Was kommt nach dem Hype

by Worteweberin Annika

Nach dem Erfolg von Bene­dict Wells‘ „Vom Ende der Ein­sam­keit“ wurde sein neuer Band mit Geschich­ten von vie­len sehn­süch­tig erwar­tet. Ob „Die Wahr­heit über das Lügen“ die­sen Erwar­tun­gen gerecht wird? Worte­we­be­rin Annika war, um ehr­lich zu sein, nicht rest­los überzeugt.

In sei­nen Geschich­ten schreibt Wells über die Wahr­heit und dar­über, wie man sie erkennt. Und über das Lügen, soviel ver­rät ja schon der Titel. Über die klei­nen Lebens­lü­gen, die wir uns selbst und ande­ren erzäh­len, aber auch über grö­ßere. Das sind leise Geschich­ten, die da erzählt wer­den, und es braucht ja auch nicht immer eine große Block­bus­ter-Span­nung. Es geht um Erin­ne­run­gen an das Grund­schul­heim, das Ende einer Ehe, das ver­bun­den ist mit dem Ende einer Fliege, um die Ent­schei­dung zwi­schen Liebe und Kunst, um das Sterben.

„Sie dachte an ihren ver­stor­be­nen Mann. Wenn ihre Erin­ne­rung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klas­si­ker, der noch jeden Abend lief.“ (S. 92)

Das Herz­stück des Ban­des bil­det die titel­ge­bende Erzäh­lung „Das Fran­chise oder: Die Wahr­heit über das Lügen“. Wells erzählt darin von einem geschei­ter­ten jun­gen Dreh­buch­au­tor mit einer per­sön­li­chen Fehde gegen George Lucas, der mit einem Auf­zug ins Jahr 1973 zurück­reist und dem Star-Wars-Erfin­der seine Idee vor­weg­nimmt. Wel­che Aus­wir­kun­gen diese Lüge auf sein Leben, aber auch das der ande­ren, hatte, erzählt der inzwi­schen sehr Erfolg­rei­che einem Jour­na­lis­ten im Inter­view. Die Idee zu die­ser Geschichte ist inter­es­sant, zumal das Ende vage bleibt, aber es bleibt doch eine Spie­le­rei. Ins­be­son­dere von der titel­ge­ben­den Erzäh­lung hätte man mehr erwar­ten können.

Inter­es­san­ter ist da viel­leicht „Ping Pong“, worin es um zwei Per­so­nen geht, die in einem Kel­ler nur mit einer Tisch­ten­nis­platte ein­ge­schlos­sen sind. Das Auf­schla­gen des Bal­les wird zum Rhyth­mus ihres Lebens, wäh­rend die Luft immer dicker wird – beide sind sich sicher, dass nur der ent­kom­men kann, der das ent­schei­dende Spiel gewinnt. Doch wel­ches wird das sein? In die­ser Geschichte zei­gen sich die Abgründe der Men­schen, das vor­herr­schende Kon­kur­renz­den­ken unse­rer Gesellschaft.

Luft nach oben

Sprach­lich blei­ben die Erzäh­lun­gen in die­sem Band unauf­fäl­lig. Und wäh­rend die meis­ten Ideen zu den Tex­ten wirk­lich schön sind, ist ihre Umset­zung doch ver­bes­se­rungs­wür­dig. Als Bei­spiel kann hier die erste Geschichte des Ban­des aus dem Jahr 2018 her­hal­ten. Der Inhalt ist recht schnell beschrie­ben. Am Geburts­tag sei­nes kran­ken Soh­nes steigt ein Geschäfts­mann auf einen Berg nahe des Feri­en­hau­ses, unter­wegs wird ihm bewusst, dass er mehr Zeit mit sei­ner Fami­lie ver­brin­gen sollte. Doch als er viel zu spät unten wie­der ankommt, sind viele Jahre ver­gan­gen. Da blei­ben Fra­gen offen: Hat der Mann Alz­hei­mer oder ist hier tat­säch­lich etwas Fan­tas­ti­sches pas­siert? Dar­auf muss natür­lich keine Ant­wort gege­ben wer­den, im Gegen­teil. Diese letzte Wen­dung wird aber sprach­lich und moti­visch kaum vor­be­rei­tet, so dass das Gefühl ent­steht, man hätte aus der Geschichte mehr machen kön­nen. Kein glanz­vol­ler Start in einen Band mit Erzählungen.

Frag­mente und Ergänzungen

Für viele Fans des Erfolgs­ro­mans „Vom Ende der Ein­sam­keit“ sind an die­sem Band wohl beson­ders die bei­den mit dem Roman ver­knüpf­ten Texte inter­es­sant: Eine vom Prot­ago­nis­ten Jules als Kind ver­fasste Geschichte über spre­chende Bücher und eine aus dem Roman gestri­chene Pas­sage, die die Ver­gan­gen­heit von Jules Vater Sté­phane auf­klärt. Schön dabei ist, dass die Geschich­ten vom Autor kon­tex­tua­li­siert wer­den und sich zumin­dest die eine auch gut ver­ste­hen lässt, wenn man den Roman nicht kennt. Bei der ande­ren, „Die Ent­ste­hung der Angst“, weist Wells dar­auf hin, man solle sich gut über­le­gen, ob man die Geschichte tat­säch­lich lesen oder lie­ber ein paar Leer­stel­len des Romans offen las­sen wolle. Das muss natür­lich jeder und jede für sich selbst ent­schei­den. Mich per­sön­lich hat die Geschichte nicht über­rascht und im Nach­hin­ein wäre mir ein klei­nes Geheim­nis lie­ber gewesen.

„Die Wahr­heit über das Lügen“ ver­eint kurz­wei­lige, aber nicht her­aus­ra­gende Erzäh­lun­gen aus zehn Jah­ren. Wer den Autor ken­nen­ler­nen möchte, sollte bes­ser zu einer sei­ner ande­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen grei­fen – und auch für Fans ist die­ser Band kein Muss.

Die Wahr­heit über das Lügen. Zehn Geschich­ten aus zehn Jah­ren. Bene­dict Wells. Dio­ge­nes. 2018.

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