Peter Biro: Des Königs windige Ansprache (Satire)

Des Königs windige Ansprache

Peter Biro

Mit bebenden Herzen erwartete die Nation die Radioübertragung der diesjährigen königlichen Ansprache zur Eröffnung des Parlaments. Das war keine Kleinigkeit für den alternden Monarchen, und nichts, rein gar nichts konnte ihn davon abhalten, dieser staatstragenden Verpflichtung nachzukommen. Nicht einmal sein letztmaliger Schlaganfall, der ihn der Fähigkeit, direkt zu seinem Volk zu sprechen, beraubt hatte. Seitdem konnte sich der Herrscher mit seiner engsten Umgebung lediglich per Handzeichen verständigen.
Seine traditionellen Ansprachen zur Parlamentseröffnung wurden jedoch stets über das Radio verbreitet, und bekanntlich konnten selbst die ausdruckstärksten Gesten des Königs auf dieser Weise nicht bei der Zuhörerschaft ankommen. Die einzige auditive Verständigungsform, die dem kränkelnden Monarchen noch verblieben war, waren die Windgeräusche, die er dank jahrelanger Übung und mit festem, königlichem Willen, via seinen hochwohlgeborenen Anus kunstvoll absondern konnte. Anders ausgedrückt, seine Radioansprache zur Parlamentseröffnung erfolgte in Form und Wortwahl sorgsam formulierter Fürze.

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In Erwartung der diesjährigen königlichen Rede stand ein ganzes Team von Sprechfunk-Mitarbeitern und Tontechnikern parat, um die üblicherweise in energischem Tonfall vorgetragene Darbietung des Königs aufzuzeichnen, damit dieser, sachgerecht editiert, während der Parlamentseröffnung abgespielt werden konnte. Im Vorfeld waren bereits einige kürzere Geräuschfetzen aufgenommen worden, die der König während der letzten Mahlzeiten mit verkniffenem Gesichtsausdruck ins Sitzkissen gedrückt hatte. Aber ein schön ausformuliertes, mit allerlei rhetorischen Kniffen verziertes Kommuniqué zur bevorstehenden Parlamentsperiode fehlte den Rundfunkleuten noch. Deshalb wandte sich der Chefreporter des Palaststudios an den diensthabenden Leibarzt mit der Frage, ob und wann denn mit der langersehnten Ansprache des Monarchen zu rechnen sei. Schliesslich dränge die Zeit, denn es wären nunmehr nur noch wenige Stunden bis zum Sendebeginn.
Der Leibarzt beruhigte den Fragenden mit der fachlich fundierten Auskunft, dass nach der letzten Abendmahlzeit des Herrschers, durchaus mit einem längeren, wohlartikulierten Diskurs zu rechnen sei. Der Monarch habe eine eigens für ihn zusammengesetzte, für staatstragende Ansprachen besonders förderliche Diät erhalten. Diese bestand aus Linsensuppe, Bohneneintopf und Wirsingkohlrouladen, lauter bekannte Auslöser für in den Wind geflüsterte Verlautbarungen. Da sei sehr wohl Verlass auf die ernährungsbedingte Gasentwicklung im hochwohlgeborenen Gekröse. Und die ganze Ärzteschaft am Hofe erwarte diesmal auch besonders wohlklingende Formulierungen, da man dafür gesorgt habe, dass zur Hauptspeise des Königs, ein Salat aus besonders ästhetisch geformten Zierkohls hinzugefügt wurde. Ausserdem habe man für den standesgemässen Abschluss der Rede noch ein Dessert von Sojabohnen-Sorbet an karamellisierten Knallschoten hinzugefügt, das dem Monarchen sehr gut gemundet habe. Insbesondere Letztere eigneten sich als Rohstoff für explosive Ausdrücke und zündende Pointen.

Hinterteil: "Sojabohnen-Sorbet an karamellisierten Knallschoten"
„Sojabohnen-Sorbet an karamellisierten Knallschoten“

Der noch nicht wirklich beruhigte Chefmoderator war von dieser Aussicht auf eine formvollende königliche Ansprache hoch erfreut, äusserte jedoch Zweifel, ob die Zeit noch reichen würde, alle vornehmen Gedanken des Herrschers rechtzeitig aufzunehmen. Da konnte ihn der Doktor diesbezüglich beruhigen, denn erst vor Minuten habe er, der Leibarzt persönlich, bereits kleinste, niederfrequente Seufzer aus dem Hinterteil des gerade erwachenden Königs vernommen. Das höfische, sogenannte Lever stünde unmittelbar bevor und bald werde seine Majestät seinen ersten Morgenkaffee schlürfen. Hinzu kommt dann noch die übliche Tagesration in Eselsmilch aufgeweichter Dörrpflaumen und in einer Lake von Glaubersalz getränkter Korinthen. Gleich drauf werde seine Majestät mit dem sorgsam formulierten Ablassen seiner monarchischen Winde beginnen.

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Gleichzeitig mit dem hastigen Aufstellen der königlichen Frühstückstafel baute sich die Truppe des Radiostudios mit allen erforderlichen Gerätschaften auf. Sie stellten den mit einer frischen Wachswalze bestückten Phonographen gleich in die Nähe des königlichen Lehnstuhls und drehten den Aufnahmetrichter in die akustisch optimale Richtung. Der in Galauniform gekleidete Moderator, der noch erfreulicherweise über genügend Blähungen verfügte, führte geschwind eine Probeaufnahme mit einigen knapp formulierten Fürzchen durch. Alles war perfekt vorbereitet, als der noch leicht schläfrige König sich in den Lehnstuhl setzte und mit dem rituellen Frühstück begann, der nach einem jahrhundertealten Zeremoniell durchgeführt wurde. Alle Anwesenden beobachteten aus angemessener Entfernung das sich langsam entfaltende Geschehen und lauschten gespannt nach den ersten königlichen Windabsonderungen. Lediglich den livrierten Speichelleckern war es gestattet, direkt am Frühstückstisch zu agieren und seiner Majestät den Kaffee einzuschenken, sowie die Weizenkleie-Croissants mit Butter und Pflaumenmarmelade zu beschmieren.

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Holzschnitt von Lucas Cranach d.Ä. 1545: Furzen auf die Obrigkeit

Das würdige Befrühstücken des Landesvaters nahm seinen seit Generationen gewohnten Lauf, und die Darmmikroben tief im Innern des Herrschers begannen folgsam ihre staatstragende, gasbildnerische Arbeit. Eine Weile waren nur die leisen Schlürfgeräusche vom Munde des Königs zu hören, ebenso das Plätschern der von lauwarmer Eselsmilch triefenden Dörrpflaumen, als der sichtlich überraschte König plötzlich das Handzeichen zu vermehrter Aufmerksamkeit gab. Unter Aufwendung aller seiner noch verfügbaren Körperkräfte erhob er sich ächzend aus den Samtkissen und beugte sich gehobenen Blickes leicht nach vorne. Daraufhin brach sich aus seinem Innern ein langer Schwall von Darmwinden den Weg ins Freie, sowie ins freudig gespitzte Gehör der Lauschenden. Nur die erregt zitternde Nadel des diensteifrig surrenden Phonographen wagte sich noch zu bewegen. Mit Entzücken hörte die gesamte Kamarilla die langersehnte königliche Ansprache, die da lautete:
„Krz, krz, prrrrz (kleine Pause)…, fratrz, fratrz, hruuuuu! (Applaus). Klafrz, pre-pre-preee klabrumm“ Stärkerer Applaus, danach eine längere, künstlerische Pause, während derer seine Majestät sich noch einmal auf Inhalt und Ausdruck zu konzentrieren versuchte. Dann führte er seine staatstragenden Gedanken weiter aus:
„Schmrz, haprz, lapapprz… ähm…“, er räusperte sich kurz und setzte dann zum wichtigsten Teil seiner Ansprache, nämlich zum bewegenden Schlusswort, an:
„Fuuuuuuhurz!“

Collage von Peter Biro - Butler mit Phonograph - Glarean Magazin
„Jetzt mussten nur noch die unvermeidlichen Echos und Störgeräusche aus dem Hintergrund herausgefiltert werden“ (Collage: Peter Biro)

Auf diese emotionalen, ja für manchen der Zuhörenden sogar herzerwärmenden Worte ihres geliebten Monarchen entbrannte ein wahrhaft frenetischer Beifall. Der Chef-Tontechniker stoppte die Walze mit einem zufriedenen Lächeln und übergab sie dem Studioleiter mit einer dem Anlass entsprechend würdevollen Geste. Die Aufnahme schien bestens gelungen zu sein. Jetzt mussten nur noch die unvermeidlichen Echos und Störgeräusche aus dem Hintergrund herausgefiltert werden, und die königliche Ansprache würde für die Übertragung zum vorgesehenen Zeitpunkt parat stehen.
Der Leibarzt war auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis seiner sorgfältig zusammengesetzten Diät und verkündete erhobenen Hauptes den Anwesenden die geradezu prophetischen Worte:
„Meine Herren, Sie haben ohrenscheinlich den Erfolg unserer Bemühungen hautnah miterlebt. Drum können wir uns diese grundlegende Wahrheit auf unsere Fahne schreiben: Wer für unseren geliebten König Wind sät, der wird Stürme der Begeisterung ernten“.
Dann entfernte er sich unter den anerkennenden Ovationen der Hofbediensteten aus dem frisch gelüfteten Speisesaal. ♦


Prof. Dr. Peter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Grosswardein (Rumänien), 1970 Emigration nach Deutschland, Medizinstudium in Frankfurt/Main, seit 1987 Anästhesist am Universitätsspital Zürich und Dozent für Anästhesiologie, schreibt kulturhistorische Essays und humoristisch-satirische Kurzprosa, lebt in Feldmeilen/CH

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch die Satire von Peter Biro: Schreibblockade oder Der Förster und die Jägerin

Ausserdem zum Thema Neue Literatur von Jakob Leiner: Winkel (Zwei Gedichte)


Peter Biro: Schreibblockade (Satire)

Schreibblockade
oder
Der Förster und die Jägerin

Peter Biro

Teil 1 – Die Vorbereitung

Der von lauter Tatendrang und Schaffenskraft nur so strotzende Satiriker setzt sich in bester Absicht vor den Computer, um eine knallend lustige Satire zu schreiben. Dabei soll ein wirklich gelungenes Stück Literatur mit gesellschaftskritischen Untertönen entstehen, das obendrein auch noch unterhaltend ist.
Der routinierte Schreiber sorgt für bestes Dichtungsambiente. Dafür lässt er die Jalousien halb herunter, um die richtige Lichtmenge hereinzulassen; nicht zu viel und nicht zu wenig, gerade mal so, dass ihn die Schatten der sanft schwankenden Pappel nicht vom kreativen Schaffen ablenken. Er rückt den Stuhl zurecht; dieses Möbelstück ist nicht zu unbequem, um die Arbeit zur Tortur zu machen, und auch nicht zu komfortabel, um ihn bei längeren Denkpausen matt werden zu lassen.
Die gelbe Quietschente, ein Geschenk seiner kleinen Nichte Lara und unentbehrliches Maskottchen des proliferativen Dichters, muss derweil hinter dem Bildschirm verschwinden. Dieses Ding könnte ihn mit seinem lächerlich grossen, roten Schnabel zu sehr von hochtrabenden, dichterisch wertvollen Gedanken ablenken. Lara hatte das undicht gewordene Spielzeug nicht mehr brauchen können und vermachte es unter gewissen Auflagen ihrem schreibenden Onkel. Rechts von der Maus dampft schon griffbereit die angenehm duftende Tasse Hagebuttentee und wartet nur darauf, ihren unterstützenden Beitrag zur Entwicklung wohlformulierter, künstlerisch überaus anspruchsvoller Eingebungen zu leisten.

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Schreibblockade - Glarean MagazinNun rückt er sich den Stuhl unter dem Hintern zurecht, setzt sich mit einer weit ausholenden Geste erwartungsvoll hin und überprüft die Position der Tastatur, die sich genau auf Armlänge vor ihm im Panoramaformat ausbreitet. Ja, so ist es ideal! Mit einem elegant gesetzten Doppelklick öffnet er eine neue Worddatei im umlautfrei bezeichneten Ordner namens „Neue Entwuerfe“ und betrachtet zufrieden die blendend weisse Oberfläche, die sich so einladend auf dem picobello aufgeräumten Bildschirm vor seinen Augen ausbreitet.
Einem Klaviervirtuosen nicht unähnlich setzt der gefeierte Autor seine zartgliedrigen Hände auf die Tastatur, voller Erwartung, dass seine gewohnte Kreativität nun anspringen werde, was wiederum entsprechend sinnhafte Aktionsbefehle an seine zehn („Finger“ genannten) Ausführungsorgane auslösen würde. Noch ruhen acht seiner Aktionskünstler angespannt auf den Buchstaben A, E, R, N, I, O, K und Shift, während seine beiden Daumen symmetrisch auf der Pausentaste sitzen und bereitstehen, die erforderlichen Abstände zwischen den sogleich purzelnden, goldenen Worten des Meisters zu setzen.
Aber… aber es will einfach nichts purzeln.

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„Was ist nur mit mir los?“ fragt sich der sichtlich verunsicherte Grafomane, der ganz überrascht ist vom nicht-einsetzen-wollenden Schreibschwall. „Das gibt’s doch nicht!“ murmelt er leise in sich hinein, „jetzt fällt mir gerade nichts ein. Ein wahrhaft ungewöhnliches Ereignis…“, denkt es in ihm in seiner gewohnt gepflegten Sprachmelodie und mit einem leisen Anflug von Beunruhigung.
Glücklicherweise ist bis zur Verzweiflung noch ein langer Weg, eine Zeitstrecke, die noch mancherlei Chancen auf eine interessante Wortfindung offenlässt. Wenn nur ein solches, wohlformuliertes, erlösendes Wort aufkommen könnte! Nur eines, welches das Potenzial in sich trägt, zu einer netten, kleinen Kurzgeschichte ausgewalzt zu werden. Ein anspruchsvolles, gerne auch ein wenig geheimnisvolles Wort wie „Hypertrophie“, oder „Hypotenuse“ zum Beispiel, oder gar „Hüttenkäse“, letzteres ein klassischer Anknüpfungspunkt für ganzheitliche, gesundheits- und ernährungsrelevante Ausführungen. Aber der einzige Begriff, der ihm jetzt aufkommt, ist nur: „Schreibblockade“, nichts Anderes. Und dazu fällt ihm partout nichts Verwendbares ein. Es liegt nun mal in der Natur der Sache.

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Nun verharrt er eine Weile inständig hoffend, dass irgendein halbwegs lustiger Gedankensplitter in seiner Phantasie aufkommt. Aber es kommt nichts. Nicht einmal irgendein plumpes Slapstick-Szenario, das er, wie gewohnt, bis auf viereinhalb Seiten ausführlich beschreibend ausdehnen könnte. Nein, es kommt immer noch nichts. Er steckt in einer veritablen Schreibblockade.
Mit gesenktem Blick schaut er auf die vor seiner Nase breit ausgelegte Tastatur, deren mit weissen grossbuchstaben bezeichnete Würfelchen herausfordernd auf den erlösenden Andruck warten. Sie harren jener erlösenden Bewegung, die sie, ihrem Bestimmungszweck entsprechend, zu einer mit Klickgeräuschen untermalten Choreographie verleitet, bei der dann lesenswerte Prosa entsteht. Deren Endergebnis wiederum sollte sich simultan auf der hell leuchtenden Oberfläche, direkt über den erwartungsvoll wartenden, kleinen Quadratschädeln ausbreiten. Doch nichts dergleichen geschieht. Er hat immer noch diese verdammte Schreibblockade.

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Qwertz - Schreiben - Tastatur - Glarean MagazinVerärgert sucht der ratlose Autor im mehrzeiligen Arrangement der besagten Tasten nach einer wegweisenden Botschaft, nach irgendeinem versteckten Hinweis, der zu einer sinnvollen, gleichgültig wie gearteten Phrase, führen würde. Wenigstens einen einleitenden Nebensatz, oder seinetwegen auch nur ein einziges, weiterführendes Wort.
Und dann passiert es! Es dämmert ihm plötzlich: „Oh ja, das ist es!“. Man muss nur genau hinsehen, da steht es weiss auf schwarz; links oben prangt das rettende Wort, zusammengesetzt aus den sechs ersten Tasten der obersten Buchstabenzeile: „QWERTZ“.
Erstaunlich, dass ihm das noch nie vorher aufgefallen war! „Qwertz“ ist ein Begriff, mit dem ein geübter Romancier etwas anfangen kann. „Qwertz ist Trumpf und Trumpf ist Qwertz!“. Das muss einmal klar gesagt und geschrieben werden.

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Nun also, will er einen neuen Text auf „Qwertz“ aufbauen. Das Wort ist gut und noch nicht abgegriffen, da kaum benutzt. Trotz seiner scheinbaren Künstlichkeit existiert er sehr wohl im Wortschatz gebildeter Kulturmenschen, und zwar als namensgebende Variante der üblichen, deutschsprachigen Schreibmaschinen-Tastatur. Sachkundig sprechen Eingeweihte davon, ganz im Gegensatz zur Qwerty-Tastatur, die ausserhalb der deutschsprachigen Welt üblich ist und keinerlei literarisch verwertbare Assoziationen hervorzurufen vermag. Nur muss der findige Autor den Quertz-Begriff in einen wohlklingenden, sinnvollen Text giessen, was auch wieder nicht so einfach ist. Aber er müsste es hinkriegen, schliesslich ist er ein anerkannter Meister skurriler Phantastereien, und seine Neuentdeckung scheint als Ausgangspunkt einer neuen Geschichte brauchbar und obendrein originell zu sein.

