Verzeihung, aber: Was hat das Schwein hier zu suchen?

by Zeilenschwimmerin Ronja

Robert Men­asse wurde für „Die Haupt­stadt“ mit dem Deut­schen Buch­preis 2017 aus­ge­zeich­net. Der Roman wird als der wohl erste Euro­pa­ro­man gefei­ert. Zei­len­schwim­me­rin Ronja will auch noch ihren Senf dazu geben.

In Brüs­sel tref­fen sich die ver­schie­dens­ten euro­päi­schen Natio­na­li­tä­ten. Europa, das ist der Gedanke der Zusam­men­ar­beit, der Soli­da­ri­tät und Freund­schaft. Im All­tag sind die Kom­mis­sion, Aus­schüsse und Arbeits­grup­pen jedoch oft geprägt von Riva­li­tät, fau­len Kom­pro­mis­sen und rei­nem Kar­rie­re­den­ken. Davon erzählt „Die Haupt­stadt“. Das ver­nach­läs­sigte Kul­tur­res­sort will das Image der euro­päi­schen Kom­mis­sion auf­bes­sern, doch das Pro­jekt scheint zum Schei­tern ver­ur­teilt. Gleich­zei­tig ver­lässt ein Holo­caust-Über­le­ben­der nach sech­zig Jah­ren seine Woh­nung, um in eine Senio­ren­re­si­denz zu zie­hen. Ein Auf­trags­mör­der erschießt schein­bar die fal­sche Per­son, der ermit­telnde Kom­mis­sar wird in den Urlaub geschickt und ein her­ren­lo­ses Schwein rennt durch die Stadt.

Der Roman beginnt viel­ver­spre­chend. Ein ren­nen­des Schwein ver­bin­det alle Figu­ren mit­ein­an­der, sie alle beob­ach­ten sei­nen Weg von ihrem jewei­li­gen Stand­ort. Eine zugleich wit­zige und kunst­volle Ein­füh­rung. Men­as­ses Schreib­stil ver­mag es durch­aus zu fes­seln, ins­be­son­dere der Beginn des ers­ten Kapitels:

„Wer hat den Senf erfun­den? Das ist kein guter Anfang für einen Roman. Ande­rer­seits: Es kann kei­nen guten Anfang geben, weil es, ob gut oder weni­ger gut, gar kei­nen Anfang gibt. Denn jeder denk­bare erste Satz ist bereits ein Ende – auch wenn es danach wei­ter­geht. Er steht am Ende von Aber­tau­sen­den von Sei­ten, die nie geschrie­ben wur­den: der Vor­ge­schichte.“ (S. 17)

Recht schnell wurde aus mei­ner Fas­zi­na­tion jedoch Ver­wir­rung. Wer war diese Figur noch mal? In wel­cher Ver­bin­dung ste­hen die Figu­ren zuein­an­der? Wohin führt die­ser Roman? Und was hat jetzt die­ses Schwein damit zu tun? Zu allem Über­fluss feh­len wie­der ein­mal die Anfüh­rungs­zei­chen. Jedes Jahr das­selbe Schau­spiel beim Buch­preis. Was hat euch das Anfüh­rungs­zei­chen denn getan? Wäh­rend man­che Texte ohne es gut aus­kom­men, wurde meine Ver­wir­rung in die­sem Fall nur noch grö­ßer. Was ist wört­li­che Rede, was Gedanke, was Erzähl­text? Und wer spricht hier eigent­lich? Bereits vor der Hälfte des Romans hatte ich den Ein­druck, etwas Ent­schei­den­des ver­passt zu haben.

Zu viel des Guten

Auch wenn ich Men­as­ses Schreib­stil eigent­lich loben will, denn er ist durch­aus prä­zise und ele­gant, hat er mich in Ver­bin­dung mit den ver­schie­de­nen Hand­lungs­strän­gen, Exkur­sen und Figu­ren gleich­zei­tig im Lee­ren hän­gen las­sen. Der auf dem Buch­rü­cken ange­prie­sene „weite Bogen zwi­schen den Zei­ten, den Natio­nen, dem Unaus­weich­li­chen und der Iro­nie des Schick­sals, zwi­schen klein­li­cher Büro­kra­tie und gro­ßen Gefüh­len“ ist in der Tat ein sehr wei­ter Bogen.

„Die Haupt­stadt“ ist mit Sicher­heit ein Euro­pa­ro­man. Kein Wun­der, schließ­lich ist Robert Men­asse ein beken­nen­der Euro­päer, wie auch in sei­ner Dan­kes­rede bei der Preis­ver­lei­hung deut­lich wird. So gern ich einen pro-euro­päi­schen Roman und des­sen Autor auch unter­stüt­zen möchte, kann ich eben doch nicht behaup­ten, dass mich „Die Haupt­stadt“ mit­ge­ris­sen und begeis­tert hätte.

Die Haupt­stadt. Robert Men­asse. Suhr­kamp. 2017.
Erhält­lich in der Buch­hand­lung eures Vertrauens.

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1 comment

Du sollst nicht lügen – Bücherstadt Kurier 9. März 2019 - 13:35

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