Vollmond

by Bücherstädterin Kathrin

Es war klir­rend kalt. Der Atem des jun­gen Man­nes ent­wich in klei­nen, wei­ßen Wölk­chen, die zum Nacht­him­mel auf­stie­gen. Der Wind trug sie fort, um sie im Nichts ver­schwin­den zu las­sen. Er schlug den Kra­gen sei­nes Man­tels hoch und hauchte in seine Hände, um sich wenigs­tens etwas zu wärmen.
Lang­sam ging der Mond auf. Die runde, weiße Scheibe hing für einen kur­zen Moment zwi­schen den Ästen der alten knor­ri­gen Eiche, als würde sie ihn dort gefan­gen hal­ten. Er befreite sich aus die­sem Gefäng­nis und stieg wei­ter zum Him­mel auf. Jetzt hatte er sei­nen höchs­ten Stand erreicht.
Der junge Mann hob den Blick. Hell spie­gelte sich das Licht in sei­nen Augen. Bei der Betrach­tung des Voll­mon­des begann sein Kör­per zu zucken. Ein qual­vol­ler Schrei ent­fuhr sei­ner Kehle, als er jeden Kno­chen ein­zeln bre­chen und sich neu zusam­men­set­zen fühlte. Der Schrei ver­hallte in der Nacht. Mus­keln zogen sich qual­voll zusam­men, Gelenke knack­ten und sein Rücken wölbte sich unter Schmer­zen. Das Licht des Mon­des tauchte alles in ein gespens­ti­sches Weiß.
Bevor ihm ein erneu­ter Laut ent­fuhr, knirschte der junge Mann mit den Zäh­nen. Er ver­suchte sich zu kon­trol­lie­ren, presste die Lip­pen zusam­men und unter­drückte einen neu auf­kei­men­den Schrei, der sich in die Frei­heit kämp­fen wollte. Hof­fent­lich war heute Nacht nie­mand unter­wegs, der ihn hörte oder gar sah. Diese Begeg­nung wäre für beide Betei­lig­ten nicht angenehm.
Seine Zähne schlu­gen auf­ein­an­der, als sich sein Kör­per wei­ter trans­for­mierte. Ein letz­ter mar­kerschüt­tern­der Schmer­zens­schrei, dann hatte er die Ver­wand­lung hin­ter sich.
Erleich­tert atmete er auf. Die Schmer­zen waren vorüber.
Er blickte sich um.
Er war allein.
Seuf­zend befreite er sich aus dem Kla­mot­ten­berg und sprang über die rote Woll­so­cke, die er, wie die rest­li­che Klei­dung, zurück­las­sen musste.
Ein wei­te­rer Sprung über einen der blauen, aus­ge­latsch­ten Snea­ker, der nun über­di­men­sio­nal groß wirkte, und er war frei. Er blickte an sich hin­un­ter und hob eine ehe­ma­lige Hand prü­fend vor sein Gesicht. Zwi­schen sei­nen Fin­gern hat­ten sich grüne Schwimm­häute gebil­det. An den Fin­ger­spit­zen prang­ten ebenso grüne Knub­bel. Kleine bläu­li­che, kreis­runde Fle­cken ver­zier­ten seine Arme und eine Art bräun­li­cher Flaum war zu erkennen.
Seine Augen ver­eng­ten sich zu Schlit­zen, dann ließ er sei­nen Blick prü­fend in die Ferne schwei­fen. Dun­kel zeich­nete sich seine Sil­hou­ette vor dem Voll­mond ab, der nun direkt über den Fel­sen stand.
Er machte sich bereit, öff­nete seine Lip­pen und …
Ein lau­tes „Quark“ ent­fuhr ihm.
Erschro­cken zog er den Kopf zwi­schen die Schul­tern, warf pein­lich berührt vor­sich­tig einen Blick nach hinten.
Er zuckte beschämt zusam­men, als sein eben erzeug­ter Laut von den umlie­gen­den Fel­sen hun­dert­fach zurück­ge­wor­fen wurde.
Quark … Quark … uark … uark … ark … ark … rk … rk …, schallte es ihm entgegen.
Er kniff ver­le­gen die Lip­pen zusam­men, als er arg­wöh­nisch unter sei­nen Schwimm­häu­ten her­vor blin­zelte, die er schüt­zend vor seine Glub­sch­au­gen gelegt hatte.
End­lich ver­hallte die­ser bla­ma­ble Fehl­ver­such in der Dunkelheit.
Er atmete tief durch, klopfte sich mehr­mals mit der Faust auf die Brust und machte ein paar ein­fa­che Stimmübungen.
„Mi-mi-miiiii“
Dann räus­perte er sich ein letz­tes Mal, hob den Kopf dra­ma­tisch in den Nacken und spitze kurz die Lip­pen. Mit aller Kraft, die ihm zur Ver­fü­gung stand, riss er den Mund auf.
„AAAAAA-UUUUUUU-UUHHH!!!“, schallte es mäch­tig aus ihm hervor.
Wenn man genau lauschte, ver­nahm man sogar die drei sorg­sam von ihm ange­füg­ten Aus­ru­fe­zei­chen, auf die er beson­de­ren Wert legte. Sie ver­lie­hen dem Jau­len, nun ja, einen gewis­sen Nach­druck. Sein Ruf wurde so mäch­tig von dem Gestein zurück geschmet­tert, dass es ihn fast von allen Vie­ren riss.
Mit stolz­ge­schwell­ter Brust sah er sich um. Aner­ken­nend klopfte er sich selbst auf die Schul­ter. Hätte er Augen­brauen beses­sen, er hätte sie wohl­wol­lend – aus tiefs­tem Eigen­lob her­aus – mehr­mals in die Höhe schnel­len lassen.
„Das“, dachte er, „war doch defi­ni­tiv ein Gebrüll, wie es einem Wer­frosch wür­dig ist!“
Er warf noch einen sehn­süch­ti­gen Blick zum Voll­mond hin­auf, dann hüpfte er unter pat­schen­den Geräu­schen zufrie­den in die Nacht.

Bücher­städ­te­rin Kathrin
Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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