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Und das geht dann so, dass er sich zunächst fragt: „Was will der geneigte Leser eigentlich von mir lesen?“. Und prompt gibt er sich selber die passende Antwort, die auch die meisten Fachleute geben würden: „Sex and Crime“. Erotisches mit einer Prise Gewaltanwendung. Das ist, was am meisten zieht.
„Also gut“, sagt er zu sich, dabei neue Hoffnung schöpfend, „versuchen wir mal aus diesem Qwertz eine prickelnde Kurzgeschichte mit erotischen Gewaltelementen rauszukitzeln“. Dann schreitet er zur Tat.

Teil 2 – Die Ausführung

Jagdhütte - Wald - Bäume - Jagdwild - Natur - Glarean MagazinOrt der Handlung: Dieser könnte praktischerweise ein abgelegenes Forsthaus sein, denn die Einsamkeit des Waldes kann den potenziellen Täter (vorzugsweise einen enthemmten Sittenstrolch mit unverarbeitetem Mutterkomplex) durchaus dazu verleiten, eine unsittliche Tat zu begehen – womit er erwartungsgemäss zur literarischen Entspannung des Lesers beitragen würde.
Personen: Für das hieraus entstehende erotomanische Drama genügen zwei erwachsene Figuren, mehr ist vorderhand auch nicht nötig, um eine qwertzinduzierte Liebesgeschichte mit milder, das heisst mit einer künstlerisch gerade noch verträglichen Gewaltdarstellung zu verfassen.
Die zwei Protagonisten seiner sich vor dem inneren Auge sogleich entfaltenden Geschichte sind:
– ein Jagdaufseher, namentlich Alois Mösenlechner
– eine Jägerin, mit vollem Namen Jolande Anastasia Van der Qwertz
Ausgangssituation: Jolande und Alois, die beiden heimlichtuenden Liebenden, haben sich für ein entspanntes Wochenende in dieses Forsthaus zurückgezogen, allerdings mit jeweils nicht ganz übereinstimmenden Hauptanliegen: Die Jägerin will Wild erlegen (das wäre das blutige Gewaltmotiv), während der Förster es vor allem auf die hübsche Jägerin selber abgesehen hat, und dieselbe nach seinen Vorstellungen „erlegen“ will (das ist das Erotikmotiv). Letzteres möglichst bald und nach allen Regeln der Jagdkunst. Er weiss auch schon wo: Direkt auf dem Bärenfell vor dem lodernden Kaminfeuer, versteht sich. Als der Sittenstrolch, der er nun mal ist, will Alois sich weder mit einleitendem intellektuellem Geschwafel aufhalten, noch hat er die Geduld, die ewig lang scheinende Reihe von Knöpfen am Wams der in voller Jagdmontur vor ihm stehenden Jolande aufzuknöpfen. Diese erwartet hingegen eine gepflegte Unterhaltung und erwägt erst hinterher zu techteln und vielleicht auch noch ein wenig zu mechteln, aber der brunftige Mösenlechner Alois ist nicht mal nach weidmannstechnischer Fachsimpelei zumute.

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1. Akt, der Plot: Alois greift kurzerhand nach seinem Jagdmesser und schlitzt das Gewand der überrumpelten Van der Qwertzin mit einem einzigen, schwungvollen Sichelschnitt auf. Aus dem klaffenden Kleidungsstück quellen Jolandes bis dahin fest verzurrte, üppige Jagdtrophäen hervor, so prall und formschön, wie sie sich der erregt hechelnde Liebhaber nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte. Und von gewaltigen Dingen träumen, die er bei opulenter Schürzenjagd erlegen würde, das kann der Alois ohne Zweifel.
Und schon entrollt sich vor unseren Augen das vor erotischer Spannung aufgeladene Drama. Noch ahnt der Leser nicht, wie das alles mit dem ominösen Qwertz zusammenhängt. Der Autor übrigens auch nicht. Aber es wird sich schon weisen.

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Brunftschrei Röhrender Hirsch - Glarean MagazinAlso zunächst mal packt der entflammte Jagdaufseher die nicht ganz unwillige Jägerin, die sich anstandshalber noch ein wenig ziert, aber dann nachgibt, da sie den überlegenen Körperkräften des Bärtigen ohnehin nicht standhalten kann. Wozu also das Unausweichliche unnötig hinauszögern, wenn dieses doch auch für sie Elemente lustvoller Erquickung beinhalten wird? Eng umschlungen wälzen sich die beiden eine Weile auf dem vernehmbar qwertzenden Bretterboden.
„Qwertz, qwertz“ knirschen die rohen Planken im monotonen Rhythmus seiner kräftigen Lendenstösse, bis er – und jetzt kommt der Höhepunkt – halb aufgerichtet den Brunftschrei eines röhrenden Hirsches ausstösst, und sie wiederum mit verkrampften Fingern sich in seinen schweissnassen Rücken krallt. Nach einem kleinen, innig zitternden Moment entspannt er sich mit einem Anflug von Erleichterung, und unter einem letzten, langgezogenen Qweeeeertz, welcher aus den staubigen Bodenbrettern erknarzt, dreht sich Alois auf den Rücken und bleibt verzückt liegen. In dramaturgischer Hinsicht handelt es sich hierbei bereits im ersten Akt um einen komplett vollzogenen ersten Akt. Später werden noch mehrere folgen, aber das überlässt der routinierte Dramatiker besser der Phantasie des Lesers.
Jolande Van der Qwertz muss nach einer angemessenen Verschnaufpause ins angrenzende und nach allerlei herben Waldbeeren-Seifen duftende Badezimmer gehen, um sich nach dem schweisstreibenden Liebesakt ein wenig aufzufrischen.
Denn jetzt ist sie an der Reihe, ihren Willen durchzusetzen. Vielen Leserinnen wird dieser feministische Ansatz gefallen und sie bei der Stange halten. Also macht sich Jolande nun für eine kleine Jagdpartie zurecht. Sie rasiert sich sorgfältig die Beine, die einem jungen Rehlein gleichen (nicht ganz so schlank, aber ebenso behaart), zupft sich die Augenbrauen, pudert sich die Schultern und lässt die Wangen mit etwas Mascara erröten. Wohl erfrischt und behände hüpft sie in die Ankleide, um sich in passende Jagdmontur zu werfen.

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2. Akt: Immer noch der gleiche Plot, aber mit Szenenwechsel vor der Jagdhütte: Nun erscheint in der Eingangstür der inzwischen ebenfalls adrett aufgemachte und gründlich befriedigt wirkende Förster. Dem feschen Alois folgt Jolande, die immer noch rotglühende Wangen aufweist. Sie verlassen unauffällig ihr heimeliges Liebesnest und dringen tief ins Dickicht des Waldes ein. Sie hat sich einen kecken, eleganten Qwertzhut mit Fasanenfedern aufgesetzt, während er höflichkeitshalber ihren schweren, doppelläufigen und mit silbernen Intarsien geschmackvoll dekorierten Bärentöter trägt. Während unterwegs die Beiden schon wieder oberflächliche Zärtlichkeiten austauschen, überprüft Jolande nebenbei ihre Munitionsvorräte und die Tuben mit Gleitcrème (sie reichen für mindestens vier weitere Akte).

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Wald-Jagd-Hochsitz - Glarean MagazinSie gehen zu jenem Hochsitz, von welchem unser liebestoller Forstaufseher, im Rahmen seiner beruflichen Forstaufsichtspflichten, den Wald zu betrachten pflegt. Da kennt er sich aus und verspricht Jolande reiche Jagdausbeute. Dort oben richten sie sich erstmal häuslich ein, denn es dürfte etwas länger dauern, bis sich argloses Wild zeigen würde – das weiss er nur zu gut aus langjähriger Erfahrung. Die zwei Turteltäubchen werden sich selbstverständlich die Zeit mit jagdtechnischer Fachsimpelei und gelegentlichen, akrobatisch anmutenden Liebesakten vertreiben. Sowohl die engen Platzverhältnisse als auch die dramaturgischen Erfordernisse zwingen sie nun mal dazu.
Jolande setzt den gut dotierten Picknickkorb in eine Ecke, entnimmt ihm eine Flasche Waldmeistergeist und schenkt ihm und sich selber vom Zielwasser ein. Alois legt fürsorglich die Flinte für seine Jägerin zurecht, damit sie das zu erwartende Wild gebührend in Empfang nehmen kann (das Gewaltmotiv kündigt sich hier schon wieder an. Hoffentlich bemerkt der kundige Leser die raffinierte Verschachtelung der beiden Grundmotive).

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3. Akt, der Höhepunkt: Siehe da, wie bestellt trottet eine junge und – weil noch unerfahren – eine besonders arglose Waldschnepfe in die Lichtung, direkt vor die Flinte der zunehmend erregten Jägermeisterin. Der ahnungslose Vogel pickt hier und da einen Samen aus den herumliegenden Tannenzapfen und ahnt nicht, in welcher Lebensgefahr er sich bereits befindet. Im Gegenteil, fröhlich gurrt die Schnepfe vor sich hin, dabei eindeutige Qwertz-Laute von sich gebend. Das bedeutet in der recht monotonen Sprache der Waldschnepfen so viel wie „Ach wie fein!“, manchmal aber auch „Hab’ ich aber ein Glück heute!“. Zu mehr reicht ihr Wortschatz nicht aus. Dabei bezieht sie sich auf die Körner, die reichlich vor ihr verstreut herumliegen. „Qwe-, qwe-, qwe-, qwertz, qwertz, qweeeeeertz“, kommentiert sehr zutreffend das naive Tier die reichhaltige Auslage vor ihrem Schnabel. Dabei merkt sie in ihrer tumben, schnepfischen Selbstzufriedenheit nicht, wie es plötzlich knallt. Es macht „Peng!“ – und nach einem dumpfen Schlag ist nur noch Stille. Und Dunkelheit.

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Schnell verklingt im dichten Laubwald der Nachhall des perfekt gesetzten Blattschusses, der mittig zwischen die erstaunt angehobenen Augenbrauen des glücklosen Vogels sass. Nur einige aufgewirbelte Schwanzfedern der bereits leblos darniederliegenden Jungschnepfe schweben sanft aufs Gras der Lichtung hernieder.
„Na also!“, sagt die zufrieden nickende Jägerin zu ihrem Begleiter.
„Na also!“ sagt sich der erleichtert wirkende Satiriker und setzt hinter seine Kurzgeschichte einen demonstrativen Schlusspunkt: Punkt. ♦

Glossar der Fachausdrücke und Neologismen

  • Dichtungsambiente (Subst.) – zweideutiger Begriff:
    a) spezielle Rahmenbedingungen, unter denen ein talentierter Dichter seiner schöpferischen Arbeit nachgehen kann
    b) ungünstige Begleitumstände, unter denen tropfende Wasserleitungen repariert werden
  • erknarzen (Verb): das Erschallen lassen eines deutlich vernehmbaren, rhythmischen Knarzgeräusches, der mittels Reibung zwischen trockenen Holzdielen entsteht
  • Grafomane (Subst.): proliferativer Schreiberling unernster Prosatexte, die er in grosser Menge erzeugt, obwohl sich dafür kein Schwein interessiert
  • picobello (Adj. Ital.): absolut sauber, makellos. So wie die Piazza San Marco
  • Qwerty (Subst.): im englischen Sprachraum verbreitete, ursprüngliche Belegung von Schreibmaschinen-Tastaturen
  • Qwertz (Subst.): die im deutschen Sprachraum übliche Tastenbelegung
  • Qwertzhut (Subst.): Modischer Frauenhut aus grünem Filz mit waldtypischen Dekorationselementen wie Moosbrocken, Fliegenpilzen und Fasanenfedern. Der Q. wird vorzugsweise von jungen Jägerinnen und Jagdaufseherinnen aufgesetzt, welche – beim Blasen des Jagdhorns – diesen typischerweise qwertz statt längs stellen, um besser an das Mundstück heranzukommen.
  • Schreibblockade (Subst. Psy.): sehr ärgerlicher, anfallsweise eintretender Zustand, der v.a. Autoren befällt, währenddessen sie nichts Lesenswertes erzeugen können. Eine Überwindung der S. ist nur durch aus dem heiteren Himmel kommende Eingebungen möglich
  • Schreibschwall (Subst.): Graphorrhö (griech.), i.d.R. das Gegenteil von Schreibblockade (siehe dort)
  • schnepfisch (Adj.): dumpf, treudoof und ingnorant, eben nach der bekannten Art von tierisch-naiven Waldschnepfen
  • umlautfrei (Adj.): korrekt ausgesprochene, aber ohne Umlaute niedergeschriebene Woerter wie z.B. „Fruechte“ oder „Oebst“

Peter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Grosswardein (Rumänien), 1970 Emigration nach Deutschland, Medizinstudium in Frankfurt/Main, seit 1987 Anästhesist am Universitätsspital Zürich und Dozent für Anästhesiologie, schreibt kulturhistorische Essays und humoristische Kurzprosa, lebt in Feldmeilen/CH

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Peter Biro: Hoffnungsvolle Hamsterkäufe (Satire)

Hoffnungsvolle Hamsterkäufe

Peter Biro

Ich lasse mich nicht von massenhysterischen Phänomenen anstecken. Weder von der Überfremdung durch isländische Klimaflüchtlinge noch vom Weltuntergang aufgrund des Maya-Kalenders. Ok, ein Mangel an Lutschbonbons könnte mich zeitweilig aus der Bahn werfen. Das wäre eine wirklich ernste Sache. Aber wie gesagt, meistens bin ich immun gegenüber Modeerscheinungen, selbst wenn diese mein Überleben bis zum nächsten kirchlichen Feiertag sichern würden. Mit meiner antizyklischen Lebensweise bin ich bis jetzt gut durchgekommen, ausser vielleicht beim Linksabbiegen in den Kreisverkehr. Dort musste ich stets klein beigeben und mich in den allgemeinen Strom der Fahrzeuge einordnen. Aber sonst nichts dergleichen. Im Prinzip bin ich also kein Opportunist. Aber dieses eine Mal machte ich eine Ausnahme, und zwar wegen diesem verfluchten Coronavirus. Und scheiterte damit kläglich.
Nach gründlichen Überlegungen kam ich zum Schluss, dass eine Coronavirus-Infektion schon mal gar nicht eine erstrebenswerte Sache ist. Heutzutage haben wir viel schönere Krankheiten und elegantere Todesarten als schniefend und hustend einzugehen. Wenn man des Covid-19 wegen abserbelt, gibt man damit ein armseliges Bild ab. Man sondert jede Menge unappetitlichen Schleim aus allen Körperöffnungen ab. Einfach widerlich! Wenn mir schon mein letztes Stündlein schlagen soll, dann muss es bitte sauber, feierlich und erhaben zugehen. Ich möchte von ergriffenen Angehörigen beweint werden, die sorgsam gewählte Lobesworte über mich murmeln und meinen verfrühten Abgang aufrichtig bedauern. Aber zum Glück ist es noch nicht soweit. Ich habe gerade meine Temperatur gemessen: schallend triumphierende 36,5°C!

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Satiren im Glarean Magazin
Peter Biro

Trotz meiner erwähnten Abneigung gegen vorherrschende Modetrends blieb ich von der aktuellen Entwicklung nicht unbeeinflusst. Als immer mehr Zeitgenossen mit Gesichtsmasken herumliefen, begann ich mir auch eine überzuziehen. Um es sogar besser zu machen, trug ich zusätzlich noch eine am Hinterkopf. Dann hiess es, dass man in der Öffentlichkeit keine engeren körperlichen Kontakte mehr eingehen dürfe. Daraufhin hörte ich mit meiner liebgewordenen Gepflogenheit auf, unbekannte junge Damen auf der Strasse zu umarmen und herzhaft abzuknutschen. Zudem besuchte ich keine grossveranstaltung mehr, ausser Saunaklubs. Diese sind die wohl letzten virusfreien Oasen, in denen man sich ungezwungen in angenehmer Damengesellschaft frei bewegen kann.
Es heisst ja, dass Coronaviren nicht hitzeresistent sind. Ich schüttle keine Hände, auch nicht den Kopf, und auch nicht meinen stets einsatzbereiten Würfelbecher, den ich als Entscheidungshilfe für lebenswichtige Angelegenheiten stets bei mir trage. Stattdessen befolge ich die wohlwollenden Anweisungen der Behörden ebenso gehorsam wie die uneigennützigen Ratschläge kompetenter Homöopathen.

Neulich jedoch erlebte ich einen ersten Rückschlag beim empfehlungskonformen Verhalten. Und das kam so: In den Nachrichten wurde erwähnt, dass vereinzelte Bürger Hamsterkäufe tätigten, was sich dann zunehmend häufte und zur Massenbewegung wurde. Ich konnte mir zunächst keinen Reim darauf machen, auf welche mysteriöse Weise der Hamsterkauf einen vor der Infektion schützen sollte. Aber man muss nicht alles verstehen, was die Obrigkeit verlangt. Wichtig ist es ihren Anweisungen zu folgen. Also beschloss ich daraufhin ebenfalls mit Hamsterkäufen zu beginnen.

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Als ich dann allerdings zu meinem ersten Versuch ausrückte, waren die letzten verfügbaren Exemplare schon restlos ausverkauft. Ich fand nur noch Restbestände an Meerschweinchen, Schildkröten und hilflos zwitscherndes Federvieh. Damit war natürlich kein Staat zu machen, schon gar nicht in diesen gefährlichen Zeiten.
Doch ich gab nicht so schnell die Hoffnung auf, meine nun mal beschlossene Hamsterbeschaffung erfolgreich zu Ende zu bringen. Ich klapperte zunächst alle Zoogeschäfte der Stadt ab, dann diejenigen des Umlands und sogar der ganzen Region. Aber keine der von mir aufgesuchten Tierhandlungen hatten genügend Hamster vorrätig, um mir einen anständigen Schutz zuzulegen. Dabei schraubte ich meine Erwartungen schrittweise zurück: statt der geplanten drei Dutzend Goldhamster hätte ich auch einen Satz Silberhamster akzeptiert. Von mir aus hätten sogar einige bronzene Exemplare darunter sein dürfen. Aber weit gefehlt! Nicht nur dass die beste Ware bereits weg war, selbst die artverwandten Wüstenspringmäuse waren alle.

