Mein Monster und ich #Todesstadt

by Poesiearchitektin Lena

Es ist Sams­tag, die Sonne scheint bei 32 Grad und ich kann mir vor­stel­len, dass sich ein Groß­teil der Nach­bar­schaft momen­tan im Frei­bad um die Ecke auf­hält. Sie essen Pom­mes, wer­den braun und küh­len sich im kal­ten Was­ser ab. Ob ich nei­disch bin? Natür­lich. Wieso ich nicht auch drau­ßen bin? Mein Mons­ter mag Men­schen­mas­sen nicht. Es mag kei­nen Lärm und gese­hen wer­den mag es eigent­lich auch nicht. Es ist bei mir, seit ich den klei­nen Ner­ven­zu­sam­men­bruch hatte. Mein Arzt hat mir erzählt, dass mein Mons­ter Depres­sion heißt, aber Ressi finde ich irgend­wie nied­li­cher, obwohl es auch rich­tig fies sein kann.

Ressi und ich ver­brin­gen viel Zeit in mei­ner Woh­nung. Wir schla­fen lange, meis­tens bis in den Nach­mit­tag hin­ein, essen und bewe­gen uns auch wenig. Manch­mal schlurfe ich durch meine Woh­nung und sehe aus wie ein Zom­bie. Frü­her hätte es mich gestört. Auch wie unor­dent­lich und voll­ge­müllt mein Zim­mer ist, aber ich habe keine Kraft, mich dar­über auf­zu­re­gen. Ressi nimmt mir all diese Ener­gie, aber das ist schon in Ord­nung, denn dafür bringt er mich häu­fig zum Nach­den­ken und lässt mich alles hin­ter­fra­gen. Ins­be­son­dere den Sinn des Lebens und warum ich eigent­lich auf der Welt bin. Fast wie ein ech­ter Phi­lo­soph. An schlech­ten Tagen finde ich ab und zu noch Ant­wor­ten und Gründe. An sehr schlech­ten Tagen möchte ich mich ein­fach auf­lö­sen und Teil des Uni­ver­sums wer­den, wo ich so klein bin, dass ich nie­man­dem mehr auf­falle und wo alles still ist.

Mein klei­nes Mons­ter­chen unter­stützt meine Wün­sche und ver­steht mich. Es fin­det es auch nicht schlimm, wenn ich ein paar Tage nicht dusche oder meine Zähne putze, oder wenn ich die Anrufe mei­ner ehe­ma­li­gen Freunde igno­riere, weil ich mich dafür schäme, wer ich bin.

Es ist der opti­male Zeit­punkt, um ein­kau­fen zu gehen. Die Men­schen genie­ßen das Wet­ter und ste­hen an der Eis­diele an und nicht an der Super­markt­schlange. Je weni­ger Men­schen mich wahr­neh­men, desto bes­ser. Mein Blick in den Spie­gel und Res­sis abfäl­li­ges „Bah“ las­sen mich kurz zwei­feln, aber ich brau­che etwas, um mich vor mir zu trös­ten. Dass ich zu schwach bin, um etwas zu ändern und es mich oft nicht ein­mal stört. Ob Süßig­kei­ten oder Alko­hol weiß ich noch nicht.

„Willst du wirk­lich raus­ge­hen? Hm? Alle wer­den dich anstar­ren. Sie wer­den sehen, dass du ein Pro­blem hast. Hm?“ Ressi hat heute wirk­lich schlechte Laune. Den Kopf ein­ge­zo­gen, warte ich an der Ampel, die ewig auf Rot steht, und über­quere nach einer Ewig­keit mit schnel­lem Schritt die Straße. „Die Men­schen sehen dir an, dass du nicht arbei­ten gehst und ein Schma­rot­zer bist, hm? Trägst nichts Wert­vol­les bei, son­dern bist nur Zuhause. Lass uns da schnell wie­der hin­ge­hen, hm? Da haben wir unsere Ruhe.“

