Friedrich Heer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche

Friedrich Heer (* 10. April 1916 in Wien; † 18. September 1983 in Wien) war ein österreichischer Kulturhistoriker, Schriftsteller und Publizist.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1926 bis 1934 besuchte Heer das renommierte, ihn stark prägende Akademische Gymnasium in Wien und legte dort am 18. Juni 1934 die Reifeprüfung ab. Ab Herbst 1934 studiert er Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Wien und promovierte 1938 zum Doktor der Philosophie mit einer Arbeit zur Geistesgeschichte des Mittelalters. Nach – umstrittenen – eigenen Angaben wurde Heer am 11. März 1938 beim Einmarsch von Hitlers Armee nach Österreich verhaftet und in den Folgejahren mehrmals vorübergehend inhaftiert.[1][2]

Nach dem Kriegsdienst (Rückkehr nach Wien am 24. März 1946) lebte Heer zunächst von 1946 bis 1948 als freier Schriftsteller und war dann vom 1. Januar 1948 bis zum 30. Juni 1961 als Redakteur der katholischen Wochenzeitschrift Die Furche tätig. Am 30. Juni 1961 wurde er zum Leiter der Dramaturgie am Burgtheater ernannt und verblieb in dieser Funktion vom 1. November 1961 bis 31. August 1971. 1971 bis 1981 fungierte er im Burgtheater als „Leiter des Sekretariates für kulturelle Angelegenheiten und internationale Kontakte“. Mit 31. Januar 1981 wurde er auf eigenes Ersuchen in den dauernden Ruhestand versetzt. Vom 1. Februar 1981 bis zu seinem Tod blieb er „Konsulent für kulturelle Angelegenheiten und internationale Kontakte“.

Als Katholik nahm Heer eine kritische Haltung ein, vor allem gegenüber den Verbindungen der Kirche und ihrer Würdenträger mit dem Nationalsozialismus.

Heers universitäre Karriere verlief angesichts des konservativen Klimas in seinem Fachbereich und des Widerstandes von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel wechselvoll. Heer wurde am 14. November 1950 gegen beträchtliche Widerstände in der Fakultät zum Privatdozenten für „Geistesgeschichte des Abendlandes“ habilitiert und erhielt mit Datum vom 22. Dezember 1961 den Titel eines „Außerordentlichen Universitätsprofessors“. Seine Bemühungen um ein Ordinariat an der Wiener Universität blieben ohne Erfolg.[3]

In seinen Schriften thematisiert er vor allem die christlich-abendländische Geistesgeschichte.

Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 33 G, Nummer 69).

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heer begann als Mittelalter-Historiker: in seiner Dissertation und in seinem ersten großen Werk, dem Buch Aufgang Europas von 1949, dem 1952 als zweiter Band Die Tragödie des Heiligen Reiches folgte. (Das Heilige Römische Reich war dann auch Thema und Titel eines Buches von 1967.) Der Titel des Buches Gespräch der Feinde (1949) wurde von Gegnern und Freunden als „Lebensmotto“ Heers erkannt. Auch Heer selbst betrachtete dieses Buch als „Angelpunkt“ seines kultur- und kirchenkritischen Werkes.

Das Mittelalter wurde für Heer erneut zum Thema eines ganzen Buches im Rahmen von Kindlers Kulturgeschichte, für die er 1961 den Band Mittelalter schrieb. Seine Werke nach 1952 stellen das Mittelalter jedoch zunächst in größere Zusammenhänge, so in der ersten großen Synopsis Europäische Geistesgeschichte (1953), die einen Bogen vom Frühchristentum bis in die Gegenwart schlägt. Als (sehr umfangreiche) Ergänzungen und Erweiterungen der Europäischen Geistesgeschichte können die Bücher Europa. Mutter der Revolutionen (1964), das speziell die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zum Thema hat, und Die dritte Kraft (1959), in dem es um das 16. Jahrhundert und den Humanismus geht, betrachtet werden.

Für die Fischer-Bücherei konzipierte Heer Einführungen zu Hegel (1955), Meister Eckhart (1956), Leibniz (1958) und Erasmus von Rotterdam (1962), die jeweils einen einleitenden Text Heers und seine Auswahl aus den Werken der Denker enthalten.

In einigen seiner bedeutendsten Werken setzte Heer sich kritisch mit einzelnen kirchlichen Traditionen auseinander: mit dem Antisemitismus in den beiden zusammengehörigen Werken Gottes erste Liebe (1967) und Der Glaube des Adolf Hitler (1968), die bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen erregten. Das Werk Kreuzzüge – gestern, heute, morgen? (1969) macht die Kriegstheologie zum Thema, Abschied von Höllen und Himmeln (1970) die christliche Eschatologie.

In seiner Geschichtsdeutung hatte Heers Heimatland Österreich immer einen besonderen Stellenwert, so erstmals in der Aufsatzsammlung Land im Strom der Zeit (1958) und dann in Der Kampf um die österreichische Identität (1981), das eines seiner Hauptwerke ist.

Das Wagnis der schöpferischen Vernunft (1977) bezeichnete Heer als sein „geistiges Testament“. Neben seinen Hauptwerken veröffentlichte er zahlreiche Sammelbände seiner Aufsätze, so z. B. Sprechen wir von der Wirklichkeit (1955), Quellgrund dieser Zeit (1956) und Experiment des Lebens (1957).