Von zunehmender Verzweiflung getrieben, erwog ich einen nächtlichen Einbruch in den eher nachlässig geschützten Tierpark. Ich bin ja ein grundehrlicher Mensch, aber hier ging es ja schliesslich um meine Gesundheit. Ich weiss nicht, wie man die tierische Entsprechung für den moralisch eher akzeptablen Mundraub des Verhungernden nennt. Wenn beispielsweise das erheischte Deliktgut ein Mops wäre, würde man das „Hundraub“ nennen? Ich weiss es nicht. Wäre für kleine, handzahme Nager die analoge sprachliche Entsprechung vielleicht „Hamstermopsen“? Was auch immer, ich war bereit zu allem, selbst zu einem nächtlichen Einbruch in das Gehege der „Cricetinae“ genannten Steppenwühler. Aber ich hatte weder die geeigneten Einbruchswerkzeuge noch den erforderlichen Mut für eine solche Aktion. Damit war das keine gangbare Lösung und schon gar kein Ersatz für einen seriösen Hamsterkauf.
So gesehen wollte ich meinen Frust bei einem entspannenden Saunaklubbesuch abbauen, aber als ich vor der zugesperrten Tür des abgedunkelten Etablissements stand, konnte ich nur noch den nachlässig aufgeklebten Hinweis zur Kenntnis nehmen: „Aufgrund der lagebedingten ausbleibenden Kundschaft bleibt unser Saunaklub ‚Nymphen-Dampf‘ bis auf weiteres geschlossen. Besuchen Sie unsere Webseite, um den Zeitpunkt der erneuten Betriebsaufnahme zu erfahren“. Hol’s der Hamster!  ♦

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Raus aus der Klimafalle!

Peter Biro

Die täglich eintreffende Nachrichtenflut über die sich anbahnende Klimakatastrophe ist selbst für habituelle Warmduscher wie mich beunruhigend. Natürlich freue ich mich über die Erwärmung der Meere und das Abschmelzen der Polkappen, denn dann werden die vorher vereisten Landstriche auch für die Liebhaber der tropischen Breitengarde verfügbar. Das erschliesst einem neue Orte für sonnenverwöhntes Strandleben und anverwandte Freizeitaktivitäten.
Aber so einfach ist die Sache auch wieder nicht. Einerseits könnten bereits jetzt heisse Gegenden völlig unbewohnbar werden. Was aber andererseits noch viel schlimmer wäre, ist dass durch das Ansteigen des Meeresspiegels selbst in Bergdörfern die Keller überflutet würden, und die dort gelagerten Kartoffeln entweder vollends verderben oder zumindest zu ungeniessbaren Salzkartoffeln aufweichen. Das wiederum ist gastronomisch betrachtet absolut untragbar.

Erderwärmung - Klimakatastrophe - Polabschmelzung - Eisbär - Eisschmelze - Glarean Magazin
„Grillwettbewerb kosmischen Ausmasses“

Doch wie alle globalen Entwicklungen sind auch die Klimaveränderungen von unzähligen Co-Faktoren beeinflusst, die nur schwer quantifizierbar sind und sich gegenseitig verstärken oder aufheben – je nach vorherrschender Glaubensrichtung. Die einen glauben, dass die Klimaerwärmung menschenverursacht ist, die anderen vertreten die Ansicht, dass das an Aliens liegt, die an einem Grillwettbewerb kosmischen Ausmasses teilnehmen, und uns arme Würstchen sachte durchzubraten versuchen.
Die Sachlage ist in Wahrheit allerdings weit komplizierter. So wurde einstmals berichtet, dass selbst der leichte Flügelschlag eines Schmetterlings im fernen Amazonien über eine komplexe Kette von Zwischenschritten zu einer vielzitierten Veröffentlichung in angesehenen Fachzeitschriften führen kann. Das ist besonders bemerkenswert, wenn wir bedenken, dass sogar aufsehenerregendere Phänomene es nicht schaffen, in die Spalten der Fachzeitschriften zu gelangen – es sei denn, der Autor ist mit dem Herausgeber verwandt oder verschwägert. Ebenso ist in diesem Zusammenhang der jüngst bekanntgewordene Umstand in Betracht zu ziehen, dass der enorme Fleischverbrauch der wachsenden Weltbevölkerung eine intensive Massentierhaltung erfordert, die ihrerseits zu einer gewaltigen Freisetzung von klimaschädlichen Darmgasen führt. Nebst der unangenehmen Geräuschentwicklung, welche zwischen den Bergweiden der Alpentäler erschallt, verstärkt dies vor allem den Treibhauseffekt in der Atmosphäre. Damit konkurrenziert das die Auswirkung von Haar- und Deo-Sprays, deren Gebrauch stark eingeschränkt werden musste, um die gestiegenen tierischen Ausdünstungen auszugleichen. Dieser Umstand hat hinwiederum zu drastischen Kürzungen in der Friseurbranche und im Kosmetiksektor geführt. „So kann es jedenfalls nicht weitergehen“, sagte jüngst sehr zutreffend Herr Waldemar Obersteubl, der Vizepräsident der „Westfälischen Interessensgemeinschaft der Coiffeure und Lizenzierten Schamhaarzupfer“, in einem dramatischen Appell vor den Kameras des WDR.

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Die von austro-kanadischen Agrarflautologen vorgeschlagene Lösung des Darmgasproblems bei Kühen (und nebenbei bei übergewichtigen Sopranistinnen ebenso) könnte in der Verfütterung von grossen Mengen Knoblauch und Meerrettich liegen. Bei Meerrettich sind die Grenzen der Anbaumöglichkeiten leider bereits erreicht, und noch mehr Rettich kann nur noch aus dem Meer beschafft werden. Der benötigte massive Ausbau der Knoblauchproduktion hinwiederum erfordert enorm viel tierischen Dung, was bei den Primärerzeugern derselben mit noch mehr Gasausstoss einhergehen würde. Das ist ein klassisches circulus vitiosus, wie wir, die wenigen wirklich humanistisch gebildeten Klimaschützer, das untereinander zu sagen pflegen. Dies wird einem dann vor allem klar vor Augen geführt, wenn wir zusehen, wie eine uns persönlich bekannte Hauskatze damit beginnt, in ihren eigenen Schwanz zu beissen.
Ich hoffe, Sie konnten bis hierher meinen Ausführungen noch folgen, denn ab hier wird’s komplizierter. Wenn nicht, widmen Sie sich besser weniger anspruchsvollem Lesestoff.

Tiere im Regenwald - Abholzung - Brandrodung - Glarean Magazin
„Holz-Brandrodung für die vitale Billardtisch-Herstellung“

Die drohende globale Klimakatastrophe veranlasst viele Regierungen teils zu unüberlegten und übereilten Massnahmen. Dem sich abzeichnenden Landverlust durch den erwarteten Anstieg des Meeresspiegels versuchen beispielsweise die brasilianischen Behörden durch verstärkte Rodung und Abholzung des Regenwaldes entgegenzuwirken. Damit soll erreicht werden, dass ein Teil der landlos gewordenen Bevölkerung aus den überfluteten Randgebieten weiter ins Inland umgesiedelt werden kann. Die Frage allerdings bleibt offen, ob die Landgewinnung im Landesinnern durch Abholzung mit dem Landverlust durch den Anstieg des Meeresspiegels Schritt halten kann. Die internationalen Holzverarbeitungskonzerne, die dankenswerterweise den Auftrag zur Baulandgewinnung angenommen haben, arbeiten bereits an der Obergrenze ihrer Kapazität und roden was die Kettensägen hergeben. Aber mehr und schneller geht es kaum, und das obwohl diese Konzerne aus der Vermarktung des geschlagenen Holzes auch noch Profit schlagen. Ein nicht unerheblicher Teil des geschlagenen Holzes wird dabei aus der vitalen Billardtisch-Herstellung für monegassische Rennfahrer abgezweigt, um für den Bau der Flösse verwendet zu werden, die für den Transport der ins Inland strömenden Neusiedler nötig sind.
Selbstverständlich wehren sich die Ureinwohner des Amazonasurwalds gegen die fortschreitende Abholzung, und es soll mehr als einmal beobachtet worden sein, dass Indios die riesigen Bagger und Planierraupen mit Holzspeeren und vor allem mit buntem Federschmuck aufzuhalten versuchten. Davon unabhängig bemüht sich die am Rand der Rodungsflächen verbliebene, tropische Vegetation, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, indem sie kurzfristig unbewachtes, kahles Gelände sofort mit schnellwachsenden Ranken überzieht. Daraufhin erobern Kakao- und Nescafé-Bäume die zurückgewonnenen Flächen als Kulturfolger. Als nächstes lassen sich bunte Aras auf deren Ästen nieder, sehr zur Freude von ratlosen Kreuzworträtsel-Lösern, die dringend den Namen eines bunten Papageienvogels für „Senkrecht mit drei Buchstaben, beginnend und endend mit A“ suchen.
Um diesem schleichenden Landraub entgegenzusteuern, bemüht sich die einschlägige Industrie, den frisch gerodeten Waldboden mit Mikroplastik anzureichern, was der Unkrautwucherung wenigstens für eine begrenzte Zeit entgegenwirkt. Versäumt man es allerdings, nach dem Fällen der Bäume und der Entfernung des Mutterbodens rechtzeitig einige massiv energieverbrauchende Industrieanlagen hinzustellen – oder wenn’s nicht anders geht, zumindest genügend Sondermüll weitläufig zu verstreuen – dann entsteht dort ruck-zuck neuer Urwald, in welchem kurze Zeit später sich jede Menge giftiges Ungeziefer breitmacht und menschliche Neuansiedlung buchstäblich verunmöglicht.

Plastikmüll - Meer - Ozeane - Umweltkatastrophen - Glarean Magazin
„Plastikmüll auch auf der maritimen Seite vorantreiben“

Die landbasierte Ausbringung von Mikroplastik muss selbstverständlich auch auf der maritimen Seite ebenfalls vorangetrieben werden. Das ungehemmte Algenwachstum in den Ozeanen führt zur unkontrollierten Vermehrung von Plankton, und das wiederum zum Überhandnehmen der Wale, die mit ihren gewaltigen, tranigen Leibern den Schiffsverkehr behindern. So manches Containerschiff, welches lebenswichtigen Giftmüll transportierte, musste sinnlos herumalbernden Meeressäugern ausweichen und deshalb kostspielige Routenänderungen vornehmen. Mit Sorge müssen wir ausserdem feststellen, dass – trotz intensivierter Hochseefischerei mit langen Schleppnetzen – die Verminderung des ozeanischen Gewusels und Gekrabbels durch allerlei nutzlose Kreaturen noch sehr zu wünschen übriglässt.
Gerade aus dieser Sorge heraus haben einige internationale grosskonzerne, die sich der Erhaltung unseres Planeten widmen, eine raffinierte Kampagne gestartet und schicken die „kleine, pausbäckige Berta“ mit einem ganzen Tross von Betreuern, Kleinkinderzieherinnen und Cateringangestellten um die Welt, um den gedankenlosen Konsumfeinden und Fleischverschmähern die Leviten zu lesen.
Besagte kleine, pausbäckige Berta ist ein herziges Kleinkind von bereits über 5 Jahren, das sehr reif für sein Alter und bestens vertraut ist mit dem Vokabular der Klimabewegung. In mehrwöchigen Leistungskursen wurden ihr die wichtigsten Axiome und Argumente der globalen Klimaverbesserung eingetrichtert. Sie kann nun wie auf Knopfdruck bis zu vier Litaneien nacheinander abspulen und damit die Zuhörerschaft in den Bann schlagen. Ihr eindringlich genuschelter Vortrag in einer international verständlichen Babysprache lässt keinen Zuhörer unbeeindruckt, und ganze Veganer-Vereinigungen sind zu überzeugten Fleischkonsumenten geworden, noch bevor sie ihre Ansprache beendet hatte.

Greta Thunberg - Glarean Magazin
„Kleine, pausbäckige Berta“

Ein solcher Auftritt vor tausenden Umweltschützern läuft meist so ab, dass die kleine, pausbäckige Berta, hübsch angezogen und frisch gekämmt, an das Rednerpult gestellt wird, dann wartet man bis alle Film- und Fernsehkameras auf sie ausgerichtet sind und zu surren und blinken beginnen. Wenn daraufhin das Blitzlichtgewitter verebbt und endlich ergriffene Stille im Stadion herrscht, gibt die stets nah bei ihr stehende Dompteurin und oberste Ideologiechefin ein vorher vereinbartes Zeichen, und die kleine, pausbäckige Berta reisst sich entschlossen den Schnuller aus dem Mund und fängt an ins bereitstehende Mikrophon zu sprechen. Sie beginnt stets mit derjenigen ihrer 16 vorgefertigten Heilsbotschaften, die ihre plötzliche Bekehrung von der frühkindlichen veganen Lebensweise zur besorgten Steakliebhaberin zum Inhalt hat. Sie erklärt, wie sie sich plötzlich, von einem Tag auf den anderen geweigert hatte, die milchige Griespampe zu essen und stattdessen von ihren verblüfften Eltern ein T-Bone-Steak medium rare verlangte. Daraufhin erkannten ihre Eltern, dass die kleine, pausbäckige Berta zu Höherem berufen ist, als nur ihre Windeln vollzumachen. Mit ihren beeindruckenden Monologen bekommt die kleine, pausbäckige Berta die Aufmerksamkeit nicht nur der ganzen Welt, sondern auch spezieller Personal-Trainer, die sofort einspringen, wenn sie mit ihrem Redefluss ins Stocken gerät. Dann wedeln sie vor ihren Augen mit einem an einem Faden aufgehängten Gummibärchen, was ihr meist sehr gut über inhaltlich schwierigere Passagen hinweghilft, oder über solche, die eine deutliche Artikulation benötigen.

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Die kleine, pausbäckige Berta hat seit den Anfangserfolgen ihrer Auftritte – ohne ihre Eltern vorher zu konsultieren – den Besuch der Kinderkrippe abgebrochen. Dabei kündigte sie einen unbefristeten Krippenstreik ihrer solidarischen Altersgenossen für alle Werktage von Montag bis Freitag an, was sie demnächst auch im Parlament politisch durchsetzen möchte. Aufgrund der Bewegungsfreiheit, die sie sich durch die Abwesenheit von ihrer Kinderkrippe erkämpft hat, stattet sie zwischen ihren stadionfüllenden Ansprachen den wichtigsten Staatsoberhäuptern ihre Besuche ab und klärt sie über die desolate Lage des Weltklimas auf. Bei diesen hochkarätigen Begegnungen schreibt sie ihren andächtig lauschenden und unterwürfigen Gesprächspartnern gerne vor, was man dagegen machen soll. Denn die kleine, pausbäckige Berta drückt sich da ganz klar aus: Es geht um die junge Generation, und diese möchte noch zu Lebzeiten alle Fleischsorten und -sossen ausprobieren können. Es geht sogar die Kunde, dass die kleine, pausbäckige Berta demnächst auch dem Heiligen Vater eine Audienz gewähren wird, vorausgesetzt, dass dieser seine Enzyklika den Forderungen der Krippenverweigerer-Bewegung anpasst. Derweil hat ihre jüngere, dreijährige und noch pausbäckigere Schwester Myrta bereits mit dem Training angefangen und soll nach dem Plan ihrer Betreuer in die Fusstapfen ihrer grossen Schwester treten, sobald diese mit 10 Jahren viel zu alt für wirkungsvolle Auftritte in der Öffentlichkeit sein wird. ♦


Prof. Dr. med. Peter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Grosswardein (Rumänien), 1970 Emigration nach Deutschland, Medizinstudium in Frankfurt/Main, seit 1987 Anästhesist am Universitätsspital Zürich und Dozent für Anästhesiologie, schreibt kulturhistorische Essays und humoristische Kurzprosa, lebt in Feldmeilen/CH


Lesen Sie im Glarean Magazin auch die Medizin-Satire von Peter Biro:
Die Liebe zu den drei Organen – oder Wie es Herz-Terz, Leber-Kleber und Milz-Pilz im Spital erging

… sowie die Satire von Rainer Wedler: Ein Mann muss einen Bart haben

Lothar Becker: Das Erzgebirge, die Stasi und ich (Satire)

Das Erzgebirge, der Wald, die Stasi und ich

Lothar Becker

Ich war ein Idiot. Und was für einer! Im Oktober 89 habe ich angefangen, für die Stasi zu arbeiten. Im Oktober 89. Wie kann man nur so blöd sein, werdet ihr fragen. Im Oktober 89 ist doch mit der DDR schon alles vorbei gewesen. Ich weiss, ich weiss. Rückblickend bin ich ja derselben Ansicht.
Aber ich schwöre, damals habe ich nichts geahnt. Wirklich. Ich dachte, das geht immer so weiter mit der Zone und mit den Ostmächten und mit den Westmächten und mit dem Eisernen Vorhang und alledem. Die Betonköpfe sind nicht reformierbar, habe ich gedacht. Die kleben an ihrer Macht. An den Verhältnissen wird sich in den nächsten fünfhundert Jahren nichts ändern. Warum ich das gedacht habe, weiss ich bis heute nicht. Vielleicht habe ich mich etwas zu oft im Wald aufgehalten und deswegen das eine oder andere nicht mitbekommen.
Ich bin eben ein Erzgebirgler wie er im Buche steht. Naturverbunden, heimatliebend. Im Wald war die DDR noch stabil. Da war es wie immer. Im Wald gab es keine politischen Eruptionen. Im Wald gab es keinen Gorbatschow und kein Neues Forum. Manchmal kam einer vorbei, der sah aus wie Rainer Eppelmann. Aber er war es dann doch nicht. Ich muss sagen, im Wald habe ich mich nicht eingesperrt gefühlt.
Aber sonst immer. Eingesperrt und beobachtet. Und belauscht. Vor allem belauscht. Weil ich Musik gemacht habe, Songs geschrieben und so. Protestsongs. In erzgebirgischem Dialekt. Denn ich wollte Freiheit, die Umwälzung, den Kapitalismus. Natürlich, was denn sonst. Das wollten ja alle damals. Aber ich hatte keine Ahnung, dass im Oktober 89 politisch schon einiges im Gange gewesen ist. Die Perestroika hatte ich irgendwie verpasst. Im Wald sind die Verhältnisse wie all die Jahre davor gewesen, und ich habe mit meinen Liedern gegen diese Waldverhältnisse angekämpft. Auf erzgebirgisch. Ich war ein Mundart-Dissident.

