Trügerische Klarheit

by Bücherstadt Kurier

Illustration: Spurenlaserin Kathi

„Und noch ein­mal!“, schrie der junge Aben­teu­rer und er und seine Kum­pa­nin stemm­ten sich mit aller Kraft gegen die starke Eichentür.
„Warte, warte!“, bat Amara und hielt Korell an der Schul­ter, „wir sind auf der Suche nach einer magi­schen Sub­stanz, viel­leicht kann auch die Tür nur durch Magie geöff­net wer­den.“ Erwar­tungs­voll drehte sie sich zum Drit­ten in ihrer Runde um. „Tu was Toruk!“, befahl sie ihm und bedeu­tete Korell zur Seite zu tre­ten, wäh­rend sie es selbst tat.
Toruk stand unsi­cher hin­ter ihnen und blickte zwi­schen dem hel­len Aus­gang und der sta­bi­len Tür hin und her.
„Nun mach schon!“, blaffte Korell und schubste ihn unsanft in Rich­tung der Tür.
Toruk stol­perte und prallte direkt dage­gen. Nach­dem er sich auf­ge­rich­tet hatte, fuhr er mit sei­nen Hän­den lang­sam über das Holz. „Die Tür ist nicht magisch, aber dahin­ter spüre ich Magie“, teilte er sei­nen Beglei­tern mit – oder eher sei­nen Auf­trag­ge­bern, denn er beglei­tete sie nur, weil sie keine Magie wir­ken konn­ten. „Geh Bei­seite!“, schnarrte Korell ihn erneut an, drän­gelte ihn weg und klopfte gegen das starre Holz. Auch Amara betas­tete die Tür erneut. Als ihre Fin­ger über die oberste Quer­strebe stri­chen, fühlte sie kleine Ver­tie­fun­gen. Sie schob Korell aus dem Weg und besah es sich genauer. „Toruk, kennst du diese Schrift?“, fragte sie schließlich.
Der Magier trat näher und strich mit den Fin­gern über den Fund. Er kon­zen­trierte sich, um jede Nuance zu erken­nen. „Da steht ‚Der Rechte links‘ und ‚Nord vor Süd‘“, über­setzte er schließ­lich und trat zurück.
„Was zum Hen­ker soll das nun schon wie­der hei­ßen?“, beschwerte sich Korell. Mit dem Rücken zur Tür stieß er genervt mit dem Ellen­bo­gen dagegen.
„Was war das?“, bemerkte Amara und lauschte.
„Was war was?“, fragte Korell verwirrt.
„Da war ein Kla­cken, wie ein Rie­gel, der sich gelöst hat! Was hast du gemacht?“, fuhr Amara ihn an.
„Ich? Nur gesto-“, wollte er demons­trie­ren, doch Toruk hielt seine Hand fest und schob sich an den bei­den Aben­teu­rern vorbei.
Mur­melnd wie­der­holte er die ein­ge­ritz­ten Worte und maß die Tür ab, dann klopfte er mit­tig auf der obe­ren Hälfte der Tür. Erneut klackte es. Als er unten klopfte, ent­rie­gelte sich die Tür kom­plett. Mit einem lau­ten Knar­ren gab sie den Weg in den Raum dahin­ter frei.
„Gut gemacht“, lobte Amara und klopfte ihm kräf­tig auf die Schul­ter, bevor sie die Tür auf­stieß und hineinging.
Der Raum war gefüllt von lau­ter hel­len Bla­sen, die wabernd durch die Luft tanz­ten und sich belie­big teil­ten und vereinten.
„Geschafft“, ent­fuhr es Amara auf­ge­regt. Sogleich stellte sie ihren Ruck­sack ab und holte eine nied­rige Schale dar­aus her­vor. Beim Auf­ste­hen stieß sie sie Toruk in die Rip­pen. „Tu, wozu wir dich mit­ge­bracht haben!“, befahl sie harsch und ging wei­ter in den Raum hinein.
„Seid vor­sich­tig, Amara!“, warnte der Magier, „sie wis­sen, wenn nicht-Magier sich an ihnen ver­ge­hen wollen!“
