Byung-Chul Han

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Byung-Chul Han (Hangul: 병철한 Byeong-cheol Han; * 1959[1][2] in Seoul, Südkorea) ist ein koreanisch-deutscher[3] Philosoph, Kulturwissenschaftler[4] und Autor.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Han studierte zunächst Metallurgie in Seoul, bevor er sich dazu entschloss, in Freiburg im Breisgau und München Philosophie, deutschsprachige Literatur und katholische Theologie zu studieren. Er wurde 1994 in Freiburg mit der Studie Heideggers Herz. Zum Begriff der Stimmung bei Martin Heidegger promoviert. 2000 habilitierte sich Byung-Chul Han mit der phänomenologischen Studie „Tod und Alterität“ in Philosophie an der Universität Basel. Anschließend war er bis 2010 Privatdozent am dortigen philosophischen Seminar. Im selben Jahr wechselte er an die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, an der er bis 2012 als Professor für Philosophie und Medientheorie tätig war. Von 2012 bis 2017 war Han Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin.[5] Han lebt in Berlin.

2015 erhielt er Le Prix Bristol des Lumières.[6] 2016 wurde ihm der Salzburger Landespreis für Zukunftsforschung verliehen. Han gehört zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, die Ende November 2016 veröffentlicht wurde.

Seine Bücher sind bisher in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden.

Zu Byung-Chul Hans Forschungsschwerpunkten gehören die Phänomenologie, die Philosophie der Moderne und des Poststrukturalismus, die Ästhetik sowie die Sozial-, Kultur-, Religions- als auch die Medienphilosophie. Sein Denken ist stark von Martin Heidegger, Jacques Derrida, Emmanuel Levinas, Jean-François Lyotard sowie vom Zen-Buddhismus geprägt.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Han wurde mit seinem Essay Die Müdigkeitsgesellschaft (2010) einem breiteren Publikum weltweit bekannt. Darin diagnostiziert Han, dass in modernen Gesellschaften nur noch die Effizienz und die neoliberale Vermarktungslogik eines Jeden zähle. Die Folge seien Sinnlosigkeit, Depression und vor allem Müdigkeit. In der Beschleunigung, der Optimierung des Selbst und dem Keine-Zeit-Haben für sich und seine Mitmenschen sieht Han eine gefährliche Entwicklung, die die Menschen entmündigt und krank macht. Der Essay wurde 2015 von der Filmemacherin Isabella Gresser verfilmt und erschien 2016. In diesem Film wird Han in Seoul und Berlin interviewt. In beiden Städten wird den Symptomen der Müdigkeitsgesellschaft nachgegangen.

In seinen aktuellen Veröffentlichungen, die meist in der Form gesellschaftskritischer Zeitdiagnosen verfasst sind, beschäftigt sich Byung-Chul Han mit transparentem Verhalten des heutigen Subjekts, das er als durch neoliberale Marktkräfte erzwungene kulturelle Norm interpretiert. Viele Subjekte von heute würden diesen Kult des Individualismus für Freiheit halten, obwohl er Teil des kapitalistischen Selbstausbeutungssystems sei. Han befürchtet einen Druck zur freiwilligen Offenlegung intimer Details, der ihm zufolge an Pornografie grenze und ein totalitäres System der Offenheit zu Lasten anderer sozialer Werte wie der Scham, der Vertraulichkeit und des Vertrauens erzeuge. Aber viele Menschen mieden Liebe und Nähe, weil sie zu einer Verletzung führen könnten. Liebe ist in einer Welt der vollständigen Anwesenheit, in der jeder Einzelne ein narzisstisches und depressives Subjekt zugleich geworden ist, nicht mehr möglich.[7] So werde der aktuelle Alltag von Sichtbarkeit und Oberflächlichkeit beherrscht.[8] Die Erosion der Privatsphäre, an der auch etwas wie z. B. ein Wikipedia-Eintrag mitwirke, sei eine Konsequenz der Tatsache, dass „Menschen behandelt und gehandelt werden wie Datenpakete für wirtschaftlichen Nutzen. Mit anderen Worten, Menschen sind zu Waren geworden“.[9]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Han wurde vom Feuilleton kritisiert. Der Literaturkritiker Magnus Klaue veröffentlichte 2016 auf Zeit Online eine Kritik von Hans Denken und Stil.[10] Er bezeichnet sein essayistisches Schreiben darin als „vollendete Parodie“ von Theodor W. Adorno. Hans auf Behauptungen beruhende Sätze ließen sich per Zufallsgenerator kombinieren und könnten so beliebig viele neue Texte erzeugen. Seine an die Frankfurter Schule anknüpfende Kritik formuliert Klaue in sieben Punkten: 1. Melancholie als Habitus. 2. Mut zur ersten Person. 3. Nur das Heute zählt. 4. Binsenweisheit als Erkenntnis. 5. Kein Sartre ohne Hitchcock. 6. Etymologie schlägt Wahrheit. 7. Erziehung zur Hörigkeit.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zeit-Interview von 2014 wird Han als Philosoph vorgestellt, der „mit wenigen Sätzen Gedankengebäude zum Einsturz bringen kann, die unseren Alltag tragen“. Dafür werde er verehrt und kritisiert.[11] Die spanische Zeitung El País bezeichnet Han als einen „neuen Star der deutschen Philosophie“.[12] Sein internationaler Erfolg wird auf seine luziden Analysen der vom Neoliberalismus beherrschten Gegenwart zurückgeführt. Han wird vor allem in Spanien und Lateinamerika breit rezipiert.[13] 2020 wählte das renommierte Kunstmagazin ArtReview Han zu einer der 100 einflussreichsten Personen in der Kunst weltweit.[14]

