Vier nicht-gruselige Monster und eine Bücherstädterin

by Zeichensetzerin Alexa

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Mons­ter und Gespens­ter sind gru­se­lig! Ist doch klar! Und wer jetzt etwas ande­res behaup­tet, der hat bestimmt zu viele die­ser Bücher gele­sen und Filme geschaut, die Mons­ter als fried­li­che Wesen dar­stel­len: „Shrek“, „Gespens­ter­jä­ger“, „Die Mons­ter AG“ und schließ­lich „Ksss!“ – in die­sen Geschich­ten fun­gie­ren kleine und große Mons­ter als nicht-ang­st­ein­flö­ßende Hel­den. Ich habe es mir zur Auf­gabe gemacht, mehr über ihre Per­sön­lich­kei­ten herauszufinden.

Da sit­zen wir also: Vor mir dampft eine Tasse mit grü­nem Tee. Zumin­dest soll es einer sein, wie mir ver­si­chert wurde. Nur sieht die­ser Tee recht merk­wür­dig glib­be­rig-schlei­mig aus, wes­halb ich mich noch nicht getraut habe, ihn zu pro­bie­ren. Spä­ter viel­leicht. Gerade bin ich eher auf das Mons­ter mir gegen­über fixiert: Ein gro­ßer, grü­ner Aug­ap­fel. Michael „Mike“ Glotz­kow­ski heißt die­ses Wesen, das mich erwar­tungs­voll anstarrt. Es reicht gerade so weit über die Tisch­kante, dass nur sein über­di­men­sio­nal gro­ßes Auge zu erbli­cken ist. Zumin­dest kann er auf diese Weise nichts ver­pas­sen. Denn das will Mike ganz sicher nicht. Seine Neu­gier auf das, was kom­men mag, ist nicht zu übersehen.
Bald hält er es nicht mehr aus und setzt zu einer Frage an. Doch noch bevor er einen Laut von sich geben kann, tropft ihm grü­ner Schleim auf den Kopf. Seine Miene ver­än­dert sich schlag­ar­tig. Das große Auge blickt hin­auf und ent­deckt Hugo. Das kleine Gespenst fällt von der Decke und krümmt sich vor Lachen. „Sei doch nicht so miss­mu­tig“, kichert er. „Grün auf Grün sieht man eh nicht!“ In sein Lachen stimmt nun auch der neben mir sit­zende Shrek, der toll­kühne Held, ein. Noch vor weni­gen Augen­bli­cken hat er gelang­weilt den Kopf in die Hände gestützt. Er wäre wohl ein­ge­schla­fen, hätte Hugo ihn nicht zum Lachen gebracht. „Schleim ist wie Schlamm und somit immer gut!“, bestä­tigt er. „Ich nehme gerne ein Schlammbad!“
Mike sieht alles andere als begeis­tert aus.
„Ach komm, nimm das doch nicht so per­sön­lich!“, meint Hugo dar­auf und wischt ihm mit bei­den Hän­den den Schleim vom Kopf – nicht, ohne wei­te­ren zu hinterlassen.
„Schon gut, schon gut! Lass das!“, ver­sucht sich Mike zu weh­ren. Er fuch­telt mit sei­nen dün­nen Ärm­chen, um Hugo wie eine läs­tige Fliege zu ver­trei­ben. Die­ser fliegt kichernd zur Seite und will gerade den Platz neben Mike ein­neh­men, als ein piep­si­ges „Ksss!“ ertönt.
Über­rascht blickt Hugo auf den Stuhl. „Ksss!“, macht das kleine Wesen erneut. Es ist so klein, dass es nicht ein­mal bis zum Tischrand reicht. Kein Wun­der also, dass Hugo ihn nicht gese­hen hat. „Oh, klei­nes Mons­ter, wer bist du denn?“ „Ksss!“ „Ich tue dir ja nichts, du kannst mir gerne dei­nen Namen ver­ra­ten! Also ich bin Hugo.“ Die Ant­wort bleibt die glei­che. Bis Shrek genervt mit sei­ner gro­ßen Hand über sein Oger-Gesicht fährt und eine Mischung aus Grum­meln und Seuf­zen aus­stößt. „Das ist sein Name. Ksss ist sein Name.“ Er reicht dem Klei­nen die Hand, auf die er ohne zu zögern springt. Vor­sich­tig lässt Shrek das kleinste aller anwe­sen­den Mons­ter auf den Tisch herab.
„Ah! Ver­stehe, Ksss also!“ Hugo ent­schul­digt sich für seine Unauf­merk­sam­keit und nimmt auf einem ande­ren Stuhl Platz – bezie­hungs­weise dar­über. Schwe­ben gehört näm­lich zu sei­nem Haupt­merk­mal, das ich mir sogleich notiere.
