Phorusrhacidae
Phorusrhacidae | ||||||||||||
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Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
Oberes Paläozän bis Oberes Pleistozän[1] | ||||||||||||
58,7 Mio. Jahre bis 18.000 Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Phorusrhacidae | ||||||||||||
Ameghino, 1889 |

Die Phorusrhacidae, auch Terrorvögel, waren bis zu 2,4 m, möglicherweise auch bis zu 3 m große, bodenbewohnende und meist flugunfähige Vögel, deren Fossilien vor allem in Südamerika gefunden wurden. Sie nahmen während des Paläogen und des Neogen in Südamerika die Rolle der Topräuber ein. Die einzigen rezenten Vögel, die mit ihnen näher verwandt sind, sind die südamerikanischen Seriemas (Cariamidae). Zehn Gattungen und 25 Arten wurden beschrieben. Die älteste Art ist Paleopsilopterus itaboraiensis aus dem Mittleren Paläozän (Itaboraium) von Rio de Janeiro (Brasilien).
Geschichte und Verbreitung der Familie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der erste Phorusrhacide Phorusrhacos longissimus wurde 1887 durch den argentinischen Naturforscher Florentino Ameghino nach einem Fund in der argentinischen Provinz Santa Cruz beschrieben. Später erfolgten Funde in anderen Teilen Argentiniens, in Bolivien und Brasilien. Von der antarktischen King-George-Insel sind zwei einzelne, dreizehige 18 cm lange Fußabdrücke aus der Zeit von vor 55 Millionen Jahren bekannt, die entweder einem Phorusrhaciden oder einem Laufvogel zugeordnet werden. Außerdem wurde in 40 Millionen Jahren alten Schichten auf der Seymour-Insel der Vorderteil eines Phorusrhacoidenschnabels gefunden. Auch aus dem aquitanischen Becken in Frankreich wurde mit dem 38 bis 35 Millionen Jahre alten Ameghinornis ein Phorusrhacoide vermeldet, der nur so groß wie ein Seriema war und offenbar noch fliegen konnte. Allerdings schließen Alvarenga und Höfling (2003) diesen Fund aus der Gruppe der Phorusrhacidae aus, und die Familie enthält in dieser Auffassung nur Taxa aus Südamerika sowie Titanis walleri aus dem Oberen Pliozän und Unteren Pleistozän von Nordamerika.[3] Heute werden Ameghinornis und seine Verwandten in eine separate Familie, die Ameghinornithidae gestellt.[4] 2011 wurde anhand eines einzelnen Oberschenkelknochens die Gattung Lavocatavis beschrieben, ein möglicher Phorusrhacide aus dem frühen oder Mittleren Eozän von Marokko.[2] Allerdings existieren für alle Funde außerhalb der Amerikas entgegenstehende Merkmale oder alternative Deutungen, so dass ein Vorkommen in der Alten Welt bisher als äußerst zweifelhaft gilt.[5]
Mit der Entstehung des Isthmus von Panama, d. h. der Bildung einer Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika breiteten sich die Phorusrhaciden daher auch nach Nordamerika aus. Als stratigraphisch jüngster Fund galt lange Zeit der bereits erwähnte 2,5 bis 1,5 Millionen Jahre alte Titanis walleri aus Nordflorida. 2010 publizierte eine Forschergruppe um Herculano Alvarenga Phorusrhaciden-Reste aus Uruguay, die ein absolutes Alter von nur 17.620±100 Jahre haben[1]. Dies entspricht chronostratigraphisch dem obersten Pleistozän. Ein weiterer Fund von Psilopterus aus Uruguay mit einem OSL-Alter von 96.040 ± 6300 Jahren, der 2018 von Jones et al. publiziert wurde, belegt wohl das Überleben der Gruppe bis ins Obere Pleistozän.[6]
Merkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Phorusrhaciden hatten einen kräftigen Rumpf, einen hohen, an fleischliche Nahrung angepassten Schnabel, einen relativ langen Hals und lange, muskulöse Hinterbeine. Ihre Stummelflügel dürften bei den meisten Arten nur noch dazu gedient haben, beim Rennen das Gleichgewicht zu halten. Die flugunfähigen Tiere erreichten ein Körpergewicht von etwa 45 bis zu 180 kg, wurden 0,8 bis 2,4 Meter, eventuell auch bis zu 3 Meter hoch[7][8] und erzielten Laufgeschwindigkeiten von über 50 km/h.
Lebensweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Phorusrhaciden nahmen in Südamerika zusammen mit den fleischfressenden Beutelsäugern der Ordnung Sparassodonta und den terrestrischen Krokodilen der Familie Sebecidae die Rolle der hier fehlenden Raubtiere (Carnivora) ein. Während die beiden anderen Gruppen aber eher langsam waren, spezialisierten sich die meisten Terrorvögel auf schnelle Beute in den vor 27 Millionen Jahren zunehmend offener werdenden Trockenwäldern und Savannen Südamerikas. Gleichzeitig begann auch ihr Riesenwuchs. Vor fünf Millionen Jahren hatten sie die räuberischen Beutelsäuger völlig aus den Savannen verdrängt. Die größeren Arten konnten mit Fußtritten Beutetiere von der Größe einer Antilope töten.[9] Bei einem Angriff gebrauchten die Vögel außerdem ihren Kopf mit dem großen Schnabel wie eine Axt. Anstatt sich in das Opfer zu verbeißen, setzten sie schnelle und präzise Hiebe.[10] Es gab allerdings auch plump gebaute und langsame Terrorvögel, die sich wahrscheinlich von Aas ernährten. In Südamerika starben die größeren Phorusrhaciden zum Ende des Pliozäns aus. Über die Ursache ihres Aussterbens ist nur sehr wenig bekannt. Man vermutet, dass die Phorusrhaciden den neu einwandernden Säbelzahnkatzen (Machairodontinae) und Hunden (Canidae) nicht gewachsen waren. Kleinere Formen überlebten aber bis ins Obere Pleistozän.
Äußere Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Als offensichtlich carnivore Vögel wurden die Phorusrhaciden kurz nach ihrer Entdeckung zunächst zu den Greifvögeln gestellt. Aber schon 1899 konnte Charles W. Andrews vom British Museum in London nachweisen, dass es sich um Verwandte der heute noch in südamerikanischen Savannen lebenden Seriemas (Cariamidae) handelt. Weitere nahe Verwandte sind die ausgestorbenen Familien Bathornithidae aus Nordamerika und die Idiornithidae aus Europa. Beide Gruppen lebten vom Eozän bis zum frühen Oligozän. Alle vier Familien wurden traditionell in die Ordnung der Kranichvögel (Gruiformes) gestellt, und dort in eine Überfamilie Cariamoidea[11] oder eine Unterordnung Cariamae[12] zusammengefasst. Da neuere, sich auf vergleichende DNA-Sequenzanalysen stützende Forschungen die Monophylie der Kranichartigen in Frage stellen und die Seriemas außerhalb der Ordnung sehen, ist auch die Zugehörigkeit der Phorusrhacidae zu den Kranichartigen inzwischen zweifelhaft[13] und in neueren Veröffentlichungen werden sie zusammen mit den Seriemas der Ordnung Cariamiformes zugeordnet[14].
Innere Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Phorusrhacidae werden nach Alvarenga und Höfling (2003) in fünf Unterfamilien, 14 Gattungen und 18 Arten unterteilt.[3] Ihre größte Diversität erreichten sie während des Unteren Miozän.
Unterfamilie Physornithinae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zur Unterfamilie Physornithinae gehören große bis sehr große Arten. Die Vögel hatten einen schweren Körperbau, kurze Beine und große Schnäbel und waren möglicherweise Aasfresser. Fossilien aus dieser Gruppe sind 27 bis 17 Millionen Jahre alt.[15][16]
- Gattung Paraphysornis (Oberes Oligozän bis Unteres Miozän von São Paulo, Brasilien)
- Gattung Physornis (Mittleres bis Oberes Oligozän von Santa Cruz, Argentinien)
Unterfamilie Phorusrhacinae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zur Unterfamilie Phorusrhacinae gehören mittelgroße bis sehr große Arten, mit einer Körperhöhe bis zu 2,4 oder sogar auch bis zu 3 Meter und einem Gewicht bis zu 180 kg. Es waren schnelle Beutegreifer. Fossilien aus dieser Gruppe sind 27 bis 1,8 Millionen Jahre alt.
