Maxim Biller

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Maxim Biller (* 25. August 1960 in Prag, Tschechoslowakei) ist ein deutscher Schriftsteller und Kolumnist.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Maxim Biller wurde als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und emigrierte 1970 als Zehnjähriger zusammen mit der Mutter Rada Biller, dem Vater Semjon-Jevsej Biller (1931–2017[1]) und der Halbschwester,[2] der späteren Journalistin und Schriftstellerin Elena Lappin, nach Westdeutschland. Er studierte in Hamburg und München Literatur und schloss sein Studium 1983 bei Wolfgang Frühwald mit einer Magisterarbeit über das Bild der Juden im Frühwerk Thomas Manns ab.

Nach einem weiteren Studium an der Deutschen Journalistenschule in München schrieb Biller für Tempo, Spiegel und Die Zeit und Faces. Seine Kolumne bei Tempo trug den Titel: 100 Zeilen Hass und machte ihn als Provokateur in der Zeitgeistszene bekannt. Sein erster Erzählband Wenn ich einmal reich und tot bin (1990) stieß auf geteilte Kritiken,[3] ebenso der zweite, Land der Väter und Verräter (1994).[4] Ähnlich kontrovers war die Reaktion auf alle weiteren literarischen Werke Billers.[5]

Biller hat immer wieder literarische Kontroversen ausgelöst. So forderte er 1991 in dem Essay Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel[6] die deutschsprachigen Schriftsteller dazu auf, realistischer zu schreiben und mit den „Altavantgardisten und Literaturnomenklaturisten“ zu brechen, was ihm viel Kritik einbrachte. Im April 2000 organisierte er in der Evangelischen Akademie Tutzing die Tagung Freiheit für die deutsche Literatur, die er mit einer polemischen und viel diskutierten Rede selbst eröffnete. Darin warf er seinen – in großer Zahl anwesenden – Kollegen der jungen und mittleren Autorengeneration vor, sie schrieben „Schlappschwanz-Literatur“ und ignorierten das „handwerkliche Prinzip ‚Moral‘“, denn, wie Biller meint: „Ohne Moral keine Kunst, keine Literatur“.[7] Biller selbst erklärt seine Einlassungen und Interventionen, die er oft von der Position eines in Deutschland lebenden und schreibenden tschechisch-russischen Juden vornimmt, so: „Weil ich mit meiner Literatur zur deutschen Literatur gehören möchte – es ist wahrscheinlich das alte Heinrich-Heine-Drama – und hoffentlich auch gehöre“.[8]

Billers Romane und Erzählungen wurden in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem der Roman Die Tochter, der in Frankreich 2003 in der renommierten Reihe folio beim Verlag Gallimard erschienen ist. 2007 wurden zwei seiner Short Storys im New Yorker abgedruckt, „was bei Deutschen so häufig vorkommt wie Papstwerden“.[9] Im Juli 2010 begann er in der deutschen Ausgabe des Rolling Stone unter dem Titel Maxim Billers Feuilletonshow eine politisch-gesellschaftliche Kolumne zu schreiben. Biller stellte nach zwei Kolumnen die Zusammenarbeit wieder ein, weil das Magazin einen Text über Ferdinand von Schirach nicht unverändert drucken wollte.

Biller lebt in Berlin. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb er bis 2019 die satirische Kolumne Moralische Geschichten. Eine der Hauptfiguren, Dudek Kohn, ist ein erfolgloser jüdischer Schriftsteller, dessen siebenjährige Tochter Rosa immer bessere Ideen hat als er. Billers zweite Kolumne heißt Über den Linden und handelt von ihm selbst und seinen Begegnungen mit Freunden und Künstlern in Berlin. Sie erscheint in unregelmäßigen Abständen in der Zeit.

Billers Mutter, Rada Biller, hat bis 2011 ebenfalls einige Erzählungen und einen Roman im Berlin Verlag herausgebracht.[10] In einem Interview mit René Scheu für die NZZ sagt Biller, von seiner Mutter habe er „den Sinn fürs Menschliche“ geerbt, während er von seinem Vater seine „Direktheit und Unbedingtheit“ habe.[11]

Von Oktober 2015 bis Dezember 2016 war er Teilnehmer in der Neuauflage des Literarischen Quartetts im ZDF.[12] Über Billers Auftritte schrieb der Tagesspiegel: „Ohne Maxim Biller wäre die Veranstaltung nur die Hälfte wert […] Auch wenn man sich für keine einzige der vorgestellten Neuerscheinungen interessiert, die Art und Weise, wie diese Billers Deutungsraster durchlaufen, ist gute, intelligente Unterhaltung am späteren Abend.“[13]

