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Das oder der Blog?

Egal wie, Sie machen nichts falsch.

Hier ist mein Blog – es enthält vor allem eigene Texte, vorwiegend Gedichte, Kurzprosa und Stories, dazu einige Essays, die sich mit Zeitgeistigem befassen.

Rechts in der Sidebar sind die Themen mit den einzelnen Beiträgen aufgeführt: einfach immer weiter nach unten scrollen und dann den Titel anklicken. Oben im waagerechten Menü können Sie einige Notizen  zu bekannten Lyrikern aufrufen, die aus der Welt der Dichtkunst zu meinen Favoriten zählen.

Diese Website soll ein Ort zum Schnuppern sein, der vielleicht dazu einlädt, sich länger an ihm aufzuhalten, Inspirationen nicht auszuschließen.

Kurzweilig, informativ und auch einmal ungewöhnlich.

Kommentare, natürlich auch kritische, sind immer willkommen.

Ich wünsche gute Unterhaltung.

Hans-Wilhelm Precht

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Trampeltier Trump

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DONALD TRUMP:

TRIUMPHALISMUS DES TRAMPELTIERS

Sich auch nur für Donald Trump zu interessieren, ist peinlich. Das wissen die auf Amerika konditionierten Pawlow-Presstitutes in den deutschen Redaktionen. Sie sind trotzdem dazu verdonnert, ihren Lesern den Kotzbrocken irgendwie als möglichen US-Präsidenten zu verkaufen, doch selbst ihnen will es nicht gelingen, die Abscheu vor diesem Mann zu verbergen. Donald Trump gegen Hillary Clinton – der Berserker gegen die Giftmischerin, Miss Piggy gegen Fozzie Bear, der vor Publikum immerzu grottenschlechte Witze erzählt, die keiner hören will. Die Schlammschlacht im typischen Format einer Polit-Telenovela geht weiter, sie könnte Höhepunkten entgegen treiben, die Journalisten mit Restanstand endgültig sprachlos macht. Wie frustrierend muss es schon sein, einen Wahlkampf journalistisch zu begleiten, der keiner ist, und wie qualvoll erst, einen Weltherrscher kommen zu sehen, der wie eine Wildsau durch die schlichten Gefilde der amerikanischen Gemüter tobt.

Trump geht gar nicht, bloß er geht nicht weg. Georg Diez, ein transatlantischer Kandelaber des SPIEGEL, versucht sich in seiner Hilflosigkeit darin, Donald Trump eine besondere Art von „autoritärer Dynamik“ anzudichten, die er ebenfalls bei der AfD zu verorten glaubt – Autorität, Stärke und Rücksichtslosigkeit als Sehnsucht des Bürgertums in Deutschland und als Rettungsring für die versinkende Mittelschicht in den USA. Der Denkfehler, bzw. das Wunschdenken von Georg Diez liegt darin, dass die amerikanische Gesellschaft traditionell und damit in ihrer Tiefenstruktur bereits durch einen Autoritarismus geprägt ist, der von Trump nur noch rhetorisch auf die Spitze getrieben werden kann. Der Kandidat bietet seine brachiale Weltsicht zwar großmäulig, aber letzten Endes auch wie Sauerbier an, weil sie bei vielen Amerikanern unerwünschte Selbstbezichtigungen auslöst. Und das sind keine guten Gefühle. Ganz anders empfinden aber seine von jeglicher Kritik befreiten treuesten Fans im sogenannten „Rust Belt“, einer Industriebrache zwischen den Großen Seen und der Nordostküste. In Cleveland und Cicinnati glaubt man an die Wiederauferstehung und an eine neue Prosperität, an die Rückkehr der Stahlproduktion und ganz fest ans Trumpeltier.

Roland Nelles, auch ein strammer Transatlantiker vor dem Herren beim SPIEGEL, bringt das amerikanische Aufbegehren gegen den Milliardär unerwartet, doch ziemlich treffend auf den Punkt, indem er den Begriff „Trumpismus“ anbietet, der als Triumphalismus des Trampeltiers gedeutet werden kann. Donald Trump gleicht einem fliegenden Bumerang, der nach seiner Kehrtwendung in der Luft nun auf die Werfer im Hintergrund einzuschlagen droht. Der Mann könnte auch wegen seiner fehlenden Weisheit zu einer Gefahr für die Fassade der Weltmacht werden. Im Vergleich zu Trump verkörpert Barack Obama den Gentleman, den eiskalten, aber dabei freundlich locker auftretenden Chef der Vereinigten Staaten – zwischen dem demokratischen Präsidenten und dem republikanischen Kandidaten liegen unterschiedliche Lebenserfahrungen: Obama denkt nicht in den Kategorien eines Geschäftsmannes, er hat keine Händlermentalität, er ist innerhalb sehr enger Grenzen noch selbst entscheidungsfähig, und niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die Welt ohne diesen amerikanischen Präsidenten heute nicht noch kriegerischer wäre als sie es schon ist. Mit Trump jedoch könnten auch die letzten Dämme brechen – wenn er wirklich Präsident werden sollte, dann stünden die Berater in Washington vor dem Riesenproblem, einen nassforschen Populisten mit Krämerseele über mehrere Jahre disziplinieren zu müssen, ohne dass die Öffentlichkeit Wind davon bekäme, eine praktisch unlösbare Aufgabe.

Donald Trump wäre kein echter Präsident, sondern nur ein Strohmann, dazu noch mit Stroh im Kopf – er ist der rasende Butterscotch-Mane-Maniac (der Sahnebonbon-Mähnen-Macho), er verkörpert perfekt die Widerlegung jeglichen zivilisatorischen Niveaus – man kann sich aussuchen, was er widerlegt: Kultur, Geschmack, Lebensart, Toleranz, Großmut, Bildung, Wissen… Trump widerlegt das alles, locker, schmissig, gern auch mit Geschrei – damit würde er zum passenden Aushängeschild einer katastrophalen Welt. Zynisch formuliert hätte der Westen den Führer bekommen, den er gegen Ende seines Irrweges verdient. Das wird umso deutlicher, wenn man sich ausnahmsweise einmal die Lebensumstände von Donald Trump anschaut – das mag zwar boulevardesk und auch etwas voyeuristisch erscheinen, doch hier heiligt der Zweck die Mittel. Schließlich will man wissen, mit wem man es tun hat.

Wer als Europäer in die amerikanische Society eintaucht, der braucht starke Nerven, denn die Einblicke sind furchterregend bis monströs – diese Behauptungen gelten selbst noch unter der Voraussetzung, dass niemand von Neid frei ist, selbstverständlich auch ich nicht. Einer der Hauptwohnsitze von Donald Trump liegt im mondänen Palm Beach, Florida, es ist die „Mar-A-Lago“ Mansion, ein 10-Hektar-Anwesen am Strand mit 110 Zimmern. Weil 110 Zimmer wohl selbst für Donald Trump zu viele waren, hat er den Gebäudekomplex teilweise in einen Club umfunktioniert, zu dem unter Bedingungen Einlass gewährt wird, die mir leider nicht bekannt sind. Man kann, wenn man es denn kann, dort auch Golf spielen, gegen eine schlappe Eintrittsgebühr von einer Viertelmillion Dollar.

Trump regiert sein privates Reich wie ein König – sein ehemaliger, fast 80 Jahre alter Butler sprach in einem Interview immer nur von dem „King“, der das vielköpfige Hausgesinde schon in Panik zu versetzen pflegte, sobald es von seinem baldigen Nahen erfuhr. Hier auch die Erklärung des Butlers zu den Baseball-Caps von Trump: Die weiße Cap signalisiert einen gut gelaunten König, die rote bedeutet Ärger, und der König soll häufig die rote Cap getragen haben. Offenbar zelebriert König Donald regelrecht eine Art Hofstaat, mit protzigen Events und Versammlungen – ich habe dem Text eine Reihe von Fotos beigefügt, so dass sich jeder selbst einen kleinen Eindruck verschaffen kann, auch darüber, ob die Welt wirklich einen solchen amerikanischen Präsidenten braucht.

Bild könnte enthalten: 1 Person, Nahaufnahme
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Post mortem:
Vom Autor Hans-Wilhelm Precht im März 2016 verfasst.

Lyrik im Web

Das Netz quillt über vor Lyrik, vor Blümchengedichten und Befindlichkeitsdichtereien über die typisch deutschen reimverliebten Tiefschürfereien bis hin zu ausgefeilten Haikus und Experimental-Lyrik.
Aus der Masse ragt die Slam-Poetry heraus, wohltuend unbefangen, mit dem Image des Spontanen, außerdem zeitgemäß in ihrer Verbindung von Vortrag mit Performance. Ich habe allerdings den Eindruck, dass hier eine gewisse Effekthascherei die Qualität der Texte verwässert – der Inhalt rangiert tendenziell zu weit hinter der Kunst, ihn eindrucksvoll zu vermitteln.

Der Überfluss an Lyrik hält jedoch die Lyriker nicht davon ab, sich maßlos selbst zu überhöhen, sobald sie ein paar ihrer Werke in einem Gedichte-Forum oder in irgendeiner unbeachteten Anthologie untergebracht haben – der Hang zum Elitären ist in der Lyrik immer noch sehr ausgeprägt, man bildet exklusive Zirkel und besucht die Lesungen, bei denen man nach einer Stunde gegen die Müdigkeit ankämpfen muss. Ich bin einmal eingetaucht in den Vanity Fair der Kulturbeflissenen und Hochmögenden, nie wieder… „Was meinen Sie, worin liegt die Aussage des lyrischen Werkes von Raoul Schrott?“
Oha, eigentlich keine Ahnung, und nein, dieser Form von Fachkonversation bin ich sowieso nicht gewachsen.

Der deutschen Lyrik fehlen das Gleichgewicht, die Passion und eine größere Gelassenheit bei dem Prozess, sich ihr persönlich anzunähern. Das Ungleichgewicht äußert sich im bereits erwähnten Missverhältnis zwischen Textausstoß und Lesefreude – es gibt unter dem Wust wunderbare Gedichte, die in ihm untergehen, es ist eine Kunst, sie zu finden, aber wenn man einmal eines gefunden hat, dann ist die Freude groß. Womit man bei der Passion wäre: Wenn die Gesellschaft Dichtung nicht mehr wertschätzt und sich nicht mehr an ihr erbauen kann, dann kann man auch ihren Niedergang nicht mehr wegreden.