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Aber warum bist du dann zum Stasi gegangen, werdet ihr fragen? Das ist kompliziert. So kompliziert wie alles damals. Ich will versuchen, es euch zu erklären. Damals musste man um die Ecke denken, wenn man die Machthaber austricksen wollte, man musste für etwas sein, wenn man gegen es sein wollte, und umgekehrt musste man gegen etwas sein, wenn man dafür sein wollte. Versteht ihr? Also wenn man so tat, als wäre man für die bestehenden Verhältnisse, konnte man leichter gegen sie sein, und genau das habe ich gemacht.
Im Klartext: Zur Stasi bin ich gegangen, weil ich in den Westen wollte. Natürlich nur zu Besuch. Mit einem Visum. Ich wollte auf jeden Fall wieder zurückkommen. Ohne mein Erzgebirge wäre ich ja zu Grunde gegangen. Trotzdem musste ich mal rüber. Aus künstlerischen Gründen. Ich hatte von Gundermann gehört, der aus demselben Grund mit der Stasi zusammengearbeitet hatte. Gerhard Gundermann, der singende Baggerfahrer. Gundermann wollte im Westen auftreten und berühmt werden. Das wollte ich auch. Im Westen konnte man Karriere machen. Wer es im Westen schaffte, war der Held. Und der wäre ich gern gewesen.
Also habe ich mich in Annaberg als IM bei der Stasi beworben. Mein Führungsoffizier hiess Ralf und trug zwei Parteiabzeichen, um seine unverbrüchliche Treue zum Arbeiter- und Bauernstaat zu zeigen. „Ich zahle auch zwei Mal die Mitgliedsbeiträge“, sagte er, „die Partei ist mein Ein und Alles.“ Ralfs Deckname war Rolf. Ich musste ihn Rolf nennen, damit seine Identität nicht aufflog.
„Warum willst du innoffizieller Informant werden?“, fragte Rolf.
„Wegen Dings, na hier Sieg des Sozialismus und so“, sagte ich.
„Dufte“, sagte Rolf, „und wie willst uns helfen?“
„Als Spitzel“, sagte ich, „indem ich den Klassenfeind denunziere!“
„Jemand bestimmtes?“, erkundigte sich Rolf.
„Nee, generell“, sagte ich.
„Namen“, sagte Rolf, „wir brauchen Namen.“
„Hm“, sagte ich und überlegte. Ich kannte nur Sven. Sven hatte zusammen mit Vojtech, einem Bekannten aus Teplice begonnen, T-Shirts aus sudanesischen Textilabfällen herzustellen. Weitere Stoffreste erhielten sie vom afghanischen Militär und einer albanischen Fabrik für protestantische Herrenunterwäsche. Sven und Vojtech schrieben „Schwerter zu Pflugscharen“ oder „Lieber tot als rot“ auf die Stoffe, und drei tschechische Näherinnen sassen Tag und Nacht an ihren Nähmaschinen, denn die Nachfrage nach T-Shirts war in Ostdeutschland überwältigend. Sven und Voijtech befanden sich auf dem besten Weg, mit ihren Produkten reich zu werden. Dass sie damit der Volkswirtschaft und dem Ansehen der Republik und allem schadeten, war ihnen egal.

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Zufälligerweise wusste ich, dass Sven am 28. Oktober eine neue Lieferung über den Grenzübergang Oberwiesenthal geplant hatte. Ich wusste es deswegen, weil ich mir bei ihm ein T-Shirt mit der Aufschrift „Stasi in den Tagebau“ bestellt hatte, und es noch am selben Abend in Crottendorf abholen wollte.
Rolf freute sich. „Dafür stellen wir einige Genossen ab!“, bestimmte er, „wenn die Sache funktioniert, dann können wir auch was für dich tun!“ Na, das lief doch prima!
Tatsächlich hatte sich Sven dann am 28. Oktober mit seinen drei Näherinnen, Olga, Larissa und Jana in einem bis unter die Decke mit T-Shirts vollgepackten Tatra von Teplice zum Grenzübergang Oberwiesenthal auf den Weg gemacht. Nun weiss ich nicht, wer von euch schon einen Tatra gesehen hat, aber allen, die das Fahrzeug nicht kennen, kann ich versichern, es war der schwerste PKW seiner Zeit. Ein russisches Produkt, das gemacht wurde, um sich durch den sibirischen Schnee zu fräsen, und nebenher alles von der Fahrbahn zu schleudern, was dort nicht hingehörte: kraftstrotzende Wildrinder, Elche oder Bären zum Beispiel, wirklich alles.
Dummerweise war Sven während des steilen Anstieges zum Zollgebäude der Sprit ausgegangen. Das mag am zusätzlichen Gewicht der viertausend, ins Wageninnere gepressten T-Shirts gelegen haben, aber auch an Olga, die nicht ganz so dürr wie Larissa und Jana gewesen ist. „Scheisse!“, hatte Sven gerufen, „Olga, Larissa, Jana! Aussteigen und schieben!“ Olga, Larissa und Jana stiegen aus und begannen, den Skoda die steil ansteigende Strasse von Bozi Dar zum Grenzübergang nach oben zu schieben. Sven sass hinter dem Steuer und lenkte, und nur, wenn Larissa, Olga und Jana zu schnell waren, bremste er ein wenig.
Die Zollbeamten kriegten sich kaum ein vor Lachen, als Olga, Larissa und Jana das Auto vor ihnen abstellten, aber dann winkten sie Sven zur Seite, und nahmen den Wagen gründlich auseinander. „Zoll?“, fragte einer der tschechischen Beamten.
„Nix Zoll!“, erboste sich Sven, „Eigenbedarf. Das ziehe ich alles selber an!“
„Ha, ha!“, sagten die Zollbeamten und konfiszierten den gesamten Wageninhalt. Dann sperrten sie Sven, Larissa, Olga und Jana zwei Stunden lang ein, telefonierten mit ihren Vorgesetzten und liessen sie schliesslich wieder gehen. Ohne die T-Shirts versteht sich. Da schüttelte Sven resigniert den Kopf, setzte sich hinters Steuer und liess sich von Olga, Larissa und Jana zurück nach Teplice schieben.

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Unten in Crottendorf warteten ich und die anderen Genossen der Stasi bis zum Morgengrauen auf Sven und die T-Shirts, aber als abzusehen war, dass er nicht mehr auftauchen würde, blies Rolf den Einsatz ab. „Na, das war ja wohl nichts!“, konstatierte er, „ich hoffe, wir haben keinen Verräter in unseren Reihen!“ Damit war ich gemeint. Da habe ich „Ach, so ist das!“ gerufen, und bin gegangen. Wenn eine Tür da gewesen wäre, hätte ich sie zugeknallt. War aber nicht.
Ein paar Wochen später fiel die Mauer. Nach der Wende interessierte sich kein Mensch mehr für singende Mundart-Dissidenten. Weder im Osten noch im Westen. Fragt Gundermann! Wie so viele andere auch musste ich mich im Arbeitsamt in Annaberg melden. Und nun stellt euch einmal vor, wer mir da als Sachbearbeiter gegenübersass: Es war Rolf!
„Mensch Rolf!“, rief ich, „das ist ja vielleicht eine Überraschung!“
„Tut mir leid, hier gibt es keinen Rolf!“, sagte Rolf, „ich heisse Ralf!“
„Alles klar, Ralf!“, sagte ich, „ich brauche einen Job, hörst du?“
„Schwierig, schwierig“, murmelte Rolf, „mit deiner Vergangenheit! Du warst doch bei der Stasi, oder?“
„Andere doch auch!“, sagte ich.
„So? Wer denn?“, ereiferte sich Rolf.
„Das weisst du doch ganz genau!“, sagte ich.
„Ich?“, brüllte Rolf, „Ich soll was wissen? Das ist doch wohl die Höhe! Mein ganzes Leben lang habe ich gegen das Regime gekämpft, niemand war aktiver im Untergrund als ich! Das fehlte noch, dass ich von einem Stasi-Spitzel als Stasi-Spitzel denunziert werde! Ausgerechnet ich, eine Säule des Widerstandes. Und ich soll dir einen Job versorgen? Das kannst du ein für alle Mal vergessen. Und jetzt raus hier, aber dalli!“
Da habe ich mich wortlos umgedreht, die Tür hinter mir zugeschlagen, und bin wieder in den Wald gegangen. Im Wald waren die Verhältnisse wie immer. Im Wald war es noch wie im Osten. Manchmal kam einer vorbei, der sah aus wie Ibrahim Böhme. Aber er war es dann doch nicht. ♦


Lothar Becker - Schriftsteller Publizist - Glarean MagazinLothar Becker

Geb. 1959 in Limbach-Oberfrohna/D, zahlreiche Lyrik- und Prosa-Publikationen in Büchern und Zeitschriften, Veröffentlichungen von Musical- und Theater-Stücken, lebt als Jugend-Sozialpädagoge, Musical-Komponist und Band-Musiker in Lembach/D

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema DDR-Mauerfall auch über den Roman von
Roswitha Quadflieg und Burkhart Veigel: Frei

ausserdem zum Thema Politik und Gesellschaft eine weitere Satire von
Lothar Becker: Hitler in der U-Bahn

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Peter Biro: Die Liebe zu den drei Organen (Satire)

Die Liebe zu den drei Organen

oder

Wie es Herz-Terz, Leber-Kleber und Milz-Pilz im Spital erging

Peter Biro

Sorgfältig tupfte Schwester Thekla die hohe Denkerstirn des unermüdlich im Dauereinsatz stehenden Chirurgen Dr. Sweren-Nöthen, der diese komplexe, dreifache Organtransplantation auf sich genommen hatte, obwohl ihm alle davon abzuraten versucht hatten – vergebens natürlich.
„Das kann nicht gutgehen, Wilhelm“, hatte ihm tags zuvor seine treue Ehefrau, Dr. Elfriede Nöthen, die Sache auszureden versucht, ihrerseits als erfahrene Proktologin mit den operativen Schwierigkeiten einer Trippel-Transplantation vertraut. Sie wusste nur zu gut, was damit für ihren Mann auf dem Spiel stand. Aber sie kannte ihn zur Genüge um zu wissen, dass sie ihn nicht aufhalten konnte, wenn er schon mal einen derart schwerwiegenden Entschluss gefasst hatte. Wenn es jemanden gab, der das Ungemachte machen, das Ungewagte wagen und das Ungeheuerliche geheuern würde, dann käme nur einer dafür in Frage: ihr couragierter Gatte, der bewunderte und umstrittene, neue Starchirurg des Universitätsspitals Zürich.
„Tun Sie es lieber nicht“, waren die letzten Worte seines Chefs, des Professors Prokofiew, bevor dieser in seinen improvisierten Karibikurlaub aufbrach, nachdem er davon erfahren hatte, dass ein besonders risikoreicher Eingriff geplant war. Er wollte lieber nicht zugegen sein, wenn das Vorhaben nicht gut ausging, und erst recht nicht, wenn die Presse über den gescheiterten Mitarbeiter seiner blamierten Abteilung herfallen und die riskante Aktion in Frage stellen würde.

An jenem schicksalhaften Tag, als Dr. med. Dr. h.c. Wilhelm Sweren-Nöthen die einsame Entscheidung traf, den noch nie durchgeführten Eingriff der gleichzeitigen, dreifachen Organtransplantation, nämlich von Herz, Leber und Milz in einer voraussichtlich 33-stündigen Operation am offenen Fenster des Operationssaals Nr. 3 durchzuführen, war das Entsetzen in seinem Umkreis riesengross. Seine Sekretärin und heimliche Geliebte, Fräulein Kniebel, von deren Doppelrolle alle ausser Elfriede Bescheid wussten, flehte ihn buchstäblich auf Knien an, es nicht zu tun.
„Du gehst ein zu grosses Wagnis ein, Willi“, sagte sie eindringlich, nachdem sie sich aus seiner kräftigen Umarmung gelöst hatte. „Nach deinem Rauswurf aus der Schwarzwaldklinik riskierst du nun dasselbe hier nochmal“, jammerte das „kecke Knieblein“, wie er sie manchmal zärtlich nannte.
Sie bestürmte ihn mit nicht nachlassendem Eifer: „Bedenke nur, mein Liebster, wenn es zu einer fatalen Transplantatabstossung kommt und dich das Unispital in Schande entlässt, dann kannst du deine Karriere endgültig begraben. Und unsere sorgfältig geplante Kongressreise zu zweit im Nachtzug nach Buxtehude können wir auch vergessen“.

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Willi wollte auf die kritischen Stimmen nicht hören, weder auf die seiner Frau, noch auf die seiner Geliebten, die beide in dieser Sache ausnahmsweise der gleichen Meinung waren. Er fühlte einen starken inneren Drang, die Grenzen der Schulmedizin eigenhändig zu sprengen und das bis dahin Ungewagte zu wagen: Die drei durch Alkohol, Zigarettenrauch und Nougatcréme schwer geschädigten Organe zu ersetzen, welche dem Leben des Patienten W.J. aus Z. bald ein Ende setzen würden, wenn nichts Radikales unternommen wird.
Nein, Dr. Sweren-Nöthen konnte gar nicht anders. Er glaubte an die schicksalhafte Fügung, die sich durch einen Zufall ergeben hatte: Auf der einen Seite ein Patient, der an der unheilbaren „Schwedischen Papageiengrippe“ erkrankt war, und andererseits die zeitgleiche Einlieferung von drei hirntoten Bergwanderern, die viel zu eng angeseilt, gemeinsam in eine Gletscherspalte gestürzt waren und ausgerechnet die passenden Organe vorrätig hatten. Obendrein bewahrte die Kälte des Gletschereises die Spenderorgane in bestem Zustand. Das alles war auf einmal da – und Sweren-Nöthen war am richtigen Ort zur richtigen Zeit, um es zum ersten Mal zu versuchen. Er musste diese Gelegenheit beim Schopf ergreifen und die bis dahin als undurchführbar geltende Trippel-Transplantation wagen.

„Wenn das kein Wink des Himmels war?“, räsonierte Schwester Thekla, während sie dem konzentriert arbeitenden Chirurgen folgsam die bestellten Instrumente vorbereitete. Normalerweise pflegte sie an der Seite des Starchirurgen einen eher harmlosen Smalltalk zu führen und immer wieder drauflos zu plappern. Diesmal war ihm jedoch überhaupt nicht nach den üblichen Wortwechseln über Ferienreisen, Sonderangebote und dem obligaten Kliniktratsch zumute. Zu sehr war er in seine Gedanken vertieft, die unentwegt um seine innig geliebten drei Organe kreisten. Drei offene Körperhöhlen gleichzeitig bedeuteten drei voneinander unabhängige Risiken, die sich gegenseitig verstärkten. Konnte das gutgehen?
Er ballte seine behandschuhten Hände zu blutleeren, weissen Fäusten und richtete die alles entscheidenden Worte an seine treue Instrumentierschwester und frühere Gespielin aus den alten Schwarzwälder Zeiten (noch lange vor dem kecken Knieblein):
„Sind Sie parat, Schwester Thekla, können wir den Instrumentencheck durchführen?“, wobei er sorgfältig darauf achtete, die früher so nah vertraute Mitarbeiterin zu siezen, wenn andere zuhören konnten.
„Jawoll, mein Doktor. Alles ist vorbereitet“, versicherte die Angesprochene mit einem leichten Anflug von vorgetäuschter Sicherheit in der Stimme.
„Na dann wollen wir mal“, legte er los und begann mit der standardisierten Aufzählung der essenziellen Instrumente, die für den Aus- und Einbau der drei Organe erforderlich waren:
„Sind Herz-Terz, Leber-Kleber und Milz-Pilz einsatzbereit, geladen und geschmiert?“, fragte er, ohne aus den hallenden Tiefen des offenen Brustkorbs von W.J. aus Z. aufzublicken. Thekla beeilte sich, ihm die Bereitstellung des Gewünschten zu versichern, wobei ebenfalls kleine Schweissperlen auf ihrer ähnlich hohen Stirn auftauchten. Nur war niemand da, die ihren abzutupfen.
Er begann die Punkte der Checkliste einzeln durchzunehmen: „Die Herz-Terz?“
„Herz-Terz – randvoll gefüllt und im Trilobit-Retraktor mit je drei Gefässklammern geladen. Die Klapunzelspalte ist offen und schliesst reibungslos“ verkündete sie mit einem gewissen Übereifer.
„Leber-Kleber?“
„Leber-Kleber steht parat. Drei Patronen sind prall gefüllt und die Zähigkeit des Materials ist auf den aktuellen Barometerdruck und die Luftfeuchtigkeit abgestimmt. Wir haben 313 Öchslegrade im Reservoir“, beeilte sie sich zu versichern.
„In Ordnung“, brummte Sweren-Nöthen zufrieden, „und als Letztes der neuartige Milz-Pilz?“
„Nagelneuer Milz-Pilz ist soeben aus Karlsruhe eingetroffen und frisch aus der Packung entnommen. Die Repunzierschraube wurde bereits herstellerseits auf Null gestellt und erlaubt Auswuchtung in alle drei Ebenen. Sie können jederzeit anfangen“, schloss Schwester Thekla den Check erleichtert ab.