Esra-Kontroverse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2003 erregte Biller Aufsehen mit seinem Roman Esra, dessen Vertrieb dem Verlag Kiepenheuer & Witsch im Frühjahr 2003 gerichtlich untersagt wurde, nachdem etwa 4000 Exemplare ausgeliefert worden waren. In dem autobiografischen Text werden intime Einzelheiten über den Ich-Erzähler und seine Partnerin Esra geschildert. Dabei werden starke Übereinstimmungen zwischen der Figur der Esra und Billers früherer Partnerin Ayşe Romey erkennbar. In der Figur der Lale, einer herrschsüchtigen, psychisch kranken Alkoholikerin, fühlte sich wiederum deren Mutter Birsel Lemke diffamiert.

Romey und Lemke erwirkten daher eine einstweilige Verfügung; in dem Verfahren untersagte das Landgericht München I die weitere Verbreitung des Buchs, da es das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen verletzt sah. Am 21. Juni 2005 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision von Kiepenheuer & Witsch gegen das vorhergegangene Urteil. Der Verlag rief daraufhin das Bundesverfassungsgericht an. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte jedoch am 13. Juni 2007 die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen wegen einer massiven Persönlichkeitsverletzung Romeys ab und verwies die Sache im Übrigen an den Bundesgerichtshof zurück.[14] Somit darf das Werk nicht mehr verbreitet und veröffentlicht werden.[15]

Weiterhin verklagten Romey und Lemke vor dem Landgericht München I Autor und Verlag auf jeweils 50 000 Euro Schmerzensgeld. Romey wurde dieses unter dem 13. Februar 2008 zuerkannt.[16] Besonders gegen eine derartige Verurteilung auf Schmerzensgeld hatten über hundert Persönlichkeiten ihre Stimme erhoben, darunter Herbert Achternbusch, Günter Grass, Elfriede Jelinek, Peter Zadek und Feridun Zaimoğlu.[17]

Dieses Urteil des Landgerichtes wurde unter dem 24. November 2009 letztinstanzlich durch den BGH aufgehoben: Schon das Verbot eines Kunstwerkes wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung sei ein erheblicher Eingriff in die Kunstfreiheit, so dass eine Geldentschädigung nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht komme.[18]

