Das Innen ein Hotel (5). Gesprächsprotokoll.

Nahezu drei Stunden Aufnahmen sind als Text in eine Datei abzuschreiben; das ist langwierige Arbeit. Ricarda Junge hat schnell und ausgebig erzählt, wir saßen vor der ČSA-Bar, vorgestern abend draußen an der Karl-Marx-Allee bis in die Nacht. Sehr vieles ist verwendbar, auch wenn der Verkehr heftig war und auf dem Tonfile deutlich zu hören ist; manchmal überlagert es die Stimme. Das war Absicht, aber Kernsätze werde ich im Studio betonungshalber nach/sprechen lassen. Nicht weniges ist enorm eindrücklich, etwa das:

diese Unruhe, die bestimmte Räume auslösten, und daß ich mich eigentlich nur in vertrauten Gegenden bewegen wollte, wo ich wußte, was welcher Gegenstand, was welcher Mensch auslösen würde bei mir. (22:01) Und ich hab viel versucht, dagegen zu machen, mich zu bewegen und zu reden, Sport zu machen, zu fechten und Tennis zu spielen. Und dann kam irgendwann Anfang der neunziger oder Ende der achtziger Jahre der Computer zu uns ins Haus, und ich hab angefangen… Ich durfte den nicht benutzen. Es war eine Riesenkiste, schwarzer Bildschirm und gelbe Schrift. – Meine Mutter brauchte den beruflich. Ich bin abends, wenn die alle im Bett lagen, in dieses große dunkle Arbeitszimmer und bin an den Computer gegangen und hab angefangen zu schreiben… damals schreckliche Gedichte. (22:45) Ich war noch in der Grundschule, zehn oder elf. Und dieser Druck und diese Angst ließen nach. Es war zum ersten Mal, daß ich begriffen habe, daß es nicht um Gespenster geht, daß diese Gegenstände nicht etwas aussenden und nicht, sobald die Menschen mir ihren Rücken zudrehen, ihr Hinterkopf leise mit mir spricht, sondern daß das etwas war, das aus mir kam. Und daß das vielleicht sogar eine Art Fähigkeit sein konnte… (23.33) nicht, was zu sehen, das verborgen da ist, was kein anderer sieht, sondern eine Geschichte zu erzählen, was zu assoziieren. Die Wörter dafür hab ich erst später gelernt, aber es war eine geradezu lebensrettende Erleichterung zu erkennen, daß mich das Außen nicht bedroht, sondern daß das was ist, das aus m i r rauskommt, und daß das eigentlich was ist, das kommuniziert… daß i c h kommuniziere mit dem, was mich umgibt, ständig kommuniziere – und nicht angegriffen werde. Das war natürlich ein Prozeß. Das war erst einmal nur, daß ich gemerkt habe, das verschafft mir Erleichterung und nimmt mir die Angst. Wenn ich da saß in diesem riesigen Arbeitszimmer, das mein Vater auch benutzte, um mit Leuten zu sprechen, meistens Trauerfälle, dann war ich sicher.

Junge ist normalerweise sehr zurückhaltend in ihren Auskünften; hier sprach sie sehr frei, herausquellend fast: das ist ein ziemlicher Schatz, den ich da habe, ein Geschenk, das mir gemacht worden ist. Es verpflichtet zu einer Diskretion, die zugleich, für das Hörstück, eng an der Poetik und der Erzählung ihrer Bewegungsgesetze bleiben muß. Doch habe ich nun insgesamt bereits sehr viel mehr Material, als sich im Hörstück verwenden lassen wird. Da werde ich höchst präzise aussuchen müssen.

…also man sagt so, daß das… diese Klischees, daß man das Schreiben braucht wie die Luft zum Atmen… – das ist Quatsch. Ich brauche das irgendwie zum Denken, das Schreiben. Mein Kopf funktioniert nicht, wenn ich nicht schreiben kann. Das stürzt von außen auf mich ein, so, wie das in der >>>> Schönen Geschichte auch beschrieben wird, wie ein Wasserfall, der in den Kopf stürzt. Du hörst eigentlich zu sprechen auf. Das ist so viel, du kannst nicht mehr kommunizieren und dasein. Du möchtest eigentlich nur raus aus dieser Welt, wenn du das nicht irgendwie verstehen und bündeln könntest. Das ist für mich das Schreiben. Das ist meine Art zu denken. Ich bin die meise Zeit kein denkender, kein intellektueller Mensch. Ich bin das nur, wenn ich schreibe.

Alban Nikolai Herbst

Über Alban Nikolai Herbst

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