Zur letzten Ruhe – Ein literarischer Friedhofsrundgang (Teil II)

by Worteweberin Annika

Dürre Äste knar­zen und klap­pern im Wind, ein ros­ti­ges, ver­schnör­kel­tes Ein­gangs­tor schlägt quiet­schend hin und her, moos­be­wach­sene Grab­steine ste­hen mit Schlag­seite dicht an dicht. Will­kom­men auf dem fan­tas­ti­schen Pro­to­typ eines Gru­sel-Fried­hofs! Dass hier natür­lich auch aller­hand lite­ra­ri­sche Per­sön­lich­kei­ten und Figu­ren ihre letzte Ruhe gefun­den haben, hat Zei­len­schwim­me­rin Ronja im ers­ten Teil des lite­ra­ri­schen Fried­hofs­rund­gangs schon gezeigt. Worte­we­be­rin Annika hat sich außer­dem in Paris, Kopen­ha­gen und Prag umge­se­hen und wei­tere Geschich­ten gesammelt.

Fried­höfe in Paris

Der Fried­hof Père Lachaise in Paris ist ein wah­rer Besu­cher­ma­gnet. Sicher­lich liegt das daran, dass hier eine ganze Reihe berühm­ter Per­sön­lich­kei­ten aus allen Gesell­schafts­be­rei­chen begra­ben wurde – und aus aller Welt. Da Paris immer ein Magnet für Künst­ler ver­schie­dens­ter Natio­nen war (man denke zum Bei­spiel an die Genera­tion vor allem ame­ri­ka­ni­scher Lite­ra­ten, die hier in den 1920er Jah­ren ihr Zuhause fand), ver­wun­dert das nicht. So haben zum Bei­spiel Oscar Wilde („Das Bild­nis des Dorian Gray“ von 1890), Ger­trude Stein, aber auch der Musi­ker James Mor­ri­son hier ihre letzte Ruhe­stätte. Bekannte Schrift­stel­ler auf die­sem Fried­hof sind zum Bei­spiel Mar­cel Proust („Auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Zeit“ von 1913 – 1927), Molière („Der ein­ge­bil­dete Kranke“ von 1673, „Der Gei­zige“ von 1668 uvm.), der mit bür­ger­li­chem Namen übri­gens Jean-Bap­tiste Poque­lin hieß, oder der im Deut­schen wenig bekannte erste Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger, Sully Prud­homme, der vor allem Gedichte ver­fasste. Außer­dem ist hier der Schöp­fer des Ele­fan­ten Babar beer­digt, der fran­zö­si­sche Kin­der­buch­au­tor und Maler Jean de Brunhoff.

Auch der „Cime­tière de Mont­martre“ in Paris, oft Nord­fried­hof genannt, beher­bergt zahl­rei­che lite­ra­ri­sche, aber auch ander­wei­tig inter­es­sante Grä­ber: Hier lie­gen die Stif­ter des renom­mier­ten fran­zö­si­schen Lite­ra­tur­prei­ses „Prix Gon­court“, näm­lich Edmond und Jules de Gon­court. Beide waren auch selbst schrift­stel­le­risch tätig, und zwar im Tan­dem. Die bei­den Brü­der schrie­ben alle ihre Werke gemein­schaft­lich. Obwohl der Name es nicht ver­mu­ten lässt, war auch der Autor Stendhal („Von der Liebe“ von 1822, „Rot und Schwarz“ von 1830 u.a.) Fran­zose, legte sich jedoch ein Pseud­onym zu, das ver­mut­lich an eine Stadt in Sach­sen-Anhalt ange­lehnt ist. Eben­falls auf dem „Cime­tière de Mont­martre“ ließ sich Émile Zola (z.B. „Thé­rèse Raquin“ von 1867) bei­set­zen. Ein gro­ßer deutsch­spra­chi­ger Schrift­stel­ler fand hier eben­falls seine letzte Ruhe­stätte: Hein­rich Hei­nes (z.B. „Rei­se­bil­der“ von 1826, 1827 und 1830) Grab fin­det sich eben­falls auf dem Mont­martre, nach­dem der Autor lange Jahre in Paris im Exil gelebt, dort Freund­schaf­ten zu vie­len ande­ren Intel­lek­tu­el­len auf­ge­baut und das poli­ti­sche Gesche­hen ver­folgt hatte.