Zwischenzeitlich, unter dem 10. Juni 2008, hatte der Bundesgerichtshof die Unterlassungsklage von Lemke zurückgewiesen (VI ZR 252/07[19]): Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sei – im Gegensatz zu demjenigen ihrer Tochter – nicht schwerwiegend verletzt. In diesem Fall habe die Kunstfreiheit Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht.[20] Für das durch Romey erwirkte Verbot des Buches hat dieses Urteil jedoch keine Auswirkungen, es darf weiterhin nicht verbreitet werden. Es erledigte sich aber dadurch die Schmerzensgeldklage Lemkes.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bettina Codrai: Ich-Diskurse in Maxim Billers Prosa. In: Pegisha. Band 10. Peter Lang, Bern 2015, ISBN 978-3-631-65753-9.
  • Kai Sina (Hrsg.): Im Kopf von Maxim Biller. Essays zum Werk. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, ISBN 978-3-462-05253-4.
Zur Esra-Kontroverse
  • Sandra Westphal: Deutungshoheit über Texte. Eine Analyse des rechtswissenschaftlichen Diskurses über Literatur. In: Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft. Neue Folge. Band 48. Nomos, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8487-5942-2, S. 154–194 (zugleich Dissertation, Westfälische Wilhelms-Universität, 2018).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Maxim Biller: Kaddisch für meinen Vater. Die Zeit, 16. August 2017, abgerufen am 24. September 2019.
  2. Anja Höfer: Maxim Biller: Sechs Koffer. (PDF) SWR2, abgerufen am 24. September 2019.
  3. Während für Peter von Becker der zu einem „Geistesenkel Tucholskys“ erklärte Biller der Gegenwart „wahr und diesmal witzig an den Nerv“ ging, vergleichbar mit „Bölls früher Prosa“ und den „Nachkriegsromanen von Wolfgang Koeppen“, nannte ihn Ulrich Greiner einen „absolut zeitgeistmäßige[n]“ Künstler ohne „Psychologie und erzählerischen Atem“. Michael Wise erklärte Biller hingegen in der Jerusalem Post zum „deutschen Philip Roth“.
  4. Hajo Steinert: Maxim Billers neue Erzählungen: Hardcore-Realismus. In: Die Zeit. 4. November 1994, abgerufen am 13. September 2019.
    Werner Fuld schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Maxim Biller pflegt einen Stil, wie er vor Thomas Mann von den großen Russen wie Tschechow geschrieben wurde, die nicht das ironische Einverständnis mit dem Leser suchten, sondern zuerst um einen respektvollen Umgang mit ihren Figuren bemüht waren.“ Andere Kritiker warfen Biller gerade seine klassische Erzählweise und „seine journalistischen Hardcore-Gelüste“ vor.
  5. So schrieb Eberhard Falcke über Billers Roman Die Tochter (2000) in der Süddeutschen Zeitung: „Das Bekenntnis des Erzählers zur radikalen Eindimensionalität schränkt seinen Gesichtskreis ziemlich ein.“ Und Thomas Wirtz erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Maxim Biller – und das ist sicher die überraschendste Erkenntnis nach seinem ersten Roman – ist ein bis in die kratzende Wolle hinein eingefärbter Traditionalist, ein Freud-Joyce-Musil-Leser.“ Noch zwiegespaltener fielen die Reaktionen auf Billers Opus Magnum aus, den 900-seitigen Roman Biografie, der im Frühjahr 2016 erschienen ist. „Und so schafft der Roman Biografie etwas, im Negativbild, was das höchste Ziel jeden Romans ist: Er ist Spiegel seiner Zeit“, schrieb Georg Diez auf Spiegel Online, während Lothar Müller ihn für seinen „nicht ununfeministischem Herrenwitz“, für „hohe Adjektiv-Dichte, noch höhere Dichte von Namen und Wörtern, die Jüdisches signalisieren“ und „hohes Tempo“ kritisierte.
  6. Maxim Biller: Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel. In: Die Weltwoche, 25. Juli 1991.
  7. Maxim Biller: Feige das Land, schlapp die Literatur: Über die Schwierigkeiten beim Sagen der Wahrheit. In: Die Zeit. 13. April 2000, abgerufen am 13. September 2019.
  8. Adam Soboczynski: Maxim Biller: „Die Deutschen kriegen es ab“. 3. März 2016, abgerufen am 13. September 2019 (Interview werk=Die Zeit).
  9. Malte Welding: Wolf unter Schafen. In: Die literarische Welt, 27. April 2013, S. 2.
  10. Im Kofferraum ein Topf voll Borschtsch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juni 2011, Seite 32.
  11. https://www.nzz.ch/feuilleton/interview-mit-maxim-biller-ld.1571933
  12. ZDF-Debattiersendung: Maxim Biller hört beim „Literarischen Quartett“ auf. In: Spiegel Online. 16. Januar 2017, abgerufen am 13. September 2019.
  13. Markus Ehrenberg: Ein Jahr „Literarisches Quartett“: „Ganz kurz, ich kann’s ja begründen!“ In: Der Tagesspiegel. 13. Oktober 2016, abgerufen am 13. September 2019.
  14. Bundesverfassungsgericht: Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 -
  15. Verletzung von Persönlichkeitsrechten: Roman "Esra" bleibt verboten
  16. "Esra"-Roman: Ex-Freundin erhält 50.000 € Schmerzensgeld
  17. Ein Aufruf von Schriftstellern für Billers "Esra" : "Freiheit, die wir meinen"
  18. Zusammenfassung des Urteils vom 24.11.2009
  19. Bundesgerichtshof: BGH, Urteil vom 10.06.2008 – VI ZR 252/07. In: openJur. Abgerufen am 13. September 2019.
  20. „Esra“-Klage abgewiesen. In: Weser-Kurier, 11. Juni 2008.
  21. Fritz Gimpl: Maxim Biller: Harlem Holocaust. In: Lit-eX – Magazin für Verrisse aller Art, Ausgabe 2. Dezember 1998, abgerufen am 13. September 2019 (Rezension).
  22. Scharfsinnig, satirisch, grenzwertig: Grimm-Professor Maxim Biller liest an drei Terminen im Dezember. (Nicht mehr online verfügbar.) Pressemitteilung 135/08 der Universität Kassel, 11. Dezember 2008, archiviert vom Original am 17. Dezember 2008; abgerufen am 9. Januar 2019.