Tom Kummer

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Tom Kummer (* 14. Januar 1961[1] in Bern) ist ein Schweizer Journalist und Autor. Im Jahr 2000 löste er mit erfundenen Interviews einen Medienskandal aus.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tom Kummer war mehrere Jahre als Reporter für die Zeitschrift Tempo tätig. Ab 1993 arbeitete er als Hollywood-Korrespondent für das SZ-Magazin und das Tages-Anzeiger-Magazin sowie als freier Journalist (etwa für Die Zeit, Der Spiegel, NZZ, FAZ, Stern, Vogue). 1994 wurde er für seine Geschichte[2] über den Pulitzer-Preis-Gewinner Richard Ford für den Joseph-Roth-Preis nominiert. Er bezeichnet sich als Vertreter des „Borderline-Journalismus“;[3] in seinem 1996 veröffentlichten Buch Good Morning, Los Angeles bekannte er sich offen dazu. In einem 2012 aktualisierten Essay stellte er seine „publizistische Grundidee“ als Ausdruck unserer postmodernen Welt dar.[4]

Im Jahr 2000 entwickelte sich ein Presseskandal, als das Magazin Focus enthüllte, dass Kummer mehrere Interviews mit Prominenten – darunter Hollywood-Stars wie Charles Bronson, Brad Pitt oder Sharon Stone – nicht selbst geführt, sondern aus vorhandenem Material neu zusammengesetzt oder erfunden hatte.[5] Beide Chefredakteure des SZ-Magazins, Ulf Poschardt und Christian Kämmerling, wurden daraufhin entlassen. Roger Köppel, einer der geschädigten Abnehmer solcher Interviews, sagte 2011, er habe sich nicht vorstellen können, „dass jemand so dreist vorgeht. […] Kummer erzählte danach gerne, dass er seine Stücke mit Wissen der Chefredaktoren als Kunstform verkaufte – das ist eine dreiste Lüge. Schliesslich verrechnete er dafür Spesen – die waren sehr real und kein artistisches Konzept.“[6]

Nach mehreren Jahren Pause erhielt Kummer 2005 von der Berliner Zeitung eine neue Chance auf dem deutschsprachigen Printmarkt. Eine von ihm gelieferte Reportage erwies sich als Konvolut aus zwei Texten, die er bereits in der NZZ und im SZ-Magazin veröffentlicht hatte.[7] Obwohl es in der Branche als nicht ungewöhnlich gilt, bereits veröffentlichte Storys wiederzuverwerten, brach die Berliner Zeitung die Zusammenarbeit sofort ab, weil die Redaktion nicht darüber informiert war, dass es sich um alte, schon veröffentlichte Texte handelte. Ebenfalls 2005 wurde er als Kolumnist der Schweizer Zeitschrift Faces vorgestellt.[8]

2009 erschien sein Bericht Nation ohne Boden[9] über den Super Bowl in der WOZ. Dieser Artikel wurde danach in Der Sonntag vom Journalisten Peter Hossli kritisiert: Fakten seien unrichtig, Passagen überhöht und verdreht worden.[10] Die Redaktion der WOZ rechtfertigte sich in einem separaten Artikel;[11] Hossli wiederum kritisierte die Rechtfertigung und lieferte weitere Fakten zu Ungereimtheiten in Kummers Artikel.[12]

Im Juli 2009 schrieb er für die deutsche Wochenzeitung Der Freitag einen Artikel über das Phänomen Facebook.[13] Der Text wurde von der Website Der Umblätterer zu einem der zehn besten Feuilleton-Texte von 2009 gewählt („Goldener Maulwurf 2009“).[14] Ein Remake wurde 2011 im Aprilheft der Schweizer Kulturzeitschrift Du unter dem Titel Facebook Revisited – die Fiktion des Realen publiziert.[15]

