Hölder & Heine ODER Susette Gontard und das Fräulein am Meer. Settima Ameriana: venerdì, 21 agosto 2015.


[Traumschiffs Kamintisch,
9.45 h]



Dieses Liebesverhältniß, von beiden Seiten mit
gleicher Leidenschaft betrieben, konnte nicht lange
währen, und Hölderlin mußte endlich auf eine höchst
unangenehme Weise das Haus verlassen, da es der
Gemahl seiner Diotima bemerkte.

Waiblinger, 1831 w.u.


Nun bin ich selbst scardanell –
wie ging das, Freund, so schnell?
Nein, ich stimm in die Klage

der unsren nicht ein, deren Tage
sich selbst von ihren Händen zählen
und das Entferntsein eigens wählen.

Doch stehe nun selbst am Geländer
und sinn in die treibenden Ränder
der Lebenswetterlage

Ich habe keine Frage,
rauche und sehe den Mädchen zu
und liebe sie noch immer

doch wird mein Rücken schlimmer
und möchte seine Ruh.



Hölderlin kam nun nach Weimar und Jena, eben als sich der großen Männer so viele daselbst aufhielten. Er gühte von Ruhmbegier, von Drang, sich auszuzeichnen. Seine vollendetsten Gedichte fallen in diese Zeit. Ein so seltenes Talent, verbunden mit der Grazie seiner Erscheinung, konnte nicht anders als Eindruck machen. Jetzt kam alles darauf an, daß sein Ehrgeiz befriedigt wurde. Wund wie er war, gereitzt und verbittert, konnte ers nicht ertragen, wenn ihm Hindernisse in den Weg traten. Man sagt, daß seine geliebte Diotima durch Verbindungen, die sie mit einigen ansehnlichen Männern hatte, für ihn wirkte. Der edle Schiller hatte ihn äußerst lieb gewonnen, achtete sein Streben ungemein und sagte, daß er weit der talentvollste von allen seinen Landsleuten sey. Er suchte ihm Gutes zu thun, und zu einer Professorenstelle zu verhelfen. Wäre dies geschehen, so hätte Hölderlin einen bestimmten Wirkungskreis gehabt, er hätte sich beschränken lernen, wäre gesund geworden, wäre nach und nach erstarkt, seine geistige Überspannung hätte nachgelassen, er wäre nützlich geworden, und ein Weib zu seiner Seite hätte vollends jede unnatürliche Richtung seiner Geisteskräfte zerstört und ihn gelehrt, wie man leben, arbeiten und sich behelfen müsse, wenn man mit Menschen menschlich leben wolle. Aber Hölderlins unglückliches Schicksal und die Mißgunst seiner Feinde lenkte es anders. Es wurde ihm ein anderer vorgezogen, und er sah sich hintangesetzt. (…)
Diß war ein entscheidender Schlag für Hölderlins ganzes Wesen. Er sah seine besten Hoffnungen vereitelt, fand seinen Stolz, sein lebhaftes Selbstgefühl beleidigt, sein Talent, seine Kenntnisse hintangesetzt, seine Ansprüche als unzulänglich erklärt, und fand sich abermals wieder aus dem Traum einer wirksamen thätigen Zukunft (…) hinausgestoßen.

Wilhelm Waiblinger, Friedrich Hölderlins Leben, Dichtungen und Wahnsinn
Leipzig 1831




(Der Abend, gestern,
bevor wir zur megalithischen Mauer gingen,
die Sterne zu betrachten:
Scorpio & Cassiopeia)


Es ist eine Behaupt-
tung der Menschen,
daß Vortrefflich-
keit des innern Men-
schen eine interessan-
te Behauptung wäre. Es ist
der Überzeugung gemäß,
daß Geistigkeit
menschlicher Inner-
heit der Einrichtung
der Welt tauglich
wäre.

         Scardanelli 1841


Kommentar >>>> D.E.Sattlers, 2004:
Wie Hölderlin : Scardanelli hinten das V von Vortrefflichkeit unterstrich, unterscheidet er hier seine Überzeugung – seine tiefere Einsicht von der allgemeinen, die pragmatischer Konsens einer Welt ist, in der grundsätzlich alles nach dem realen Nutzen beurteilt, so auch das ihr Fremde – Geistigkeit zum Beispiel – nur zu gebrauchen ist als Deckblatt für die geltenden Maximen.



Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

„Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.“

Heinrich Heine, 1844



Bevor ich ins Eigene schaue,
Milch ist zu kaufen,
Waschpulver Brot

Morgens die Luft ist schon kühl nachdem sich die Regen
auf die dunklen Steine besonnen, die nachts
wehrlos ausgebreitet (uns gleich im Traum)
liegen: alleine für sich jedes unter den gelben

Lampen: glänzend schimmernde Pflasterköpfchen
Hilfloses Licht, das die Wärme nicht gibt, um das Naß
himmelwärts aus sich auszudunsten; die Stadt
weicht sich nachts auf und bereitet dem Herbst seine Moore –

(fehlen noch die beiden Terzette)



dafür, gestern über den Tag:

(Ich find‘ Deinen Schultern kein Wort,
nicht dem Handwurzelknöchel, der vorspringt.
Nicht dem Zahnweiß, wenn‘s herblitzt und leuchtet
Nicht der Lippenkron‘ und | ihrer Aufrinn zum Steg
Deinen Nasenflügeln nicht,
Béart
Nicht der Hand mir hinten am Schädel,
wie sie ihn um | schmiegt
Denn ob Deine linke | ich weiß es nicht mehr)

Die gewagten Wörter, wie „Aufrinn“, bringen mir Freude
und für die Béart darf man gerne Diotima setzen – anima mea Orfea, wie’s in dem Zyklus heißt –

deren Brüste jetzt 18 Seiten haben | ‘s wird
Zeit sie auszudrucken | morgen
musses alles weg

Schießlich, >>>> dies vor Feierabend. Das Blöde war, daß, was ich eigentlich gebraucht hätte, in Berlin auf der Hörstückfestplatte liegt
So behalf ich mich mit wenigen Fotos
Und bei den O-Tönen hab ich getrickst

Nachtrag
Diotima wurde literarisch als Deckname für zeitgenössische Damen
verwendet, denen eine an das antike Vorbild erinnernde Rolle
zugeschrieben wurde.
(Wikipdia)




(17.25 Uhr)
>>>> Daran hab ich fast den ganzen Tag gesessen. (Sauschwer das, Heber, festgeschriebe Silbenzahl und den Sinn in Einklang zu bekommen.)

Und jetzt ans heutige >>>> Video. Aber ich werd‘ mir allmählich unsicher, ob sich bei so wenig Zugriffen der riesige Aufwand lohnt.

Alban Nikolai Herbst

Über Alban Nikolai Herbst

https://de.wikipedia.org/wiki/Alban_Nikolai_Herbst
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