Lyrik ist konzentrierter literarischer Genuss, er kann wie Dope wirken, doch man muss ihn sich selbst in aller Ruhe verabreichen.

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Posthum aus Texten von Hans-Wilhelm Precht

Von der Quantenphysik zur Quantenreligion

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Aus dem Nachlass eingefügt mit einem Foto, das Hans-Wilhelm Precht in der argentinischen Hafenstadt Ushuhaia zeigt.

Seit einiger Zeit erstreckt sich der Erklärungsanspruch der Quantentheorie über die naturwissenschaftlichen Grenzen hinaus: Sie nimmt den menschlichen Geist ins Visier. Versuch einer Zeitdiagnose.

Die Quantentheorie – weiss man mittlerweile – ist paradox: Einerseits ist sie das bisher erfolgreichste Instrument zur Erklärung der Natur; andererseits ist sie unverständlich, wenn man sie aus der Sicht des gesunden Menschenverstands interpretieren möchte. In dieser Notlage riet der Physiker David Mermin seinen Kollegen: «Mund halten und rechnen!»

Es lockt das Bewusstsein

Diesen Rat schlagen die Physiker in den Wind. Sie rechnen zwar fleissig, halten den Mund aber immer weniger zu Fragen, mit denen sich traditionell eher die Philosophen abmühen. Zum Beispiel hat es ihnen das Bewusstsein angetan. Das zeigte sich kürzlich an der Tagung «Das Grosse, das Kleine und der menschliche Geist» im Verkehrshaus Luzern, organisiert von der Neuen Galerie Luzern. Anlässlich der 9. Schweizer Biennale zu Technik, Wissenschaft und Ästhetik diskutierten Physiker, Neurowissenschafter und Molekularbiologen über die Frage nach der «mysteriösen Brücke» zwischen Quantenwelt und unserer klassischen Alltagswelt.

Spezialgast war der Mathematiker und Physiker Sir Roger Penrose von der Oxford University. Penrose sorgt seit zwanzig Jahren innerhalb und ausserhalb der Fachkreise für Aufsehen mit seinen Ideen über die Entstehung von Bewusstsein aus quantenphysikalischen Prozessen. Er setzt damit eine Tradition fort, die mit den Spekulationen der Pioniere der Quantenphysik in den 1930er Jahren anhob.

Anders als die Physiker damals kann sich Penrose heute auf eine entwickelte Neurophysiologie stützen, speziell auf Studien des amerikanischen Arztes Stuart Hameroff über sogenannte Mikrotubuli. Das sind winzige Proteinröhrchen, die in allen Zellkernen vorkommen und als molekulare Computer fungieren. Das Entscheidende: Sie weisen die typische Grössenordnung für Quanteneffekte wie Kohärenz auf. Kohärenz bedeutet, dass Quantenobjekte – Elektronen, Photonen, Atome oder eben auch Mikrotubuli – auf eine Weise zusammenhängen, für die die klassische Physik keine Beschreibung hat.

Effekte, die aus einem solchen Zusammenhang – der «Verschränkung» – resultieren, sind zum Teil höchst sonderbar. Hier eine Analogie zur Veranschaulichung: Spielte man im Basler St.-Jakob-Stadion und im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt zeitgleich mit zwei identischen, quantenverschränkten Fussbällen, dann würde die Beobachtung eines Baslers, dass der Ball einen Linksdrall hat, augenblicklich den entsprechenden Drall des Zwillingsballs in Mexiko-Stadt festlegen. Ein aus klassischer Sicht völlig unverständliches, ein – wie Einstein es nannte – spukhaftes Phänomen.

Diesen «Spuk» weisen die Physiker seit den 1980er Jahren experimentell nach – bei Mikroobjekten, die man möglichst störungsfrei von ihrer Umgebung isoliert. Normalerweise verrauscht dieser verschränkte Quantenzustand bei Makroobjekten wie Fussbällen innert kürzester Zeit infolge Wechselwirkung mit der Umgebung – er «kollabiert» und ist nicht nachweisbar. In ihren Fundamenten tickt die Welt zwar quantenmechanisch, aber dieses Ticken vernehmen wir im Bereich von gewöhnlichen Dingen wie Fussbällen, Uhren und Kühlschränken nicht. Viele Physiker sehen deshalb im Kollaps von verschränkten Quantenzuständen die Ursache für das Auftreten von klassischen Eigenschaften.

Penrose und Hameroff begnügen sich nicht damit und nehmen nun das Bewusstsein ins Visier, genauer: die neurophysiologische Vorstufe bewusster Prozesse. Sie vermuten, dass sich gigantisch viele Mikrotubuli quasi zu einem einzigen selbstorchestrierten Quantenzustand verschränken können und dass dessen Kollaps dann als ein «Bing» (Hameroff) registriert wird: als ein Elementarereignis in Hirnzellen, das, mit vielen gleichen Ereignissen zusammengeschaltet, unser bewusstes Handeln steuert. Penrose ist dabei der Meinung, dass die herkömmliche Quantentheorie nicht hinreicht als Erklärung. Sie müsse mit der Gravitation in einer neuen Quantengravitationstheorie aufgehoben werden.

Natürlich gibt es fachliche Kritik zuhauf: Die Physiker monieren, dass diese Theorie bis jetzt noch gar nicht existiert und dass das Kollaps-Konzept selbst strittig ist. Die Neurowissenschafter stört, dass Penrose und Hameroff die Standardmodelle der Hirnphysiologie umgehen, die mit Dendriten und Synapsen operieren.

Es gibt grundsätzlichere Einwände. Die Vermutung ist so abwegig nicht, dass eine Quantenphysik des Bewusstseins an dem vorbeisteuert, was der Philosoph David Chalmers das «harte Problem» genannt hat: Bewusste Erfahrung ist immer die Erfahrung aus jemandes Perspektive. Aber wie soll man dieses Faktum in einem physikalischen Weltbild unterbringen, das keinen Platz für solche Jemande bereithält? Gewiss, Bewusstsein hat ein physiologisches oder physikalisches Korrelat, aber dieses Korrelat ist eben gerade nicht das Bewusstsein. Vielleicht gibt es ja eine Physik, die den Geist erklären kann, allerdings wäre sie – dies als These geäussert – so beschaffen, dass wir sie nicht verstehen.

Paranormale Spinnerei

Auch wenn es sich bei der Quantentheorie des Bewusstseins um einen spekulativen Hochseilakt handelt, so bleiben Penrose und Hameroff in den Gemarkungen seriöser Wissenschaftlichkeit: Es handelt sich quasi um «normale» Spinnerei. Seit einiger Zeit schon grassiert nun freilich noch eine ganz andere Quantentheorie. Man werfe einen Blick in die Regale populärwissenschaftlicher Literatur. Es wimmelt nur so von «Quantentheoretikern». Deren Umkehrschluss ist von entwaffnender Simplizität: Quantenphysikalische Phänomene sind seltsam, also ist alles Seltsame quantenphysikalisch erklärbar. Weil eigentlich niemand diese Theorie versteht, lässt sich mit ihr alles verstehen. Das ist natürlich ein Denkfehler, aber seine Ausbeutung feiert Hochkonjunktur. Alles ist mit allem verschränkt kraft eines mysteriösen Quantenallzusammenhangs.

Begonnen hatte der ganze Zirkus im Übrigen mit den westöstlichen Weltumarmern der 1970er Jahre. Der Physiker Fritjof Capra schrieb damals das Buch «Das Tao der Physik», in dem er postulierte, dass die alte Hindumystik im Grunde Quantentheorie in metaphysischer Verpackung sei. Das Buch wurde zum Bestseller, um nicht zu sagen zur neuen Bibel all jener Hippies, die danach dürsteten, die durch wissenschaftliche Rationalität entzauberte Weltsicht wieder spirituell aufzufüllen. «Quant» liess diese Leute wie die heilige hinduistische Silbe «om» erzittern, aus deren Vibrationen das Universum entstand. Und das Wort vibriert bis heute in der Alternativ- und Esoterik-Szene.

Unisono tönt das Mantra der Quantenphilosophen, -mediziner und -magier um den ganzen Globus: Bewusstsein (Bing!) ist überall! Bewusstsein und Universum bilden ein einziges «verschränktes» Ganzes! 2008 titelte eine grosse deutsche Zeitung – wohlgemerkt im Wissen-Teil: «Die Seele existiert auch nach dem Tod.» Im Artikel heisst der Autor das Jenseits in der grossen Kohärenz willkommen und lässt dadurch den alten Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion elegant hinter sich.

Dem staunenden Publikum wird so ziemlich alles aus dem Zylinderhut der grossen Kohärenz gezaubert: Abnehmen, Homöopathie, geheimes Leben der Pflanzen, Ferien in Parallelwelten, Gespräche mit Toten, Glück, Geld, Unternehmenserfolg, Benzinsparen usw. Eine Schweizer Technikfirma beruft sich im Marketing ihrer Produkte explizit auf das Penrose-Hameroff-Modell, als ob es sich dabei bereits um rundum getestetes Wissen handelte. Wenig erstaunt stellt man dabei fest, dass die «Quantentheoretiker» immun sind gegen Kritik. Sie halten sich in ihrer Bewirtschaftung der Gutgläubigkeit schadlos an der Wissenschaft, spielen aber das Spiel Wissenschaft nicht mit. Ihre «Quantentheorie» verhält sich zur Quantentheorie – um hier Bertrand Russell zu paraphrasieren – wie Diebstahl zu ehrlicher Arbeit.