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monografien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufsätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Derridas Gedanken zu Europa in „Das andere Kap“. In: Europa-Philosophie. Hrsg. v. Werner Stegmaier, Berlin 2000 (de Gruyter). S. 177–188
  • Liebe und Gerechtigkeit bei F. Nietzsche. In: Nietzsche und das Recht. Hg. v. K. Seelmann. Beiheft des Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart 2001. S. 77–83
  • Kommentar zu § 45-53 von „Sein und Zeit“ (mit A. Hügli). In: „Sein und Zeit“ in der Reihe „Klassiker Auslegen“ (Akademie Verlag). Hg. v. Th. Rentsch. Berlin 2001. S. 133–148
  • Über die Freundlichkeit. Zur Ethik Martin Heideggers. In: Akzente (1.2002). S. 54–68
  • Über die Aneignung. In: Merkur (11.2003). S. 1057–1061
  • Die Freundlichkeit des Verstehens. Eine philosophische Etymologie des „Verstehens“. In: Reformatio. Zeitschrift für Kultur Politik Religion (1.2004). S. 4–6
  • Das Klonen und der Ferne Osten. In: Lettre International (64.2004). S. 108–109
  • Hegels Buddhismus. Hegel-Jahrbuch 2004. S. 298–301
  • Hegel und die Fremden. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie (3.2004). S. 215–223
  • Globalisierung und Hyperkultur. In: Lettre International (74.2006). S. 122–123
  • Über das Schließen – Eine Eloge. In: Scheidewege – Jahresschrift für skeptisches Denken. Jahrgang 2008/09
  • Flaches Geld. Kapitalismus und Religion oder Am Nullpunkt der Kontemplation. In: Lettre International Jubiläumsheft (Heft 81, 2008) „So leben wir jetzt. Künstler, Dichter, Denker zur Lage der Welt“. S. 112–117

Filme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Müdigkeitsgesellschaft: Byung-Chul Han in Seoul und Berlin. Dokumentarfilm von Isabella Gresser (2016)
  • Der Mann der einbricht (2017)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Werner Stegmaier (Hrsg.): Europa-Philosophie. De Gruyter, Berlin/New York 2000, ISBN 3-11-016900-2, S. 191 (online).
  2. Musik & Ästhetik, Band 1, 1997, ISSN 1432-9425
  3. Optimismus der Fremden: Wer ist Flüchtling? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Januar 2017]).
  4. https://www.wiwo.de/politik/ausland/tauchsieder-was-kommt-nach-dem-liberalismus/25234600.html
  5. udk-berlin.de
  6. Byung-Chul Han: "L'homme numérique a aboli l'autre". In: L'Espress. 8. Dezember 2015. Abgerufen am 8. Dezember 2015.
  7. Vgl. Han: Agonie des Eros, Berlin 2012.
  8. Klarheit schaffen. In: der Freitag. 7. Juni 2012. Abgerufen am 9. Juni 2012.; Thomas Zaugg: «Das Smartphone ist ein Pornoapparat». Der Philosoph Byung-Chul Han ist der treffendste Kritiker unserer Art zu leben. In: Das Magazin N° 39, 3. Oktober 2014, S. 8–17; online
  9. Psychopolitics: Neoliberalism and New Technologies of Power by Byung-Chul Han (review). In: The Guardian. 30. Dezember 2017. Abgerufen am 5. Februar 2019.
  10. Magnus Klaue: Byung-Chul Han: Wir hatten eine gute Zeit. In: Die Zeit. 14. September 2016, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 24. März 2020]).
  11. https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/05/byung-chul-han-philosophie-neoliberalismus
  12. https://elpais.com/cultura/2014/03/18/actualidad/1395166957_655811.html
  13. https://elpais.com/cultura/2018/02/09/actualidad/1518178267_725987.html
  14. https://artreview.com/power-100
  15. Michael Stallknecht findet, dass Han in diesem Band überzeugend erklärt, „warum uns die Schönheit so merkwürdig fremd geworden ist“ (Keine Kunst ohne Verletzung. Byung-Chul Han rettet das wahre Schöne, in: Süddeutsche Zeitung, 30. August 2015, S. 18).