Über die Angewohnheit, das Ende immer zuerst zu lesen

by Worteweberin Annika

Anfang – Mitte – Ende, drum­herum zwei Buch­de­ckel. So funk­tio­nie­ren Bücher und so wer­den sie im Nor­mal­fall auch gele­sen. Trotz­dem gibt es viele Men­schen, die das Ende eines Romans gerne zuerst lesen. Eine Ange­wohn­heit, die Worte­we­be­rin Annika noch von sich selbst kennt.

„Und gemein­sam gin­gen sie durch das Tor zurück in die Muggelwelt.“

Wenn die Span­nung zu groß oder ich zu neu­gie­rig wurde, habe ich als Jugend­li­che nicht sel­ten im Roman vor­ge­blät­tert, um schnell mal auf die letzte Seite zu lin­sen. Kom­men Harry und seine Freunde heile zurück aus der Kam­mer des Schre­ckens? Wird Meg­gie ihre Mut­ter aus der Tin­ten­welt zurück­be­kom­men? Wie ergeht es Bilbo auf sei­ner Reise? Kommt T.S. Spi­vet recht­zei­tig in Washing­ton an? All das sind Fra­gen, die mir die Texte nicht früh genug beant­wor­ten woll­ten. Viel­leicht ein Grund, um schnell auf den letz­ten Satz zu linsen?

„Ich öff­nete die Tür und trat hin­aus ins Licht.“

Aus unse­rem zuneh­mend digi­ta­len All­tag sind wir es ja auch gewohnt, von Link zu Link zu sprin­gen, selbst gewis­ser­ma­ßen Schöp­fer unse­res eige­nen Tex­tes zu sein. Die meis­ten Romane hin­ge­gen for­dern uns nicht dazu auf, selbst krea­tiv zu wer­den, jeden­falls nicht in dem Sinne, dass wir über Rei­hen­folge und Fort­gang der Geschichte ent­schei­den dür­fen. Doch was bei Wiki­pe­dia geht, kann das nicht auch zwi­schen zwei Buch­de­ckeln funk­tio­nie­ren? Liegt es viel­leicht daran, dass wir das Abwar­ten heute nicht mehr gewohnt sind, dass viele Lesende sich vom Ende magisch ange­zo­gen fühlen?

„‚Dem Him­mel sei Dank!‘ sagte Bilbo und reichte ihm lachend die Tabakdose.“

Bei mir hatte es damit wohl eher nichts zu tun, beson­ders viel Zeit habe ich näm­lich nicht in die­sem Inter­net ver­bracht, in das man sich erst müh­sam ein­wäh­len musste, um dann gleich­zei­tig nicht mehr tele­fo­nie­ren zu kön­nen. Doch was die Gründe auch sein mögen, letzt­end­lich darf doch jeder lesen, wie er möchte. Für mich gehört es inzwi­schen zum Lesen dazu, mich vom Ende des Romans über­ra­schen zu las­sen. Andere lie­ben es viel­leicht, sich von hin­ten an eine Geschichte her­an­zu­tas­ten, und wer möchte ihnen das ver­bie­ten? Gründe für das gedul­dige Abwar­ten gibt es für mich trotzdem.

„Wie Mo schon gesagt hatte: Mit Zau­be­rei hat das Geschich­ten­schrei­ben eben auch zu tun.“

Oft hat es ja einen Grund, dass der Schluss am Schluss steht. Wer sich nicht an die vom Autor vor­ge­ge­bene Rei­hen­folge hält, ver­dirbt sich oft den Spaß daran, vom Text in die Irre geführt zu wer­den und sich ein­fach mal über­ra­schen zu las­sen. Sich dem Zau­ber der Geschichte hin­zu­ge­ben, die Kon­trolle an den Text und sei­nen Autor abzu­ge­ben und sich durch eine fremde Welt füh­ren zu las­sen, kann eben viel Spaß machen. Ich jeden­falls bin über­zeugt davon, dass letzte Sätze viel an Gewicht gewin­nen, wenn man ihnen ihren Platz am Ende zugesteht.

P.S.: Für Neu­gie­rige: Die Zitate sind die letz­ten Sätze aus den fol­gen­den Roma­nen (von denen es sich lohnt, auch mehr als nur das Ende zu lesen):

  • Harry Pot­ter und die Kam­mer des Schre­ckens. J.K. Row­ling. Aus dem Eng­li­schen von Klaus Fritz. Carl­sen. 2002.
  • Die Karte mei­ner Träume. Reif Lar­sen. Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Man­fred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer. 2009.
  • Der Hob­bit. J.R.R. Tol­kien. Aus dem Eng­li­schen von Wolf­gang Krege. Klett-Cotta. 1997.
  • Tin­ten­herz. Cor­ne­lia Funke. Dress­ler. 2003.

Ein Bei­trag zur Blog­pa­rade #schra­e­ge­sEnde von schraeg­le­sen.

Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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11 comments

Ich hasse Enden. | schraeglesen 13. Dezember 2017 - 22:45

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Traumfänger mit losen Enden | schraeglesen 13. Dezember 2017 - 22:46

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Blogparade: Ende? | schraeglesen 13. Dezember 2017 - 22:47

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Ende? Anfang. | schraeglesen 13. Dezember 2017 - 22:48

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Das Ende ist der Anfang – Bücherstadt Kurier 14. Dezember 2017 - 21:13

[…] Über die An­ge­wohn­heit, das Ende im­mer zu­erst zu lesen […]

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Ein Kreis hat kein Ende | schraeglesen 18. Dezember 2017 - 16:34

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Montagsfrage: Wenn ich am Ende bin | schraeglesen 20. Dezember 2017 - 19:25

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Do-it-yourself-Ende | schraeglesen 20. Dezember 2017 - 19:30

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In Endlosschleife | schraeglesen 26. Dezember 2017 - 8:39

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Endgame: Computerspiele bewahren? | schraeglesen 3. Januar 2018 - 14:19

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schraegesEnde: Eine Playlist | schraeglesen 15. Januar 2018 - 17:43

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