Tödliche Schweizer Politik
von Walter Eigenmann
Was wäre, wenn damals auf den Schweizer Bundesrat Christoph Blocher, also auf einen der seit Menschengedenken einflussreichsten Politiker Helvetiens, ein tödlicher Mordanschlag verübt worden wäre? –
Hoppla! Darf man sowas wirklich fragen? Ja, überhaupt nur denken? In der Schweiz? In der Innerschweiz?? Doch genau dies tut der Zuger Schriftsteller Thomas Brändle. In seinem Kriminalroman „Das Geheimnis von Montreux“.
Die Geschichte des Brändle-Roman-Erstlings entspinnt sich um ein skandalöses Verbrechen: Im SwimmingPool seiner Villa wird der Schweiz prominentester Volksvertreter ermordet aufgefunden. Natürlich heisst im Roman das Opfer nicht Blocher (sondern Landolt) und nicht Christoph (sondern Christian) mit Vornamen. Doch im dritten Kapitel liest’s sich völlig unzweideutig (Zitat):
„Landolt war damals noch der Inhaber eines global agierenden Konzerns in der Kunststoffbranche und bereits wichtiges Mitglied des Nationalrates, der grossen neben der kleinen Kammer, dem Ständerat. Landolt führte in der öffentlichen Wahrnehmung quasi im Alleingang einen politischen Feldzug gegen das gesellschaftliche, mediale und wirtschaftliche, auch das politische Establishment der Schweiz, das sich im Vorfeld geschlossen für den Beitritt ausgesprochen hatte. Und das Volk liebte ihn dafür, denn noch einige Monate vor der entscheidenden Abstimmung wurden die Gegner in den Medien flächendeckend als nationalistische Ewiggestrige der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Gegnerschaft, das war schon damals ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung. Sie hatte aber kaum bedeutende Exponenten auf ihrer Seite, sondern machte nur die sprichwörtliche Faust im Sack. Landolt avancierte in dieser Situation zum Volkstribun. Der schwerreiche grossindustrielle glänzte durch seine scharfzüngige Rhetorik, einen entwaffnenden Schalk und sein für einen Politiker ungewohnt bodenständiges Auftreten. Er liess kein Schwingfest, keine Parteiversammlung, keinen Auftritt in einer Gemeindeturnhalle, keine Möglichkeit aus, um sich unter das Volk zu mischen, mit deftigen Sprüchen auf die ‚Classe politique‘ zu schimpfen und mit einer einfachen, direkten Sprache zu zeigen: Ich bin einer von euch. Er war Mitglied der SVP, einer kleinen Partei, die bis anhin kaum 5% Wähleranteil auf sich vereinen konnte, der Partei der Landwirte und kleinen Gewerbeunternehmer, die erst während des Zweiten Weltkriegs, also fast hundert Jahre nach der Staatsgründung, eines der sieben Regierungsmitglieder stellen konnte. Die Parteigänger waren stolz auf ihren Multimillionär, der immer offener ihre Bewegung, wie sich die Partei selber bezeichnet, finanzierte, die ebenso immer offensichtlicher in vielen Themen auch Landolts ganz persönliche Meinung als ihre eigene übernahm. Landolt erweckte die verschlafene Partei zu einer politischen Kraft, die sich bei fast jeder Abstimmung gegen alle anderen Parteien des Landes stellte. Mit jeder gewonnenen Abstimmung legte sie ein bis zwei Prozente Wähleranteil zu…“
Schweizer Symbolfiguren als Leichen…

Das Landolt-Attentat wird in der Folge der Story zum Ausgangs- und Angelpunkt zugleich von nicht nur schweizerischen, sondern internationalen, ja global vernetzten Machenschaften, Illegalitäten und Korruptionen, von mysteriösen Polit-Szenarien mit schier monströser Tragweite, welche zuweilen, konsequent zuende gedacht, den Leser beängstigen müssten. Denn selbstverständlich bleibt der hohe Magistrat nicht das einzige Mordopfer in diesem Krimi: Wenig später findet man die Leiche einer weiteren Schweizer Symbolfigur, nämlich des Präsidenten der Nationalbank – ausgerechnet an für Eidgenossen heiliger Stätte: dem Morgarten-Denkmal am Ägerisee. Dem armen Teufel hatte man flüssiges Gold in den Rachen geleert… Und es geht weiter, das Meucheln – das Geheimnis von Montreux aus uralter Zeit fordert plötzlich neuzeitlichen Tribut.