Wäh­rend ich schreibe, kehrt plötz­lich Ruhe ein. Vier grüne Mons­ter schauen mich erwar­tungs­voll an. Ich lege den Stift ab und lehne mich zurück. „Nun, ich freue mich, dass ihr die Zeit gefun­den habt, den Ter­min wahr­zu­neh­men. Ich schreibe näm­lich gerade einen wich­ti­gen Arti­kel für den Bücher­stadt Kurier – und möchte euch ein paar Fra­gen stellen.“
„Für den Bücher­stadt – was?!“, fragt Mike.
„Kulier“, ant­wor­tet Ksss mit sei­ner piep­si­gen, dün­nen Stimme.
„Kurier“, kor­ri­giere ich.
„Was soll’n das sein?“, will Hugo wissen.
Shrek seufzt. „Das ist ein Zei­tungs­bote, ist doch klar. Die da ist sowas wie ne Repor­te­rin und will der gan­zen Welt unsere Geheim­nisse verraten.“
Hugo und Mike schre­cken laut ein­at­mend zurück.
Ksss hüpft auf und ab. „Habe kein Geheim­nis“, behaup­tet er.
„Jeder hat ein Geheim­nis“, ent­geg­net Shrek. Nun lehnt auch er sich zurück und ver­schränkt die Arme vor der Brust. „Aber aus mir bekommt sie nichts heraus.“
Ich kann mir ein Lächeln nicht ver­knei­fen. Natür­lich habe ich mit so einer Reak­tion gerech­net. Ich greife zu mei­nem Ruck­sack und hole ein paar Dosen und Fläsch­chen her­aus. Wäh­rend ich eine nach der ande­ren öffne, sage ich: „Ich möchte nicht über eure Geheim­nisse schrei­ben, son­dern über eure Geschich­ten. Erzählt mir von euren Monstererfahrungen!“
„Oran­gen­saft!“ Hugo fliegt an die Decke. „Sie will mich umbrin­gen! Hilfe!“
Mike nimmt einen gro­ßen Schluck, dann einen zwei­ten. „Keine Sorge, das ist Karot­ten­saft. Lecker.“ Ksss ent­deckt die Dose mit den Obst­stück­chen – vor allem Bana­nen schei­nen ihm zu schme­cken – wäh­rend der Oger zum Fleisch greift. Hugo ist zwar noch skep­tisch, nimmt jedoch wie­der Platz über sei­nem Stuhl.
„Ich möchte nur über eure Hel­den­ta­ten berich­ten“, ver­su­che ich es erneut. „Ihr möch­tet doch bestimmt, dass die Welt davon erfährt, oder?“
„Hm“, grum­melt Shrek. Er rülpst laut.
„Ihhh“, macht Hugo. Mike hält sich die Nase zu.
„Naja“, beginnt Ksss, ohne auf Shreks Ver­hal­ten ein­zu­ge­hen. „In Wahr­heit bin ich kein Held. Ich bin ja noch nicht ein­mal gru­se­lig. In Wahr­heit ver­ste­cke ich mich in der Gar­de­robe einer Schule…“
Kaum hat Ksss das aus­ge­spro­chen, zie­hen Mike und Hugo eine mit­leids­volle Miene. Ich ahne, wes­halb, und bekomme sogleich die Bestä­ti­gung. „Ich bin auch nicht son­der­lich gru­se­lig“, gibt Hugo zu. „Ich schaffe es nicht, andere zu erschre­cken. Nur ein Mal ist mir das bis­her gelun­gen. Aber das lag wohl an der fins­te­ren Umge­bung. Ich habe mei­nen Men­schen­freund näm­lich im Kel­ler kennengelernt.“
„Men­schen­freund!“ Mike macht ein gro­ßes Auge. „Ich habe auch einen Men­schen­freund! Es ist ein klei­nes Mäd­chen, das sich ein­fach nicht erschre­cken lässt. Es hat keine Angst vor Mons­tern. Aber gru­se­lig bin ich schon ein wenig. Schließ­lich lerne ich jede Menge Tak­ti­ken und Metho­den in der Mons­ter Uni!“
Da wird Shrek hell­hö­rig. „Mons­ter Uni?! So etwas soll es geben?“
„Natür­lich! Wenn ich fer­tig bin, werde ich ein rich­ti­ges, schreck­li­ches Monster!“
Shrek starrt Mike einen Moment lang an – und prus­tet dann los. „Mons­ter Uni! So ein Quatsch!“ Er muss sich vor lau­ter Lachen die große Hand auf den dicken Bauch legen. „Mons­ter Uni…“, sagt er immer wie­der, den Kopf schüt­telnd, die Lach­trä­nen weg­wi­schend, den Bauch haltend.
