Schwimmen lernen

by Worteweberin Annika

Was hat das Meer mit der Liebe und Ehe­pro­ble­men zu tun? In Claire Ful­lers Roman „Eine eng­li­sche Ehe“ hat Worte­we­be­rin Annika einige Hin­weise gefunden.

Die Stu­den­tin Ingrid ver­liebt sich in ihren um viele Jahre älte­ren Lite­ra­tur­pro­fes­sor Gil. Nach einem lei­den­schaft­li­chen Som­mer in der Küste ist sie schwan­ger. Als das an der Uni­ver­si­tät bekannt wird, müs­sen Gil und Ingrid ihre Kof­fer packen. Damit haben sich Ingrids Pläne vom Rei­sen, von Frei­heit, Selbst­be­stim­mung, von „auf kei­nen Fall Kin­der und Ehe“ erle­digt. Statt­des­sen sitzt sie bald in einem klei­nen Dorf am Meer, küm­mert sich um den Haus­halt und erst eine Toch­ter, Nan, dann um zwei Töch­ter, als Flora gebo­ren wird. Wäh­rend­des­sen sitzt Gil in der Gar­ten­hütte an sei­nem neuen Roman und betrügt seine Frau immer wie­der. In ihrer Unzu­frie­den­heit beginnt Ingrid, ihm Briefe zu schrei­ben, die sie in den Büchern im Haus ver­steckt. Darin erzählt sie von ihrem Ken­nen­ler­nen, von den Kin­dern, von ihrer Wahrheit:

„Was ich liebe: wie wir damals waren und wie wir hät­ten wer­den kön­nen.“ (S. 59)

Irgend­wann schreibt Ingrid einen letz­ten Brief, geht raus zum Schwim­men und kehrt nie wie­der zurück. Die Poli­zei erklärt sie für tot, doch das mag Flora nicht glau­ben. Von nun an über­nimmt Nan die Rolle der Mut­ter und so geht die Zeit ins Land. Viele Jahre spä­ter erhält Flora einen Anruf, Gil hatte einen Unfall und liegt im Kran­ken­haus. Angeb­lich habe er vor­her Ingrid gese­hen und sei ihr gefolgt. Stimmt das? Flora fährt in das Haus an der Küste, um sich mit ihrer Schwes­ter um Gil zu küm­mern. Neben­bei ver­sucht sie, die Ver­gan­gen­heit bes­ser zu ver­ste­hen, ohne zu wis­sen, dass sie nur eines der Bücher auf­schla­gen müsste.

In „Eine eng­li­sche Ehe“ wech­seln sich die Kapi­tel in der Gegen­wart mit Ingrids Brie­fen aus der Ver­gan­gen­heit ab. So ent­steht ein kom­ple­xes Bild der Figu­ren, die alle nicht ein­fach schwarz oder weiß sind, son­dern jede mit eige­nen Feh­lern irgendwo dazwi­schen lie­gen. Ebenso nuan­ciert ist die Ver­gan­gen­heit, die für Flora ganz anders aus­sieht, als in Ingrids Brie­fen und in Nans Erin­ne­rung. Nach und nach ergibt sich beim Lesen ein Bild vom Leben die­ser Fami­lie und auch von Ingrids und Gils Ehe. Trotz­dem, auch am Ende blei­ben einige Fra­gen offen. Beson­ders schön sind außer­dem die spie­le­ri­schen Bezüge zu den Büchern, in denen die Briefe ver­steckt werden.

So emo­tio­nal und trau­rig die Geschich­ten die­ser Men­schen auch sind, Claire Ful­lers Roman gelingt es, nicht in den Kitsch abzu­rut­schen. Zum Bei­spiel erhält die sich anbah­nende Lie­bes­ge­schichte zwi­schen Flora und dem Buch­händ­ler Robert nur eine Neben­rolle und auch in Nans Schick­sal als Ersatz­mut­ter blei­ben viele Leerstellen.

Ein wich­ti­ges Motiv im Roman sind das Meer und das Schwim­men. Für Ingrid ist das Schwim­men der schönste Teil ihres All­tags und auch Flora liebt es, im Was­ser ihre Bah­nen zu zie­hen. Wäh­rend Gil dem Was­ser eher skep­tisch gegen­über­steht und Ingrid die Aus­flüge gerne ver­bie­ten möchte, kann Robert, Flo­ras neuer Freund, gar nicht schwim­men. Aber viel­leicht kann er es ler­nen. Der Ori­gi­nal­ti­tel des Romans ist dem­nach tref­fen­der­weise auch „Swim­ming Lessons“.

„Eine eng­li­sche Ehe“ ist unter­halt­sam, span­nend und nach­denk­lich stimmend.

Eine eng­li­sche Ehe. Claire Ful­ler. Aus dem Eng­li­schen von Susanne Höbel. Piper. 2017.

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