Mitten in all diese mörderischen Troubles um viel „Geld und Macht“, aber auch viel „Gut und Geist“ hineingestellt findet sich die attraktive Journalistin Franziska Fischer, deren Recherchen sie tief in die helvetische Vergangenheit (bis zur „Helvetischen Republik“ nach der französischen Invasion durch Napoleons Truppen im Jahre 1798) und weit in die Zukunft (bis zum Crash des Währungssystems im Jahre 2011 aufgrund skrupelloser Mafia-Banken-Attacken…) führen. Ihr zur Seite steht der „frei-sinnige“ Nationalrat Marco Keller, ein direkter Nachfahre des berühmten freiheitlich-„liberal“-vaterländischen Polit-Dichters Gottfried Keller, der u.a. Mitte des vorletzten Jahrhunderts die Gründung der Zürcher Kantonalbank als Staatsbank anregte mit den Worten: „Wir brauchen diese Staatsbank, um den Wucher zu bekämpfen, den Privatbanken heilsame Konkurrenz entgegenzustellen und den mittleren und kleineren Gewerbestand vor der Ausbeutung durch die in erster Linie auf eigenen Nutzen bedachten Privatbanken zu schützen.“
Kritischer Krimi zu den helvetischen „Sonderfällen“

Der 1969 in Liestal geborene, seit langem im innerschweizerischen Zug als selbstständiger Konditorei-Inhaber lebende, im kantonalen Parlament als FDP-Mitglied politisierende und bislang v.a. als humoristischer Belletristiker hervorgetretene Autor Thomas Brändle hat mit „Das Geheimnis von Montreux“ nicht nur über den „Sonderfall Schweiz“ einen Roman geschrieben, sondern selber einen „Roman-Sonderfall“ geschaffen. Denn Buenos Aires, Rom, Montreux, Washington, Moskau: das sind nicht Schauplätze, wie man sie von Innerschweizer Schriftstellern gewohnt ist; ebensowenig geläufig sind einem bei zentral-helvetischen Autoren Themata wie Polit-Morde, Finanz-Verschwörungen oder Regierungs-Korruption. Vollends „unmöglich“ für einen Zuger Schriftsteller, notabene einen dezidiert „bürgerlichen“ Regionalpolitiker schliesslich scheint derart Unerhörtes wie Kritik am „Finanzplatz Schweiz“, an der zivilen Verfilzung von Parlament und Grossindustrie, an grundsätzlich Kapitalistischem wie der „Freien Marktwirtschaft“ oder an institutionalen Grundfesten wie der Börsenkotierung zu sein. Denn Autor Brändle lässt so ziemlich nichts aus, was Herrn und Frau Schweizer eigentlich (und eigentlich brennend) interessieren müsste an den (durchaus momentanen) Geschicken des Landes. Nur dass es hier als globale Verflechtung daherkommt, deren Schicksalshaftigkeit man so gerade eben und gottseidank noch die hehren Staatstugenden eines Gottfried Keller entgegenzuhalten vermag – denn sonst…
Roman-Exkurs über die Schweizer Geschichte

Brändle breitet auf 240 Buchseiten eine ganze Menge historischer „Aufklärung“, aber auch politischer Aufklärung aus, zahllose (schweizer-)geschichtliche Exkurse garnieren den Krimi, bis hin zur Philosophie- und Sozialhistorik, und ein zumeist geistesgeschichtliches Prominenten-Zitat über jedem Kapitel untermauert quasi die jeweilige „Moral der G’schicht“. Dies alles kommt dabei in einer erstaunlich rasanten Sprache daher, Brändle schreibt kurz, knackig, routiniert. Die teils üppigen Theorie-Einschübe werden geschickt durch schnelle Wechsel von Zeit und Ort gesplittet, was die literarischen Handlungsstränge zwar simultanisiert und dadurch verkompliziert, aber die Spannung durchaus raffiniert hält.