Sein Anblick ist anste­ckend. Schließ­lich müs­sen auch Ksss und Hugo lachen. Aber nicht lange. Denn das große Auge Mikes nimmt eine zuneh­mend bedroh­li­che Form an. Schließ­lich räus­pert sich Ksss. „Ich denke, dass eine Mons­ter Uni sehr lehr­reich sein kann. Meine Men­schen­freunde gehen auch auf eine Art Uni. Sie nen­nen es Schule. Und da ler­nen sie auch was. Und der Leh­rer ist da sehr streng. Ein­mal haben Lise und Paul ver­ges­sen, das Licht in der Gar­de­robe aus­zu­ma­chen – da hat es gro­ßen Ärger gegeben!“
„Mein Men­schen­freund geht auch zur Schule“, meint Hugo.
Shrek schüt­telt den Kopf und lässt seine große Faust auf den Tisch fal­len, sodass der kleine Ksss umfällt. „Das ist doch ein Mär­chen. Mons­ter­sein lernt man nur durch Mons­ter­sein – und das funk­tio­niert nur im wah­ren Leben. Im wah­ren Leben muss man Prin­zes­sin­nen ret­ten, im Schlamm baden und so tun als sei man schreck­lich. In der Schule lernt man höchs­tens, wie man sich ordent­lich anzu­zie­hen hat, wie man gerade sitzt und all so einen Quatsch…“
„Das stimmt nun wirk­lich nicht“, beginnt Mike, unter­bricht sich jedoch selbst und schaut mich auf­for­dernd an – so als erwarte er, dass ich die­sen Streit schlichte. Warum aber sollte ich das tun, wenn ich auf diese Weise wert­volle Infor­ma­tio­nen bekomme? Mit denen sie wahr­schein­lich so nicht her­aus­ge­rückt wären. Und falls doch, dann nur verfälscht.
Ich gebe mich jedoch geschla­gen. „Was hat es denn mit euren Men­schen­freun­den auf sich?“, frage ich. Wie­der beginnt Ksss mit sei­ner Erzäh­lung: „Meine Freunde hel­fen mir, mich zu ver­ste­cken, und brin­gen mir immer wie­der Essen. Und dann unter­stüt­zen sie mich dabei, schreck­lich ang­st­ein­flö­ßend zu wer­den. Denn erst dann kann ich wie­der zurück in meine Welt.“
„Oh“, macht Hugo. „Mein Men­schen­freund unter­stützt mich auch. Er hat mir sogar ein­mal das Leben geret­tet, indem er mich wie­der nach Hause gebracht hat.“
Mike nickt, sein gro­ßes Auge wackelt vor und zurück. „Und ich musste mal mit mei­nem Mons­ter­freund das kleine Mäd­chen ret­ten. Bezie­hungs­weise immer wie­der retten.“
„Hm“, macht Hugo. „Men­schen­freunde sind schon was Tol­les!“ Er schaut zu Shrek. „Was ist mit dir? Hast du auch einen Menschenfreund?“
Shrek seufzt. Es ist ihm anzu­se­hen, dass es ihm wider­strebt, etwas von sich zu erzäh­len. Doch er reißt sich zusam­men. „Fiona ist mein Men­schen­freund. Naja, ein Mensch war sie frü­her. Aber dann hat sie sich ent­schie­den, ein Oger wie ich zu blei­ben – und den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen.“
„Oh lala!“, macht Mike. „Ver­liebte!“
Shrek klatscht sich die Hand auf die Stirn und schüt­telt den Kopf. „So etwas kannst du nicht verstehen.“
„Natür­lich kann ich das!“, behaup­tet Mike.
Erneut ent­flammt eine Dis­kus­sion. Ich lehne mich zurück, notiere mir alles, was mir als wich­tig erscheint und trinke nun doch die­sen glib­be­ri­gen grü­nen Tee, den mir Hugo zu Beginn ein­ge­schenkt hat. Eine woh­lige Wärme brei­tet sich in mir aus. Bald schon beginnt mich das Schau­spiel, das sich mir hier bie­tet, zu amü­sie­ren. Manch­mal muss ich kichern. Der grüne Tee scheint meine Laune erheb­lich zu bes­sern, also trinke ich einen wei­te­ren Schluck und noch einen und noch einen und... dann wird meine Sicht auf ein­mal unscharf. Alles dreht sich. Mir fällt der Stift aus der Hand – sind meine Hände etwa grün?! – und ich schaffe es gerade noch, mich mit bei­den Hän­den am Tisch abzu­stüt­zen, bevor es vor mei­nen Augen schwarz wird.

