Vom Bahnhof in die große Welt

by Worteweberin Annika

Was muss pas­sie­ren, damit ein voll­kom­men zurück­ge­zo­ge­ner Mensch plötz­lich auf­ge­rüt­telt wird und seine Lebens­freude zurück­ge­winnt? Viel­leicht muss ein­fach mal die Liebe bei ihm anklop­fen! Das jeden­falls pas­siert in „Die wun­der­same Reise eines ver­lo­re­nen Gegen­stands“ von Sal­va­tore Basile. Worte­we­be­rin Annika hat das Hör­buch in der Lesung von Annina Braun­mil­ler-Jest gehört.

Der drei­ßig­jäh­rige Michele arbei­tet und lebt an einem klei­nen ita­lie­ni­schen Bahn­hof, den er auch sonst nicht ver­lässt. Zwei Mal am Tag, ein­mal mor­gens, ein­mal abends, hält hier ein Zug. Jeden Abend kon­trol­liert Michele, ob im Zug etwas lie­gen­ge­blie­ben ist, danach kocht er sich eine Suppe. Die ver­lo­re­nen Gegen­stände bewahrt er in sei­ner Woh­nung auf, wo sie ihm die ein­zige Gesell­schaft sind, mit der er sich wohlfühlt.

So geht es jeden Tag, bis plötz­lich Elena vor sei­ner Tür steht, die plap­pert wie ein Was­ser­fall und durch Miche­les beschau­li­ches Leben wir­belt. Sie bringt ihn dazu, seit vie­len Jah­ren zum ers­ten Mal das Bahn­hofs­ge­lände zu ver­las­sen und seine Gewohn­hei­ten zu hin­ter­fra­gen. Und sie gibt ihm den Mut, nach sei­ner Mut­ter zu suchen, die die Fami­lie ver­ließ, als Michele noch ein Kind war. Um sie wie­der­zu­fin­den, muss Michele sich auf eine Reise durch Ita­lien bege­ben, bei der er eini­ges über sich und das Leben lernt.

Die Figu­ren Elena und Michele erschei­nen sehr lie­bens­wür­dig und Annina Braun­mil­ler-Jest gelingt es in der Lesung gut, bei­den Figu­ren Cha­rak­ter zu ver­lei­hen. Auch wenn man daran zwei­feln kann, ob es jeman­den wie Michele im rich­ti­gen Leben geben könnte, macht es Spaß, seine Ver­wand­lung mit­zu­ver­fol­gen und mit ihm auf Rei­sen zu gehen. Auch die ande­ren Figu­ren, die Michele wäh­rend sei­ner Reise ken­nen­lernt, sind inter­es­sant und machen die Geschichte abwechs­lungs­reich, zum Bei­spiel seine plötz­lich auf­tau­chende Schwes­ter mit dem put­zi­gen Sohn, der mit einem Fern­glas nach Eis­bä­ren Aus­schau hält.

Doch es gibt auch Kri­tik­punkte an Miche­les Geschichte. Nach nur eini­gen kur­zen Gesprä­chen ist ihm und Elena klar, dass sie ein­an­der unend­lich lie­ben. Da beide Figu­ren schrul­lig sind und Michele außer­dem nicht gerade geübt im Umgang mit Men­schen, gibt es einige Miss­ver­ständ­nisse zwi­schen den bei­den – die aber nichts daran ändern, dass beide sich immer sicher sind, in ein­an­der die große Liebe gefun­den zu haben.

Wor­über aber nicht gere­det wird, so dass man die bei­den manch­mal am liebs­ten anstup­sen würde, damit sie end­lich zuein­an­der fin­den kön­nen. Diese unaus­ge­spro­chene Sicher­heit zwi­schen den Lie­ben­den wirkt über­trie­ben und erscheint nicht beson­ders glaub­wür­dig. Gleich­zei­tig macht sie die Geschichte stel­len­weise sehr vor­her­seh­bar und lang­at­mig. So ist das Hör­buch von „Die wun­der­same Reise eines ver­lo­re­nen Gegen­stands“ eine nette Unter­hal­tung für zwi­schen­durch und dürfte zum Bei­spiel Fans von „Das Rosie-Pro­jekt“ gut gefal­len, ver­mag aber nicht kom­plett zu fesseln.

Die wun­der­same Reise eines ver­lo­re­nen Gegen­stands. Sal­va­tore Basile. Gekürzte Lesung mit Annina Braun­mil­ler-Jest. Ran­dom House Audio. 2017.

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