar wich­tig gewe­sen, für den Roman selbst sind sie aber völ­lig egal.

BK: Das Thema, das Sie anschnei­den, ist stark aktu­ell. Wenn­gleich das „Land aller Völ­ker“, wie es in Ihrem Buch heißt, zer­split­tert ist, muss man nur einige Stun­den wei­ter in Rich­tung Süden/Südosten, um vor ähn­li­chen Situa­tio­nen zu ste­hen. Dabei bewer­ten Sie das Vor­ge­hen der Jugend­li­chen nicht mora­lisch – wie haben Sie das geschafft? War es schwie­rig für Sie?

MK: Ich nehme meine Figu­ren und ihre Geschich­ten ernst. Würde ich mich über sie stel­len, würde sich das extrem komisch anfüh­len. Ich möchte meine Figu­ren nicht beur­tei­len, son­dern ich will so nah wie mög­lich an sie heran. Mit allen Schön­hei­ten und Abgrün­den. Im Roman selbst wer­den zudem alle Ereig­nisse von Vik­tor aus dem Jetzt her­aus erzählt, ganz egal, ob sie die Gegen­wart, die Ver­gan­gen­heit oder die Zukunft betref­fen. In die­ser Unmit­tel­bar­keit bleibt keine Zeit für Moral. Es gibt kein Mor­gen, kein Ges­tern, kein Gut, kein Böse, keine Regeln. Meta­ebe­nen sind kein Bestand­teil die­ser Welt.

BK: Haben Sie lite­ra­ri­sche Vor­bil­der, denen Sie nacheifern?

MK: Ich habe ein dyna­mi­sches Feld an Enthu­si­as­mus­ver­tei­lung. Zu dem kom­men immer wie­der neue Dinge hinzu, für die ich mich begeis­tern kann, wäh­rend andere mit der Zeit unmerk­lich in den Hin­ter­grund gedrängt wer­den. Das beschränkt sich nicht auf Lite­ra­tur. Das geht von Mari­lyn Man­son über Stan­ley Kubrick zu Michael Ende und von dort zurück über Anek­do­ten mei­nes Nach­barn quer durch eine Samm­lung Seemannslieder.

BK: Wenn Sie ein Buch wären, was für eines wür­den Sie sein?

MK: Lie­ber ein kurzes.

Die­ses Inter­view erschien erst­mals in der 17. Aus­gabe des Bücher­stadt Kuriers.
Foto © Sabine Lohmüller

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