Sweren-Nöthens Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, und er begann mit der Auswuchtung des kaum noch sichtbar schlagenden Herzens. Es war nun wirklich höchste Zeit.
„Tupfer!“, raunte er ihr nach einer Weile zu, während er eine spritzende Blutung mit seiner Nasenspitze abdrückte. „Noch einen Tupfer“, näselte er diesmal lauter, „und schnell noch einen, bitte, Schwester Thekla, drei Stück wie immer wenn’s kritisch wird, Heiligedreieinigkeit!“, erschallte es diesmal etwas energischer und gereizter als sonst. „Wenn’s spritzt, müssen’s immer drei sein. Das wissen Sie doch!“ In solchen Fällen konnte es ihm nicht rasch genug gehen. Seine beiden Operationsassistenten erwarteten nun weitere Wutausbrüche.
„Herr Truffaldino, den Rippenspreizer mehr anspannen – bitte!“, schnauzte er seinen ersten Assistenten an, während der zweite, der italienische Gastarzt Dr. Farfarello unaufgefordert den Leberhaken kräftig zu sich zog. Ein kurzer, dankbarer Blick seitens Dr. Sweren-Nöthers bestätigte dem besorgten Neapolitaner die Richtigkeit seiner Massnahme.
„Und jetzt bitte den Milz-Pilz, mit entsicherter Repunzierschraube“, schleuderte er seiner Instrumentalistin entgegen, die verzweifelt den geforderten Zusatzteil in ihrem Sterilisiersieb suchte. Unter lautem Geschirrgeklapper fand sie schliesslich das Gesuchte und reichte es erleichtert dem ungeduldig seine drei Finger spreizenden Operateur.

Wieso drei Finger, mag man sich fragen? Nun, hier ein kleiner Abstecher in die Vergangenheit: Sweren-Nöthen hatte den Daumen und den kleinen Finger seiner rechten Hand eingebüsst, als er als junger Assistenzarzt in der Orthopädie arbeitete und einen kleinen Unfall mit einer dreitaktigen Knochensäge hatte (er hatte irrtümlich nur zwei Takte angenommen). Damals dachten er und seine Frau, dass seine Chirurgenkarriere damit abrupt enden müsste. Aber es kam anders; mit nur drei verbliebenen Fingern der rechten Hand erwies sich der noch junge Assistenzchirurg als allen anderen Kollegen überlegen. Mit der viel schmäleren Hand konnte er weiter und tiefer in die hintersten der verwinkelten Körperhöhlen der leidenden Menschen vordringen und dort wahre medizinische Wunder vollbringen. Weit besser als jeder andere seiner zahlreichen Konkurrenten – mit intakten Händen.

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„Das muss Dir mal einer nachmachen“, sagte damals Elfriede zu ihm, nachdem er bereits bei seinem ersten Versuch drei eingeklemmte Gallensteine aus einem übergewichtigen Metzgermeister herausgeholt hatte. Durch dessen Schlund wohlgemerkt, ohne diesen aufschneiden zu müssen. Denn aufgeschnittene Metzgermeister heilen bekanntlich sehr schlecht. Jene operative grosstat begründete seinen legendären Ruf als Ausnahmechirurg, welcher schlussendlich zu seiner Berufung nach Zürich geführt hatte. Dort pflegte man nämlich nur die Besten der Besten anzustellen.
Doch in der Limmatstadt musste er sich zunächst bewähren, so wie das von allen neu eingestellten, deutschen Ärzten erwartet wird. Erst musste Sweren-Nöthen für drei Monate Fettschürzen straffen und Hämorrhoidalknoten entwirren, bevor er an die drei wichtigsten Organe herangelassen wurde: An Milz, Leber und (als Königsdisziplin) ans Herz. Doch er meisterte alle Hürden mit Umsicht und Bravour, er bestand alle Prüfungen, die ihm auferlegt wurden, und auch das obligate Begrüssungs-Mobbing durch die einheimischen Kollegen konnte ihm nichts anhaben.
Denn er kannte sich mit den drei Organen weit besser aus als alle anderen, einschliesslich seines Chefs, des feisten Professors Prokofiew, der ihm absichtlich die schwierigsten Fälle zuschob. Zuerst liess er ihn die komplexesten Milzoperationen durchführen und die Handhabung des neuartigen Milz-Pilzes studieren. Dann musste er sich mit den schwierigsten Lebereingriffen auseinandersetzen. Doch auch das bewältigte er mit Erfolg, nachdem er die Tücken des Leber-Klebers beherrschen gelernt hatte.
Nur mit der Herz-Terz konnte er sich lange nicht anfreunden. Das kleine, dreiteilige Gerät zur elektromechanischen Entkopplung des Reizleitungssystems liess sich von ihm nicht gleich gefügig machen. Aber mit seiner dreimalig geschickten, dreifingrigen Hand schaffte er es dann doch. Und zwar mit einem Trick, den er sich bei der Hämorrhoidalentwirrung zugelegt hatte: er steckte dabei den Ringfinger in die offene, linke Herzkammer, den Zeigefinger in die Klapunzelspalte, so dass er die Herz-Terz mit dem verbleibenden Mittelfinger elegant in die Perikardhöhle vorwärts bugsieren konnte. Mit diesem Manöver erwarb er sich sehr schnell den Ruf, einer der besten Herzchirurgen zu sein.

„Kein Zweifel, mein lieber Doktor…“, raunte ihm Schwester Thekla zu, während sie mit einer Tridentklemme die Klapunzelspalte aufdehnte, um seinem Mittelfinger Platz zu machen, „kein Zweifel, dass Sie einer der besten Milz-, Leber- und Herzchirurgen nördlich der Alpen bis zum Dreiländereck bei Basel sind. Aber alle drei Organe auf einmal transplantieren, das ist wirklich gewagt. Wenn das mal nur gut geht…“.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Instrumentierschwester Thekla“, erwiderte er süffisant, „meine Liebe zu den drei Organen lässt mich jede Schwierigkeit überwinden. Das beflügelt mich nicht nur, das führt meine schlanke, dreifingrige Hand sicher zum Erfolg. Nur dürfen die Spenderorgane nicht zu früh warm werden, zu viel Sauerstoff verbrauchen und sich dadurch vor der Implantation erschöpfen“.
„Und was ist mit Prokofiew?“, warf sie besorgt ein.
„Was soll schon sein? Wenn er aus der Karibik zurückkommt und die Spitalleitung die Medien zur Pressekonferenz lädt, dann wird er gerne wieder dabei sein, um seinen Anteil am Erfolg einzuheimsen. Das war immer schon so: bei Gefahr abtauchen, bei Erfolgsmeldungen nach vorne drängeln“.

Der Gastarzt Dr. Farfarello nutzte während der Transplantatpräparation die etwas entspanntere Atmosphäre, um eine wichtige Frage an sein Vorbild zu richten:
„Dottore Sweren, wie können Sie so sicher sein, dass diese dreifache Organtransplantation gelingen wird, wenn sie sonst noch nirgendwo, von niemandem erfolgreich durchgeführt wurde?“
„Sehen Sie, Luigi“, antwortete der Angefragte selbstsicher, „alles muss ein erstes Mal versucht werden, und jetzt hat sich die einmalige Chance ergeben, dass ich es bin, der diesen ersten Schritt wagt“.
„Aber wird es nicht eine sehr heftige, kaum beherrschbare Abstossungsreaktion geben? Immerhin bei drei eingepflanzten Fremdorganen?“, wandte der vordem gerüffelte und deshalb bis dahin betreten schweigende Dr. Truffaldino ein.
„Auf diese Frage habe ich gewartet, mein lieber Kollege“, erwiderte der selbstsichere Starchirurg, „auch dieses Problem ist lösbar. Ich werde nicht nur drei gesunde Transplantate einsetzen. Der Trick dabei ist, dass ich auch deren Positionierung vertauschen werde.“
Alle Anwesenden, einschliesslich der bis dahin sich unauffällig im Hintergrund haltenden Anästhesistin, Dr. Fatima Morgana, spitzten die Ohren ob des noch nie Gehörten. Mit unverhohlener Überraschung blickten alle in die Augen des triumphierenden Skalpellkünstlers. Nach einer angemessenen Pause, um die ohnehin schon gespannte Atmosphäre weiter aufzuladen, lieferte dieser die verblüffende Erklärung:
„Der Platztausch der drei Organe, nämlich der Einbau der Milz ins Mediastinum, der Leber in die Milzloge und des Herzens in das Leberbett wird das Immunsystem des Empfängers derart verwirren, dass es gar nicht dazu kommt, eine Abstossungsreaktion anzufangen. Es versucht sich über die ungewohnte Organanordnung klarzuwerden, aber in Ermangelung eines eigenen Denkvermögens wird es dabei zwangsläufig scheitern und andernorts nach Fremdgewebe suchen. Eine bessere und nebenwirkungsärmere Immunsuppression kann es gar nicht geben. Das, meine Lieben, ist das Geheimnis hinter meinem scheinbar hochriskanten Wagnis.“
Dann wandte er sich zur sichtlich beeindruckten Schwester Thekla, die sehr entzückt ob so viel Einfallsreichtum war, und sagte zu ihr im beruhigenden Tonfall eines sich seiner selbst absolut sicheren Mannes, der weiss, was er tut: „Lassen Sie uns die Tücher zählen. Eins…, zwei… und hier kommt schon die Nummer drei“. ♦


Prof. Dr. med. Peter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Grosswardein (Rumänien), 1970 Emigration nach Deutschland, Medizinstudium in Frankfurt/Main, seit 1987 Anästhesist am Universitätsspital Zürich und Dozent für Anästhesiologie, schreibt kulturhistorische Essays und humoristische Kurzprosa, lebt in Feldmeilen/CH

Lesen Sie im Glarean Magazin auch die Satire von
Angela Mund: Schlaf gut, mein Freund Hektor

… sowie zum Thema Medizin über den Roman von
Michael Kleeberg: Das amerikanische Hospital

ausserdem im Glarean Magazin zum Thema Krankheit und Spital:
Eric Baumann: Einen Sommer noch (Autobiographie)

Lothar Becker: Der grüne Pullunder (Satire)

Der grüne Pullunder
oder
Wie mir meine Hemmungen einmal das Leben retteten

Lothar Becker

Bis zu dem Tag, an dem ich herausgefunden habe, dass ich Hemmungen habe, dachte ich doch tatsächlich, ich hätte keine Hemmungen. So eigenartig es sich auch anhört, ich habe mein äusserst seltsames Verhalten über Jahre hinweg für völlig normal gehalten. Ich wunderte mich nur, dass ich, wenn ich als Junge sonnabends zum Bäcker geschickt wurde, es nie fertig brachte, der Verkäuferin in die Augen zu sehen und die mir aufgetragene Anzahl an Brötchen zu verlangen. Ich konnte mir nicht erklären, wieso, aber es war eine Tortur. Ich betrat das Geschäft, und wusste, dass es mir unter gar keinen Umständen möglich sein würde, in Gegenwart dieser jungen Dame so etwas Grobes und Gefühlloses wie „Brötchen“ zu sagen. Ich schwitzte, torkelte durch den Laden und hatte den Verdacht, mein Kopf würde jeden Moment platzen. Sobald ich an der Reihe war, starrte ich wie ein Geisteskranker an die Zimmerdecke, und kaufte irgendetwas anderes, Schmalzkringel oder Streuselschnecken, oder ich ging gleich in den Fahrradladen nebenan und holte eine Luftpumpe.
Darüber sind meine Eltern tief besorgt gewesen und haben immer wieder für mich extrem schmerzhafte Äusserungen wie „Mit dem Jungen ist doch was!“ oder „Von mir hat er das aber nicht“ gemacht. Natürlich habe auch ich geahnt, dass mit mir irgend etwas nicht stimmte, aber mir war nicht klar, dass es Hemmungen waren. Ich dachte eher an Blödheit oder so etwas.
Aber dann schickten mich meine Eltern zu einem Psychologen. Vermutlich, weil ich ihnen unheimlich wurde, oder weil sie es satt hatten, dass ich ihnen zum Frühstück eine Luftpumpe auf den Teller legte.

Der Psychologe war ein sehr einfühlsamer Mensch. Er sass auf einem Drehstuhl, hatte die Beine übereinander geschlagen und zupfte an der Bügelfalte seines linken Hosenbeines herum.
„Und?“, fragte er, „was fehlt dir denn?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Na, aber“, der Psychologe setzte ruckartig beide Füsse auf den Fussboden, damit er seine Hände auf seine Oberschenkel stützen und seinen Kopf weit vorstrecken konnte, „mir kannst du es doch sagen!“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nun komm schon! Wie soll ich dir denn helfen, wenn du nicht mit mir redest?“
Um meine Hilflosigkeit zu verdeutlichen, zuckte ich noch einmal mit den Schultern und verdrehte dabei die Augen. Der Psychologe kroch noch ein Stück näher an mich heran. So nah, dass er zu schielen begann, wenn er mich ansah.
„Was ist eigentlich dein Problem?“
„Ich weiss nicht. Dass ich so bin wie ich bin.“
Der Psychologe nickte verständnisvoll.
„Dass du so bist wie du bist. Soso, aber was stört dich denn an dir?“
Ich versuchte seinem Gesicht auszuweichen.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Das Gesicht des Psychologen folgte mir unerbittlich.
„Oh doch, das kannst du!“
„Nein!“
„Aber warum denn nicht?“
Ich hielt mir die Ohren zu, und schrie so laut ich konnte:
„Weil ich mir fast in die Hose mache, wenn ich daran denke, dass ich mit ihnen darüber sprechen soll!“
Diesmal wich der Psychologe ein wenig zurück:
„Na, jetzt kommen wir der Sache schon näher! Du möchtest darüber sprechen, aber du kannst es nicht, stimmt’s?“
Ich konnte nicht mehr an mich halten, und schlug mit beiden Fäusten auf die Tischplatte.
„Na, das sage ich doch die ganze Zeit!“
Der Psychologe lehnte sich zurück und beobachtete mich wie eine Laborratte.
„Aber warum kannst du denn nicht darüber sprechen?“, fragte er, und liess seine Brille ein paar Zentimeter auf seiner Nase herunter rutschen.
„Es geht nicht“, sagte ich, und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. Draussen trainierte ein Vogel Kamikaze.
„Warum geht es nicht?“ Der Psychologe stand auf und stellte sich vor das Fenster, und ich musste den Kopf sehr schief halten, um den Vogel noch sehen zu können.
„Wenn ich das wüsste! Wissen sie was? Ich habe das Gefühl, mir platzt der Kopf.“
Der Psychologe nahm einen Apfel aus einer Schale und liess ihn von einer Hand in die andere rollen.
„Weisst du, was ich denke?“, fragte er.
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäss.
„Du hast Hemmungen“, sagte er.
„Hemmungen?“
„Ja“, sagte er.
Seit diesem Tag war mir der Name meines Leidens bekannt.
Dadurch, dass ich nun wusste, was es war, wurde es aber auch nicht besser.

Meine Hemmungen erstreckten sich auf alle erdenklichen Bereiche. In der Schule hinderten mich meine Hemmungen massiv am Weiterkommen. Weil ich Hemmungen hatte, die richtigen Ergebnisse aufzuschreiben, gab ich bei Klassenarbeiten ausschliesslich leere Blätter ab. Ganz schlimm war der Musikunterricht. Natürlich war ich viel zu gehemmt, um zu singen. Ich war der festen Ansicht, dass, sobald ich den Mund öffnen würde, das Weltgefüge zusammenbräche. Ich stand vor der Klasse, der Boden schwankte unter meinen Füssen, meine Hände tasteten in der Luft nach einem Halt, mein Mund öffnete und schloss sich völlig geräuschlos. Nach drei Minuten taumelte ich zurück in meinen Stuhl.
„Was war denn das?“, fragte meine Musiklehrerin.
„Ein Lied“, sagte ich.
„Nein, eine sechs“, sagte meine Musiklehrerin.
„Interessant“, sagte ich.
Meine durchwegs auf diese mich stark behindernden Hemmungen zurückzuführenden schlechten Leistungen sanken auf ein derartig niederes Niveau, dass mein Klassenlehrer, Herr Hartleibl, behauptete, ich hätte seinen Vorrat an schlechten Zensuren aufgebraucht. Etwas Dümmeres als mich müsste man mit der Lupe suchen. Weil ich zu gehemmt war, zu widersprechen, gab ich ihm recht.
Ich erinnere mich voller Ekel an die furchtbaren Zeiten der Tanzstunde. Viel zu gehemmt, um ein Mädchen anzusprechen, tanzte ich ausschliesslich mit Jungen. Sogar zum Abschlussball. Immer, wenn Heiner und ich über das Parkett rauschten, bildete sich ein Spalier und ohrenbetäubender Beifall brandete auf. Ich kann nicht behaupten, dass mein Ruf davon auf irgendeine Weise profitiert hätte. Man hat es wirklich nicht leicht auf dieser Welt, wenn man Hemmungen hat, wirklich nicht.