„Pap­per­la­papp. Ich lasse mir doch nicht die Beloh­nung ent­ge­hen, wenn wir zurück­kom­men und die Prin­zes­sin hei­len!“, wider­sprach sie und stellte sich direkt unter die Blasen.
„Ich bleibe hier hin­ten und halte Wache“, beschloss Korell, ein leich­tes Zit­tern in der Stimme.
„Weichei“, kom­men­tierte Amara ledig­lich, als Toruk sich vor sie stellte. Sie hielt die Schale unter Toruks aus­ge­streckte Hand. „Nun mach schon!“, drängte sie ihn.
„Ich will nicht, dass sie Euch trifft, Amara“, ver­suchte es Toruk erneut.
„Ich weiß, wie man einen Trop­fen auf­fängt!“, fuhr sie ihn fins­ter an.
Mit einem Seuf­zen berührte Toruk die Blase und schon zer­platzte sie und floss in die Schale. In ihrem Jubel machte Amara einen Schritt zurück, doch dort war­tete bereits eine Blase auf sie. Sie ließ die Schale fal­len und ihr Schrei hallte durch den wei­ten Raum. Mit der Rech­ten ver­suchte sie die geplatzte Blase weg­zu­wi­schen, doch ver­brannte sich statt­des­sen und schrie nur noch lau­ter. Korell stürmte ihr zur Hilfe und schob Toruk unwirsch Bei­seite. In sei­ner Hast traf sein Fuß die Schale und die Flüs­sig­keit spritzte sein Bein hin­auf. Seine Schreie über­tön­ten Ama­ras, als er sie beide zu Boden riss. Sie wälz­ten sich über den Boden und ver­such­ten die ätzende Flüs­sig­keit abzu­strei­fen. Über ihnen sam­mel­ten sich die Bla­sen und hiel­ten schließ­lich kom­plett inne. Dann flos­sen sie auf die bei­den herab.
Toruk betrach­tete das Schau­spiel von wei­tem. Hät­ten sie ihn bes­ser behan­delt, so hätte er sie deut­li­cher gewarnt, aber so tat es ihm nicht Leid, sie zu opfern; denn das war es, was diese Magie benö­tigte, um mäch­tig zu werden.
Als die magi­sche Essenz sich durch die Kno­chen gefres­sen hatte, form­ten sich erneut Bla­sen, die unbe­küm­mert nach oben schweb­ten. Doch nun waren sie von rot­schim­mern­der Schwärze, nun würde der Trank auch tat­säch­lich wir­ken. Nun würde er es sein, der die Prin­zes­sin ret­tete. Ohne Hast hob er die Schale auf und streckte seine Hand nach einer vor­bei­wa­bern­den Blase aus. Mit einem sat­ten Plat­schen lan­dete sie in dem Gefäß und für einen kur­zen Moment erblickte er Ama­ras und Korells schmerz­ver­zehr­tes, lee­res Ant­litz auf der ruhi­gen Oberfläche.

Anne Zandt / Poi­Son­PaiN­ter
Illus­tra­tion: Spu­ren­la­se­rin Kathi

Die Autorin:

Neben dem Blog­gen über ver­schie­denste The­men (z.B. Film/Buch & Konzert/Festival Reviews) auf ihrem Blog ran​dom​poi​son​.wor​d​press​.com, ver­öf­fent­licht Poi­Son­PaiN­ter / Anne Zandt auch (Kurz-)Geschichten, die meist der Phan­tas­tik zuzu­ord­nen sind. Gele­gent­lich trägt sie ein paar davon auf einer Lese­bühne vor. Im Bücher­stadt Kurier sind bereits zwei wei­tere ihrer Geschich­ten erschie­nen: „Feen­kleid“ und „Die Krippe“.

Ein Bei­trag zum Pro­jekt 100 Bil­der – 100 Geschich­ten – Bild Nr. 26.

Feen­kleid

Advents­ka­len­der 2016: Tür­chen 2

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1 comment

Ungreifbare Geschichte – Bücherstadt Kurier 2. April 2018 - 16:48

[…] Trü­ge­ri­sche Klarheit […]

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