Neben seinen geisteswissenschaftlichen Studien schrieb Heer Romane (Aster und der Alte, Scheitern in Wien und Der achte Tag).

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1947: Die Stunde des Christen
  • 1949: Gespräch der Feinde
  • 1949: Aufgang Europas (zwei Bände)
  • 1950: Der achte Tag (Roman, erschienen unter dem Pseudonym „Hermann Gohde“[4])
  • 1952: Die Tragödie des Heiligen Reiches
  • 1953: Europäische Geistesgeschichte
  • 1953: Grundlagen der europäischen Demokratie der Neuzeit
  • 1956: Meister Eckhart — Predigten und Schriften. Fischer Bücherei, Frankfurt am Main
  • 1957: Das Experiment des Lebens
  • 1959: Sprung über den Schatten. Christsein ist kein Hobby (Zuerst erschienen unter dem Titel „Junger Mensch vor Gott“)
  • 1960: Die dritte Kraft. Der europäische Humanismus zwischen den Fronten des konfessionellen Zeitalters. Fischer Verlag, Frankfurt
  • 1961: Mittelalter – von 1100 bis 1350 in Kindlers Kulturgeschichte
  • 1964: Europa – Mutter der Revolutionen
  • 1967: Das Heilige Römische Reich
  • 1967: Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum. Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler. Bechtle Verlag, 1967, ISBN 3-462-01234-7
  • 1969: Kreuzzüge, gestern, heute, morgen? Verlag Bucher, Luzern
  • 1968: Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität ISBN 3-548-34598-0.
  • 1974: Scheitern in Wien (Roman)
  • 1977: Warum ich Christ, Atheist, Agnostiker bin. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
  • 1978: Warum gibt es kein Geistesleben in Deutschland?
  • 1981: Der König und die Kaiserin (Gegenüberstellung Friedrich II. und Maria Theresia)
  • 1981: Der Kampf um die österreichische Identität
  • Konrad Paul Liessmann (Hrsg.): Ausgewählte Werke in Einzelbänden 1. Das Wagnis der schöpferischen Vernunft. Böhlau Verlag, Wien 2003, ISBN 3-205-77124-9.
  • Johanna Heer (Hrsg.): Ausgewählte Werke in Einzelbänden 2. Ausgewählte Essays: Europa: Rebellen, Häretiker und Revolutionäre. Böhlau Verlag, Wien 2003, ISBN 3-205-77123-0.
  • Sigurd Paul Scheichl (Hrsg.): Ausgewählte Werke in Einzelbänden 3. Europäische Geistesgeschichte. Böhlau Verlag, Wien 2004, ISBN 3-205-77266-0.
  • Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ausgewählte Werke in Einzelbänden 4. Europa – Mutter der Revolutionen. Böhlau Verlag, Wien 2004, ISBN 3-205-77264-4.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Adolf Gaisbauer: Friedrich Heer. Eine Bibliographie. Böhlau Verlag, Wien 1990
  • Richard Faber, Sigurd Paul Scheichl (Hg) Die geistige Welt des Friedrich Heer, Böhlau 2008
  • Evelyn Adunka: Friedrich Heer. 1916 - 1983. Eine intellektuelle Biographie. Innsbruck / Wien: Tyrolia 1995 ISBN 3-7022-1868-8.
  • Wolfgang Ferdinand Müller: Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer. Innsbruck / Wien: Tyrolia 2002
  • Richard Faber, Carl Amery, Reinhard Knoll: Offener Humanismus zwischen den Fronten des kalten Krieges: Über den Universalhistoriker, politischen Publizisten und religiösen Essayisten Friedrich Heer, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005
  • "Schreiber bin ich, Worte-Macher..." Die vielen Gesichter des Friedrich Heer, 1916–1983. Friedrich Heer-Sonderband der Wiener Zeitschrift "Spurensuche", Jg. 19, H. 1-4. Wien 2010
  • Anton Pelinka: „Friedrich Heer als intellektuelle Zentralfigur der Nachkriegszeit“. In: Europäische Rundschau 2/06, S. 17–25.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Adolf Gaisbauer: ‘Heer-Bilder’ oder ein 'Widerruf' mit Folg(erung)en, in Faber/Scheichl (Hg.): Die geistige Welt des Friedrich Heer, S. 251–312
  2. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-170
  3. Habilitationsakten des Unterrichtsministeriums und der Universität zum Habilitationsvorgang und zur definitiven Habilitierung. Ernennungsdekret der Präsidentschaftskanzlei vom 22. Dezember 1961 mit entsprechender Verständigung des Ministeriums und des Ernannten. Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bestand Bundesministerium für Unterricht, Hauptreihe 1-19, Philosophie, 4C3, Friedrich Heer, GZ 25.296/50 bzw. GZ 108.576-4/61; Universitätsarchiv Wien, Habilitationsakt Friedrich Heer, Zl. 2303 ex 1948/49.
  4. Johann Baptist Müller führt Hermann Gohde als eigentlichen Namen von Heer auf, in: Die Deutschen und Luther, Reclams Universal Bibliothek Nr. 7916, Seite 222 (Verzeichnis der Autoren)