Fried­höfe als Schauplätze

Nun zu einem Fried­hof, den es heute gar nicht mehr gibt: Der „Cime­tière des Inno­cents“, also der Fried­hof der Unschul­di­gen, wurde 1780 geschlos­sen und auf­ge­löst, da der Fäul­nis­ge­stank nicht mehr zu ertra­gen war. Die Kno­chen der dort zu Mas­sen begra­be­nen Pari­ser wur­den dar­auf­hin in die Kata­kom­ben von Paris umquar­tiert, wo sie zu kunst­vol­len Tür­men auf­ge­sta­pelt noch heute besich­tigt wer­den kön­nen. Trotz­dem lebt der „Cime­tière des Inno­cents“ in der Lite­ra­tur wei­ter. Vie­len bekannt ist sicher­lich, dass der Prot­ago­nist in Patrick Süs­kinds Roman „Das Par­fum“ (1985), Gre­nouille, hier nicht nur stirbt, son­dern auch auf dem direkt angren­zen­den Fisch­markt gebo­ren wird, sodass der Fried­hof einen Rah­men um die Roman­hand­lung und Gre­nouilles Leben bil­det. Eben­falls von 1985 stammt der Roman „Der Fürst der Fins­ter­nis“ von Anne Rice, in dem der Fried­hof die Hei­mat eines Vam­pirs ist. Und in „Fried­hof der Unschul­di­gen“ (2011) von Andrew Mil­ler geht es um den Abbau des Friedhofs.

Ein wei­te­rer Fried­hof, der als lite­ra­ri­scher Schau­platz dient, ist der Alte Jüdi­sche Fried­hof in Prag. Hier­auf näm­lich bezieht sich der Titel von Umberto Ecos Roman „Der Fried­hof in Prag“ von 2010. Im Roman geht es um die tat­säch­lich exis­tie­ren­den „Pro­to­kolle der Wei­sen von Zion“, gefälschte Pro­to­kolle über ver­schwö­re­ri­sche Tref­fen von Juden auf dem Alten Jüdi­schen Fried­hof. Diese Fäl­schun­gen, die von Anti­se­mi­ten als Beleg für Vor­ur­teile und Beschul­di­gun­gen ver­wen­det wur­den, beru­hen übri­gens auf einer lite­ra­ri­schen Vor­lage, die eben­falls teil­weise auf dem Fried­hof spielt, „Biar­ritz“ (1868) von Her­mann Goe­d­sche. Ein wei­te­res lite­ra­ri­sches Grab auf die­sem Fried­hof ist das des Rabbi Judah Löw, der laut Legende den Golem erschaf­fen und zum Leben erweckt haben soll, was in den Stumm­fil­men „Der Golem“ (1915) und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) the­ma­ti­siert wird.

Ein letz­ter Stopp

Auf dem Assis­tenz­fried­hof in Kopen­ha­gen („Assis­tens Kir­ke­gård“) geht es ganz und gar nicht gru­se­lig zu: Der Park­fried­hof wird heute von vie­len Städ­tern als Aus­flugs­ziel und Lie­ge­wiese ver­wen­det und beher­bergt ein Kul­tur­zen­trum. Aber ein Besuch lohnt sich auch aus lite­ra­ri­schen Grün­den, denn hier wurde der wohl bekann­teste däni­sche Schrift­stel­ler beer­digt. Hans Chris­tian Ander­sen schrieb über 150 Mär­chen nie­der, dar­un­ter „Die kleine Meer­jung­frau“, „Des Kai­sers neue Klei­der“ oder „Der Schat­ten“. Außer­dem liegt hier der Phi­lo­soph Søren Kier­ke­gaard („Der Begriff Angst“ von 1844), des­sen Nach­name selbst auf Dänisch nichts ande­res als Kirch­hof oder Fried­hof bedeutet.

Zum Wei­ter­le­sen:

Ein Fund aus der Todes­stadt.

Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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