Die neue Königs-Wissenschaft

Woher diese Beschwörung der grossen Quantenkohärenz? Warum haben auf einmal alle ein tiefes Vertrauen in die Physik? Adelt es unsere Meinungen über die Welt, wenn wir sie im Namen der Quanten äussern? Ich wage mich an eine Zeitdiagnose. Hier offenbart sich ein Symptom der Post-Postmoderne: das rückfällige Bedürfnis nach einer universalen verbindlichen Weltsicht, offenkundig genug im erstarkenden religiösen Fundamentalismus. Mit ihrer Aura des Fundamentalen, Paradoxen, Mysteriösen erscheint die Quantentheorie wie geschaffen, dieses Bedürfnis auch von wissenschaftlicher Seite her zu stillen. Nachdem Vordenker der Postmoderne wie Paul Feyerabend, Jean-François Lyotard oder Richard Rorty der Wissenschaft ihre «absolutistische» Position in der Welterklärung abgesprochen hatten, hielt ein fröhlicher Markt von Weltdeutungen ohne Letztbegründungen Einzug: die Zeit des «schwachen Denkens».

Heute finden wir Evolutionsbiologie neben Kreationismus, Quantenmechanik neben Hindumystik, Biomedizin neben Ayurveda, Astrophysik neben Ufologie, Computerprognostik neben Teeblattlesen und was auch immer angeboten wird im unüberschaubaren Konsumtempel der Weltanschauungen, die alle ihre Geltungsansprüche erheben und gerade dadurch jegliche verbindliche Geltung unterhöhlen. Es mutet wie die tiefe Ironie einer Dialektik an, wenn in diesem Kuddelmuddel nun doch wieder eine «Königs»-Wissenschaft als heimliche Führerin Profil gewinnt, die Quantentheorie, die «es letztlich weiss». Die Alchemisten redeten früher vom Alkahest, von einem Elixier, das alles auflösen kann. Es scheint fast, als böte sich in der Quantentheorie ein moderner Alkahest an, ein universelles Lösungsmittel für alle Fragen.

In Memoriam

 

Hans-Wilhelm Precht, Autor aller Texte und Fotograf aller Bilder, ist am Freitag, den 6.Mai 2016 gestorben.

In letzter Abstimmung mit ihm bleibt sein Blog „deeplooker“ bestehen und man kann sich weiterhin an seiner hinter – und tiefgründigen Gedankenwelt erfreuen.

Hans-Wilhelm Precht WEDRI

Ergänzung wegen vieler Nachfragen:

Auch seine Frau Friederike Precht, geb. Wall, ist in Folge dieser Tragödie ums Leben gekommen.

Friederike – „Riekchen“ für ihre Freunde, „Lüdde“ (plattdeutsch: „Kleine“) für ihren Mann – war von Beruf Diplom – Volkswirtin mit einem Faible für Norddeutschland und vor allem für Leuchttürme, Zeichen eines Ziels, einer Sicherheit und einer Sehnsucht. Sie kannte von der Arktis bis zur Antarktis die Welt, aber Hamburg und der deutsche Norden waren ihr zuhause.

 „Ich liebe das Meer wie meine Seele“ schrieb Heinrich Heine einmal auf Norderney. Es könnte auch Friederike gesagt haben, die einen großen Teil ihrer Jugend auf Sylt gelebt hat.

Wilhelm

 Zitat von Hans-Wilhem Precht:

„Meine Freundin ist die Tastatur, sie ist geizig, will immer die schönen Sätze für sich behalten – manchmal falle ich einfach über sie her.“

Zitat über Hans-Wilhem Precht von Dirk C. Fleck:

Und diese Strukturen scheinen unumstößlich. Oder regt sich bei dem einen oder anderen angesichts der aktuellen Zustände noch Hoffnung? Mein vor kurzem verstorbener Facebook-Freund Hans-Wilhelm Precht, der einigen hier durch seine seltenen aber großartigen Veröffentlichungen vielleicht in Erinnerung ist und den ich ein halbes Jahr vor seinem Tod noch persönlich kennenlernen durfte, hat allerdings eine Hoffnung formuliert, die mir aus dem Herzen spricht und der auch ein Derrick Jensen nichts entgegenzusetzen hat:

„Er möchte seine Sinne für das Unverfälschte schärfen, er möchte zurück zu der umfassenden Natur, die zwar vor Ausscheidungen wimmelt, vor Aas und vor Millionen von Keimen, die aber nicht verdreckt ist, die keinen Unrat kennt und keine Müllberge – dann wird er die Landschaften wieder in sich aufnehmen, sie werden ihn aufnehmen, und er wird sie nicht nur wie ein Zuschauer von außen betrachten, dann wird er tief in die Natur eintauchen, bis zu dem Punkt, an dem sie sich mit ihm selbst aus allen gesetzten Spannungen und Gegensätzen löst. Dort, dort wo er nicht mehr allein ist, liegt seine wahre Existenz“.

Wilhelm

 

 

Zitat über Hans-Wilhem Precht von Frank Turiaux:
 „Einer meiner wenigen Mentoren in meinem Leben, auf die ich glücklich zurück blicken werde! Letzter direkter Kontakt am 11.11.2015, 17.55 Uhr.
Stelle ihn auf eine Stufe mit Günter Gaus,  aber sehr viel freier im Denken und Leben,
welches mein Leben für immer geprägt hat.

Werde Hans-Wilhelm Precht in meinem weiteren Leben sehr vermissen!“

 

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Deutschland – ein Land wird entkernt

In meinem bisherigen Leben sah ich keinen Anlass, mich für Deutschland einzusetzen – ich blieb eher unbeteiligt, ich hatte unter Kopfschütteln die neuere Geschichte meiner Nation zur Kenntnis genommen und beobachte seit 20 Jahren mit Sorge den Verfall dieser Gesellschaft zu einer ökonomisch überbestimmten Zweckgemeinschaft, die andere Komponenten der Gemeinschaftlichkeit immer rigoroser verdrängt.

Die massenhafte, häufig sogar aggressive Abkehr der jüngeren Deutschen von Kollektivsymbolik ist ein Grund dafür, dass die Zuwanderungsgegner bei den Befürwortern einen anti-nationalen Hype auslösten, der sie paradox erscheinen lässt und der die Mehrheit weitgehend sprachlos macht. Selbst Soziologen und Psychologen können das Phänomen bisher nicht erklären, sie flüchten sich in seltsame Begriffsblähungen wie sozio-kognitiver Paradigmenwechsel. Ich wage zu behaupten, dass es noch nie zuvor in der Geschichte einen derartigen Hass in der Bevölkerung auf die eigene Bevölkerung gab, zumindest nicht in dieser rätselhaften Form.

Hier dominiert nicht, obwohl es mit einbezogen wird, der Hass auf das Establishment. Die Abneigung geht tiefer, sie ist auch nicht allein historisch begründet, sie ist umfassender, sie mäandert durch das gesamte Spektrum der als deutsch ausgemachten Eigenschaften, bis hin zu Gewohnheiten, die hierzulande in einem alltäglichen Sinne typisch wirken, wie etwa die Esskultur, die Einrichtungskultur oder das Freizeitverhalten. Inzwischen kann man sich nicht mehr sicher sein, was noch in und was schon out ist. Auf irgendeine Art deutsch zu sein, wird zu einem Spießrutenlauf, und bezeichnend daran ist, dass die Deutschland-Hasser gleichzeitig auf beiden Seiten vertreten sind, sie laufen bedenkenlos mit, wie moderne Derwische, die sich über unterbewusste Selbstkasteiung von der Erbsünde ihrer Herkunft befreien wollen – Derwische sind Sufis, sie gehören einer relativ kleinen islamischen Gemeinschaft an, die ihre Religionsausübung eng mit Elementen von Ekstase und Meditation verbindet. Doch bei uns machen sich bloß wenige Menschen Gedanken darüber, dass dieses Verhalten mindestens genau so irrational ist wie übertriebene Deutschtümelei.

Die Sünde wurde von den Kirchen in das christliche Selbstverständnis einbetoniert, unsere Sündhaftigkeit hat sich in der abendländischen Kultur verkrallt als quasi-anthropologisches Datum, das der Religion nicht mehr bedarf, es durchzieht die westliche Zivilisation. Wenn den Westmenschen jedoch ein unterschwelliges Gefühl von Schuld mit prägt und er sie keinem Gott mehr beichten kann, dann kommt er in ein Dauer-Dilemma, er wird in einen Spannnungszustand versetzt. Diese im Grunde dem Jenseits entstammende Spannung wird verstärkt durch die immer deutlicheren Widersprüche im Diesseits der Gegenwart, und damit verstärkt sich das Entlastungsbedürfnis. Die Gebrechen der modernen Welt sind Umweltzerstörung, Menschenüberfluss, ständige Kriege und falsch strukturierte Gesellschaften – zusammengefasst nehmen die Gefahren apokalyptische Ausmaße an. Das fühlen auch die Deutschland-Hasser, sie wollen, ohne es zu ahnen, diesen Bedrohungen etwas Handfestes entgegensetzen, indem sie die Erde in einem hysterischen Aktivismus von den Nationen befreien, worin sie eine der Wurzeln allen Übels zu erkennen glauben – und den Anfang soll natürlich die übelste aller Nationen machen: Deutschland, das Land, das ihnen ein düsteres Schicksal als Geburtsort zuwies.

Oben hatte ich eine Abkehr vieler jüngerer Deutscher von übergreifender Kollektivsymbolik als Grund für ihre Abneigung gegen das Heimatland angeführt – nun werden ansatzweise die tieferen Motive sichtbar: Nicht allein Wiedergutmachungsreflexe bestimmen hier das Verhalten, sondern vornehmlich der Wunsch, etwas heil zu machen, das erschreckend kaputt ist. Ein von Heil- und Erlösungsvorstellungen aufgestauter Druck bricht sich Bahn in Ersatzhandlungen. Hier rumort eine abwegige Variante von Sublimierung in den Köpfen. Bei der Sublimierung wird ein immanentes psychisches Problem, wie etwa dauerhaft unbefriedigtes Sexualverlangen oder Identitätsstörungen, dadurch erträglich gemacht, dass man es durch geistige Aktivitäten überdeckt und so scheinbar kompensiert – die Betonung liegt aber auf „scheinbar“ – denn diese von der Psychologie zumeist als konstruktiv eingestufte Art der Problembewältigung auf einer höhereren Ebene ist niemals ohne einen Realitätsverlust zu haben, so wie man ihn auch bei den erklärten der Feinden der Nation antrifft.