- Gattung Devincenzia (Oberes Miozän bis Unteres Pliozän von Nordostargentinien und Arroyo Roman, Uruguay)
- Gattung Kelenken (Mittleres Miozän von Río Negro, Argentinien (derzeit größter bekannter Phorusrhacid))[17]
- Gattung Phorusrhacos (Unteres bis Mittleres Miozän)
- Gattung Titanis (Pliozän bis Unteres Pleistozän)
Unterfamilie Patagornithinae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zur Unterfamilie Patagornithinae gehören mittelgroße Arten, etwa 1,5 Meter hoch.
- Gattung Patagornis (Unteres bis Mittleres Miozän von Santa Cruz, Argentinien) einschließlich Morenomerceraria, Palaeociconia, Tolmodus
- Gattung Andrewsornis (Mittleres bis Oberes Oligozän von Südargentinien)
- Gattung Andalgalornis (Oberes Miozän bis Unteres Pliozän)
Unterfamilie Psilopterinae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zur Unterfamilie Psilopterinae gehören die kleinsten Arten, mit einer Körperhöhe von ungefähr einem Meter. Sie hatten möglicherweise einen Rest Flugfähigkeit bewahrt. Fossilien aus dieser Gruppe sind 63 Millionen bis 96,040 ± 6300 Jahre alt.[6] Der kleinste bekannte Terrorvogel Psilopterus lemoinei gehört zu dieser Unterfamilie. Er war so groß wie eine Harpyie und 8 kg schwer.
- Gattung Psilopterus (Mittleres Oligozän bis Oberes Pleistozän[6] von Süd- und Ostargentinien)
- Gattung Procariama (Oberes Miozän bis Unteres Pliozän von Catamarca, Argentinien)
- Gattung Paleopsilopterus (Mittleres Paläozän von Itaboraí, Brasilien)
Unterfamilie Mesembriornithinae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Unterfamilie Mesembriornithinae enthält zwei etwa 1 bis 1,5 Meter hohe mittelgroße Gattungen.
- Gattung Llallawavis (Oberes Pliozän)[18]
- Gattung Mesembriornis (Oberes Miozän bis Oberes Pliozän)
Weitere Gattungen und Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Gattung Patagorhacos (Unteres Miozän des nördlichen Patagonien)[19]
Die erst 2011 beschriebene nordafrikanische Gattung Lavocatavis wird keiner Unterfamilie zugeordnet.[2] Ursprünglich gehörten Physornis und Paraphysornis gemeinsam mit Brontornis zur Unterfamilie Brontornithinae. Eine Revision der Gattung Brontornis aus dem Jahr 2007 ergab jedoch eine nähere Verwandtschaft mit den Gänsevögeln, worauf hin Brontornis nun an die Basis dieser Gruppe gestellt wird und die neue Unterfamilie Physornithinae der Terrorvögel eingeführt wurde.[16]
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Herculano Alvarenga, Luis Chiappe und Sara Bertelli: Phorusrhacids: the Terror Birds, in Living Dinosaurs: The Evolutionary History of Modern Birds. Chichester 2011 (Onlinepublikation), ISBN 978-0-470-65666-2.
- Alan Feduccia: The Origin and Evolution of the Birds. 2. Aufl., Yale University Press, New Haven und London 1999, ISBN 0-300-07861-7.
- Larry G. Marshall: Riesenkraniche – Raubtiere Südamerikas im Tertiär. In: Spektrum der Wissenschaft, Dossier 1/2005, ISSN 0947-7934, ISBN 3-936278-90-3.
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ a b Herculano M.F. Alvarenga, Washington Jones und Andrés Rinderknecht: The youngest record of phorusrhacid birds (Aves, Phorusrhacidae) from the late Pleistocene of Uruguay. Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie Abhandlungen, 256/2: 229–234, Stuttgart. doi:10.1127/0077-7749/2010/0052.
