Type 76 – Im Namen der Maschine!

by Worteweberin Annika

Eine Maschine orga­ni­siert das Leben der Men­schen und wird als Gott ange­be­tet. E. M. Forsters dys­to­pi­scher Ent­wurf einer maschi­nen­ge­steu­er­ten Zukunft aus dem Jahr 1909 klingt heute lei­der längst zu nor­mal, fin­det Worte­we­be­rin Annika. Sie hat dem Hör­spiel „Die Maschine steht still“ gelauscht.

Ein neues Zeit­al­ter der Gereizt­heit, Iso­la­tion und Apa­thie hat begon­nen, in dem es einen Knopf für alles gibt: für Lite­ra­tur, Bäder, Iso­la­tion, Kom­mu­ni­ka­tion, ja sogar für den Moment, wenn einem ein Wort nicht ein­fällt. Die Men­schen leben in unter­ir­di­schen Waben, ver­mei­den jeden per­sön­li­chen Kon­takt und „das Grauen des direk­ten Erle­bens“. Eine regel­mä­ßige nar­ko­lep­ti­sche Pause löscht alle unnüt­zen Gedan­ken der Men­schen aus – ein Reset, dem sich Kunó schließ­lich ent­zieht. Er ist von der Erd­ober­flä­che fas­zi­niert, trai­niert sich Mus­keln an, um der Wabe ent­kom­men zu kön­nen, bit­tet seine Mut­ter Vasháti gar um ein Tref­fen. „Wir haben einen Teil von uns ein­ge­büßt“, erzählt er ihr.

Wie Engel befreit, vom Makel der Persönlichkeit

Doch Vasháti schämt sich für ihren auf­müp­fi­gen Sohn, mit dem sie ja eigent­lich auch gar nichts mehr ver­bin­det. Fami­lie spielt in die­ser Welt keine Rolle, Mut­ter­pflich­ten enden mit der Geburt. Ganz kann Vasháti Kunós Worte aber nicht ver­ges­sen. Wäh­rend sich in den Waben die Aus­fall­erschei­nun­gen häu­fen und der mecha­ni­sche Glaube offi­zi­ell ein­ge­führt wird, geht ihr Kunós War­nung nicht aus dem Kopf: „Nicht mehr lange, und die Maschine steht still.“

„Aber wer braucht schon das Ori­gi­nal, wenn er ein dop­pelt so schar­fes Abbild haben kann. Abbil­der sind die wah­ren Bil­der der Wirklichkeit.“

So weit weg von uns ist sie nicht, diese Welt. Im Gegen­teil, im Jahr 2019 sind wir abhän­gig von man­nig­fal­ti­gen Maschi­nen, kön­nen viele unse­rer Pro­bleme per Knopf­druck lösen und legen mehr Wert auf Abbil­der – schöne Fotos auf Insta­gram zum Bei­spiel – als auf Erleb­nisse. Die­ser aktu­elle Hin­ter­grund macht E. M. Forsters Geschichte beson­ders beklem­mend. Fast hat man das Gefühl, als hätte er es geahnt. Die Tech­nik­ver­ses­sen­heit, an die Fors­ter beim Schrei­ben wohl dachte, liegt jedoch fern von den Fra­gen nach Künst­li­cher Intel­li­genz oder stän­di­ger Erreich­bar­keit, die uns heute beschäftigen.

Push ebx 16

Im Book­let des Hör­spiels fin­det sich ein erhel­len­der Text von NDR-Redak­teur Michael Becker, der Forsters Kurz­ge­schichte in den Kon­text der heu­ti­gen und der dama­li­gen Zeit ein­bet­tet. Außer­dem erklärt er die Unter­schiede zwi­schen der Hör­spiel­fas­sung und der ursprüng­li­chen Erzäh­lung, zum Bei­spiel das ver­än­derte Ende oder die Maschi­nen­spra­che, die Kubin die Figu­ren immer wie­der ein­wer­fen lässt. In einem Glos­sar wer­den alle Begriffe erklärt, zum Bei­spiel steht Jump FFT 8 für „mein Gott!“ und Push ebx 16 ist ein Aus­druck der Begeisterung.

Das Hör­spiel ent­stand unter der Regie von Felix Kubin, der auch die Bear­bei­tung und Kom­po­si­tion bei­steu­erte. Dass elek­tro­nisch-akus­ti­sche Expe­ri­mente sein Spe­zi­al­ge­biet sind, stellt er bei die­ser Pro­duk­tion ein­drucks­voll unter Beweis. Er ver­webt rhyth­mi­sche Elek­tro-Pop-Songs, futu­ris­ti­sche Reklame, Cho­räle, Sprech­chöre, Maschi­nen­ge­klap­per und Code­schnip­sel zu einem Hör­spiel mit Sog­wir­kung. Da kann man nur sagen: Jump FFT 8, ist das gut!

Die Maschine steht still. E.M. Fors­ter. Regie, Bear­bei­tung und Kom­po­si­tion: Felix Kubin. Spre­che­rIn­nen: Achim Buch, Susanne Sachsse, Rafael Sta­chowiak u.a. Pro­duk­tion: NDRkul­tur. DAV. 2019.

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