Mich erinnert das Kesseltreiben gegen die Deutschlandbewahrer an die gnadenlose Verteufelung des Rauchens – nur dass dieses Mal ein ganzes Volk zum Raucher erklärt wird, die Nation wird zum Nikotin, zu einem historisch und ethnisch verseuchten Gift-Cocktail. Mein Land hat sich innerhalb von wenigen Monaten in ein Laboratorium verwandelt. Vor meinen Augen vollzieht sich ein Großexperiment in vivo mit dem Ziel, eine Gemeinschaft von über 80 Millionen Menschen grundlegend umzugestalten. Doch selbst wenn nun alle Gutmenschen empört aufschreien, trägt ein solches Vorhaben deutliche Züge von Rassismus, warum? Weil dahinter die Phantasie einer Globalrasse mit nivellierten Eigenschaften steht, die in ihrer Gesamtheit gegenüber den Eigenschaften der vorliegenden Rassen zu bevorzugen seien – ich nenne das Zukunftseugenik über die systematische Angleichung des Menschen an eine milliardenfache Standard-Version. Vergessen wird dabei nicht nur, dass eine solche Vereinheitlichung in weiter Ferne liegen würde, sondern auch, dass diese Vereinheitlichung ein brachialer Prozess umgekehrter Selektion hin zu einer Pauschal-Menschheit wäre, die sich niemand ernsthaft wünschen kann. Es stellt sich die Frage, was hinter diesen Absichten steckt – ich gehe hier aber nicht weiter auf die Frage ein, weil die Antworten schon gegeben wurden und nachzulesen sind. Bei allem bleibt nach wie vor der böse Verdacht, dass mit Deutschland auch deshalb ein Sonderexperiment durchgeführt werden soll, um ungünstige ethnische Voraussetzungen durch Massenzufluss anderer Ethnien zu neutralisieren.

Es geht noch weiter nach unten, noch sind wir nicht bei der wahren Ursache für den Deutschland-Hass vieler Deutscher angekommen: Die Ursache des Heilungswahns ist letzten Endes Existenzangst. Die Furcht vor einer Welt aus den Fugen geht um, eine existenzielle Verzweiflung diktiert unerkannt das Geschehen. Alle die Fiebernden, die den Deutschen Angst vor Veränderungen vorwerfen, haben mehr Angst als die von ihnen Gescholtenen. Es gibt neben dem materiell-sozialen Hedonismus auch einen ideellen, der sich als sozial-romantisches Sendungsbewusstsein erdumfassend manifestiert – die narzisstische Umarmung der Schöpfung aus der Not heraus, und das Ergebnis ist fatal. Diese Pseudo-Linken mit ihren losgelassenen Schwachsinnsantifanten, die Gutmenschen, diese Claqueure der nationalen Extermination, sie sind zwar mehrheitlich nicht satt, sie sind auch nicht in der von ihnen verachteten Weise saturiert, aber sie haben es alles satt, sie haben vor allem sich selbst satt, ihr von jedem erdenklichen Konsumquatsch eutrophiertes Dasein. Die Linken wissen um ihre Nutzlosigkeit, sie erahnen beim Anschauen der Nachrichten ihre Bedeutungslosigkeit, sie hadern mit ihrer Marginalisierung unter dem Einfluss anonymer Mächte, und sie ärgern sich über ihre Feigheit, gegen die anzugehen sie in ihrem mickrigen Duckmäuser-Wohlstand nicht in der Lage sind. Durch die schier maßlose Aggressivität ihrer Parolen schimmert Entsetzen vor den Realitäten auf der Erde, anders lassen sich für mich Flüche dieser Art nicht deuten: „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ – „Nie wieder Deutschland“ – „Ich hasse Deutschland“ – „Deutschland verrecke“- „We love Volkstod“.

Von „America, you lousy piece of shit“ ist mir noch nichts zu Ohren gekommen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass man mit solchen Sprüchen in den USA schlechte Karten hätte. Ich kann mir in dieser Hinsicht auch kein anderes Land vorstellen, zum Beispiel wäre man in Frankreich über „La France, vous moche piece de merde“ bestimmt nicht begeistert. Wer als Deutscher Deutschland nicht mag, der darf das selbstverständlich offen sagen, und er darf sogar öffentlich verkünden, dass er Deutschland für ein Stück Scheiße hält – doch er darf sich nicht darüber wundern, dass die meisten Deutschen dann ihn selbst für ein Stück Scheiße halten, das ist ja nur konsequent. Einfühlungsvermögen in Bezug auf seine Bezeichnung kann sich eine Nation nicht per Dekret ausbedingen, es ist da, oder es ist nicht da. Der Landtag von Brandenburg hat als Antwort auf die Anfrage einer Abgeordneten mitgeteilt, dass der Fäkalspruch den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfülle – das war zwar weise, aber es wirkt unsäglich. Der Landtag hätte die Beantwortung dieser Frage aus Gründen der nationalen Ehre verweigern sollen.

Ein Tag in Ägypten

Am Nachtverhau rüstet die Dämmerung, am Nil
stampft der Morgen auf, will marschieren
Stählt sich das Licht, greift immer heller
nach dir aus, will dich umfassen, dich klein
machen vor dem Wüstentag, du kannst die Nacht
nicht bergen, nicht im Kokon des Blicklosen
deine Puppenruhe bewahren

Wiege heute nicht dein Herz, es wäre heute
zu schwer für die Feder von Maat
Dieser Tag nimmt Besitz, er zwingt dich
aus deinen verhaltenen Schatten
Suche heute nicht das Dunkel, Thot hat sich
im Schein des Mondes mit Maat vermählt, bald
wird ihre Feder dein leichtes Herz wiegen

Zwischenbilanz

Früh verzichtete er, ihm kann nicht viel genommen werden, er existiert in einer Verkleinerungsform, das Leben folgt dem Vorgang und passt sich an. Größe kann keinen Platz greifen, die Energien sammeln sich nicht, sie verströmen auf einem Glacis, wo sie leichte Ziele sind. Aus dem Dunkel wurde ihm das Leben zugeworfen, seine persönliche Wundertüte. Überall die Wundertüten, zahllos, massenhaft, die meisten ohne Wunder, dafür prall gefüllt mit allem was die Neugierde stillt. Das Dasein eröffnet sich durch einen Riss, er setzt sich fort, gibt eine Zone frei, in die gleichmütig die Zeit hinein treibt, um sich durch ihr Vergehen scheinbar abzuhandeln. Er er scheut Blicke in das Innere der Wundertüte, meidet Momentaufnahmen und Schnappschüsse, er will sich nicht unnötig bewegen in der dürftigen Möblierung seiner Gedankenwelt.

Er muss nicht sein, Anwesenheit ist kein Gebot, Leben kein Gesetz. Alles soll auf etwas zu laufen – schon so oft kam er an und lief vorbei, ging einfach weiter. Das ist kein Weg, kein Weg, der auf ein Ziel zu führt und das Ziel in sich birgt. Nullstellen bieten sich an, er besetzt sie, es sind Ruhepunkte in der Distanz zwischen dem Nichtigen, Orte seiner Einbildung vom Einklang. Im Verharren oszilliert eine kryptische Seligkeit. Er scheut Wendepunkte, will nicht von fremden Kraftschüben aus dem Verborgenen in andere Richtungen gelenkt werden. Manchmal geht er in die Stadt, um sich an der Weglosigkeit der Flächen zu berauschen – seine Ekstasen sind Menschen, die sich in der Leere drängen, er beobachtet fasziniert ihre Eile, wie sie sich im Vorbeigehen verhalten ohne zu verhalten, wie sie in jähen Blickkontakten miteinander umgehen, wenn sie sich umgehen, wie sie sich im letzten Moment unausweichlich ausweichen.

Mächtig sind die Hotelhallen, sie haben ihren eigenes Firmament – mit Bewunderung ist das Entree entrichtet. Der Concierge akzeptiert schweigend die Ehrerbietung des Besuchers vor dem hoch Aufragenden, noch fragt er nicht nach Wünschen. Fahrstühle gleiten lautlos an den Wänden auf und ab, Monstranzen mit Gebrauchswert, Devotionalien an den heiligen Algorithmus, Illusion von Schwerelosigkeit. In den Kathedralen zu beten, muss gestattet sein, der livrierte Page wird zum Messdiener, er schleicht an dem Besucher vorbei, als der seine Hände gefaltet hat. Dastehen, die Augen nach oben gerichtet – kein Gebet, ein Gefühl von Bedrückung beschleicht ihn, er kommt sich winzig vor, so wie es sein soll. Früher durften die Tempel vom Volk nicht betreten werden, sie waren den Kundigen vorbehalten, den Priestern, die den Göttern nah waren und die sich mit ihnen sogar vereinten. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch heute sind die Götter für die meisten Menschen unnahbar, aber es gibt mehr Tempel – nur statt Altären sind es Rezeptionen für die Kunden, statt Steinblöcken sind es Glasfassaden, statt Säulen ist es die angemaßte Überwindung der Schwerkraft. Leichtigkeit soll sich mit Größe verbinden, welch ein Vorsatz – das moderne Pantheon strebt nach oben, nicht ins Innere.

Er findet keine Bilder von sich, nicht im Personalausweis, nicht morgens im Bad. Wie er manchmal die Frauen beneidet um ihre Spiegel, sie haben immer einen zur Hand, wie einen Schlüssel zu sich selbst, sie schauen prüfend hinein, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt. Schönheit wird wie Gold begehrt, ein Mensch muss Wünsche haben… und seien sie noch so klein, noch so einfach, noch so profan – nichts fürchtet er mehr, als sie zu verlieren, das ist seine Angst. Die Vorstellung von einem wunschlosen Glück verwirrt ihn, Wünsche malen das Leben bunt aus, sie geben ihm Farbe, und auch wenn ihre Unerfüllbarkeit sie am Ende in Fetzen auflöst, so verdichten sich die Fetzen doch zu flüchtigen Schwärmen im Wind, der sie in Silhouetten von Sehnsucht verwandelt. Das sind Aussichten – daran kann er sich Augenblicke lang festhalten, an dem was er nicht greifen kann, an dem was er niemals begreifen will. Was dauert, das täuscht. Im Farbenspiel der Dämmerung kommt kein Fels einem Anblick gleich, der ihn bis in seine Träume begleitet. Harte Steine, Felsen, Granitblöcke aufgetürmt zu Pyramiden, sie alle sind Fallen der Zeit, mit denen sie die Menschen einfängt.