- ↑ a b c Cécile Mourer-Chauviré, Rodolphe Tabuce, M’hammed Mahboubi, Mohammed Adaci & Mustapha Bensalah: A Phororhacoid bird from the Eocene of Africa. Naturwissenschaften (2011) 98:815–823, doi:10.1007/s00114-011-0829-5.
- ↑ a b Herculano M.F. Alvarenga und Elizabeth Höfling: Systematic revision of the Phorusrhacidae (Aves: Ralliformes). Papéis Avulsos de Zoologia, 43(4): 55–91, Sao Paulo 2003. PDF.
- ↑ Dieter S. Peters: The fossil family Ameghinornithidae (Mourer-Chauviré 1981): a short synopsis. Journal of Ornithology, Volume 148, Number 1 / Januar 2007 doi:10.1007/s10336-006-0095-z
- ↑ Gerald Mayr: Avian Evolution: The Fossil Record of Birds and its Paleobiological Significance. John Wiley & Sons, 2016. ISBN 978-1-119-02073-8 (Abschnitt „Were there phorusrhacids outside the Americas?“).
- ↑ a b c Washington Jones, Andrés Rinderknecht, Herculano Alvarenga, Felipe Montenegro & Martín Ubilla: The last terror birds (Aves, Phorusrhacidae): new evidence from the late Pleistocene of Uruguay. Paläontologische Zeitschrift, 92: 365–372, 2018 doi:10.1007/s12542-017-0388-y.
- ↑ Alvarenga und Höfling, S. 59.
- ↑ Luis M. Chiappe und Sara Bertelli: Skull morphology of giant terror birds. These monstrous birds were probably more agile and less portly than previously thought. Nature 443, 2006, S. 929.
- ↑ Artikel „Der Terror der Terrorvögel“ bei Wissenschaft.de.
- ↑ Artikel „Terrorvögel jagten mit der Boxkampf-Strategie“ bei H-AGE.net.
- ↑ Livezey, B.C. and R.L. Zusi (2007): Higher-order phylogeny of modern birds (Theropoda, Aves: Neornithes) based on comparative anatomy. II. Analysis and discussion, Zool. J. Linn. Soc. 149, 1-95.
- ↑ Robert L. Carroll: Paläontologie und Evolution der Wirbeltiere, Thieme, Stuttgart (1993), ISBN 3-13-774401-6.
- ↑ Hackett et al.: A Phylogenomic Study of Birds Reveals Their Evolutionary History. Science 27 June 2008: Vol. 320. no. 5884, pp. 1763–1768 doi:10.1126/science.1157704
- ↑ Federico J. Degrange & Claudia P. Tambussi: Re-Examination of Psilopterus lemoinei (Aves, Phorusrhacidae), a Late Early Miocene Little Terror Bird from Patagonia (Argentina). Journal of Vertebrate Paleontology, Volume 31, Issue 5, Seite 1080–1092, 2011, doi:10.1080/02724634.2011.595466.
- ↑ Alvarenga und Höfling, S. 59
- ↑ a b Frederico L. Agnolin: Brontornis burmeisteri Moreno & Mercerat, un Anseriformes (Aves) gigante del Mioceno Medio de Patagonia, Argentina. Revista del Museo Argentino de Ciencias Naturales Nueva Serie 9, 2007, S. 15–25.
- ↑ Sara Bertelli, Luis M. Chiappe und Claudia Tambussi: A new phorusrhacid (Aves: Cariamae) from the Middle Miocene of Patagonia, Argentina. Journal of Vertebrate Paleontology, 27(2):409-419, Deerfield, IL 2007.
- ↑ Federico J. Degrange, Claudia P. Tambussi, Matías L. Taglioretti, Alejandro Dondas, Fernando Scaglia. A new Mesembriornithinae (Aves, Phorusrhacidae) provides new insights into the phylogeny and sensory capabilities of terror birds. Journal of Vertebrate Paleontology, 2015; 35 (2): e912656 doi:10.1080/02724634.2014.912656.
- ↑ Federico L. Agnolin und Pablo Chafrat: New fossil bird remains from the Chichinales Formation (Early Miocene) of northern Patagonia, Argentina. Annales du Paléontologie, 2015 [1].