Wasser ist Leben – auch Außerirdisches

by Buchstaplerin Maike

Wesen aus einer ande­ren Welt suchen ein neues Zuhause auf der Erde – und wäh­len dafür Lagos in Nige­ria aus. Sel­ten hat ein Sci­ence-Fic­tion-Roman bei Buch­stap­le­rin Maike so viel Ein­druck hin­ter­las­sen wie Nnedi Oko­ra­fors „Lagune“, denn er ist viel­schich­ti­ger als gedacht.

Lagos ist die größte Stadt Nige­rias und des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents. Genau vor der Küste der Metro­pole stürzt das Schiff der außer­ir­di­schen Besu­cher ins Meer. Mit sich bringt es nicht nur eine Flut­welle, son­dern auch Ver­än­de­run­gen: Zuerst erhal­ten die Mee­res­le­be­we­sen das, was sie sich wün­schen. Dann steigt die Außer­ir­di­sche Ayo­dele aus dem Meer. Wo sie hin­kommt, weckt die Form­wand­le­rin Neu­gierde, aber auch Unsi­cher­heit, Gier und Chaos.

Ayo­dele bringt drei Fremde zusam­men, um ihr bei dem Plan zu hel­fen, eine Bot­schaft an die Mensch­heit zu sen­den. Die Mee­res­bio­lo­gin Adaora, der Rap­per Anthony und der Sol­dat Agu mer­ken bald, dass sie mehr ver­bin­det als der Anfangs­buch­stabe ihrer Namen. Als das Miss­trauen den Neu­an­kömm­lin­gen gegen­über in den Stra­ßen Lagos‘ gewalt­sam eska­liert, müs­sen sich Adaora und die ande­ren ent­schei­den, wem sie bei­ste­hen. Klar ist nur: Nichts wird je wie­der so sein, wie es ein­mal war.

„Diese Außer­ir­di­schen waren in Frie­den gekom­men. Waren.“

Ist „Lagune“ Science-Fiction?

Ein­deu­tig, aber nicht nur. Denn zu dem klas­si­schen Motiv des Erst­kon­takts gesellt sich magi­scher Rea­lis­mus und ver­webt tra­di­tio­nelle Reli­gio­nen und Aber­glau­ben mit der Ankunft der Außer­ir­di­schen. Die Natur bekommt durch die Augen eines Schwert­fi­sches, einer Spinne oder einer Fle­der­maus ihre eigene Stimme zu den Gescheh­nis­sen. Göt­ter erschei­nen, Stra­ßen wer­den leben­dig. Und auch Adaora, Anthony und Agu waren schon vor dem Zusam­men­tref­fen mit Ayo­dele mehr, als man zunächst ver­mu­ten könnte.

Die Erzäh­per­spek­tive wech­selt zwi­schen den drei Haupt­fi­gu­ren, räumt aber auch vie­len Neben­fi­gu­ren Platz ein. So wer­den die Gescheh­nisse weit­räu­mig beleuch­tet und erge­ben sich zu einem Gesamt­bild, das auch wider­sprüch­li­che Beob­ach­tun­gen zulässt. Die Gestalt­wand­le­rin Ayo­dele als Bot­schaf­te­rin der namen­lo­sen Außer­ir­di­schen wird zum Spie­gel der auf­tre­ten­den Figu­ren. Sie kann nicht nur den Men­schen geben, was sie wol­len, sie kann auch die Mate­rie um sich herum belie­big ver­än­dern, teil­weise mit bru­ta­len Fol­gen. An Ayo­de­les fast schon kind­lich wir­ken­des Auf­tre­ten wird die Viel­schich­tig­keit von Mensch­lich­keit deut­lich: Es gibt selbst­lo­ses Ver­hal­ten, Liebe und Zusam­men­halt – aber auch Gier, Kor­rup­tion und Rücksichtslosigkeit.

Die Außer­ir­di­schen stel­len nicht nur in den Mit­tel­punkt, was die Mensch­heit will – son­dern geben auch der Umwelt unge­ahnte Mög­lich­kei­ten, sich zu weh­ren. Immer wie­der geht es in „Lagune“ um das Meer: Eigent­lich sollte klar sein, dass Was­ser Leben bedeu­tet. Doch lei­den die Fische als erste dar­un­ter, dass die Men­schen ihre Gier nach Erdöl nicht zügeln kön­nen und des­halb das Meer ver­gif­ten. Und auch für einige Men­schen in Lagos ist das Meer kein Quell des Lebens. Für Ada­o­ras Ehe­mann beinhal­tet es gefähr­li­che Meer­he­xen, die die christ­li­che Mensch­heit ver­der­ben wol­len. Oko­ra­for ver­han­delt am Motiv des Was­sers somit mehr, als auf den ers­ten Blick ersicht­lich ist: „Lagune“ wid­met sich dem Pro­blem der Umwelt­ver­schmut­zung, der Poli­tik, reli­giö­sem Fana­tis­mus und Aberglauben.

„Men­schen fällt es schwer, sich auf jeman­den ein­zu­las­sen, der ihnen nicht gleicht. Das ist euer größ­tes Problem.“

Hol­ly­wood hat ausgedient

Hol­ly­wood ver­mit­telt uns, dass die Ali­ens den Erst­kon­takt zu den Men­schen natür­lich irgendwo in der west­li­chen Welt suchen. New York, Washing­ton, Lon­don – Haupt­sa­che ein Glo­bal Player nimmt sich der Außer­ir­di­schen an! Aber wird das nicht auf Dauer lang­wei­lig und ver­nach­läs­sigt so viele Kon­ti­nente und damit Kul­tu­ren? Nnedi Oko­ra­for macht die Hei­mat ihrer Eltern und ihre kul­tu­rel­len Wur­zeln zum Schau­platz des Gedan­ken­ex­pe­ri­ments „Was wäre, wenn die Ali­ens kämen?“.

Es ist ein erfri­schen­der neuer Blick­win­kel, der gleich­zei­tig einen Kom­men­tar zum west­li­chen Selbst­ver­ständ­nis dar­stellt. Und ganz neben­bei erhal­ten die Lese­rIn­nen einen Ein­blick in das Leben in Nige­ria, mit guten wie auch schlech­ten Sei­ten. Es kann zunächst über­for­dernd wir­ken, den etwai­gen Erst­kon­takt mit Nige­ria als lite­ra­ri­schem Set­ting gemein­sam mit dem Erst­kon­takt der Ali­ens zu erle­ben. Doch vie­les erschließt sich schnell und der Glos­sar am Ende des Buches hilft zusätz­lich, sich zurechtzufinden.

Ein altes Scifi-Motiv neu erzählt: „Lagune“ ist span­nend, aber auch stel­len­weise sehr bru­tal. Das Buch ver­mit­telt nicht nur Ein­bli­cke in die Metro­pole Lagos und lenkt weg von Hol­ly­wood-Erzäh­lun­gen. Es ver­han­delt ins­ge­samt, wie wider­sprüch­lich die Mensch­heit sein kann und dass für Ver­än­de­rung manch­mal ein Anstoß von außen fehlt.

Lagune. Nnedi Oko­ra­for. Über­set­zung: Clau­dia Kern. Cross Cult. 2016. BK-Alters­emp­feh­lung: 16 Jahre.

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Sie fürchtet den Tod nicht – Bücherstadt Kurier 13. August 2017 - 18:01

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