In Aufwallungen spürt er seine Verhärtung, möchte sie aufweichen, sie überwinden – er sollte zärtlicher sein, doch er findet niemanden, mit dem es ihm gelingt. Da waren Frauen, die seine Zärtlichkeit entgegennahmen, die sie absorbierten und dann nur wenig zurückgaben, da waren Kinder, die seine Zuwendung aufaßen wie ein Brötchen mit Marmelade, da waren mitfühlende Mienen, die sich auf einen Zuruf abrupt von ihm abwandten. Denken ist Gift für die Zärtlichkeit, seine Existenz verläuft von Tag zu Tag toxischer, schlimmer noch, er selbst hat sich zu einem Giftmischer entwickelt. Alles Sanfte eignet ihm nicht, ihm bleibt allein die Vision von Reinheit. Er möchte seine Sinne für das Unverfälschte schärfen, er möchte zurück zu der umfassenden Natur, die zwar vor Ausscheidungen wimmelt, vor Aas und vor Millionen von Keimen, die aber nicht verdreckt ist, die keinen Unrat kennt und keine Müllberge – dann wird er die Landschaften wieder in sich aufnehmen, sie werden ihn aufnehmen, und er wird sie nicht nur wie ein Zuschauer von außen betrachten, dann wird er tief in die Natur eintauchen, bis zu dem Punkt, an dem sie sich mit ihm selbst aus allen gesetzten Spannungen und Gegensätzen löst. Dort, dort wo er nicht mehr allein ist, liegt seine wahre Existenz.

Schon wieder der Kapitalismus…

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Was ging im vergangenen Vierteljahrhundert politisch vor sich auf der Welt? Die Antworten kommen sofort: Zu Anfang, im Jahr 1990, erfolgte der Kollaps des Ostblocks und darauf die Fehlreaktion des Westens, der sich weigerte, aus diesem epochalen Ereignis einen Friedensgewinn zu ziehen. Inzwischen haben sich die damals gegebenen Möglichkeiten sogar in das Gegenteil verkehrt: Kriegstreiber und Kriegsgewinnler haben schon wieder die Oberhand gewonnen – die friedlichen Perspektiven nach 1989 waren ein kurzes, helles Aufleuchten am Horizont, das sich nach wenigen Jahren verflüchtigte. So das politische Fazit.

Das globale Fazit des letzten Vierteljahrhunderts lautet: Die Probleme haben sich weiter verschärft, ihre Ausmaße erreichen die Vorstufe zu einer existenziellen Gefährdung der Weltgemeinschaft. Zusammengefasst lautet das Fazit: Wir leben auf einer durch Überbeanspruchung und Kriege massiv bedrohten Erde. Der Handlungsdruck ist gewaltig. Doch nirgendwo wird der Wille zum Handeln erkennbar, und nicht einmal die wichtige Frage, warum das so ist, wird öffentlich vernehmbar gestellt. Merkwürdig genug – die gemeinsame Zukunft erscheint uninteressant, in der politischen Diskussion hat sie gar keinen Stellenwert, auch in den Medien wird sie nur sporadisch gestreift, eingezwängt zwischen Lifestyle und Werbung. Ist das Absicht? Ist das Verdrängung? Es ist beides.

An allem ist der Kapitalismus schuld… ja, ja… natürlich, wer auch sonst. Aber wenn es tatsächlich so sein sollte, wie geht es denn nun weiter? Das ist schwer zu beantworten, besonders wenn Teillösungen der Probleme in menschlich erfassbaren Zeiträumen angestrebt werden – gerade noch vorstellbar wäre vielleicht die Zeit um das Jahr 2150, also 135 Jahre weiter, das heißt, vier bis fünf Generationen. Eine auch zeitlich und zwar nach menschlichen Maßstäben klar strukturierte Zukunftsplanung fehlt, sie fehlt als unabdingbare Grundlage für zielgerichtete Krisenbewältigung. Wenn der Kapitalismus eine Hauptursache für die Fehlentwicklungen darstellt, dann muss man drei Dinge tun:

1. Ihn ins Auge fassen, ihn umgehend zum Gegenstand einer weltöffentlichen Diskussion machen.

2. Ihn systematisch untersuchen, denn bisher ist man nicht einmal bereit, den Kapitalismus als eigenständigen Wissenschaftsbereich anzuerkennen. Es geht nicht darum, den Marxismus einfach wieder zu beleben oder etwa die Kritische Theorie der Frankfurter Schule nachgebessert auf die Gegenwart anzuwenden – es muss durchgesetzt werden, dass die Kapitalismuswirtschaft als unabhängige Fakultät gleichrangig neben die Volks- und Betriebswirtschaft gestellt wird, wodurch sich dann auch für das interdisziplinäre Forschen eine erweitere Grundlage bietet. Viel Zeit bleibt nicht mehr, die etablierte Wissenschaft muss sich dem Phänomen des Kapitalismus öffnen.

3. Ihn möglichst umgehend verändern, was nur gezielt und in moderaten Einzelschritten möglich sein wird. Alle revolutionären Hauruck-Methoden würden unweigerlich ins Chaos führen – ein hochkomplexes System einfach zu zerschlagen, würde einen Trümmerhaufen erzeugen, der die Menschen noch aussichtsloser dastehen ließe als zuvor.

Der Begriff Kapitalismus ist überladen – er ist zugleich Schlagwort, Totschlag-Argument, Befund, Gespenst und Realität, in ihm drückt sich Ohnmacht aus, er steht für die Fatalität des Seins, bei vielen Menschen auch für die Verzweiflung über die Welt. Deshalb wird es umso wichtiger, den Kapitalismus zu versachlichen, ihn vorbehaltlos zu analysieren, bis zu dem Versuch, seine Auswirkungen auf das Leben zu objektivieren. Nur diese Vorgehensweise führt zum Ziel. Die Gesellschaft ist allerdings noch weit von solchen Überlegungen entfernt – sie hat den Kapitalismus als morbides Modewort in ihre Kultur aufgenommen, sie hegt und pflegt ihn sogar merkwürdig verbissen wie unvermeidliche Warzenbildungen auf dem Körper. Aber als reine Hässlichkeit lässt sich allzu leicht Frieden schließen mit einem Erzfeind des sozialen Zusammenlebens, und selbst die Proteste der Linken, egal in welcher Form, muten wie Rituale an, die so anrührend wirken, dass man sie schon vermisst, wenn sie nicht mehr vollzogen werden – was wäre ein Weltwirtschaftsgipfel ohne Proteste? Er wäre langweilig, allein deshalb weil es über solche Spitzentreffen nur selten etwas Nennenswertes zu berichten gibt.

Die Tücke des Kapitalismus liegt in seiner tabuisierten, in seiner fast sorgsam gehüteten Konturlosigkeit – ein verschwommenes Feinbild kann man nicht richtig ins Auge fassen. Die Wurzel des Übels wird an verschiedenen Stellen geortet: im Zinsgeld-System mit der Explosion der virtuellen Kapitals, im undemokratischen politischen System inklusive falsch strukturierter Eigentums-, Verteilungs- und Einkommensverhältnisse – allgemein in einem überbordenden Marktliberalismus bei tendenziell versagenden Märkten – im Machtzuwachs großer Unternehmen, also der Global Player, der Konzerne, die die politische Kontrolle weiter aushebeln, ohne ethische Grundorientierungen, ohne Verantwortung für den Lebensraum Erde – in einer Individualisierung der Existenz und gleichzeitig in einer durchökonomisierten Massenexistenz. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, man könnte sie auch spezifizieren, ins Uferlose. Es wird erkennbar, wie amorph sich der Kapitalismus in seinem Gesamtbild darbietet, er ist kaum zu greifen, kaum zu begreifen. In der Gegenwart dominieren immer noch überkommene Vorstellungen von Analyse und Erkenntnis: Die Volkswirtschaft begründet sich auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Wirtschaftszyklen werden nach unterschiedlichen Methoden untersucht – die Betriebswirtschaft begründet sich auf der betrieblichen Erfolgsrechnung… aber auf welcher Rechnung beruht die Kapitalismuswirtschaft? Im Grunde auf keiner. Der Kapitalismus schafft seine eigenen besonderen Gesetzmäßigkeiten, die über alles Berechenbare hinausgehen. Allein die Rendite und die algorithmischen Kunstgriffe zu ihrer Optimierung durch Großrechner könnten es ohnehin nicht sein – damit ließe man die problematischen Folgen dieser Wirtschaftsform vollkommen außer Betracht. Die Aushöhlung zu kalkulatorischen Routinen macht die Volks- und die Betriebswirtschaft zu Minderwissenschaften – mit diesem Befund gewinnt die Kapitalismuswirtschaft eine umso größere Existenzberechtigung als zwar lebensgestaltende, dabei jedoch in hohem Maße auch lebensverunstaltende Wissenschaftsdisziplin.

In diesem Text ist von Kapitalismuswirtschaft die Rede, nicht von Kapitalwirtschaft. Das hat seinen Grund, denn letztere würde zur Erklärung der modernen Weltdiktatur viel zu kurz greifen. Wenn man den Kapitalismus, so wie es oft getan wird, als eine Ideologie bezeichnet, dann entspricht das einem falschen Verständnis, weil der Kapitalismus zwar von Menschen gemacht wurde, aber längst nicht mehr von ihnen kontrolliert wird – sein Alleinstellungsmerkmal liegt in einer entscheidenden Eigenschaft, die bisher kaum erkannt und formuliert wurde, selbst von den Wissenschaften nicht: seine historisch beispiellose selbstregulative Funktionalität außerhalb des menschlichen Gesichtskreises. Der Kapitalismus ist ein imaginäres Ordnungsprinzip, das sich gleichwohl real und anscheinend unveränderbar etabliert hat. Dieses Ordnungsprinzip entzieht sich zunehmend traditionellen Werten und ethischen Normen, das Prinzip kann nicht konsensfähig sein, weil es keinen Konsens kennt, sondern nur Erfolg – ihm haftet deshalb auch nichts Visionäres an, Solidarität ist ihm fremd, ihm fehlt es faktisch an jeglicher Ausrichtung auf eines oder gar auf mehrere Ziele hin, die man gesellschaftliche Ideale nennen könnte. Dieser von der humanen Dimension abgehobene Neo-Kapitalismus macht was er will, mechanistisch und gesichtslos, ohne dabei über einen eigenen Willen zu verfügen – darin liegt kein Widerspruch, das ist das Erschreckende an ihm. Auf diese Weise hat sich zum ersten Mal in der Geschichte neben einer sozialen Infrastruktur eine asoziale Extrastruktur herausgebildet, die als solche bisher unzureichend wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund wird umso klarer, dass neben der systematischen Tabuisierung des Themas vor allem ein Erkenntnisdefekt verhindert, sich mit dem Kapitalismus entschlossen und am Ende erfolgreich auseinanderzusetzen.