2010 erschien der Dokumentarfilm Bad Boy Kummer unter Regie von Miklos Gimes, dem 1997 stellvertretenden Chefredaktor beim Tages-Anzeiger-Magazin.[16] Der Film startete am 21. Oktober 2010 in den Schweizer Kinos,[17] in Deutschland am 5. Mai 2011.[18] Laut Gimes wurde Kummer für seine Mitarbeit am Film – Interviews usw. – zwar bezahlt, habe aber nicht an der Filmgestaltung mitgewirkt.[19]

2013 erschien Kummers Geschichte Borderline im Schweizer Magazin Reportagen. Der Text wurde als Kummers Comeback-Story gewürdigt.[20] Von 2013 bis 2014 schrieb Kummer wieder regelmässig für die Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche.[21] 2016 sah sich Kummer mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Es stellte sich heraus, dass mehrere Artikel von Kummer in der Weltwoche und im Magazin Reportagen Sätze und Abschnitte enthielten, die er aus Artikeln im Spiegel, in der Zeit, Süddeutschen Zeitung, Wikipedia und weiteren Orten abgeschrieben hatte.[22]

Nach dem Tod seiner Frau Nina zog Kummer 2016 von Los Angeles wieder nach Bern.[23] In wohlwollenden Rezensionen seines 2017 erschienenen Romans „Nina & Tom“[24] wurde Kummer als „glänzender Stilist“[25] und „starker Erzähler“[26] bezeichnet. Tageszeitungen und Fachpresse berichteten jedoch über erneute Plagiate.[27] Der Zürcher Plagiatforscher und Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn bezeichnete Kummers Schreibverfahren als „Kunstgriff“, vermutet erneut „Szenen, die sich womöglich nie abgespielt haben“ und bilanzierte: „Hier trauert auch eine in die Jahre gekommene Schreibhaltung um die ihr abhandengekommene Welt.“[28]

Auf Einladung von Michael Wiederstein war Kummer für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2019 nominiert worden. Er las den Text „Von schlechten Eltern“,[29] wurde aber nicht in die Shortlist aufgenommen.[30] 2020 erschien der fertige Text als Roman unter demselben Titel. Er wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert.

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Good Morning, Los Angeles. Die tägliche Jagd nach der Wirklichkeit. Mit einem Nachwort von Claudius Seidl. dtv, München 1996
  • Gibt es etwas Stärkeres als Verführung, Miss Stone? Star-Interviews von Tom Kummer. Mit einem Vorwort von Ulf Poschardt. dtv, München 1997
  • Sharon Stone (Bildband mit Vorwort von Tom Kummer). Schirmer/Mosel, München 1998
  • Jackie! Ein Body-Bildungsroman. Ullstein, Berlin 1999
  • We love you (Kunstkatalog von Com&Com mit einem Text von Tom Kummer). Niggli, Zürich 2002, ISBN 3-7212-0459-X
  • Blow up. Die Story meines Lebens. Blumenbar, München 2007, ISBN 978-3-936738-26-1
  • Kleiner Knut ganz groß. Der berühmteste Eisbär der Welt im Gespräch mit Tom Kummer. Heyne, München 2007, ISBN 978-3-453-14658-7
  • Nina & Tom. Roman. Blumenbar, Berlin 2017, ISBN 978-3-351-05035-1
  • Fünf fiktive Interviews, in Christian Werner: Los Angeles. Korbinian Verlag, Berlin 2019
  • Von schlechten Eltern. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-608-50428-6
  • Reportagen & Porträts 1987–2016. Werkausgabe Part One. Hg. v. Tom Kummer und Florian Waldvogel. Edition Metzel, München 2020, ISBN 978-3-948395-00-1