Einmal aber haben mir meine Hemmungen sogar das Leben gerettet. Man sollte es nicht glauben, doch es ist die Wahrheit, ohne meine Hemmungen stände ich jetzt vielleicht nicht hier. Es fing ja völlig harmlos an. Mit einem Pullunder. Mit einem neuen, extrem grobmaschig gestrickten, widerlich hässlichen, grünen Pullunder. Er lag auf meinem Bett und daneben stand meine Mutter.
„Ziehe ihn an!“, sagte meine Mutter.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte ich.
„Aber warum denn?“, fragte meine Mutter.
„Weil er hässlich ist“, sagte ich.
„Überhaupt nicht!“, meine Mutter strich mit ihrem Handrücken über das grüne, Fusselige Teil, „Pullunder sind jetzt der letzte Schrei!“
Ich sah sie vollkommen verständnislos an.
„Was? Das ist doch nicht dein Ernst! Mit dem Ding mache ich mich total lächerlich!“
„Unfug!“, sagte meine Mutter, “ na los, probiere ihn wenigstens mal an!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stülpte sie mir mit nicht zu überbietender Geschwindigkeit den Pullunder über den Kopf. Dann schubste sie mich vor den Spiegel.
„Na, was sagst du nun?“
Ich musste mehrmals schlucken, bevor ich antworten konnte.
„Ich sehe aus wie ein Frosch!“
„Na, jetzt übertreibst du aber!“
Meine Mutter begann, hinter mir am Saum des Pullunders herum zu zupfen.
„Ich gehe so nicht raus“, sagte ich.
„Das werden wir ja sehen!“, sagte meine Mutter um einiges lauter als nötig. Ihr Verhalten blieb nicht ohne Folgen. Noch während ich sie durch eine Vielzahl fantasievoller Gesten zu einer Dämpfung ihrer Stimme animieren wollte, kam plötzlich mein Vater herein. Sein Kopf war hochrot. Offensichtlich schienen wir ihn bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen wie auf dem Sofa liegen oder aus dem Fenster sehen gestört zu haben.
„Was ist denn hier schon wieder los?“
Meine Mutter eröffnete ihm, dass ich den neuen Pullunder nicht tragen wollte.
Meinem Vater war die Verständnislosigkeit ins Gesicht geschrieben.
„Was? Den neuen Pullunder! Das gibt´s doch gar nicht! Ich will dir mal was sagen, Junge. Wir arbeiten Tag und Nacht, um dir jeden erdenklichen Luxus zu bieten. Um dich zu ernähren, um dich zu kleiden, um dir alles kaufen zu können, was du brauchst. Damit du genau so chic wie die anderen aussiehst, und du? Wie dankst du es uns?“
Er sagte tatsächlich „chic“! Du lieber Himmel! Da hätte er ja gleich „dufte“ sagen können.
Mein Vater stützte seine Hände in die Hüften und betrachtete mich verständnislos.
„Was hast du denn an dem Pullunder auszusetzen?“
„Er entstellt mich“, sagte ich.
„Ich fasse es nicht!“, brüllte mein Vater.
„Vielleicht ist es wegen seiner Hemmungen“, sagte meine Mutter.
„Das ist mir egal!“, die Stimme meines Vaters überschlug sich, „der Pullunder wird nicht wieder ausgezogen!“
„Aber Günther!“, sagte meine Mutter. Mein Vater hiess Günther.
„Nichts da mit Günther!“, mein Vater genoss es, endlich wieder einmal autoritär sein zu dürfen, „wir nehmen schon genug Rücksicht! Aber alles hat seine Grenzen! Irgendwann reisst auch mir der Geduldsfaden! So, und jetzt höre mir mal genau zu: Wenn ich dich in den nächsten Tagen ohne Pullunder erwische, setzt es eine Tracht Prügel! Damit das klar ist! Und nun ab, Brötchen holen!“
Ich warf meiner Mutter einen flehentlichen Blick zu. Als Antwort verdrehte sie ihre Augen, was soviel bedeutete wie: Du weisst doch, wie dein Vater ist, wenn er sich aufregt.

Da nahm ich den Einkaufsbeutel und lief los. Kaum, dass ich das Haus verlassen hatte, überfielen mich die stärksten Hemmungen, meine durch den grünen Pullunder der Lächerlichkeit preisgegebene Gestalt den Blicken anderer Menschen auszusetzen. Am liebsten wäre ich die Treppe rückwärts wieder nach oben gegangen. Aber daran war natürlich nicht zu denken. Einfach weiter in Richtung Bäckerei zu laufen, erschien mir allerdings genau so unmöglich. Was um alles in der Welt sollte ich bloss tun? Ich konnte weder vor noch zurück. Während ich auf dem Bordstein von einem Bein auf das andere trat, begriff ich, dass ich mich in eine durch und durch ausweglose Situation hinein manövriert hatte. Ich war zu einem Gefangenen meiner Hemmungen geworden, zu einer Marionette meiner verkorksten Emotionen. Mein Gemüt begann sich zu verdunkeln. ´Ich halte das nicht mehr aus`, dachte ich, ´kein Mensch hält es aus, ein Freak wie ich zu sein, ein Freak in einem grünenPullunder !`

Und dann passierte es. Irgendetwas in meinem Gehirn schaltete sich um, ich verlor jedes Interesse an meiner Person und fasste den Entschluss, meinem Dasein mit einer Überdosis Schlaftabletten ein rasches Ende zu bereiten. Natürlich mit Schlaftabletten. Es mit Schlaftabletten zu tun hielt ich für die einzige mir zumutbare Methode, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Menschen mit Hemmungen nehmen für so etwas Schlaftabletten, dachte ich, und rannte, ohne nach links und rechts zu sehen, zur nächsten Apotheke, riss deren Tür auf und ging hinein. Das erste, was ich nach meinem Eintreten sah, war die Apothekerin. Eine Apothekerin mit den äusserlichen Attributen eines Filmstars. Manchmal schüttelte sie ihren Kopf. Dann wehte ihr Haar in einer Art Zeitlupe. Es war unglaublich. Natürlich begriff ich sofort, dass ich in ihrer Gegenwart keinesfalls so etwas Anzügliches, Zweideutiges, Missverständliches wie „Schlaftabletten“ sagen konnte. Es ging nicht. Ich schwitzte, vermochte mich kaum auf den Beinen zu halten, mein Kopf fühlte sich an wie ein aufgeblähter Heissluftballon. Als ich an der Reihe war, starrte ich wie ein Geisteskranker an die Decke und sagte:
„Schl…“
Weiter kam ich nicht.
„Schl..?“, fragte die Apothekerin.
Ich nickte.
„Was meinst du mit Schl…?“, fragte sie.
„Na eben Schl….“, sagte ich, stürmte zur Tür hinaus und ging in den Fahrradladen nebenan, um eine Luftpumpe zu kaufen.

Natürlich hat sich diese Anschaffung für mein Vorhaben in keiner Weise als nützlich erwiesen. Deswegen bin ich ja auch noch am Leben. Später habe ich oft über diesen denkwürdigen Tag nachgedacht und bin zu der bemerkenswerten Erkenntnis gelangt, dass Hemmungen vermutlich die einzigen Gefühlsregungen sind, die den Entschluss, freiwillig aus dem Leben zu gehen, zuerst veranlassen und dann doch wieder verhindern. Ist das nicht seltsam?
Mittlerweile besuche ich eine Selbsthilfegruppe, die anonymen Gehemmten. Ich kann nicht behaupten, dass es mir dort übermässig gefallen würde. Wir bekommen Lockerungsübungen gezeigt, und versuchen, mit Rollenspielen schwierige Situationen zu bewältigen. Manchmal werden wir auch zu extrem peinlichen Handlungen gezwungen. Wir müssen dann Strickmützen tragen oder wildfremde Personen nach dem Weg fragen, was häufig die Grenzen des Erträglichen sprengt.
Bedauerlicherweise haben sich trotz meiner regelmässigen Teilnahme bis zum heutigen Tag noch keine Anzeichen einer raschen Genesung eingestellt. Das mag zu einem nicht zu unterschätzenden Teil daran liegen, dass sämtliche der Gruppe zugehörigen Betroffenen grosse Hemmungen haben, über ihre Hemmungen zu sprechen. Aber einige kleine Erfolge zeigen sich allmählich doch. So habe ich zum Beispiel keine Hemmungen mehr, Geld zu nehmen, und einmal abgesehen von diesen subtilen Lichtblicken, konnte ich etwas sehr Wichtiges lernen, denn, wie Frau Kleinhempel, unsere Therapeutin ganz richtig bemerkt hat, kann es ohne Hemmungen keine funktionierende Gemeinschaft geben. Ausgelebte Hemmungslosigkeit würde unsere Gesellschaft in kürzester Zeit zerstören. Nur durch Hemmungen kann das Chaos, die blanke Anarchie verhindert werden. Da kann man einmal sehen! Ich würde ihr zu gern einmal sagen, dass sie damit vollkommen recht hat. Aber dafür bin ich bedauerlicherweise noch viel zu gehemmt. ♦


Lothar Becker - Schriftsteller Publizist - Glarean MagazinLothar Becker

Geb 1959, Studium der Sozialpädagogik,  schreibt hauptsächlich Belletristik, letzte Roman-Veröffentlichung „Bubble Gum 69“ im Berliner Eulenspiegel Verlag, Texte und Vertonung für/von Musicals, lebt in Limbach-Oberfrohna/D

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Lothar Becker: Hitler in der U-Bahn

… sowie die Satire von
Rainer Wedler: Die Weihnachtsaktion

Lothar Becker: Hitler in der U-Bahn (Satire)

Hitler in der U-Bahn

Lothar Becker

Elmar hatte sie schon die ganze Zeit über beobachtet, und jetzt kamen sie auf ihn zu: Es waren zwei, und sie waren kahlgeschoren und trugen Lederjacken und schwere Stiefel. Das Blech des U-Bahn-Waggons dröhnte unter ihren Schritten. Elmar lief es eiskalt über den Rücken. Er war Ende dreissig, ziemlich klein, litt unter Verstopfung und kam nicht bei Frauen an. Seine Physiognomie hinterliess einen mehr oder weniger dümmlichen Eindruck, und weil er das wusste, machte er sich keine Illusionen, dass er etwa aussehen könnte wie jemand, den diese Typen nicht zusammenschlagen würden. Elmar war auf alles gefasst.
Er sah, wie sich die beiden vor ihm aufbauten, und wie die Leute auf den benachbarten Plätzen intensiv aus dem Abteilfenster zu blicken begannen. Dann schloss er die Augen.
Als er sie kurz darauf wieder öffnete, befanden sich die beiden Kahlköpfe vor ihm in einem irritierenden Zustand. Mit halbgeöffneten Mündern und Glatzen, die in der Neonbeleuchtung rosig glänzten, starrten sie ihn völlig fassungslos an. Einer von ihnen kratzte sich verlegen am Hintern. Dann brüllten sie fast gleichzeitig los: „Kalle! He, Kalle! Mach mal hin, eh!“ Kalle stürzte mit mehreren Begleitern durch die Abteiltür. Sie alle waren Skins. Und Kalle gab mit den Zentnern, die er auf die Waage brachte, einen erstklassigen Boss ab.
„Wat is los? N‘ Kaffer klatschen oder wat?“
„Blödsinn. Da! Guck dir den mal an, eh!“
Kalle schob sein Gesicht bis auf ein paar Zentimeter an das von Elmar ran. „lck faul ab, eh! Det is Adolf!“
Elmar rutschte in sich zusammen. Was für ne Scheisse, dachte er, was ist das nur für eine Scheisse! Er hatte nicht den geringsten Schimmer, was die von ihm wollten.
Kalle holte ein Photo aus der Innentasche seiner Lederjacke. „Hier, kieck mal!“
Elmar begriff die Welt nicht mehr. Der Mann auf dem Bild war er. Nur dass der da ein schmales Bärtchen auf der Oberlippe trug. Aber sonst…
Kalle hatte jetzt Haltung angenommen und strahlte: „Det is der Führer!“
Elmar verstand noch immer nichts. Einer der anderen Skins berührte ihn beinahe sanft an der Schulter. „Keene Angst, Hitler. Wir tun dir nichts.“ Kalle steckte das Photo wieder ein. „Keener tut dir wat, Hitler. Wir mögen dir.“ Elmar versuchte zu lächeln. Es misslang ihm.
Sämtliche Fahrgäste hatten das Abteil inzwischen verlassen. Jetzt gab es hier nur noch ihn und ein gutes Dutzend übergeschnappter Skins, die ihn bestaunten. Was immer sich hier abspielte, soviel stand fest: lebend würde er hier nicht mehr rauskommen. Wenn er auch nur daran dachte, drehte sich ihm der Magen um. Die Skins schienen davon nichts zu bemerken.
Kalle holte eine Packung Zigaretten hervor. „He, Hitler, sach mal, rauchst du eigentlich?“ Elmar schüttelte den Kopf und Kalle drehte sich zu den anderen um. „Eh, ihr Scheisser, wie war det – hat Hitler eigentlich geraucht?“
„Nee, det stimmt schon so. Hitler hat nich geraucht.“
Kalle strahlte schon wieder.
„Sach ick doch. Det is wie echt, eh!“ Er steckte sich selber eine an und blickte triumphierend in die Runde. Es war ein grosser Tag für jeden von ihnen.
Nur ein paar waren nicht ganz so beeindruckt. „Wenn det Hitler is, Kalle, wieso trägt er denn Turnschuhe?“
Kalle zog die Stirn in Falten und begann, Elmars Füsse anzustarren. „Hör mal, Hitler, eenes musst du uns versprechen: zieh bloss keene Turnschuhe mehr an, wa? Und denn lasse dir so nen kleenen Bart stehen,eh!“
Elmar nickte. Der Alptraum nahm kein Ende. Wieso bloss machten die ihn nicht fertig? Die U-Bahn raste durch die Stadt. Sie war zur Falle geworden für ihn. Zur Mausefalle für Hitler.
Die Skins konnten offensichtlich nicht genug von ihm kriegen. An irgendeiner Station bekamen sie schliesslich Durst und stiegen aus. Kalle war schon an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte: „Wir kommen jetzt jeden Tag, wa! Und wenn du morgen keene Stiefel trägst, verjesse ick mir, Hitler!“
Elmar arbeitete am anderen Ende der Stadt. Er hatte keine Wahl, was das U-Bahn-Fahren anbelangte. Voller Panik liess er sich ein rechteckigesBärtchen auf der Oberlippe stehen und begann, in Militärstiefeln herumzulaufen.
Die Skins patrouillierten jeden Tag in der U-Bahn, und Elmar kam noch immer verdammt gut bei ihnen an. Eines Tages passten sie ihn schon am Fabriktor ab. Kalle nahm ihn am Arm.
„He, Hitler! Komm her, Hitler! Wir haben wat für dich!“
Sie liefen eine ganze Weile. Dann waren sie da. E s war eines dieser Abbruchhäuser,und das ganze Haus war voller Skins. Es waren beängstigend viele. Kalle schob Elmar an ihnen vorbei in eines der Zimmer im Erdgeschoss. Bis auf ein Mädchen war niemand darin. „Pass auf“, sagte Kalle, „det is Eva. Eva Braun.“ Dann ging er raus und schloss die Tür hinter
sich.
Elmar fand, dass dieses Mädchen einige Nummern zu gross war für ihn, und er verstand nicht, weswegen sie ihn auf diese eindeutige Art und Weise anlächelte. Eva begann, sich an ihrem Strumpfhalter zu schaffen zu machen.
„Na, mein Kleener, wie hätten wirs denn jern?“
„So wie der Führer nehme ich an…“
„Det hätte mir och jewundert!“ Eva fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Na, denn zieh dir mal aus, wa?“
Elmar stieg aus seinen Stiefeln, aus dem Rest seiner Kleidung. Dann stellte er sich auf das Bett und riss den rechten Arm in die Höhe. Eva hatte einige Mühe, ihre Sache gut zu machen.
Als Elmar das Zimmer wieder verliess, waren die Skins in Bewegung gekommen. Einer von ihnen stiess Elmar raus auf die Strasse: „Freu dir, Hitler, heute jibts Krieg!“
Einige Blocks weiter bewegten sich zwischen fünfzig und hundert aufgebrachte Linke auf sie zu. Keine Frage, weswegen sie hier waren. Die Skins lauerten hinter der Tür und soffen sich Mut an. Dann kamen sie raus. Elmar befand sich plötzlich inmitten einer Unmenge rotierender Fäuste und Stiefel. Er stellte fest, dass er vor Angst schlotterte. Ganz egal, in was er auch reingezogen wurde, er zog immer den Kürzeren. Im Grunde war es dasselbe wie damals in der U-Bahn, nur dass er diesmal eine reelle Chance besass, sich zu verdrücken.
Elmar versuchte, unbemerkt in die nächstbeste SeitenStrasse abzudriften.
Plötzlich stand Kalle vor ihm: „He, Hitler! Wo willst du hin, du feige Sau?“ Er war mörderisch in Fahrt.
Elmar begriff, dass es nicht nötig war, zu antworten. Dann spürte er den ersten Schlag. Elmar schrie los. Und Kalle schlug, schlug, schlug.
Elmar wurde übel, als er das Blut im Mundwinkel schmeckte. Aber dennoch: zum ersten Mal seit Wochen begann er die Welt wieder zu verstehen. ♦


Lothar Becker - Schriftsteller Publizist - Glarean MagazinLothar Becker

Geb. 1959 in Limbach-Oberfrohna/D, zahlreiche Lyrik- und Prosa-Publikationen in Büchern und Zeitschriften, Veröffentlichungen von Musical- und Theater-Stücken, lebt als Jugend-Sozialpädagoge in Lembach/D