Als ich vor langer Zeit einmal an die tunesisch-algerische Grenze kam, hatte ich ein eigentümliches Erlebnis – es war Frühling, ich fühlte mich in ein weißes Blumenmeer versetzt. Die Grenze lag noch ein paar Kilometer entfernt, ich hielt an und stieg aus dem Auto, um mir die Blütenpracht näher anzusehen, mich interessierte auch der Duft… aber schon beim Aussteigen sah ich, worauf ich hereingefallen war: auf zehntausende Plastikfetzen, die sich in den kargen Büschen verfangen hatten, alles Reste von Plastiktüten. Es war deprimierend, nicht zum ersten Mal, ich dachte an die verschandelten Strände rund um das Mittelmeer, an grüne Wälder, die sich beim Eintauchen als Müllhalden erwiesen, an Hünengräber voller Unrat, an die Bewässerungskanäle von Kairo, in deren Schlick die Armen zwischen bunten Kunststoff-Eimern, Ziegenkadavern und zerfetzten Sofas nach Wertvollem suchten. Nun will man die Plastiktüten-Pest eindämmen – mit welchem Erfolg, das wird sich zeigen… doch -zig Milliarden Plastiktüten haben sich bereits auf der Erde und im Meer verteilt. Wer trägt die Schuld daran? Kein Mensch, es ist der Kapitalismus. Wer hat zu verantworten, dass sich in 80 Prozent aller Albatross-Mägen mindestens 15 Plastik-Teile von insgesamt mehr als 10 Gramm befinden? Nicht die Menschen haben das zu verantworten, denn die Menschen würden das auf keinen Fall wollen, sie verehren die Albatrosse, diese majestätischen Seevögel – es ist der Kapitalismus, der zu verantworten hat, dass auch diese Tiere in ihrem Bestand gefährdet sind. Man kann solche Beispiele tausendfach anführen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass niemals Menschen für etwas geradestehen, sondern immer nur Unternehmen, immer „nur“ anonyme Unternehmen, deren scheinbar natürliches Profitstreben als kapitalistischer Grund-Impetus gleichsam vergöttert wird.

Doch fast alle glauben an den Kapitalismus, ohne ihn geht es anscheinend nicht, in der Gegenwart und auch in der überschaubaren Zukunft nicht, sofern denn eine lebenswerte Zukunft erhalten bleibt. Andererseits kann es mit dem Kapitalismus offensichtlich nicht so weitergehen, wenn die Menschen ihre gemeinsame Zukunft sichern wollen. Als einziger praktikabler Ausweg bleibt, den Kapitalismus menschengerechter zu gestalten, aber – wie schon ausgeführt – kann man sich noch nicht einmal über diese Zielvorgabe einig werden, und dass es nicht gelingt, ist ein geradezu erschütterndes Armutszeugnis für den menschlichen Intellekt. Was hat die Aufklärung gebracht? Die Befreiung aus Irrationalität des Religiösen? – die Idee von einem autonomen Menschen im Sinne von Descartes, Kant und schließlich Hegel? – das naturwissenschaftliche Weltbild mit dem technischen Zeitalter, dessen Faszination rapide schwindet? Tatsächlich brachte die Aufklärung ein neuartiges Denken in seiner ganzen Vielfalt hervor, aber sie brachte keinerlei Fortschritt in Bezug auf eine neue und einigermaßen befriedigende Selbstverortung des abendländischen Menschen, nachdem er sich in einem über 300 Jahre dauernden Prozess von der Religion losgesagt hatte. Das Kreuz mit der Aufklärung ist, dass sie uns in einen tiefen Erklärungsnotstand über den Sinn unserer Existenz hinein geworfen hat. Man könnte auch sagen, dass die Aufklärung dem Menschen seine eigene Verklärung zu einem materialisierten Universalwesen ermöglichte, gleichermaßen eine ontologische Schein-Emanzipation, die in trügerische Orientierungslosigkeit mündete. Zwar wäre der Kapitalismus auch unter einer andauernden religiösen Vorherrschaft entstanden, jedoch hätte er unter keinen Umständen diese rigorosen Formen annehmen können, er hätte niemals in den Rang einer Ersatzreligion treten können. Wenn die europäische Zivilisation mit Unbehagen auf den Islam schaut, dann wegen der Entfremdungseffekte und wegen der vermeintlichen Terrorgefahr, die von ihm ausgeht… oder steckt noch mehr dahinter? Gibt es für dieses europäische Unbehagen noch andere Gründe? Ja, da ist noch mehr, viel mehr. Die islamischen Völker kennen den Spagat zwischen Physik und Metaphysik nicht, sie mögen zwar einen zivilisatorischen Aufholbedarf haben, aber sicher keinen in der Sinnsuche nach einem umfassend erfüllten Leben, so wie sie viele Westmenschen umtreibt. Die meisten Moslems sind, das glaube ich zumindest, mit sich und mit der Welt im Reinen – dazu verhilft ihnen ihr Glauben, ähnlich wie der Glauben auch dem ärmsten Hindu gestattet, sein Leben gelassen zu nehmen.

Solche Einsichten können neidisch machen, selbst wenn man nicht zum Islam konvertieren will oder sich im Buddhismus ausprobieren möchte. Der Kapitalismus enthebt mich scheinbar aller existenziellen Sorgen: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Ordnung, alles da, alles sogar im Überfluss da, was will der Mensch mehr… und doch ist der Kapitalismus ein schlimmer, bösartiger Räuber: Er raubt mir das gute Gewissen, er raubt mir meine Menschlichkeit, meine Reflexe, auch für andere Sorge zu tragen, er raubt mir meine Empfindsamkeit, er senkt meine Hemmschwellen für Grausamkeiten, er macht mich immer mitleidloser, er raubt mir alle Exotik ferner Länder, er raubt mir das Faszinosum einer wunderbaren Natur, von der ich ein Teil bin, er raubt mir eine heile Welt, eine heile Erde, er raubt mir die heilige Erde. Das ist zu viel – der Preis ist zu hoch ein versorgtes Vegetieren.

Schweigen in eisiger Akzeptanz

Thema: einige ungewöhnliche Überlegungen zu den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001, ungewöhnlich deshalb, weil sie sich nicht mehr mit der Untersuchung der Attentate beschäftigen werden. Die scheint zumindest vorläufig abgeschlossen zu sein, die offizielle und auch die inoffizielle Untersuchung, an der sich Tausende beteiligten – Experten, selbsternannte Experten, Sensationslüsterne, Interessierte, Schockierte, Verunsicherte. Es gibt nur zwei mögliche Ergebnisse, tertium non datur: Entweder die Anschläge wurden von arabischen Terroristen geplant und ausgeführt, oder es war nicht so. Man kann sich für eine der beiden Möglichkeit entscheiden… wenn man will.

Viele sagen, dass sich mit 9/11 die Welt verändert habe, man spricht sogar von einer neuen Zeitrechnung – vielleicht stimmt das, vielleicht läuft die Zeit seitdem gefühlt schneller und auf irgendetwas Unheimliches zu. Oder das ist alles übertrieben, denn auf Gefühle kann man sich nicht verlassen. Nicht übertrieben ist es, dass sich nach den Anschlägen eine veränderte Atmosphäre über die Erde verbreitet hat. Die Atmosphäre wurde düsterer – sie war auch vorher nie sehr harmonisch oder gar lichtdurchflutet, doch vermittelte sie dem Westmenschen immerhin eine vage Leichtigkeit des Seins: Er bestieg locker die Flugzeuge, er telefonierte und kommunizierte unbefangen, er hatte keine bedrohlichen Feindbilder, er musste seine Meinung nicht überprüfen, bevor er sie im Kollegenkreis äußerte, er konnte mehr oder weniger unbeschwert in den Tag hinein leben, er kannte keinen Großen Bruder. Von dieser spontanen Lebensbejahung ist einiges verlorengegangen.

Als Folge von 9/11 fanden Kriege statt, es bildete sich wieder eine Kriegsbereitschaft aus, nachdem man im Grunde erwartet hatte, endgültig davon befreit zu sein. Der Terrorismus hielt endgültig Einzug in die Köpfe. Die Menschen wurden konfrontativ eingestellt, gleichermaßen normiert, eine Feindseligkeit wurde in das Denken implementiert. Vor den Parolen gab es kein Entrinnen, und deshalb sollte man darüber nachdenken, ob der Terrorismus ein wirklicher Feind sein kann… aber wie bei den Ursachen von 9/11 bleibt das jedem selbst überlassen. Der Feind als solcher, ob Fakt oder Schimäre, ist bedeutend, solange er mächtig anmutet und nicht aus dem Bewusstsein verschwindet. Sich mit der Feindseligkeit zu beschäftigen, ist aufschlussreicher. Kann es so etwas geben wie eine Seligkeit der Feindschaft in dem Sinne, dass sie als menschliche Ur-Befindlichkeit festliegt? Ja. Die Seele tritt nicht nur als transzendierendes Phänomen auf, sie beschreibt ebenfalls Grundgefühle. Wenn einem etwas aus der Seele spricht, dann kommt es von unten heraus, aus den unzugänglichen Tiefen der Persönlichkeit. Wer selig ist, der muss weder dumm sein, noch gläubig, noch muss er glückselig sein – er steht in innigem Einklang mit Emotionen, die ihn bestimmen, ob er es will oder nicht. So ist Seligkeit nicht notwendigerweise positiv oder moralisch konnotiert, es existiert auch eine Seligkeit der Feindschaft. Der Mensch findet eine grundlegende Befriedigung darin, sich zur Bestärkung seiner eigenen Identifikation von anderen abzusetzen und sich reflexhaft gegen sie zu wenden – hier liegt einer der Schlüssel zum Krieg als Vater aller Dinge. Ein Freund ist immer exklusiv, Freundschaften ergeben sich regelmäßig aus Zusammengehörigkeit. Die anderen Menschen sind potentielle Feinde, allein weil man sie nicht kennt, allein weil sie fremd sind.