„Pssst!“, höre ich. Jemand schüt­telt mich. „Wach auf!“ Ich öffne die Augen und sehe noch ver­schwom­men ein Gesicht über mir. „Was…“, beginne ich und ver­su­che auf­zu­ste­hen. Mir wird sofort wie­der schwin­de­lig. „Was ist passiert?“
Die Frau­en­stimme lacht. Jetzt erkenne ich sie. Es ist Erzähl­de­tek­ti­vin Annette, die ant­wor­tet: „Was auch immer die klei­nen, harm­lo­sen Mons­ter­chen dir ein­ge­schenkt haben, es war sicher­lich kein grü­ner Tee. Aber keine Sorge, ich nehme die Spur auf und finde sie alle – jede ein­zelne ver­schwun­dene Geschichte!“

Zei­chen­set­ze­rin Alexa
Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

Den grü­nen Mons­tern auf der Spur:
Ksss! Lise, Paul und das Gar­de­ro­ben­mons­ter. Daniele Meocci. Illus­tra­tion: Bernd Leh­mann. Orell Füssli. 2015. / Gespens­ter­jä­ger auf eisi­ger Spur. Cor­ne­lia Funke. Loewe. 2009. / Die Mons­ter AG. Regie: Peter Doc­ter, David Sil­ver­man, Lee Unk­rich. Dreh­buch: Dan Gerson, Andrew Stan­ton u.a. USA, 2001. / Shrek – Der toll­kühne Held. Regie: Andrew Adam­son, Vicky Jen­son. Dreh­buch: Ted Elliott, Terry Ros­sio u.a. USA, 2001.

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3 comments

Natalia 30. Oktober 2016 - 20:40

:=) !!!

Reply
Monster, Trolle, Grumbuck! – Bücherstadt Kurier 13. August 2017 - 13:01

[…] Vier nicht-gru­se­lige Mons­ter und eine Bücherstädterin […]

Reply
Lennart Weissbach 19. März 2020 - 8:02

Hallo Ted Elliott Fluch der Kari­bik ist cool

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