Wer also über den viel- (und im eigenen Land gern-)zitierten politischen „Sonderfall Schweiz“ mehr erfahren will, als er im üblichen eidgenössischen Blätterwald – gerade zu Zeiten und inmitten eines krisengeschüttelten Europa – je vorgesetzt erhält, der kann nun auch einfach einen Innerschweizer Krimi lesen… ♦
Thomas Brändle, Das Geheimnis von Montreux, Ein Kriminalroman zum Sonderfall Schweiz, Wolfbach Verlag, 240 Seiten, ISBN 978-3-9523334-1-9
Interview mit Thomas Brändle
Glarean Magazin: Bis jetzt kannte man den Schriftsteller Thomas Brändle vornehmlich als erfolgreichen Humoristen, beispielsweise in „Noch ein Stück, bitte!“ und „Einen Augenblick bitte!“. Warum nun dieser unverhoffte Schwenk ins dramatische, ja buchstäblich todernste „Fach“ des Polit-Thrillers?
Thomas Brändle: Tatsächlich bevorzuge ich das Humoristisch-Hintergründige. Dass ich nun einen Polit-Krimi geschrieben habe (der im wahrsten Sinne des Wortes auch seine komischen „Seiten“ hat), hat natürlich mit meinem politischen Mandat zu tun. Nach einigen Jahren Recherche habe ich ihn 2007 geschrieben und im September 2008 veröffentlicht. Am 15. September 2008 crashte die Bank Lehman Brothers – der Anfang der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Ich bin selber verblüfft, wie schnell schon vieles eingetroffen ist, was ich im Buch vorweggenommen habe. Sogar die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ schrieb darüber. So wie’s aussieht, könnte noch einiges mehr aus dem Politthriller Realität werden.
GM: Ihren Protagonisten Marco Keller charakterisieren Sie im Buch u.a. so: „Er hält es in den vorgegebenen Leitplanken kaum aus und kann nicht verstehen, wie seine Partei, die FDP, zunehmend das eigene Staatsgebilde demontiert, sich immer auf Sachzwänge, die Globalisierung und eine vermeintlich ökonomische Logik berufend.“ Spricht hier auch der real politisierende Autor, dem die eigene Fraktion bei einer Parlamentsrede gar mal das Mikrofon abstellen liess?
TB: 2002 wurde ich ins Parlament des Kantons Zug gewählt. Ende 2004 erschien mein erster kritischer Leserbrief zu unserer Wirtschafts- und Finanzordnung. Damals begann meine Odyssee durch die Schweizer Geschichte und auch das Zweifeln an der Seriosität der Wirtschaftswissenschaften. Da ist viel Ideologie dabei. Inzwischen darf ich im Parlament auch wieder ausreden. Meine „Aktien“ sind durch die Krise gestiegen… Und ja, die FDP ist leider von einer staatstragenden, visionären Volkspartei zur Klientelpartei mutiert. Das kritisiert mein Protagonist Marco Keller.
GM: Über jedem Ihrer Buch-Kapitel prangt ein Aphorismus eines zumeist grossen Dichters oder Denkers, und der wirtschaftsethische Standpunkt des Autors bleibt zu keinem Zeitpunkt verborgen. Der Krimi auch als moralischer Appell? Haben Schriftsteller eine soziale Aufgabe?
TB: Persönlich lese ich am liebsten Autoren, die mich aufregen, anregen und unterhalten – und natürlich zum Lachen bringen. Ich möchte mir mit Lesen nicht nur die Zeit vertreiben, sondern davon eben auch bereichert werden. Ich finde schon, dass Schriftsteller eine sehr wichtige Aufgabe hätten. Wie es Dürrenmatt gesagt hat, haben Schriftsteller die Position der Rebellion zu beziehen, in jeder Gesellschaft, die denkbar ist. Wir schnell werden blosse Behauptungen zu Wahrheiten, die sich in unseren „gesunden“ Menschenverstand einschleichen und dort alles lahm legen! Dann wehren wir uns natürlich, wenn plötzlich einer fragt, ob denn die Erde auch wirklich flach ist. Wir dürfen (trotzdem) „nie damit aufhören, Fragen zu stellen“ (Albert Einstein).