Diese Überlegungen sollen als Einstieg dienen, um die Bedeutung der Anschläge vom 11. September 2001 angemessener einzuordnen. Dazu ein kleines Gedankenspiel, das unter drei möglicherweise zutreffenden Voraussetzungen abläuft, erstens: Die Anschläge wurden von amerikanischen Regierungskreisen erdacht und durchgeführt – zweitens: Die Beweise dafür liegen für jeden einsehbar öffentlich vor – drittens: Hunderttausende westliche Politiker, Journalisten und Entscheidungsträger wissen darüber Bescheid, trotzdem halten sie darüber strikt den Mund. Was aber hat es dann mit diesem so merkwürdig verbissenen Schweigen auf sich? Das ist der Punkt, um den es vor allem geht. Wie kann es sein, dass die breite Phalanx der Abschottung selbst nach 14 Jahren noch nicht merklich durchlöchert ist? Selbst solche Fragen sind inzwischen suspekt, obwohl die Antworten entscheidende Auskünfte geben könnten über die ethischen Maximen der Gesellschaft und einer Weltgesellschaft, die langsam herauf dämmert – die Antworten könnten dazu wichtige verborgene Motive aufdecken, die nicht vorzeigbar sind. Wenn Menschen massenhaft schweigen, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern jeden Kommentar zu 9/11 verbieten, wenn wissenschaftliche Institutionen fast ausnahmslos dichtmachen, wenn ganze Staaten mauern – dann ist eine besondere Situation entstanden, eine Situation, die so noch nie da war. Es muss weiter reichende Gründe geben für dieses geheimnisvolle Fraternisieren im Nachhall einer Zivilisationskatastrophe.

Die Totenstille macht schnell klar, dass Konformismus als Begründung nicht ausreicht und nur ein vordergründiges Verständnis ermöglicht. Niemand will leichtfertig seine materielle Existenz gefährden, niemand will von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden… doch bei den vielen Eingeweihten, Wissenden und ratlosen Mitwissern wären auch viel mehr Abtrünnige zu erwarten gewesen, viel mehr Whistleblower. Nahegelegen hätte eine massive Gegenreaktion, die das Ausmaß der Wahrheitsbewegung in Nordamerika überstiegen hätte und die besonders international deutlicher ausgefallen wäre. Ein weiterer, wahrscheinlich der am häufigsten anzutreffende Grund für das Schweigen liegt in der anhaltenden Verunsicherung über die wahren Abläufe, gepaart mit einer Abneigung, sich mit der Materie überhaupt näher zu beschäftigen – das wäre die schon notorische „kognitive Dissonanz“, als bevorzugtes, wenngleich nur bedingt hilfreiches Erklärungsmuster für die unheimliche Stille nach den Anschlägen. Kognitive Dissonanz gehört zum Repertoire der Lebensbewältigung, ein psychischer Abwehrmechanismus, mit dem die Wahrnehmung von unerträglichen Sachverhalten automatisch begrenzt und verfälscht wird, um sie erträglicher zu machen – sie lässt weder Raum für Erkennen noch für Auseinandersetzung, sie hinterlässt vor allem Verwirrung über das Objekt der Angst.

Hinter dem radikalen Tabu von 9/11 müssen sich verschiedene Motive verstecken, solche die auch radikal sind und solche die unterbewusst entstanden, aus zweckdienlichen Pseudo-Realitäten heraus, an die viele bis heute glauben – vermutlich liegt hier eine Kombination von beidem vor. Bei der Annäherung an die Motivlagen rückt das Phänomen der Akzeptanz in den Blickpunkt. Wie aber kann man so grausame Anschläge wie die vom 11. September 2001 akzeptieren? Über allmähliche Relativierung, die Ereignisse wurden ihres Schreckens entkleidet über einen Verarbeitungsprozess wie nach einem persönlichen Unglück. Die Masse hat die Anschläge nie richtig akzeptiert, sie hat sich über den Puffer eines scheinbar virtuellen Ereignisses von ihnen distanziert. Es blieb nichts anderes, als irgendwie damit umzugehen, und das wurde den Menschen dadurch erleichtert, dass sie es als Medienspektakel erlebten: 9/11 war großes Kino, es war der ultimative Blockbuster des gerade eingeläuteten neuen Jahrtausends. Der Film hatte Überlänge, er dauerte fast einen Tag lang. Die Leute wussten zwar, dass der Film die brutale Wirklichkeit gezeigt hatte, doch sie blieb gefühlt eine cineastische Realität. Daran änderte sich auch in den Folgetagen nur wenig, als gleich abschließend wirkende Analysen präsentiert und eilig die Täter gezeigt wurden. Besonders junge Menschen kannten sich mit allerlei Weltuntergangszenarien aus, sie schwankten zwischen Entsetzen und Begeisterung.

Viele begriffen den Ernst der Lage erst richtig, als am 4. Oktober 2001 der NATO-Bündnisfall ausgerufen wurde, der Deutschland automatisch mit in die Pflicht des Handelns nahm. Es war praktisch der Ausruf eines nebulösen Kriegszustandes, der bis zum heutigen Tag anhält, weil der Feind schneidig zu einem globalen Langzeitfeind erklärt wurde. Allerdings erschien auch das Feindbild Terrorismus diffus, deshalb kamen sich nur wenige Deutsche tatsächlich wie in einem Kriegszustand vor – der Krieg war ihnen aber näher gekommen, er hatte sie irgendwie mit in sich einbezogen. Die Medien entfalteten in der Zeit danach ihre mächtige Sogwirkung, sie zogen die Menschen in einen Strudel von Angst, Hass und Rachegelüsten. So geriet die Initialzündung, also 9/11, immer mehr in den Hintergrund, bis sie schließlich vollkommen aus der Berichterstattung verschwand, beziehungsweise aus ihr entfernt wurde – der Film hatte die Wahrheit vorgeführt, und die Vorführung der Wahrheit war zu einem Film geworden. Doch diese Unstimmigkeit verstärkte nicht die Neugier, sie ließ vielmehr die Berührungsängste anwachsen: Man wollte damit nichts zu tun haben, man befürchtete, in eine so abgründige Phantasiewelt verwickelt zu werden wie sie sich in den einstürzenden Wolkenkratzern dargeboten hatte. Hier kam wieder die kognitive Dissonanz zum Tragen, nur nicht klassisch, nicht als reaktive Schutzmaßnahme, sondern als Teil eines mehr oder weniger gesteuerten Selektierens innerhalb der bewussten Wahrnehmung.

Etwas zu akzeptieren, bedeutet mehr, als etwas hinzunehmen, es deutet auf Vereinbarkeit hin und darauf dass etwas passend gemacht wird, wenn es nicht richtig passen will, um Vorteile zu erlangen. Es handelt sich dann nicht mehr nur um eine unbeteiligte und beobachtende Akzeptanz als Überwindung einer Ignoranz, für die man zwar leicht Verständnis aufbringt, die aber auf Dauer schwer durchzuhalten ist – nein, etwas zu akzeptieren, kann auch heißen, dass man bereitwillig neue Perspektiven in sein persönliches Denken integriert, von ungewohnten Sachverhalten bis hin zu Veränderungen im Weltbild. Davon zu unterscheiden ist die Konzession – Konzessionen sind allgegenwärtig, man muss sie ständig machen. Das Selbstverständnis vieler Menschen schließt eine Generalkonzession ein, regelmäßig an die Übermacht der Verhältnisse, an denen man nichts ändern könne – diese Menschen haben kaum Probleme damit, selbst bedenkliche politische Umbewertungen als Überzeugungen für sich anzunehmen. Bei 9/11 spielen aber die unterschiedlichen Arten von Akzeptanz eine zentrale Rolle, und deshalb erscheint es angezeigt, drei Varianten zu betrachten: Neben einer ersten, einer vom Zeitablauf begünstigten fatalistischen Akzeptanz der Massen gibt es eine zweite, eine generelle, in der alles Prekäre in eine bürgerliche Lethargie mündet, die Bestand hat, weil sie auf eingeübten Verformungsroutinen der Realität beruht, eine Gewohnheitsakzeptanz des geordneten Rückzugs ins Private – und noch eine dritte Variante der Akzeptanz hat sich verbreitet, eine verborgene und sehr spezielle, sie ist differenziert, zielgerichtet, jedoch mit großer Skepsis zu betrachten.

Die dritte Variante der Akzeptanz steht hier im Mittelpunkt, denn nur mit ihr lässt sich das Schweigen zu 9/11 erklären, zwar spekulativ, aber vielleicht einigermaßen zutreffend – man kann sie die eisige Akzeptanz nennen. Sie begründet sich in einem unausgesprochenen Einvernehmen darüber, dass die Entwicklung auf der Erde nur mit strenger Autorität, das heißt mit Gewalt in geordnete Bahnen gelenkt werden kann. Doch was ist unter geordneten Bahnen zu verstehen? Eine Gemengelage von Motiven, aus der drei hervorstechen: die Vorherrschaft der westlich geprägten Gesellschaftsordnungen, die stille Abkehr von der Idee einer sozialen Weltsolidarität und vor allem die Vorstellung von einer Notbremse – diese Notbremse bedeutet das Konzept einer brachialen Notlösung für die Weltprobleme, die politisch unlösbar sind. Es geht um Besitzstandswahrung und darum, einem drohenden globalen Kollaps zu begegnen, koste es was wolle. Der Zusammenbruch muss unbedingt abgewendet werden – doch hier scheiden sich die Geister bei der Frage: Läuft der Anfang dieses Prozess gegenwärtig bereits ab, ohne dass die Menschen davon wissen? Die Frage entschieden zu verneinen, deutet sowohl auf einen Mangel an Phantasie als auch an kritischer Beobachtung hin, denn es gibt untrügliche Anzeichen dafür, dass die meisten westlich orientierten Industrienationen sogar den Machtzuwachs der Vereinigten Staaten von Amerika heimlich unterstützen, wahrscheinlich weil sie sich in der engen Zusammenarbeit mit den USA als ein gemeinsames Korrektiv begreifen, das allein in der Lage ist, die Fehlentwicklungen auf der Erde in den Griff zu bekommen – wobei vergessen wird, dass die Industriestaaten für die schlimmsten Fehlentwicklungen selbst die Verantwortung tragen.