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Diogenes Verlag: Tintenfass Nr. 31 (Anthologie)
ausserdem die neue Satire zu 30 Jahre Berliner Mauerfall von

Bernd Giehl: Museumsreif (Satire)

Museumsreif

Bernd Giehl

August 2013
Neulich habe ich mir so ein Dings… so ein tragbares Telefon… na Sie wissen schon, was ich meine… angeschafft. So ein kleines Teil, das man in die Jackentasche stecken und mitnehmen kann. Notfalls auch auf die Kanzel. Falls der liebe Gott gerade anruft. Der spricht nämlich nicht so gern auf Anrufbeantworter.
Aber es muss ja nicht gleich der liebe Gott sein. Der ruft eher selten an. Kann ja auch die Pietät sein, die sich beschwert, dass sie mich schon wieder nicht erreichen kann. Wo ich denn gewesen sei. ‚In Gedanken‘, konnte ich ja schlecht sagen, auch ‚beim Waldspaziergang‘ hört sich nicht gut an, also behauptete ich, ich hätte einen Krankenbesuch gemacht. Ich solle mir endlich mal einen Anrufbeantworter anschaffen, forderte der unverschämte Kerl.  Dann könne er mir wenigstens eine Nachricht darauf hinterlassen. Ich sehe mir mein altes schwarzes Telefon an, bei dem ich den Hörer tatsächlich noch auf die Gabel legen kann, und denke: Ob das funktioniert? Na, jedenfalls drehe ich lieber die Wählscheibe, als irgendwelche Tasten zu drücken.
Leider bin ich kein Held.  Meine Hartnäckigkeit beim „Nein“ sagen hält sich in Grenzen.  Als drei Tage später auch noch der Dekan anrief und mir sagte, die Pietät habe sich beschwert, ich sei nie zu erreichen, wusste ich, was die Stunde geschlagen hat. Aber ein wenig Selbstachtung brauche auch ich. Wir einigten uns schliesslich darauf, dass ich künftig per E-Mail zu erreichen sei. Also kaufte ich mir  einen Computer („PC“ sagen die Kollegen dazu) liess mir von einem Bekannten Internet und E-Mail einrichten und meldete mich beim Kurs  „Windows for silverheads“ an. Ob ich das als Arbeitszeit verbuchen und dafür weniger Religionsunterricht geben könne, fragte ich den Chef. Der lächelte nur müde. Als ich die erste E-Mail empfing (sie kam vom Dekan, der mir gratulierte), war ich stolz.
Auf dem nächsten Treffen der Pfarrerschaft fragte er mich, wie ich denn mit meinen neuen Computer (er sagte natürlich auch „PC“) zurechtkäme. Ich erzählte ihm von meinen Fortschritten. Mittlerweile wagte ich mich nämlich auch schon ins Internet (auch das hatte ich bei meiner Fortbildung gelernt) und schrieb die ersten Texte mit dem Gerät. Aber irgendwie schien er mit den Gedanken schon beim nächsten Punkt der Tagesordnung zu sein; jedenfalls unterbrach er mich mit der Bemerkung, wenn ich schon technisch so weit sei, könne ich mir ja endlich einen Anrufbeantworter oder gar ein neues Telefon kaufen.
Ich wollte ihm schon erwidern, die Kirche sei jahrtausendelang ohne Telefon und Anrufbeantworter ausgekommen; sie werde es auch überleben, wenn einer ihrer Hirten auch weiterhin keine Aufzeichnungsmaschine besitze, aber dann biss ich mir gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Brachte doch alles nichts. Bereit sein ist alles. Auch in der Kirche. Besonders in der Kirche.
An dem Tag war ich wütend.  Ein paar Tage später stach mich der Hafer. Wenn schon ein neues Telefon, dachte ich, dann doch am besten gleich so ein superschickes Teil. Mit dem man Fotos schiessen, ins Internet gehen und E-Mails abrufen kann. So etwas hatte ich schon bei meinen Konfirmanden gesehen. Die konnten ihr Spielzeug ja kaum aus der Hand legen. Also ging ich in einen nahegelegenen T-Punkt und kaufte mir so ein Telefon mit einem angebissenen Apfel auf der Rückseite. Würde ich den nächsten Urlaub eben in den Bayerischen Alpen verbringen statt in der Türkei.

Vier Wochen später (Montag)
Habe geübt. Alte Entwürfe für den Konfirmandenunterricht genommen. Religionsunterricht aus dem Ärmel geschüttelt. Besuche auf das Nötigste beschränkt. Predigten aus den letzten Jahren genommen. Merkt ja sowieso keiner. Nur Frau F. hat mich so merkwürdig angeschaut. Tut die aber öfter. Dafür jede freie Minute am Rechner verbracht. Gott und der Welt E-Mails geschrieben. Und mit dem Dings, dem Smartphone gesimst. Unterkringelt mir das Programm doch glatt das Wort „gesimst“. Sagt aber heute doch jeder.
Morgen werde ich mir WLAN einrichten lassen. WLAN ist die Zukunft. Sagen alle.
Also, auf in die Zukunft.

Dienstag
Schweren Herzens habe ich mein altes Telefon ins Heimatmuseum gebracht. So ein schönes Gerät habe ihm noch gefehlt, sagt Günter Hopp, der das Museum leitet.

Donnerstag
G. ist gekommen um die Installation vorzunehmen. Fragt mich nach meinem „Rou …“ irgendwas.  Ich spreche nicht chinesisch, sage ich. Er lacht und wiederholt das Wort langsam. „ROUTER-PASSWORT.“ Als ich immer noch nicht verstehe, zeigt er auf das silbergraue Teil, das an der Wand hängt und grün leuchtet.
„Ich kenne das Passwort nicht. Du hast mir das Internet eingerichtet.“
Er kratzt sich am Kopf, denkt nach, streicht sich über die Wange, denkt noch einmal nach, sagt schliesslich:
„Aber ich habe dir doch den Vertrag gegeben. Da müsste es drinstehen.“
„Hast du nicht“, sage ich.
„Habe ich doch.“
Also Durchsicht von ungefähr 20 Aktenordnern. Kein Vertrag mit der Telekom. Nirgends. Schliesslich Anruf beim „Provider“. (Auch das ein Wort, das ich mittlerweile in meinen Wortschatz aufgenommen habe.)  G. erklärt sein Anliegen, hört zu, sagt:
„Aber das müssen Sie doch haben“, hört erneut zu, sagt schliesslich:
„In Gottes Namen“ und legt auf.
„Was soll jetzt in Gottes Namen passieren?“
„Sie schicken uns ein neues Passwort zu.“
Plötzlich schreit er auf, fasst sich an den Kopf, sagt:
„Die Idioten. Ich fasse es nicht.“
„Wen meinst du mit ‚die Idioten‘?“ frage ich zurück. G. deutet auf das silbergraue Teil an der Wand, das jetzt mit vier Punkten blinkt. Ich verstehe immer noch nicht.
„Das wirst du gleich selbst sehen können“, sagt er. „Starte mal den Rechner.“
Nach zwei Minuten ist er hochgefahren.
„Und jetzt versuch mal, ins Internet zu kommen.“
Ich gehe auf das Symbol, es kreist und kreist, länger als das Universum.  Schliesslich erscheint die Meldung auf dem Bildschirm: „Verbindung nicht möglich.“
„Was bedeutet das?“ frage ich, den Kopf voll mit bösen Vorahnungen.
„Das bedeutet, dass sie dich abgehängt haben.“ Er zieht sein Handy aus der Tasche, schlägt im Telefonbuch nach und wählt die Nummer der Telekom. Ich kann den merkwürdigen Klingelton hören, dann ertönt erst einmal Musik. Zwischendurch eine Automatenstimme: „Bitte haben Sie noch etwas Geduld.“
Zwanzig Minuten später hat er einen Berater erreicht. Einen wirklichen Menschen. Ich kann das Gespräch mithören, da er das Telefon auf „Laut“ gestellt hat. Allerdings könnte er genauso gut serbokroatisch oder Hindi reden, dann würde ich nur unbedeutend weniger verstehen. Es geht um eine bestimmte Seite auf die er gehen soll, dann könne er eine Mail von T-Online abrufen. Aber genau das gehe doch gar nicht, weil wir ja nicht ins Internet kämen. Nein, ein Smartphone habe er auch nicht.
„Ich habe doch eins“, rufe ich dazwischen, aber er bedeutet mir mit einer Geste, ich solle den Mund halten. Dann legt er auf, versucht, mir die Sache zu erklären. Es gebe da ein E-Mail Passwort. Ob ich das hätte. Stolz wie Oskar sage ich, damit hole ich immer meine Mails ab.
Zehn Minuten später sitzen wir bei ihm zuhause am Computer, rufen die T-Online Seite auf, geben meine E-Mail Adresse ein, danach das Passwort; es erscheint eine Fehlermeldung. Erneuter Versuch. Ob ich mir das Passwort auch richtig gemerkt hätte, fragt G.
Mühsam unterdrücke ich meinen Stolz und sage, Zahlen seien eine meiner vielen Stärken. Schliesslich erneuter Anruf bei der Telekom. Ja, natürlich hätten sie auch das E-Mail Passwort geändert. Das sei so üblich. Nein, er könne ihm das Passwort nicht auf seinen Rechner schicken. Schliesslich sei er ja nicht der Besitzer des Anschlusses, um den es gehe. Es tue ihm furchtbar leid, aber ein Techniker könne auch nicht kommen. Sie könnten zwar einen schicken, aber der kenne das Passwort nicht. Das könnten sie dem Besitzer des Anschlusses nur persönlich…
Was G. danach gesagt hat, möchte ich lieber nicht wiederholen.

Samstag
Immer noch kein Internet und keine E-Mail. Dabei hat G. wirklich sein Bestes getan.
Habe mich zusammenreissen müssen, damit ich nicht bei der geringsten Kleinigkeit das HB-Männchen spiele.

Dienstag
Das Router Passwort ist per Post gekommen. G. hat mir den Anschluss neu eingerichtet. Ich habe das Gefühl, dass er wütend auf mich ist. „Du solltest dir endlich mal ein E-Mail Konto auf deinem i-phone einrichten lassen. Dann passieren solche Dinge auch nicht mehr.“
Ich hätte ihn am liebsten gefragt, ob ich schuld sei. Die Frage habe ich runtergeschluckt. Stattdessen habe ich ihm eine Flasche Armagnac geschenkt.
Ein wenig schien ihn das wieder zu versöhnen.

Oktober
Habe das Handbuch fürs i-phone von vorne bis hinten gelesen und dann versucht, ein E-Mail Konto einzurichten. Weiss nicht wie viele Versuche ich unternommen habe. War in drei T-Punkten, aber beim Kennwort kam immer dieselbe Fehlermeldung.

Drei Tage später
Ich habe G. mein i-phone geschenkt. Er hat sogar Danke gesagt.

Gestern
In der  Nacht, als ich nicht schlafen konnte, überfiel mich Wehmut. Mein altes schwarzes Telefon fiel mir ein, das mir über so viele Jahre gute Dienste geleistet hat. Morgens wusste ich, was ich tun musste. Also ging ich als erstes, noch vor der Dienstbesprechung ins Heimatmuseum. Natürlich hatte es noch nicht offen. Glücklicherweise wohnt Herr Hopp in der Wohnung über dem Museum. Er war sogar noch zuhause. Ich musste 50 Euro als Spende geben, sonst hätte ich es nicht wiederbekommen. Es täte ihm in der Seele weh, sagte Herr Hopp.
Zuhause steckte ich den Stecker in die Dose und hob den Hörer ab. Ein Summen ertönte. Dann legte ich den Hörer behutsam wieder auf die Gabel.
Man muss zu seinen Irrtümern stehen. ♦


Bernd Giehl

Geb. 1951 in Marienberg/D, Studium der Theologie in Marburg, verschiedene literarische und theologische Publikationen, lebt als evang. Pfarrer in Nauheim

Lesen Sie im Glarean Magazin auch die
Parabel von Bernd Giehl: Die Zeitungsente

…sowie die Satire von
Rainer Wedler: Ein Mann muss…

Dorit Böhme: Von den Freuden des Schreckens (Satire)

Von den Freuden des Schreckens

Dorit Böhme

Frage: Womit verschafft man einer Dorfgemeinschaft den grösstmöglichen Lustgewinn? Antwort: Mit einem Erlebnis, das die eigene Familie betrifft und der Vorstellungskraft der anderen einen Schubs gibt, um sie zu ungeahnten Höhenflügen aufsteigen zu lassen.
Dies rühmliche Werk der Nächstenliebe tat ich unlängst – ohne Rücksicht auf eigene Verluste. –
Meine Phantasie schwebte in der sechsten Dimension. Ich hämmerte in meine Schreibmaschine – Geniales und Blödes (ersteres verschwindet leider immer im Papierkorb). Da kam der Sohn von der nachmittäglichen Schule nach Hause und unterbrach meine Schaffenskraft mit dem Begehren, ich solle seine Aufgaben kontrollieren – eine Herausforderung an die Anpassungsfähigkeit des Geistes!
Nach einer weiteren Stunde begann ich unruhig zu werden: da fehlte doch etwas? Richtig: wo blieb die Unterbrechung durch meine Tochter? Ein Blick auf ihren Stundenplan bestätigte meinen mütterlichen Instinkt. Sie hätte schon vor sechzig Minuten – trödelt sie noch: vor dreissig Minuten – im fürsorglichen Elternhause eintreffen müssen. Nur: sie war nicht da, wie ein Kontrollgang durch alle Räume (einschliesslich Kohlenkeller) zeigte.
Angeregt durch vielseitige Medienwahrheiten versuchte ich das Problem einzukreisen: Mord, Kidnapping, Vergew… – oder spielte sie seelenruhig bei einer Schulkameradin?
Anrufe würden zu lange dauern und wurden von mir aus Kostengründen – 1500 Einwohner – auch abgelehnt. Ich wählte den schnellsten Weg, stürzte auf die Strasse und fragte das Nachbarskind, ob es meine Tochter nach der Schule noch irgendwo gesehen habe.
„Jessica ist von der Schule nicht heimgekommen!“, brüllte die Kleine den mit fragenden Blicken zufällig herumstehenden Frauen entgegen.
Wie eine Feuersbrunst breitete sich die Nachricht aus, schneller, als ich die Strasse hinunterlaufen konnte, um im Schulhaus bei der Lehrerin nachzufragen. Ergebnislos.
Während ich wie ein aufgescheuchtes Huhn hinter jedem Strauch und neben jedem Haus nach verscharrten Beinen forschte, sahen mich die spalierstehenden Mitmenschen kämpferisch und mitleidig an. Offensichtlich durchzuckten die gleichen Gedanken ihre Köpfe.
In mir bäumte sich mein Mutterlöwenherz auf und suchte bereits die passende Rache für den Übeltäter. Kopf ab, vierteilen, in kochendem Wasser brühen, zu Hackfleisch machen – und dies nicht nur sinnbildlich gemeint.
Was konnte ich noch tun? Jeder Lehrer, Hauswart, Jogger und Handelsreisende war inzwischen über die schrecklichste aller Wahrheiten informiert. Polizei alarmieren – oder erst mein angetrautes Prachtstück? Aber das war diese Woche irgendwo auf einer Geschäftstour und – beinahe selbstverständlich – nicht zu erreichen…
Nachdem mein Gehirn alle Eventualitäten und Möglichkeiten erschöpfend abgehandelt hatte, klärte sich meine Verwirrung zu der Erleuchtung, dass heute Dienstag war – und Jessica jeden Dienstag, direkt nach der Schule, zu ihrer Ballet-Doppelstunde ging. –
Völlig ermattet, aber zufrieden so wehrhaft für das Wohl meines Kindes eingetreten zu sein, liess ich mich auf den Schreibtischstuhl nieder und beantwortete alle tausend Anrufe der besorgten Dorfbewohner. Ihnen hatte ich ein markerschütterndes Erlebnis geliefert, welches den Grundstock für manches zukünftige Gespräch bilden konnte.
Ich hätte ihnen keinen grösseren Dienst erweisen können! ♦


Dorit Böhme - Satire-Autorin Glarean MagazinDorit Böhme

Geb 1954 in Berlin-Köpenick; Ausbildung zur Zahnarztgehilfin; Prosa – und Reportagen-Veröffentlichungen in Zeitschriften; Lebt als Massage- und Hypnose-Therapeutin in Widnau/CH

Lesen Sie im Glarean Magazin auch die Satire von
Heinz Wegmann: Der Vereinsausflug

Andreas Wieland: Vom Koffer in den Mund (Kurzprosa)

