Manfred Herbold (Hrsg.): Fernschach und Kunst

Schach im Zentrum des Ästhetischen

von Walter Eigenmann

Die beiden geistesgeschichtlichen Ausprägungen Schach und Kunst ideell miteinander in Beziehung zu setzen ist heutzutage trivial. Denn diese zwei Kulturphänomene haben, nach beiderseits vielhundertjährig dokumentierter Historie, derart viel an sozial wirksamer Ästhetik angehäuft, und der Fundus an Kunstwerken, den die Maler, Bildhauer, Musiker, Literaten und Filmemacher zum Thema Schach generiert haben, ist derart beeindruckend, dass es längst selbstverständlich geworden ist, Schach und Kunst in einer Linie zu denken. Auch die spezifische Legierung „Fernschach und Kunst“ reiht sich vielfältig in diese Tradition ein.

Manfred Herbold - Fernschach und Kunst - Cover - Glarean MagazinBeschränkt man die beiden Begriffe Schach und Kunst erst mal auf jene 64 Felder, deren Brett für wahre Schach-Adepten die Welt bedeutet, könnte einerseits über Schach-Kunst, andererseits über Kunst-Schach geredet werden. Beides manifestierte sich in legendären Partien und in berühmten Studien. Wer im Netz entsprechend recherchiert, gerät an hunderte eindrückliche Protagonisten bzw. Urheber dieser beiden „Richtungen“.

Aufregende symbiotische Beziehung

PC-aufgepeppter Springer mit Widder-Horn: Bild von Rosmarie Pfortner zu ihrem ersten Zug Sg1-f3
PC-aufgepeppter Springer mit Widder-Horn: Bild von Rosmarie Pfortner zu ihrem ersten Zug Sg1-f3

Doch hier soll die Rede sein von einer dritten, oben bereits erwähnten Beziehung der kulturgeschichtlichen Manifestationen Schach und Kunst zueinander, nämlich vom Schach als Gegenstand von Kunst. Denn das ist just das Thema eines neuen Bildbandes namens „Fernschach und Kunst“, der unterm Motto „Symbiose aus Kunst – Schach – Literatur“ von Manfred Herbold herausgegeben wurde. Das Buch ist quasi die Abschlussarbeit zu einer Fernschach-Partie zwischen den zwei Bildenden Künstlern Rosemarie J. Pfortner und Helmut Toischer, wobei die beiden Kontrahenten jeden ihrer Schachzüge mit eigenen Kunstwerken buchstäblich untermalten.

Idee und Initiative zu einem solchen bildnerisch drapierten Korrespondenz-Schach-Projekt gehen auf Uwe Bekemann vom Deutschen Fernschachbund zurück. Bekemann selber in seinem Vorwort zum Buch: „Wenn zwei Künstler Fernschach spielen und ihre Züge um begleitend geschaffene Kunstwerke bereichern, entsteht ein neues, sehr eigenständiges Kunstwerk. Die Bilder können Gefühle ausdrücken, Brettsituationen künstlerisch interpretieren, das Tagesgeschehen kommentieren und mehr. So entsteht eine Symbiose aus Fernschach und Kunst“.

96 mal Schach und Kunst

"Der Boden hat sich geöffnet": Bild von Helmut Toischer zu seinem letzten Zug Kb8-a8
„Der Boden hat sich geöffnet“: Bild von Helmut Toischer zu seinem letzten Zug Kb8-a8

Der erste Zug wurde im Dezember 2013 von Pfortner mit Weiss gespielt, und im Internet erhielt die Partie sogleich eine eigene, von der interessierten Leserschaft emsig frequentierte Webpräsenz – Zug um Zug abwechselnd versehen mit Zeichnungen, Collagen und Grafiken. Toischer gab schliesslich im Dezember 2017 das Game im 48. Zug auf: „Der Boden hat sich geöffnet, der Sturz in die Tiefe konnte nicht mehr verhindert werden…“ Wen die ganze, schachlich wechselhafte, aber durchaus amüsante Partie interessiert, kann sie hier nachspielen und als kommentiertes PGN-File downloaden.

Maler, Grafiker, Schachspieler: Helmut Toischer
Maler, Grafiker, Schachspieler: Helmut Toischer

Der neue Hochglanz-Band „Fernschach und Kunst“ dokumentiert alle 96 Kunstwerke und erweitert den künstlerischen Aspekt noch um das Literarische. Denn ein eigens zur Partie ausgeschriebener Literaturwettbewerb zeitigte diverse Kurzprosa-Texte zu einzelnen Schachzügen, u.a. von Jan Rottmann, Marina Vieth, Sylvia Bauer-Pendl, Wolfgang Breitkopf und Michaela Lang.

Malerin, Porträtistin, Schachspielerin: Rosemarie J. Pfortner - Glarean Magazin
Malerin, Porträtistin, Schachspielerin: Rosemarie J. Pfortner

Das Buch ist drucktechnisch und layouterisch sehr ansprechend gestaltet und liest sich anregend. Die Vielfalt der künstlerischen Motive ist verblüffend, wobei die beiden Künstler phantasievoll und kontrastreich, aber nie experimentell unterwegs sind. Pfortners stilistischer Fokus lag dabei offensichtlich bei der grafischen Collage und beim Portraitieren berühmter Schachgrössen, während sich Toischer v.a. zeichnerisch dem Gegenstand Schach näherte und dabei betont Partie-situativ vorging.

Würdiger Abschluss eines originellen Projektes

FAZIT: Von 2013 bis 2017 spielten die beiden Bildenden Künstler Rosemarie J. Pfortner und Helmut Toischer in aller Öffentlichkeit eine Fernschach-Partie – und garnierten dabei jeden ihrer Züge mit einer eigenen Zeichnung, Malerei oder Grafik. Abschluss und Höhepunkt dieser „Weltneuheit“, wie diese vierjährige, reich bebilderte Partie von Initiant Uwe Bekemann (vom Deutschen Fernschachbund) genannt wurde, ist nun ein schön konzipierter, kontrastreicher Bildband, der alle 96 Schachzüge der beiden Schach-Künstler und ihre ebenso vielen Bilder kollektierte. Herausgeber Manfred Herbold ist ein anregend gestaltetes, auch noch mit Schach-Literarischem ergänztes Buch gelungen.

„Fernschach und Kunst“, von Herausgeber Manfred Herbold sorgfältig betreut und in den Medien präsentiert, ist zweifellos ein würdiger Abschluss eines FS-Projektes, das damals etwas vollmundig, aber durchaus korrekt als „Weltneuheit, die es zuvor auf der Erde in dieser Form noch nicht gegeben hat“ angekündigt wurde. Der Band fügt dem schon bestehenden riesigen Fundus an historischem Bild-Material zum Thema Schach eine weitere interessante Facette hinzu. Wer als Schach- oder als Kunst-Freund über den Rand des Brettes bzw. der Staffelei hinausblicken möchte, wird es also mit Gewinn in sein Regal stellen. ♦

Manfred Herbold (Hrsg.): Fernschach und Kunst – Symbiose aus Kunst-Schach-Literatur, Partie und Bilder von Rosemarie J. Pfortner & Helmut Toischer; Vorworte von S. Busemann (BdF), U. Bekemann, M. Stenzel (Saarländische Schachkultur); 144 Seiten Hochglanz, ISBN 978-3-947648-12-2

Lesen Sie im Glarean Magazin zur Kulturgeschichte des Schachs auch über die
Schachzeitschrift Caissa: Magazin für die schachhistorische Forschung

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