Dokumentarfilm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Miklos Gimes: Bad Boy Kummer. T&C Film, Columbus Film. 92 Minuten, CH 2010.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum Autor[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum Fälschungsskandal[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Interviews[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. aufbau-verlag.de: Tom Kummer, online, abgerufen am 4. September 2017
  2. Presseberichte mit Abdruck des Artikels. (PDF; 5,99 MB)
  3. Erst Sensation dann Skandal: zu was journalistische Schlamperei führen kann. In: Focus Magazin. 24. April 2008
  4. Vom Mythos des Realen
  5. Als Tom Kummer die Welt zum Narren hielt. In: Focus Magazin. 25. Oktober 2010
  6. „Ich misstraue der Masse“. Medienwoche.ch, 25. November 2011; abgerufen am 1. Juni 2013
  7. Der Fälscher der Wahrheit. RP Online, 3. Mai 2011
  8. FACES: Neue Kolumnisten mit Maxim Biller, Tom Kummer und Uwe Kopf. persoenlich.com, 16. März 2005, abgerufen am 31. Mai 2014.
  9. Nation ohne Boden. In: WOZ Die Wochenzeitung, 5. Februar 2009
  10. Peter Hossli: Kummer kummert wieder. hossli.com, Der Sonntag vom 8. Februar 2009
  11. Kummer mit Tom. In: WOZ Die Wochenzeitung, 12. Februar 2009
  12. Peter Hossli: Spielberg kummern. hossli.com vom 12. Februar 2009
  13. Moritz trinkt immer noch, der Freitag vom 7. Juli 2009
  14. Best of Feuilleton 2009
  15. Zum Inhalt von Du, Heft 815, April 2011
  16. Bad boy und ich − Anmerkungen des Regisseurs. (PDF; 127 kB) kummer-film.ch, abgerufen am 21. Oktober 2010
  17. Der Fälscher. In: Tages-Anzeiger, 20. Oktober 2010
  18. Das schillernde Versprechen des Pop. Spiegel Online, 5. Mai 2011
  19. Journalist who faked celebrity scoops stars in film about his life and lies. In: The Guardian, 10. Mai 2011
  20. Borderline.
    Jan Wehn: Tom Kummer: Borderliner an der Borderline
    Alexander Krex: Banale Wirklichkeit: Begegnung mit Tom Kummer. Berliner Gazette, 5. Juni 2013
  21. Comeback von Tom Kummer. persoenlich.com, 18. Juli 2013; abgerufen am 1. Dezember 2013
  22. Boas Ruh: Tom Kummers unlautere Textcollagen. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. Juli 2016, abgerufen am 9. Juli 2016.Rainer Stadler: Plagiate. Die (Un-)Kultur des Kopierens. In: Neue Zürcher Zeitung vom 9. Juli 2016, abgerufen am 9. Juli 2016. – Daniel Puntas Bernet: Stellungnahme zum NZZ-Bericht über Tom Kummer. In: Reportagen. 9. Juli 2016, abgerufen am 9. Juli 2016.
  23. Stefan von Bergen: Tom Kummer: «‹Bad Boy›, das kommt meinem Wesen nahe». In: Berner Zeitung, 28. August 2016.
  24. Nina & Tom. Abgerufen am 11. September 2017 (englisch).
  25. Jochen Schmid: Tom Kummer reloaded. (PDF) Basler Zeitung, abgerufen am 11. September 2017.
  26. Jens Jessen: "Nina & Tom": Ein Dulder, kein Macho. In: Die Zeit. 30. März 2017, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 11. September 2017]).
  27. Tobias Sedlmaier: Tom Kummer: Alles nur geklaut 2.0. In: Neue Zürcher Zeitung. 19. April 2017, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 11. September 2017]).Tobias Kniebe: "Sie wird mich umbringen, wenn sie jemals davon erfährt". Süddeutsche Zeitung, 20. April 2017, abgerufen am 11. September 2017.Plagiatsvorwürfe gegen Tom Kummer – Er hat es wieder getan, boersenblatt.net, 19. April 2017, abgerufen am 21. April 2017
  28. Philipp Theisohn: Tom Kummer: Gonzo wohnt nicht mehr hier. In: Neue Zürcher Zeitung. 28. April 2017, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 11. September 2017]).
  29. Tom Kummer: Von schlechten Eltern. In: Bachmannpreis 2019. ORF, 28. Juni 2019, abgerufen am 5. Juli 2019.
  30. Die Shortlist für die Preisvergabe. In: Bachmannpreis 2019. ORF, 30. Juni 2019, abgerufen am 5. Juli 2019.