Computerschach: Interview mit Stefan Meyer-Kahlen

Schachprogrammierung: „Wir stehen erst am Anfang“

Interview mit dem Shredder-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen

von Peter Martan

Viermaliger Weltmeister bei den Mikro-Schachcomputern, zwei Mal Sieger einer Computerschach-Weltmeisterschaft, fünf Mal Gewinner der Computer-Blitzschach-WM, und Erster bei der Chess960-WM in Mainz – dies der eindrückliche Palmarès des deutschen Schachprogrammes Shredder seit dem Jahre 1996. Vater dieser erfolgreichen Schach-Engine, welche im Kreise der Computerschach-Experten einen seit langem hervorragenden Ruf geniesst, ist der Düsseldorfer Software-Entwickler Stefan Meyer-Kahlen.

Stefan Meyer-Kahlen wurde 1968 in Düsseldorf geboren, studierte Informatik in Passau und ist seit 1996 hauptberuflich Programmierer. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.
Stefan Meyer-Kahlen wurde 1968 in Düsseldorf geboren, studierte Informatik in Passau und ist seit 1996 hauptberuflich Programmierer. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.

In einigen Wochen will der bekannte Profi-Programmierer, der seit 1993 an Shredder arbeitet, die zwölfte Version seines Programmes veröffentlichen. Aus diesem Anlass stellte ihm der Wiener Computerschach-Kenner Dr. Peter Martan im Auftrag des „Glarean Magazins“ einige Fragen zum Stand der aktuellen Shredder-Dinge, aber auch zur Zukunft überhaupt der Schachprogrammierung. ♦

Glarean Magazin: An der kürzlich beendeten Computer-Schach-Weltmeisterschaft in Pamplona hat Ihr Shredder-12-Prototyp den Titel zwar in allen drei Bewerben knapp verfehlt, aber nur die seit längerem absolute Nummer Eins im Computerschach, die Engine Rybka, war noch erfolgreicher. Wann darf man Shredder 12 erwarten, und wird er auch in den einschlägigen Ranglisten wieder härtester Konkurrent von Rybka werden?

Stefan Meyer-Kahlen: Shredder-12 erscheint Ende Juli. Die neue Engine ist deutlich verbessert und wird in den diversen Ranglisten sicher einen grossen Sprung nach vorne machen. Meines Erachtens aber mindestens genauso wichtig am neuen Shredder 12 sind die Elostufen, bei denen man die Spielstärke in Elo einstellen kann, mit der Shredder spielen soll. Das hat im alten Shredder schon ganz gut geklappt, aber ich habe hier sehr viel Arbeit investiert und denke, dass es nun noch viel besser funktioniert. Shredder macht nun auch die typischen Fehler, die ein menschlicher Spieler mit der eingestellten Spielstärke macht. Shredder berechnet nun auch die Spielstärke des Benutzers besser und passt sich auf Wunsch automatisch an diese Spielstärke an. Das ist für den normalen Nutzer sicher sehr viel wichtiger als die letzten paar Elos.
Pamplona lief für Shredder wirklich nicht so schlecht, aber ich würde natürlich gerne auch mal wieder eine WM gewinnen. Ich gebe nicht auf und werde es beim nächsten Mal wieder probieren. Mit den Partien von Shredder in Pamplona bin ich aber sehr zufrieden.

Standard Winboard verdrängt von Standard UCI

GM: In den Anfangszeiten des Computerschachs war es unmöglich, Schach-Engines unterschiedlichster Plattformen automatisiert gegeneinander spielen zu lassen – bis Sie damals das sog. UCI-Protokoll vorstellten, welches inzwischen von fast jedem namhaften Schachprogramm unterstützt wird und damit zum Standard avancierte. Wie sehen Sie in der Erinnerung und in der Zukunft die UCI-Geschichte?

Rybka vs Shredder
Wird der neue Shredder dem amtierenden Weltmeister Rybka (links: Programmierer Vas Rajlich) die Stirn bieten können?- Hier eine Partie von der WM 2009 (Weiss: Rybka – Schwarz: Shredder-X): 1. d4 d5 2. c4 e6 3. Nf3 Nf6 4. Nc3 Bb4 5. Bg5 Nbd7 6. cxd5 exd5 7. e3 c5 8. Bd3 Qa5 9. Qc2 c4 10. Bf5 O-O 11. O-O Re8 12. Nd2 g6 13. Bh3 Bxc3 14. Qxc3 Qxc3 15. bxc3 Kg7 16. Rfb1 b6 17. g3 h6 18. Bf4 g5 19. Bd6 Nf8 20. Bg2 Ng6 21. a4 Bd7 22. Bb4 Bf5 23. Rb2 h5 24. a5 b5 25. a6 h4 26. Nb1 Bd7 27. Ra5 h3 28. Bf3 Ne7 29. Bd6 Rac8 30. Kf1 Kg6 31. Na3 Nc6 32. Raxb5 Re6 33. Bc5 Nd8 34. Rb8 Rxa6 35. Rxc8 Bxc8 36. Rb8 Bg4 37. Bxg4 Nc6 38. Rh8 Nxg4 39. Rxh3 Nd8 40. Be7 Ne6 41. Rh8 Nf6 42. Rb8 Ne4 43. f3 Nxc3 44. Ke1 f5 45. Kd2 Na4 46. Nc2 Rb6 47. Rxb6 Nxb6 48. Bc5 Kf6 49. Bxb6 axb6 50. Kc3 Ke7 51. e4 fxe4 52. fxe4 dxe4 53. d5 Ng7 54. Kxc4 Nf5 55. g4 Nh4 56. Kd4 Nf3+ 57. Kxe4 Nxh2 unentschieden

MK: Die erste Version für Chessbase war 5.32, ein Mittelding zwischen 5 und 6, welche Version die erste mit UCI war, weiss ich gar nicht mehr so genau, ich denke 4 oder 5. Ohne Rudolf Huber, mit dem ich UCI ja zusammen „erfunden“ habe, und mich hier zu sehr selbst zu loben, denke ich schon, dass UCI eine sinnvolle Sache war, die das Computerschach weiter gebracht hat. Wir hatten damals allerdings keine Visionen oder langfristige Pläne für UCI, wir waren nur mit dem existierenden Standard Winboard sehr unzufrieden und waren der Meinung, dass es Zeit für etwas Neues, viel Besseres sei. Da ich in Shredder ja die GUI und die Engine selber programmiere, hab ich es dann direkt in beides eingebaut und so eine Art Referenz-Implementierung geschaffen.
Dass sich UCI durchgesetzt hat und so erfolgreich ist, freut mich natürlich schon. Die Entwicklung von UCI ist noch nicht am Ende. Wir haben es ja damals extra so angelegt, dass man es ohne Probleme erweitern kann und dabei immer noch kompatibel zu älteren Engines oder GUIs ist.

Irgendwann werden sich mehrere Prozessoren nicht mehr lohnen

GM: Prof. Ingo Althöfers Idee vom „Dreihirn“ hat Shredder als eines der interessantesten Features seiner GUI aufgegriffen. Ist eine Art Triple Brain ein Ansatz, die alte Frage nach Strategie und Taktik zu beantworten? Eine Engine, die hochselektiv in die Tiefe und eine zweite, die an der Basis des Suchbaumes sozusagen mehr in die Breite rechnet, von einer „Master Engine“ oder wahlweise auch dem Bediener kontrolliert in der Entscheidung, was in der entsprechenden Stellung wesentlicher für die Bewertung ist?

MK: In der Schachprogrammierung gibt es wie in fast allen Bereichen Trends. Zurzeit ist der Trend, dass man sehr selektiv rechnet und aggressiv pruned. Das wird auch in der parallelen Version so gemacht. Sicher gibt es aber einige, die diesem Trend mehr und andere, die diesem Trend weniger folgen.
Cluster kommen so langsam in Mode und es ist richtig, dass man da andere Sachen machen kann, als in der normalen Version. Ob man dort aber weniger selektiv rechnen soll oder nicht ist unklar. Eine Möglichkeit, auf einem Cluster zu rechnen, ist sicher eine Art 3-Hirn oder aber ein Mehrhirn. Man kann auch mehrere Programme oder ein Programm mit unterschiedlichen Einstellungen an verschiedenen Stellungen rechnen lassen. Wenn man viele Prozessoren hat ist es schwer, ein klassisches Schachprogramm darauf effektiv laufen zu lassen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich mehrere Prozessoren nicht mehr lohnen, dann muss man nach anderen Wegen suchen, die vorhandene Rechenpower zu nutzen. Hier ist sicher viel möglich und wir stehen erst am Anfang des Weges.

Aufgrund seiner teils exklusiven Features sowie seiner Stabilität sehr geschätzt: Das Interface von Shredder 11
Aufgrund seiner teils exklusiven Features sowie seiner Stabilität sehr geschätzt: Das Interface von Shredder 11

GM: Eine weitere Neuerung kam ab Shredder 10 mit den „Shredder-Bases“. Darin werden zu den gespeicherten Endspielstellungen nicht wie in den „Nalimov- Datenbanken“ Zugzahlen zum Gewinn oder Remis gespeichert, sondern nur Bewertungen. Das macht den Zugriff während der Partie schneller und bei kurzen Bedenkzeiten besser nutzbar. Wird es die kompletten 6- Steiner, die es von Nalimov gibt, als Shredderbases geben und was kann man sich davon für den Partie-Erfolg erwarten?

MK: Ja, es wird die kompletten 6-Steiner als Shredderbases geben. Wir haben eine Beta-Version sogar schon fertig, die für alle 6-Steiner ca. 40 GB braucht. Leider gab es noch kleinere Probleme, und anderer Projekte hatten Priorität, so dass wir die 6-Steiner etwas zurückgestellt haben, sie werden aber bald definitiv kommen.
Was das alles an Spielstärke bringt, ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt hatte ich schon erwartet, dass die 5-Steiner als Shredderbases mehr bringen. Man hat dort schliesslich sehr schnellen Zugriff auf den perfekten Wert für alle Stellungen mit 5 oder weniger Figuren.
Meine Einstellung zurzeit ist, dass die Endspiel-Datenbanken für das praktische Spiel sicher nicht schaden, und irgendwann wird es sicher was bringen. Wenn die 6-Steiner nicht helfen, dann vielleicht die 7-Steiner. Wenn die nicht, dann die 8-Steiner… Spätestens bei 32 ist Schluss, und die bringen garantiert was…

Algorithmen deutlich verbessert

GM: Wie weit wird die Computertechnik und die Wissenschaft in nächster Zeit fortschreiten bezüglich der Berechenbarkeit des Schachspiels?

Deep Blue
Im Mai 1997 schlug die Super-Machine Deep Blue den amtierenden Weltmeister, das russische Schach-Genie Garry Kasparow, in einem Match mit 3,5:2,5. Seitdem ist der Computer in ständigem Vormarsch, und inzwischen haben (auch gegen simple PC-Software) nur noch wenige Spitzen-Grossmeister eine Chance.

MK: Das Schachspiel wird in absehbarer Zeit sicher nicht gelöst werden, dafür ist es einfach zu komplex. Es wurde schon oft vorhergesagt, dass die Engines irgend wann nicht mehr weiter kommen, oder dass dem Schachspiel der Remistod droht. Wenn man sich die letzten zwei, drei Jahre anschaut, dann geht es so schnell voran wie schon lange nicht mehr. Dabei wurden die Programme nicht nur besser, weil die Rechner viel schneller und massiver parallel wurden, sondern auch die Algorithmen wurden ganz eindeutig verbessert. Wenn man sich die auch noch vorhandenen klaren Schwächen der Programme ansieht, dann wird auch klar, dass es noch sehr viel Raum für weitere Verbesserungen gibt.
Ich bin also sehr zuversichtlich, dass es mit dem Computerschach noch eine ganze Weile voran geht.

Schach-Intelligenz eine Frage der Definition

GM: Wohin geht die „Artificial Intelligence“ Ihrer Meinung nach überhaupt, was sind die Speerspitzen heute, nachdem im Schach kaum ein menschlicher Spieler unter üblichen Turnierbedingungen gegen die Maschine mehr echte Gewinnchancen hat? Und wird Shredder sprachgesteuert werden (wie z.B. beim IBM-Projekt Jeopardy), völlig ohne Brettansicht, ohne Tastatur und Maus bedienbar?

MK: Mit KI oder künstlicher Intelligenz ist es so eine Sache. Wenn man sich anschaut, auf welche Art Programme Schach und Dame spielen, dann ist das sicher nicht intelligent. Wenn man sich nur das Ergebnis anschaut, also dass z.B. ein Schachprogramm stärker als alle Menschen Schach spielen kann, dann hat das sicher etwas von Intelligenz. Es ist also eine Frage der Definition.

Bei Ankündigungen von grossen Firmen muss man immer aufpassen, nicht auf Marketing-Aktionen reinzufallen. Gerade bei IBM hab ich noch gut im Kopf, was Deep Blue alles Gutes für die Menschheit tun sollte, nachdem er das Schach drangegeben hat. Eine Maschine, die Jeopardy spielt, wäre aber sicher nicht schlecht.
Ein Shredder, der nur mit Sprachsteuerung gesteuert wird, ist heute schon möglich. Für ein Schachprogramm gibt es ja nicht so viele Sachen, die es verstehen muss.  ♦

Lesen Sie im Glarean Magazin auch unseren Report über den neuen Shredder 12 von Stefan Meyer-Kahlen

… sowie über das Konkurrenz-Programm von Chessbase: Fritz 16 – In Hamburg nichts Neues

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