Schöne Worte – leere Worte Deutscher Buchpreis

by Satzhüterin Pia

Der Inhalt von Anja Kamp­manns Debüt­ro­man „Wie hoch die Was­ser stei­gen“ steht im Prin­zip im Klap­pen­text. Viel mehr brau­chen Leser nicht zu wis­sen. Aber es geht auch nicht um die Geschichte selbst, son­dern um die Art der Erzäh­lung, die Atmo­sphäre. Ein­drucks­volle sprach­li­che Bil­der, die Satz­hü­te­rin Pia den­noch nicht fes­seln konnten.

Es ist eine Geschichte, die nach Road­mo­vie klingt: Der pol­ni­sche Wan­der­ar­bei­ter Waclaw, wahl­weise auch Wen­zel genannt, ver­liert bei einem Job auf einer Bohr­in­sel vor Marokko sei­nen lang­jäh­ri­gen Freund und Kol­le­gen Mátyás. Die Betrei­ber der Platt­form machen sich nicht ein­mal die Mühe, nach dem Ver­miss­ten zu suchen – über Bord zu gehen, bedeu­tet den siche­ren Tod – und schi­cken Waclaw an Land in einen mehr­wö­chi­gen Urlaub. Über dem Anfang 50-Jäh­ri­gen macht sich die Ein­sam­keit, die die phy­si­sche Abge­schnit­ten­heit der Ölbohr­in­sel mit sich bringt, schlag­ar­tig breit.

Ohne sei­nen Freund ver­lo­ren auf der stäh­ler­nen Insel, begibt er sich auf eine Reise. Eine Reise, die ihn nach Ungarn, Malta, in die Alpen, ins Ruhr­ge­biet und zurück in ein klei­nes Dorf in Polen führt. Es beginnt damit, dass er die Sachen sei­nes toten unga­ri­schen Freun­des zu des­sen Ange­hö­ri­gen brin­gen möchte.

Kein Platz für eine klas­si­sche Plot- und Figurenentwicklung

Nur gemäch­lich ent­fal­tet sich die Geschichte. Schon der Ein­stieg ist lang­at­mig, denn Leser wis­sen bereits aus dem Klap­pen­text um den Ver­lust Waclaws. Es kann keine Span­nung auf­kom­men, was die Autorin wohl auch nicht beab­sich­tigt, mich als Lese­rin aber unge­dul­dig wer­den ließ.

Trotz der Form der Road­no­vel kommt die Autorin nicht auf die klas­si­sche Plot- oder Figu­ren­ent­wick­lung zurück, die übli­cher­weise dadurch vor­an­ge­trie­ben wird. Erin­ne­rungs­ein­schübe und Moment­auf­nah­men des Hier und Jetzt in Form ein­zel­ner Bil­der dros­seln das Tempo, durch­bre­chen das lineare Erzählen.

Dabei will Kamp­mann nah an dem Prot­ago­nis­ten blei­ben und schil­dert seine Geschichte aus sei­nen Gedan­ken, sei­nem Blick her­aus. Ich bin den­noch etwas ver­lo­ren, er bleibt mir fremd und unzu­gäng­lich. Zwar sehen Leser durch sei­nen Blick die Welt, betrach­ten und erle­ben sei­nen Weg – den inne­ren und äuße­ren. Doch ein wenig scheint er nur das Instru­ment, sein Inne­res leer genug, um gut hin­durch­bli­cken zu kön­nen. Waclaw bleibt irgend­wie fad, seine schö­nen Worte doch letzt­end­lich leer.

Bild­hafte, lyri­sche Sprache

Kamp­manns Debüt ist sprach­ge­wal­tig. Es ver­wun­dert kaum, dass sie bis­her als Dich­te­rin, als Lyri­ke­rin bekannt ist. Ihre Erzäh­lung strotzt vor Ver­glei­chen und wirkt dadurch schwe­rer als sie müsste. Nahezu jeder Satz ist stark kon­stru­iert, bild­ge­wal­tig, könnte groß­ar­tig für sich ste­hen und über­lädt den Text letzt­end­lich in der Summe. Die dabei emo­ti­ons­lose Erzähl­weise bewahrt die Spra­che vor Kitsch und kommt dem doch sehr nahe. Ein Detail, was mich per­sön­lich sehr gestört hat, war die feh­lende Inter­punk­tion in der wört­li­chen Rede. Sie fügt sich so gut in den trä­gen Fluss der Geschichte ein. Motive wie die Taube und über­haupt Vögel, die die Autorin ein­flie­ßen lässt, pas­sen gut in den Roman, sind aber lei­der nicht neu oder erfrischend.

Unge­wöhn­lich ist die­ser Kan­di­dat des Deut­schen Buch­prei­ses (Lon­g­list) sicher­lich. Sprach­lich schön gestal­tet und mit einer Geschichte, so kurz sie erzählt sein könnte, in ihrer Inten­si­tät und Aktua­li­tät eines Wan­der­ar­bei­ters, der in der moder­nen Welt ver­lo­ren zu gehen scheint, bemer­kens­wert. Mei­nen Geschmack trifft die bild­ge­wal­tige, aber über­la­dene Spra­che nicht – wo ist der Biss, das Tempo? Zu leicht und melan­cho­lisch düm­pelt man als Lese­rin oder Leser durch die Sei­ten. Und warum Waclaw auf sei­nem Weg letzt­end­lich zurück zu sei­ner gro­ßen Liebe, sei­ner Frau Milena rei­sen muss, ver­stehe ich auch nicht ganz. Braucht er die­sen Antrieb wirk­lich? Kann es nicht auch eine Reise zu sich selbst bleiben?

Wie hoch die Was­ser stei­gen. Anja Kamp­mann. Carl Han­ser Ver­lag. 2018.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr