Zimt und Anis

by Bücherstadt Kurier
*klick*; Bild: Colors Make Life Bet­ter

Bei­ßen­der Rauch schlägt mir ent­ge­gen und ich stol­pere unwei­ger­lich rück­wärts. Der dunkle Qualm erfüllt meine Lun­gen und lässt mich hus­ten. Mein ers­ter Gedanke gilt dem Fens­ter, zu dem ich stürme, es öffne und mich has­tig hin­aus­beuge. Die Luft drau­ßen ist kalt und ange­nehm und ver­treibt den Rauch. Nach eini­gen Zügen meine ich sogar den Frost der vor­he­ri­gen Nacht noch rie­chen zu kön­nen. Seuf­zend lasse ich mich auf die Fens­ter­bank sin­ken und atme noch ein­mal tief ein. Das ganze hätte nicht schlim­mer lau­fen können.
„Was ist denn hier pas­siert?“, höre ich eine helle Stimme hin­ter mir und drehe mich wie elek­tri­siert um. Ich kenne das Mäd­chen, das dort im Tür­rah­men der Küche steht, aber nur vom Sehen her. Es wohnt auch auf die­ser Etage des Wohn­heims, soviel weiß ich, doch ich kenne nicht ein­mal sei­nen Namen.
Auch wenn ich dem Mäd­chen im ers­ten Moment nicht ant­worte, tritt es unbe­irrt in den Raum und besieht sich den Back­ofen. Ich beob­achte es dabei, wie es see­len­ru­hig einen Topf­lap­pen holt und das Blech her­aus­zieht. Es wirft den Kek­sen dar­auf, die mitt­ler­weile genauso schwarz sind wie das Blech selbst, einen mit­lei­di­gen Blick zu. „Die kann man lei­der nicht mehr essen“, seufzt das Mäd­chen und grinst mich dann an. Ich nicke nur perplex.
„Was sollte das denn wer­den?“, fragt es wei­ter und setzt das Blech auf dem Herd ab. „Anis­plätz­chen“, mur­mele ich.
„Oh.“ Eine bedrü­ckende Stille legt sich über den Raum, in der es sich prü­fend die Plätz­chen besieht. „Wie lange waren die jetzt drin?“ Das Mäd­chen zeigt mit dem Fin­ger auf die schwar­zen Häuf­chen auf dem Blech.
Ich muss kurz über­le­gen. „Ein­ein­halb Stun­den viel­leicht“, stot­tere ich und mir wird gleich­zei­tig bewusst, wie sehr ich doch die Zeit ver­ges­sen habe. Doch das Mäd­chen kichert nur. „Tja, die kann man weg­wer­fen. Eigent­lich schade. Wofür waren die denn gedacht?“
Ich bemerke, wie es nach den Topf­lap­pen greift, um wahr­schein­lich das Blech wie­der auf­zu­neh­men und mit einem Mal bewe­gen sich meine erstarr­ten Beine wie­der. Ich eile zu ihm hin­über und habe den Topf­lap­pen noch vor ihr in der Hand.
„Lass!“, ver­su­che ich mich zu erklä­ren. „Ich meine, es ist meine Schuld. Also lass mich das wegräumen.“
Das Mäd­chen tritt einen Schritt zur Seite. „Macht nichts. Ich dachte nur, du sahst aus, als könn­test du Hilfe gebrau­chen.“ Die brau­che ich wirk­lich, denke ich mir, lasse mir aber nichts anmer­ken, wäh­rend ich das Blech zum Müll­ei­mer hin­über trage.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, für wen die Plätz­chen waren“, höre ich es sagen und zucke zusam­men. Ich über­lege noch, was ich ant­wor­ten soll, denn die Wahr­heit ist mir pein­lich. Doch was soll ich ihm sonst erzählen?
„Meine Vor­le­sung macht mor­gen Weih­nachts­feier und jeder soll Plätz­chen mit­brin­gen. Und ich wollte keine im Laden kaufen.“
„Dafür hast du aber reich­lich Back­zu­ta­ten gekauft“, bemerkt das Mäd­chen mit einem Blick auf den Tisch und ich muss zuge­ben, dass ich das wirk­lich habe. Da ich nicht wusste, was ich backen sollte, habe ich von allem etwas mit­ge­bracht und das reich­lich. Ich kann wirk­lich nicht backen.
„Das reicht ja für noch­mal vier Ble­che Plätz­chen! Hey, weißt du was?“ Es dreht sich zu mir um und hält dabei ein Päck­chen Zimt und Vanille in die Höhe. „Wir kön­nen ja ein­fach neue backen! Süße Plätz­chen schme­cken ohne­hin bes­ser, als wel­che mit Anis.“
„Ich mag aber Anis“, werfe ich ein, ohne mir Gedan­ken zu machen, dass das Mäd­chen gerade meine Back­auf­gabe über­nahm. „Stimmt. Du hast ja hier noch drei Päck­chen davon. Gibt es über­haupt Plätz­chen mit Anis außer Anis­plätz­chen?“, fragt es mehr sich selbst.
„Ich weiß nicht...“ „Honig­ku­chen! Was gibt es bes­se­res als Honigkuchen?“
„Ähm...“, mache ich nur und wun­dere mich noch über ihre Gedan­ken­gänge, wäh­rend es schon alles dafür auf dem Tisch zusam­men sucht. Dann hält es einen Moment inne: „Kennst du kei­nen Honig­ku­chen?“ „Doch schon, aber ich habe noch nie wel­chen gegessen.“
„Du kommst nicht aus der Gegend, oder?“, fragt es und wuselt bereits in der Küche herum, um Waage und Schüs­sel zusam­men zu suchen. Mein Geschirr steht immer noch unge­spült im Waschbecken.
„Stimmt. Wie kommst du dar­auf?“ „Honig­ku­chen gibt’s in Hol­land oft zum Früh­stück. Das ganze Jahr über. Und man kann auch Anis hin­ein tun.“
„Ich kenne nur den Aus­druck ‚grin­sen wie ein Honig­ku­chen­pferd‘.“ „Weil Honig­ku­chen so lecker ist“, meint das Mäd­chen dar­auf­hin und grinst mich so breit an wie es kann. Ich grinse breit zurück.
„Genau so!“ Fach­män­nisch baut es Schüs­sel und Waage auf dem Tisch auf „Woher kommst du eigentlich?“
„Ham­burg. Und du?“ „Aachen.“ Es beginnt damit die Zuta­ten zu öff­nen. „Wie lange wohnst du schon hier?“
„Ein Jahr jetzt.“ Ich gehe zu dem Mäd­chen hin­über, um ihm über die Schul­ter zu schauen, wäh­rend es But­ter und Zucker in der Schüs­sel mischt.
„Ich bin gerade erst ein­ge­zo­gen“, fängt es an zu erzäh­len und mir fällt ein: „Weiß ich.“ Wor­auf­hin es sich umdreht und mich mit gro­ßen Augen anguckt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie unhöf­lich, das doch war.
„Komisch, ich wusste nicht, dass du hier wohnst.“ Ein Lächeln umspielt seine Lip­pen und ich merke, dass das Mäd­chen es mir nicht übel nimmt. „Gut, ich wohne jetzt auch noch nicht so lange hier.“
Ich weiß im ers­ten Moment nicht, was ich dar­auf ant­wor­ten soll, als es wie­der das Wort über­nimmt. „Ich bräuchte jetzt einen Mixer.“
„Moment, ich spül eben diese...“ Jetzt fehlt mir das Wort.
„Diese Rührdinger?“
„Genau diese Rühr­di­ger“, wie­der­hole ich und mache mich daran zu spülen.
„Was sind eigent­lich deine Lieblingsplätzchen?“
„Anis­plätz­chen.“
„Okay, das hätte ich mir auch den­ken können.“
„Was sind denn deine?“, frage ich, als ich dem Mäd­chen die Rühr­din­ger und den Mixer bringe.
„Lass mich kurz über­le­gen.“ Es beißt sich gespielt auf die Lip­pen und wippt kurz von einem auf das andere Bein, bevor es antwortet:„Vanillekipferl.“
„Dann soll­ten wir die auch gleich noch machen“, schlage ich vor und merke, wie ihre Augen freu­dig anfan­gen zu glänzen.
„Gerne. Wie heißt du?“
„Alex.“
„Ich bin Laura.“
Wir fan­gen also an zu backen. Ich rei­che Laura die Zuta­ten, wäh­rend sie backt und ich erfahre immer mehr über sie. Wenn ich ehr­lich bin, habe ich immer gedacht, sie sei ein­ge­bil­det, weil sie so hübsch ist. Das lange blonde Haar fällt ihr locker über die Schul­tern und die blauen Augen sind fast immer dezent geschminkt. Doch je län­ger wir reden, desto mehr Gemein­sam­kei­ten finde ich. Wir hören die glei­che Musik, mögen die glei­chen Filme und auch unser Humor scheint sich prima zu ergän­zen. Lang­sam fange ich auch an ihre Vor­liebe für Süßes zu verstehen.
„Riech mal!“, for­dert sie mich auf und hält mir eine Zimt­stange hin.
„Warum?“
„Weil das herr­lich riecht!“
Ich kenne Zimt von Milch­reis, nehme ihr aber die Stange trotz­dem ab und rie­che daran. Der feine Geruch steigt mir in die Nase und ich muss wirk­lich zuge­ben, dass das etwas ganz ande­res ist als Zimt auf Milchreis.
„Riecht gut, nicht?“, fragt sie, als ich ihr die Stange zurück gebe. „Ich liebe Zimt! Wir soll­ten auch noch Zimt­sterne machen.“
„Die mit dem Zuckerüberzug?“
„Genau die. Sag mal, kann ich mir danach noch ein paar von die­sen Zimt­stan­gen mitnehmen?“
„Klar. Wofür denn?“ Ich frage mich, was sie damit machen wollte, wenn nicht backen.
„Man kann damit toll weih­nacht­lich deko­rie­ren. Mit Anis­ster­nen übri­gens auch! Du bist doch so für Anisplätzlichen.“
„Anis gibt es in Sternen?“
„Ja, sie sehen im Gan­zen so aus wie Sterne, unge­fähr so groß.“ Sie zeigt mir die Größe mit ihren Fin­gern. „Ich kann dir ja mal wel­che zei­gen, wenn ich wel­che habe. Deko­rierst du nicht für Weihnachten.“
„Eigent­lich nicht.“
„Fin­dest du das nicht schade? Es ist immer­hin schon der 15. Dezem­ber. Noch 9 Tage bis Weihnachten.“
„Ich bin nicht so für Deko“, winke ich ab.
„Lässt du mich dein Zim­mer deko­rie­ren?“, fragt sie plötz­lich und ich weiß nicht recht, was ich dar­auf ant­wor­ten soll, also brumme ich lie­ber nur zustim­mend. Also wechsle ich schnell das Thema:
„Weißt du eigent­lich, dass Zimt in grö­ße­ren Men­gen gif­tig ist?“
„Ja, lei­der. Aber hey, es ist doch immer so: ent­we­der ist es zu teuer, macht dick, oder ist gif­tig. Wie zu heiß gebra­tene Pom­mes oder ver­brann­ter Toast.“
Ich muss lachen. Genau die Bei­spiele hätte ich in der Situa­tion auch genannt.
„So ist das Leben“, sing­sangt sie, als sie hin­über zum Herd geht und die Kas­ten­form mit dem Honig­ku­chen hin­ein­schiebt. „Weißt du, was das Beste ist?“, fragt sie mich grin­send und ich sehe sie nur per­plex an, da ich keine Ahnung habe, was sie meint. Sie kommt wie­der zu mir hin­über und bleibt direkt vor mir ste­hen. „Dass Honig­ku­chen über eine Stunde im Back­ofen braucht.“
Ein Lächeln, das ich nicht deu­ten kann, umspielt ihre Lip­pen. Ich rühre mich nicht und sehe sie ein­fach an. Als ich ihre Hand an mei­ner spüre, zucke ich zusammen.
„Komm schon“, meint sie. „Lass uns...“ Doch wei­ter kommt sie nicht, denn da hatte ich sie schon zu mir hin­über gezo­gen und meine Lip­pen berüh­ren ihre. Zu mei­ner Über­ra­schung küsst sich mich zurück und drückt meine Hand fester.
Wir lan­den schließ­lich auf der Küchen­bank, eng umschlun­gen und erst ein Klin­geln lässt mich aus mei­ner Trance erwa­chen. Als ich mich ver­wirrt umblickte, erklärt sie mir mit sanf­ter Stimme: „Der Kuchen ist fertig.“
Drau­ßen ist es bereits dun­kel gewor­den und nur das Licht aus dem Flur erhellt die Küche. Laura rich­tet sich auf und wirft einen Blick aus dem Fenster.
„Hey! Es schneit!“, stellt sie begeis­tert fest und ich richte mich auf, um auch aus dem Fens­ter zu bli­cken. Es stimmt. Vor dem Fens­ter tän­zeln weiße dicke Flo­cken vorbei.
„So schön.“ Sie atmet tief ein. „Es riecht nach Weih­nach­ten und es fühlt sich gut an“, fügt sie mit einem Blick zu mir hinzu. Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie auf­steht, um den Kuchen aus dem Back­ofen zu holen.
Mit dem Kinn auf den Hän­den, sehe ich ihr dabei zu. Sie ist wirk­lich wie Zimt, denke ich. Süß­lich, aber bitter.

Daniela

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