Um die Plausibilität solcher Vermutungen unvoreingenommen zu beurteilen, sollte man sich von Verschwörungstheorien und von okkultem Gedusel freimachen – es geht bei dieser Frage nicht um einen internationalen Polit-Krimi, sondern um Tatsachen – es geht auch nicht um Freimaurer, Illuminati oder Kabbalismus, sondern um konkrete, geheime Pläne, die vielleicht schon im Ansatz umgesetzt werden, und wenn das so ist, dann spielt es nur noch eine untergeordnete Rolle, wer die Pläne ersonnen hat. Distanz ist ebenso ratsam bei Endzeit-Visionen, bei eschatologischen Ausmalungen vom Anbruch einer neuen Welt und bei dem Phänomen „Neue Weltordnung“. Wenn ein geheimes Vorhaben in Angriff genommen wurde, dann vorrangig zur rigorosen Stabilisierung der globalen Lebensgrundlagen über eine Verkleinerung der Menschheit – ein wie grob auch immer konzipiertes Provisorium aus Existenznöten heraus wäre noch lange keine neue Weltordnung. Eine neue Weltordnung kann nicht in der Form gängiger Dystopien dauerhaft Gestalt annehmen. Zu einer neuen Weltordnung gehört mehr als eine repressiv gelenkte Zivilisation, so viel mehr, dass es die Phantasie des Gegenwartsmenschen überfordert… die wahren Herausforderungen der Zukunft sind keine technologischen, sondern ideelle. Trotzdem ist der möglicherweise schon eingeschlagene Weg zu einer Konsolidierung vorläufig ohne diktatorische und faschistoide Praktiken kaum noch vorstellbar – eine bittere Erkenntnis, an der man nicht vorbeikommt. Außerdem muss bezweifelt werden, dass die Ziele unter Beibehaltung der heute gültigen weltpolitischen Doktrin des Kapitalismus überhaupt erreichbar erscheinen – denn ein in keiner Weise neu durchdachter, ein nicht entschärfter und ein nicht nachgebesserter Kapitalismus wird automatisch ständige Gefährdungen mit sich bringen, die eine stabile Kollektivexistenz auf der Erde ausschließen. Die Realitäten werden das gemeinsame Wirtschaften auf dem Globus ohnehin immer unerbittlicher diktieren, unabhängig von Ideologien.

Auch wenn darüber nicht viel bekannt wird, kann man den Führungseliten unterstellen, dass sie sich über die kommende Entwicklung auf der Erde ausführlich Gedanken gemacht haben, sie haben schon längst erkannt, dass existenzielle Probleme vorliegen, wie die Bevölkerungsexplosion und die gefährlich wachsende Überbeanspruchung des Heimatplaneten. Die logische Schlussfolgerung sieht nun einmal so aus, dass beide Probleme möglichst schnell massiv reduziert werden müssen, um zu retten was noch zu retten ist. Hiermit würde sich die düstere Agenda eröffnen, an die man glauben kann oder nicht. Wenn in den Thinktanks der Vereinigten Staaten diese oder ähnliche Planungen tatsächlich gemacht wurden, dann muss man auch davon ausgehen, dass die Pläne inzwischen vom politischen Europa, von Japan und von Australien stillschweigend akzeptiert worden sind, das heißt von allen führenden Industrieländern, außer Russland und China. Diese Annahme wiederum könnte vermuten lassen, dass es der NATO beim Zündeln gegen Russland weniger um eine Herrschaft über die Rohstoffe geht als um globale Handlungsfreiheit, oder dass hier beides zusammenkommt.

Auch bei aller Skepsis könnte es also sein, dass 9/11 den Ausgangspunkt einer Ultima Ratio setzte, die in diesem Jahrhundert abgearbeitet werden soll, mit dem Ergebnis einer reglementierten Welt, auf der deutlicher weniger Menschen leben würden. Mehr als ein Jahrzehnt nach den Anschlägen in den Vereinigten Straten verdichtet sich damit der Verdacht, dass mit den Anschlägen eine mühsam getarnte Aktion begonnen haben könnte, die von den leitenden Gruppen der Westgesellschaften gemeinsam getragen und vorangetrieben wird. Es bedarf eigentlich keiner weiteren Beweise dafür, sie sind in Mengen vorhanden – und allein die Zahl der Hinweise reicht aus, um diese Annahme zu rechtfertigen. Ein wichtiges Indiz ist eben die auf rätselhafte Weise undurchdringliche Mauer des Schweigens, hinter der sich hunderttausendfach die eisige Akzeptanz verbirgt. Ähnlich entlarvend wirkt, dass die amerikanische Regierung neue Untersuchungen der Anschläge hartnäckig verweigert – sie lässt die vernehmlichen Forderungen danach einfach unkommentiert. Auch im Verhalten der gesamten Leitmedien kommt das chronische Eingeständnis zum Ausdruck, in ein klandestines Elitärwissen eingesponnen zu sein, man spürt es fast unmittelbar, immer wieder. Wenn die Teppichmesser-Schergen von Al-Qaida die Anschläge verübten, dann müsste man nur ihre Täterschaft nachweisen, und alles hätte seine Ordnung.

Eisige Akzeptanz – was ist damit genau gemeint? Ein innerer Offenbarungseid vor sich selbst, das Ergebnis eines schleichenden Vorganges im Denken, der eine moralische Hemmschwelle nach der anderen fallen lässt, bis vermeintliche Unausweichlichkeiten kalt konstatiert werden und Einwände nicht mehr zählen. Jeder der solche Veränderungen der Schwerpunkte in seiner Lebenssicht verortet, der gehört schon zu den Weltrettern oder Weltvergewaltigern im Kopf, der gehört schon zu denen, die ihre eisige Akzeptanz verschweigen, weil sie Angst haben, weil sie auch Angst davor haben, dass ihnen der sich selbst natürlich eingeräumte Status eines zivilisierten Menschen abhanden kommen könnte. Wenn man sich eingehender mit der Frage beschäftigt, warum die USA denn so kriegslüstern sind, warum sie weltweit hunderte Militärstationen betreiben, warum sie immer weiter hochrüsten und warum sie unablässig den Terror zum Weltfeind ausrufen – wenn man sich diese Fragen stellt, dann können die gewöhnlichen Antworten nicht mehr voll überzeugen, wie etwa der militärisch-industrielle Komplex, die Intrigen mafiöser Kapitalisten-Gruppen und eine historisch zusammengewürfelte Nation mit kriegerischer Mentalität… reicht das im 21. Jahrhundert aus als Erklärung für die aggressive Performance der USA? Liegt hier wirklich „nur“ eine bellizistische Tradition vor, die rücksichtslos fortgeführt wird? Zweifel sind angebracht, sie werden zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Alliierten der USA fast ausnahmslos und unkritisch bei der US-Politik mitziehen. Kann man diese merkwürdige Kumpanei mit den tückischen Gesetzen des Kapitalismus, mit dominierenden Partialinteressen und mit Machtgier tatsächlich ausreichend begründen? Nein, diese Begründungen reichen nicht aus, es steckt mehr dahinter: der beabsichtigte Griff nach der Herrschaft über die ganze Erde – womit man wieder beim Thema wäre, konkret bei der Spekulation, dass der globale Zugriff als brutaler ordnungspolitischer Eingriff konzipiert ist, den man vor den Menschen geheimhält, weil mit ihm der zivilisatorische Wertekanon praktisch aufgegeben wird.

Die Politik und die Medien bestehen aus Menschen, aus diskreten Personen – was geht in deren Gehirnen vor, wenn sie schweigen, wenn sie explodierende Hochhäuser mit tausenden Opfern für ein monströses Vorhaben aktiv akzeptieren, wenn sie als unbeteiligte Zuschauer willig eine Abfolge von blutigen Kriegen hinnehmen und wenn sie für das Elend von Millionen nicht viel mehr als ein Schulterzucken übrig haben? Sie vollziehen – jeder für sich allein – die Inbesitznahme der Welt. Diese Menschen bemerken nicht, dass sie ihre moralische Integrität für die Anmaßung opfern, diesseitige Erlösungsvorstellungen auf die Wirklichkeit herunter zu brechen. Aber vielleicht ist diese innere Aufgabe der Preis für die Zukunft, vielleicht sind die Gutmenschen naive Verweigerer von Konsequenzen, die unvermeidlich sind. Vielleicht ist die eisige Akzeptanz der Ausweis einer starken Persönlichkeit, die kompromisslos bis zu Ende denkt. Wer so denkt und fühlt, was für ein Mensch ist das? Ein Übermensch im Sinne von Friedrich Nietzsche, dem geistigen Wegbereiter der deutschen Barbarei. Nietzsche führte in „Also sprach Zarathustra“ zwar auch den positiven, kreativen Übermenschen vor, doch krankhaft fasziniert war er von seinen Imaginationen des negativen, des gewalttätigen, des rücksichtslosen Übermenschen, der alles Schwache verachtet. Der Übermensch erklärt Gott für tot, er braucht ihn nicht mehr für seine eigene Großartigkeit. Stärke ohne Gott – spiegelt sich darin die eisige Akzeptanz der Weltregulierer hinter den Schreibtischen? Vielleicht sind solche Fragen abwegig, vielleicht auch nicht… aber ein Mensch ohne Ethos und ohne Gott ist ein Torso.