GM: Wie einflussreich sind wirtschaftliche „Geheimbünde“ wie die von Ihnen geschilderte, in Montreux gegründete „Mont Pèlerin Society“ oder „Denkfabriken“ wie „Avenir Swiss“ wirklich?
TB: Offenbar sind sie sehr einflussreich. Deren Interessen und Ansichten sind eben nicht geheim. Sie werden durch Bildungsinstitute, Medien und Politik gelehrt und verbreitet. Die von ihnen propagierte Wirtschaftsdoktrin hat, wenn auch selten in der reinen Lehre, innert 30 Jahren den Status eines global akzeptierten „Naturgesetzes“ erreicht. Im Anhang meines Romans findet die interessierte Leserschaft „andere“ wissenschaftliche Literatur. Es gibt wenig Geheimes, nur der Fokus ist oft etwas beschränkt…
GM: Nach H. Ch. Binswangers Arbeit „Die Wachstumsspirale“, welche Sie im Buch zitieren, zerstört unser neoliberales Kreditsystem wichtige ökologische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Strukturen. Wie sähe die kurze Skizzierung eines besseren politischen Gegenentwurfs aus?
TB: Binswanger plädiert unbedingt dafür, dass wir unser 500 Jahre altes Finanzsystem reformieren, wie es in der Schweiz nach 1848 schon einmal getan wurde. Und zwar recht erfolgreich. Nur die Notenbank darf Geld herstellen und die Kantonal- und Genossenschaftsbanken haben die gesellschaftliche Verantwortung, dass es für sozial nützliche Projekte zur Verfügung steht: für die Infrastruktur, die wertschöpfenden Menschen, die Familien und jene Unternehmungen, die sinnvolles Produzieren und damit Nutzen stiften. Geld darf sich nur durch reale Wertschöpfung vermehren, nicht durch sich selber. Einen konkreten Vorschlag habe ich aktuell bei der „Fachkommission Wirtschaftspolitik“ der FDP Schweiz eingereicht. Wirtschaftswissenschaftler wie Hans Christoph Binswanger, Heinrich Bortis und andere haben mir dabei geholfen.
GM: Gottfried Keller ist in Ihrem Krimi eine Art imaginärer Rufer aus der Vergangenheit. Was, glauben Sie, würde er seinen Schweizern zurufen angesichts der heutigen Misere in Staat und Gesellschaft?
TB: Der IT-Unternehmer Ivo Muri hat in seinem Buch „Kleptokratisches Manifest“ ein fiktives Interview zwischen Gottfried Keller und einer heutigen Wirtschaftsstudentin veröffentlicht. Herrlich genial!
In der Realität würde Keller sich heute wohl sehr wundern, dass wir im Gegensatz zu Bereichen wie Technik, Bildung und Wissenschaft geistig, politisch und moralisch so klägliche Fortschritte gemacht haben. Bestimmt würde er sich auch ärgern, dass ausgerechnet die Schweizer so geldhörig geworden sind. Die Schweiz hätte der Welt gerade heute aufgrund ihrer staatspolitischen Erfahrungen so viel zu geben.
GM: Glauben Sie, dass Bücher die Welt verändern?
TB: Ja, manche haben das ja auch getan. Das geschriebene Wort hat schon seine Kraft – wenn es gelesen wird. Wenn die Menschen es endlich überdrüssig sind, nur als Konsumenten, Arbeitnehmer, Steuerzahler und einfältige Unterhaltungssuchende gesehen zu werden, möchten sie vielleicht auch wieder geistig etwas herausgefordert werden; lustbetont, humorvoll, spannungsgeladen. ♦
Probeseiten


Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Krimi auch über den Polit-Thriller von Boris Johnson: 72 Jungfrauen
… sowie über den Krimi von Jo Nesbø: Messer (Harry-Hole-Krimi Band 12)