You not com

by Bücherstadt Kurier

„You not com – me not see!“ An diese unmiss­ver­ständ­li­che Aus­la­dung musste ich den­ken, als ich Ihr Foto sah. Man hatte uns ein­dring­lich davor gewarnt, das Innere der Insel Jamaika zu besu­chen, denn die Wege und Stra­ßen sind nicht in den Land­kar­ten ver­zeich­net, der Busch ist undurch­dring­lich und Nebel ver­hin­dere die Sicht. Kei­ner der Anwoh­ner ist auf unse­ren Besuch erpicht.

So fuh­ren wir denn Woche für Woche mit den Kin­dern die end­lo­sen Ser­pen­ti­nen hin­un­ter ans Meer. Die Kin­der lieb­ten die lan­gen wei­ßen Sand­strände und das blaue Meer. Hin und wie­der wech­sel­ten wir zu einem ande­ren Strand und erkun­de­ten so die Insel. Eines Tages, als wir das Haus in den küh­len Ber­gen ver­las­sen hat­ten, und erneut eine Fahrt an das Meer star­te­ten, kamen wir an die Abzwei­gung in Tomb­stone. Dort konn­ten wir abbie­gen, um an das Meer zu gelan­gen. Wir zweig­ten nicht ab. Wir fuh­ren gera­de­wegs in eine lange kühle Bam­bus-Allee. Die hohen Bam­bus­rohre schlos­sen sich in der Höhe zu einem Dach und gaben uns das Gefühl durch einen Dom zu fahren.
Die Zucker­rohr­fel­der links und rechts der Straße hör­ten auf, und der grüne dichte Wald begann. Je wei­ter wir fuh­ren, umso dich­ter und üppi­ger wurde der Wald. Fla­schen­bäume mit einer Höhe von 25 Metern waren keine Sel­ten­heit. Herr­li­che groß­blätt­rige Klet­ter­ran­ken wuch­sen an ihren Stäm­men empor. Ab und zu spru­delte ein Bach über den Weg und fei­ner Nebel hing im Gebüsch. Die Kin­der behaup­ten: hier ist es unheim­lich. Wir waren schon lange nie­man­den mehr begeg­net. Wo sind wir eigent­lich? Die Land­karte weiß es! Ja, von wegen – hier an die­sem Stand­ort hört der Weg auf. Nur ein gro­ßer wei­ßer Fleck war auf der Karte. Jetzt wis­sen wir es, wir sind im Cock­pit Coun­try. Land im Süd­wes­ten Jamai­kas. Die Maroons leben hier in die­sem ver­bor­ge­nen Teil der Insel. Bis heute sind sie auto­nome Jamai­ka­ner auf ihrem eige­nen Land.

Vor zwei­hun­dert Jah­ren, als die afri­ka­ni­schen Skla­ven einen Auf­stand prob­ten, muss­ten viele von ihnen flie­hen. Die Maroons hal­fen den Flüch­ti­gen sich zu ver­ste­cken. In die­sen unzu­gäng­li­chen Teil des Lan­des war dies mög­lich. Die Kolo­ni­al­her­ren, die Eng­län­der, for­der­ten zwar die Her­aus­gabe der Skla­ven, aber ein erneu­ter Auf­stand gegen die Kolo­ni­al­her­ren endete sieg­reich für die Auf­stän­di­schen. Im Frie­dens­ver­trage wur­den die For­de­run­gen der Skla­ven und der Maroons erfüllt. Das Land, auf dem sie leb­ten, wurde ihnen über­eig­net. Die ehe­ma­li­gen Skla­ven erhiel­ten eben­falls Land und konn­ten so ihren Lebens­un­ter­halt erwirt­schaf­ten und waren freie Bür­ger. Nur mit der Zucker­rohr­wirt­schaft ging es von da an bergab. Aus die­ser gefähr­li­chen Zeit des Auf­stands kommt die unmiss­ver­ständ­li­che War­nung: „You not com, me not see!“
Wir dage­gen haben die Maroons als freund­li­che, auf­ge­schlos­sene Men­schen ken­nen­ge­lernt und sind von da an noch öfters in das Cock­pit Coun­try gefah­ren. Ich denke oft weh­mü­tig an diese Zeit zurück, denn ich habe seit­dem nie wie­der so herr­li­che Orchi­deen gese­hen. Sie wuch­sen hoch in den Baum­wip­feln und ihre Blü­ten­ris­pen hin­gen wie kleine Was­ser­fälle über den Weg.

Doro­thea Ender
Foto: Marco
Ein Bei­trag zum Schreib-Pro­jekt “100 Bil­der – 100 Geschich­ten“.

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