Vor dem Süßig­kei­ten­re­gal steht eine junge Frau, die mich anlä­chelt, wäh­rend ich eilig an ihr vor­bei­gehe. Ich lächele vor­sich­tig zurück, bis Res­sis Stimme wie­der in mei­nem Kopf erscheint. „Haha, sie hat dich nur aus Mit­leid ange­lä­chelt. Du weißt doch wie du aus­siehst, hm? Sie würde mit mir nicht klar­kom­men. Das kann nie­mand, hm?“ Ich gebe mei­nem Mons­ter­chen still Recht und schnappe mir eine Packung Toffi­fee – nein, zwei! – und gehe zum Alko­hol. Eigent­lich mochte ich ihn nie so sehr, als dass ich mich jede Woche betrun­ken hätte, aber Ressi liebt ihn und wird etwas freund­li­cher zu mir, wenn ich etwas intus habe. Das ist manch­mal sehr angenehm.

Zuhause ange­kom­men, mache ich direkt die erste Fla­sche leer. Es ist ja auch schon fast 18 Uhr und der Aus­flug zum Super­markt war sehr anstren­gend. Die dritte Nuss im Toffi­fee war über­ra­schend hart und mein Zahn tut plötz­lich ziem­lich weh. Zum Arzt gehe ich aller­dings nur sel­ten. Was soll ich ihm denn erzäh­len? Ja, ich schlafe meis­tens ein­fach ein und ver­gesse, meine Zähne zu put­zen. Mein Mons­ter mag Zähne put­zen auch nicht. Wozu Zähne put­zen? Ich esse eigent­lich eh kaum noch was. Bier sät­tigt ja auch und die Rech­nun­gen kann ich sowieso nicht zah­len. Ich höre Ressi bei mei­nem Gedan­ken­gang kichern und fange sel­ber an.

Als die Uhr kurz nach zwei anzeigt, finde ich, dass es der rich­tige Zeit­punkt ist, um mei­nen Bru­der anzu­ru­fen. Natür­lich geht seine Mail­box ran. Ich frage, wie es den Kin­dern geht und erzähle, dass ich wie­der anfan­gen will zu arbei­ten, aber nicht kann. Wie soll ich es denn schaf­fen, früh auf­zu­ste­hen? Außer­dem wird Ressi immer sauer, wenn ich vor 15 Uhr wie­der anfange nach­zu­den­ken. Ich lalle noch ein paar Minu­ten wei­ter auf den Anruf­be­ant­wor­ter bis ich ganz uner­war­tet anfan­gen muss zu weinen.

„Du bist pein­lich, hm? Leg auf! Sonst denkt dein Bru­der wie­der nur, was du für ein Wasch­lap­pen bist.“ Ich atme ein paar Mal tief ein und aus und fange an, eine Liste zu schrei­ben, was ich mor­gen alles erle­di­gen und schaf­fen will. Res­sis Gega­cker ver­su­che ich soweit es geht aus­zu­blen­den. Als ich fer­tig bin, bin ich zufrie­den. Der erste kleine Schritt ist getan. Ab mor­gen wird alles bes­ser. Nein. Ab jetzt. Ich werde meine drei Müll­sä­cke jetzt noch raus­brin­gen. Die Trep­pen dre­hen sich, aber ich schaffe es ohne zu stür­zen zum Con­tai­ner. Ich lächle. Dass ich das noch kann, wusste ich gar nicht, ich lächle noch brei­ter und schaue in den Him­mel und sage zum Uni­ver­sum, dass es noch auf mich war­ten muss, da ich jetzt erst­mal eine Liste habe und ich das erste Mal seit Mona­ten zufrie­den bin.

Ich merke erst, dass ich auf die Straße getau­melt bin, als ich das laute, durch­drin­gende Hupen höre und ich spüre, wie ich durch die Luft fliege. Es wird alles still. Selbst mein Mons­ter schweigt. Für immer.

Text: Poe­sie­ar­chi­tek­tin Lena
Illus­tra­tion: Feder­schrei­be­rin Kristina

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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