Vom Koffer in den Mund

Andreas Wieland

Aus Behagen fläzte ich eine Zeitlang auf dem Stubenteppich und rannte darauf freudenschreiend aus der elterlichen Wohnung. Die Treppe hoch und runter, vorbei an dem betagten Herrn Eisenhut und seiner schrumpeligen Frau Lilchen, an der schielenden Miss Siusan Cunningham, an der immerzu kichernden Tamilin AaduMayil und weiteren, mir unbekannten, doch äusserst adretten und uniformen Persönlichkeiten. Allesamt standen sie mit aufgerissenen und, wenn ich es richtig gesehen habe, auch angefeuchteten Augen zwischen Tür und Angel. Sie wussten – jetzt hat er’s geschafft. Jetzt hat er den Koffer zugeklappt. Die Schlösser eingeschnappt. Sich entfesselt von allen Hemmnissen und die Packung mit den Betablockern zerknüllt und ins Klo geworfen. Als verschroben mochten mich meine Mitbewohner empfunden und meinen Aufbruch als impertinent bezeichnet haben, doch erachtete ich meine Entscheidung als die gelungene Tat eines Genies. Ausgeklügelt und doch in der Spontanität des Rastlosen. Ich war eine der Natur abgewonnene Bereicherung für die Gesellschaft. Ich war jener Held, welcher für das Gemeinwohl die Courage aufbrachte und eine Bresche in den Alltag zu schlagen wagte. Wie ein Popstar zog ich von Ort zu Ort, lebte aus dem Koffer, von der Hand in den Mund. Man liebte mich. Man weinte um mich. Man jubelte mir zu. Natürlich ermunterte mich dies in meinem Schneid und tatsächlich stand ich in schönster Blüte. Sublimiert mein ganzes Wesen und ausgebrochen aus der Pedanterie quälender Sesshaftigkeit. Und mit dem Ehrenwort des Genies versichere ich Ihnen meine Geistesgrösse und den Verdienst meiner Begabung. Wider meiner eigentlichen Verschwiegenheit, ist es mir eine Ehre, hiervon berichten zu dürfen.
Fragen Sie sich bitte nicht nach dem Indikator meines aussergewönlichen Triebes nach Höherem streben zu wollen. Betrachten Sie meine Reisen als Ventil hedonistischer Bemühungen, als das Liebesabenteuer des Kyrenaikers. Nun gut, für mich standen Tür und Tor offen, eigentlich wünschte ich dies auch meinen Mitmenschen oder zumindest meinen Mitbewohnern. Den Eisenhuts, Miss Siusan und AaduMayil. Aber auch den Neuzugezogenen mit ihren Kindern, Verwandten und Bekannten. Jauchzend rannte ich in Socken und Boxershorts über die polierten Fliesen in die Wohnung zurück und fragte mich, ob jemand mir zu liebe das Treppenhaus so fürstlich geschmückt hatte. Mit Blumengestecken und sonstigem Firlefanz, Bildern und Duftkerzen. In knappen Worten, wie es sich für einen Mann der Tat gehörte, informierte ich meine Eltern über mein Vorhaben. Den Katzen warf ich das für den Sonntag bestimmte Roastbeef in den Napf und den Zierfischen überliess ich den vorgebackenen Yorkshire-Pudding plus Katzenfutter. Auch bedankte ich mich in den Abschiedszeilen für ihre Warmherzigkeit und das unerschütterliche Wohlwollen, anstandsgemäss vergass ich nicht Vaters Videokamera zu erwähnen, welche für meine reisejournalistische Arbeit, welcher ich mich gezwungenermassen stellen musste, von äusserster Tragweite war. Und nur weil ich kein Kleingeld mehr hatte war ich genötigt, aus Mutters Einkaufsportemonnaie ein paar Groschen für die Strassenbahn zu klauben. Natürlich hätte ich auch das Taxi nehmen können, doch sagte ich mir, dass ich von Anfang an zum Geld Sorge tragen will. Alleine schon ob dieser Einstellung liebten mich meine Eltern und schenkten mir volles Vertrauen. Ohnehin stand für uns Vertrauen an oberster Stelle. Liebend gern hätte ich die Rückkehr meiner Eltern abgewartet und mein Abschiedsgeschenk entgegengenommen. Doch wollte ich noch Tante Hedwig über meine Abreise in Kenntnis setzen, damit sie mir etwas mit auf den Weg geben konnte. Ein Wunsch, welchen ich ihr jeweils nicht abschlagen durfte. Zumindest nicht damals, wo ich mich in einer hoch lebhaften Phase befand und für jegliche Form des Ansporns dankbar war. Eine sich alleweil lohnende Investition, auf solche Leute zu setzen. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Eine von mir klipp und klar definierte Zielsetzung. In relativ kurzer Zeit liess sich der Besuch bei ihr abhandeln. Ich bestellte dann doch noch ein Taxi und liess mich zum Bahnhof chauffieren. Mutters Spaziergeld spendete ich der Fahrerin. Schliesslich trug sie mir meinen Koffer noch bis zum Perron. Versehentlich setzte ich mich ins Erstklasse-Abteil, was allerdings keine Rolle spielte. Den Aufschlag bezahlte ich gerne und um ein Haar wollte ich dem Schaffner noch ein Trinkgeld geben. Eigentlich stellte ich mir die Fahrt um einiges entspannter vor. Doch diesmal, zugegeben, lag es an mir. Ich hätte mich eindeutig besser informieren sollen. Über mich selbst verwundert setzte ich mich in den Speisewagen und klappte den Laptop auf, um neue Möglichkeiten abzuchecken. Zürich – Köln – Bruxelles – Antwerpen dauerte mir auf einmal entschieden zu lange. Über Paris war eine schlechte Alternative. Diese hatte ich ja zuvor schon abgecheckt. Ich schlürfte meinen Capuccino und lächelte strahlend der hübschen Bedienung entgegen. Ich hatte ja auch allen Grund dazu. So fand ich doch tatsächlich einen Lastminute Flug von Köln nach Venedig. Businessclass! Morgen um 07:30 Uhr. Um einem weiten Weg zum Flughafen vorzubeugen, mietete ich mir gleich ein Zimmer in einem der noblen Hotels in der Agglomeration. Antwerpen Ade, schrieb ich in die Agenda und: Sitze vergnügt im Überschallzug nach Köln. Bereite VJ-Aktion vor. weissabgleich, Ton usw. eingestellt. Interview mit Service-, Küchen- und Hilfspersonal. Anschliessend Travelling-Aufnahmen Speisewagen.
Aus Rücksicht erstsatte ich Ihnen keinen ausführlichen Bericht über meinen Hotelaufenthalt in Köln. Nicht über die anfänglichen Schwierigkeiten am Empfang und auch nicht über das Missverständnis in der Pianobar. Schlussendlich hatte sich ja alles zum Guten gewendet und selbst der Pianist nur noch für mich gespielt. Zumindest kam es mir so vor. Am nächsten Morgen verpasste ich auch den zweiten Shuttlebus des Hotels und liess mir deswegen ein Taxi rufen. Auf mein Verlangen hin holte ein Portier meinen Koffer vom Zimmer zur Rezeption, als ich auscheckte. Formgewandt winkte ich ihn damit gleich zum Taxi mit dem viel zu nervösen Chauffeur weiter. Natürlich gab ich ihm dafür eine Belohnung und auch dem Taxifahrer – gleich im Voraus. Höflich hielt ich noch kurz nach dem Hoteldirektor Ausschau, doch war dieser nirgendwo aufzufinden. Ihn herbeirufen lassen wollte ich nicht. Ich dachte nur, dass er sich vielleicht gerne von mir verabschiedet hätte. Auf dem Flughafenterminal angekommen, wurde mein Name bereits mehrere Male aufgerufen und ich fühlte mich seit langem wieder einmal ernst genommen und genoss mein Dasein als Videojournalist und Darsteller jenes Popstars, der mir in vielen Dingen ähnlich war. Rein physiognomisch, in Gestik und Mimik, aber auch in seiner vornehmen Gangart. Einziger Unterschied: ich war nicht in Begleitung von Bodyguards, sondern von einer Flugbegleiterin, welche mir wahrlich versuchte Feuer unterm Hintern zu machen. Natürlich spielte ich ihr zuliebe mit und rannte an ihrer Seite zum Flugzeug wie ein gehetzter Starmanager; in meiner Situation wie ein Popstar ohne Privatjet. An Bord angekommen stellte ich mich persönlich mit meinem Nachnamen, dann nachdrücklich mit Vor- und Nachnamen beim Personal vor und bedankte mich gleichzeitig für ihr Entgegenkommen. Dem Piloten liess ich meine Ankunft ausrichten. „Startklar!“, rief ich den Flugpassagieren aufmunternd zu, die wie im Theater gespannt ihre Blicke auf den Protagonisten (ich) richteten, obwohl neben mir eine nette junge Dame bereits das Erstehilfe-Set gebärdenstark vordemonstrierte. Ich machte meine dritte Travelling-Aufnahme (die zweite war in der Hotellobby), dann wurde ich untergehakt zu meinem Platz gebracht und sogar angeschnallt. Businessclass! Venezia, ich komme!, schwelgte es in meiner Brust und glücklich verköstigte ich mich an dem von mir gewünschten Weight-Watcher-Frühstück. Ich verlangte Tageszeitungen in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch, klappte den Laptop auf und liess mir koffeinarmen Kaffee nachschenken. Immer wieder erntete ich bewundernde Blicke von anderen Passagieren. Wahrscheinlich waren sie hin und her gerissen ob meiner Person. Wussten nicht wo sich mich einzustufen hatten. Sei es im Showbiz oder im Management. Ich verriet es in keinster Weise. Den Flugbegleiterinnen hingegen, zwinkerte ich schon mal zu oder hob die eine Augenbraue.
Venedig war einfach wundervoll. Zauberhaft! La Serenissima. Molto bello. Bellissima. Ich vermisse weder Zürich, noch Antwerpen. Paris und Köln können mir gestohlen bleiben, notierte ich in meine Agenda. Bleibe vielleicht etwas länger. Filmfestspiele. Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia. Plane Videoaufnahmen. Dann klappte ich die Agenda zu wie damals den Koffer, verliess das Zimmer, das Hotel, den Garten und trat auf den sonnenbeschienenen Platz hinaus. Ich trug eine dunkle Sonnenbrille, meine gelierten Haare waren streng nach hinten gekämmt, das Hemd trug ich trotz unbehaarter und jünglingshafter Brust bis zu den untersten Knöpfen offen. Hose und Schuhe waren äusserst elegant und mit Leichtigkeit, ich spürte es genau, faszinierte ich etliche Leute. Natürlich profitierte ich von den Festspielen und einiges vereinfachte sich für mich dadurch. So waren viele meiner Geschichten den Leuten beinahe ihre Existenz wert und ich wurde zu den verrücktesten Sachen eingeladen, was mir wiederum eine Verlängerung meines Aufenthaltes ermöglichte. Meine Eltern und auch Tante Hedwig fingen sich bereits an zu sorgen, worauf ich sie herzlichst vertröstete und meine Situation bis ins Detail schilderte. Natürlich erwähnte ich auch Hoteladresse und Bankverbindung. Täglich sandte ich ihnen wunderbare Bilder von Palästen, goldenen Gondeln, aufflatternden Taubenschwärmen, märchenhaften Brücken, vom feudalen Theater und der Bibliothek. Von Schulen, Zunfthäusern und Piazzas, vom Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Doch fühlte ich mich nach zwei Monaten der Rast erneut von seltsamer Unruhe heimgesucht und weder Kunst noch Weiblichkeit konnte mich festhalten. Ich bat um das Lösen meiner Fussfessel. Ich fühlte mich elend. Und was ich lange Zeit als unumstössliches Privileg betrachtete, war mir auf einmal nicht mehr genug. Ich zückte Agenda und Bleistift und schrieb: Das Liebesabenteuer des Kyrenaikers hat sich ausgelebt. Denn was bedeutete mir jetzt noch Zürich, die Stadt meiner Jugendjahre? Was die Reisen nach Indien und Russland, China und Amerika? Auch Hamburg, Wien und Rom hatte ich gesehen. Die Akropolis und die Golanhöhen. Afrika. Die Spitzbergen. Jetzt, so wusste ich genau, musste ich einen neuen Weg einschlagen. Einer, der sich nicht kartographieren liess. Einer, der durch unsichtbare Gefilde führte und sich jeglicher Beschreibung und Sprache entzog. Ein Durchwandern eines unendlichen Gebietes sollte es werden. Von einer Lauterkeit in die nächste. Ein hinter undurchdringbarer Umzäunung geglaubtes Land wollte ich entdecken und mit meinem Ehrenwort versichere ich Ihnen, ich hatte es gefunden. Mit wahren Gefühlen und unter buschigen Brauen hervor betrachtete ich diese neue Welt wider üblicher Gewohnheit. In aller Bescheidenheit. Sogleich bemerkte ich diese fantastische und erdenferne Ungebundenheit und ob ich demnach in Venedig auf einem kaiserlichen Balkon weilte oder in New York in einem der miefenden Yellow cabs sass, meine neu entdeckte Welt traf ich überall an. Ich fühlte mich herrlich dabei. Alles je Erträumte breitete sich vor mir aus wie ein funkelndes Geschenkpapier. Kein Zeitdruck, keine Hetze an Bahnhöfen und Flughäfen, Businessclass gab es keine. Weight watcher war verpönt. Tante Hedwig besuchte ich jeweils aus reinen Motiven heraus, auch verfütterte ich in meiner Beherztheit kein Roastbeef an Katzen und der Yorkshire-Pudding blieb Beilage. Herr Eisenhut zeigte sich mir alles andere als betagt und Lilchens Haut sah aus wie nach einem Intensiv-Gesicht-Körper-Wunder-Peeling. Siusan blickte aus zwei wunderschönen blauen Augen und AaduMayil, na ja, sie behielt ihr eigensinniges Lust-, beziehungsweise Humorempfinden. Das irdische Reisen, Sie werden staunen, behielt ich aber trotzdem bei. So zog ich von der elterlichen Wohnung aus und mietete mir ein Zimmer. Gleich zwischen Miss Siusan und AaduMayil, was sich als äusserst vernünftig herausstellte. Denn, wie Sie ja wissen, lebte ich vom Koffer in den Mund, war also häufig unterwegs, und so war es für meine Anwohner äusserst kommod und ohne grossen Aufwand verbunden, während dieser Zeit meine Räumlichkeit zu lüften, das Mobiliar abzustauben und die Pflanzen zu giessen. Im Gegenzug durften sie sich soviel Kaffee oder Tee kochen wie sie wollten, turmhohe Lagen an Schokolade und Keksen lagen jeweils auch bereit. Sie konnten sich also in keiner Weise beklagen. Auch schrieb ich ihnen regelmässig Ansichtskarten. Ich fühlte mich von ihnen verstanden. ♦


Andreas Wieland

Geb. 1969 in Chur/CH, Studium an der Höheren Fachschule für Hotel- und Tourismusmanagement, anschliessend als diplomierter Hotelier in den Kantonen Graubünden, Zürich und Luzern tätig, Kurzprosa- und Roman-Publikationen, lebt als freischaffender Schriftsteller in Walenstadt/CH

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Kurzprosa auch von
Karlheinz Barwasser: Bildgebende Methode

ausserdem im GLAREAN zum Thema Schweizer Autoren über
Walter Ehrismann: An der Bar (Anthologie)

Angela Mund: Hektor (Philosophische Satire)

Schlaf gut, mein Freund Hektor

Angela Mund

„Verabschieden sie sich endlich von ihrem Idealismus. Denken sie wissenschaftlich!“ Er sah mich über seine dickgerahmten Brillengläser hinweg an. Ich glaubte zumindest, dass er mich ansah. Die Gardinen waren zugezogen, in Kombination mit den schwarzen Möbeln glich sein Büro eher dem Vorraum eines Bestattungsinstitutes, und eine matte Dunkelheit hatte sich auf unsere Gesichter gelegt. Ich hatte ein Stück Fingernagel zwischen den Zähnen und schob es mit der Zunge hin und her. „Vielleicht sollten sie mit dem Studium doch lieber aufhören.“ Erst jetzt fiel mir ein Bild auf, welches schräg hinter ihm an der Wand hing: Achilles steht auf dem Siegerwagen, die Zügel zweimal um die Hände geschlungen, das Kinn voller Stolz gegen Troja gerichtet, Hektor unkenntlich im Staub hinter sich herziehend. Ich suchte in der Dunkelheit seine Augen und erwiderte zögerlich: „Das hatte ich heute eigentlich vor.“ Der Fingernagel schwamm nun etwas verloren auf meiner Zunge und machte mich nervös.
Das Mädchen neben ihm lächelte lakonisch vor sich hin und wackelte bei jedem seiner Sätze bedrohlich weit mit dem Kopf, als wolle ihr Hals jeden Moment umknicken wie eine überdehnte Lanze. Hektor war ein Held, er war der einzige Krieger gewesen, dem es nicht um das Mädchen gegangen war. Er hatte lediglich seine Heimat schützen wollen, seinem Vater Ehre erweisen, den feigen Bruder Paris vor der Schande der Niederlage bewahren und seiner Frau das Schicksal ersparen wollen, Sklavin der Achäer zu werden. Er war ein Held, weil er nach seinen Prinzipien gehandelt hatte, und trotz dieser unumstösslichen Wahrheit hatte man seinen toten Körper über das Schlachtfeld gezogen, anstatt ihn mit Öl zu salben, damit die Haut wie Bronze glänzen konnte.
„Wissen sie eigentlich, was sie da gerade gesagt haben?“, dröhnte seine Stimme blechern, als würde ein Pferd in eine Metalluren röhren. Unauffällig nahm ich den Fingernagel aus meinem Mund und klemmte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich habe ihnen zu erklären versucht, worin das Problem des Seins besteht.“ Das Mädchen kicherte, er zog die Luft scharf ein, Hektor drehte mir den Rücken zu, und der Fingernagel lag nun etwas einsam vor mir auf der grauen PVC-Auslage.
„Das Problem des Seins besteht darin, dass es ein Problem der Wissenschaft geworden ist.“ Man stelle sich einmal das Sein in der Mitte vor – ich hatte für diese Erklärung extra eine Skizze angefertigt -, neben dem Sein befanden sich die wissenschaftlichen Fachbereiche fächerartig aufgereiht. Jeder Wissenschaft ordnete ich die jeweiligen Problemfelder zu, beispielsweise der Psychologie. Ihr Problem ist, dass sie die Persönlichkeit aufteilt in 50% Gene, 40% Umwelt und einen Fehleranteil von 10%, den man als freien Willen bezeichnen musste, weil man sonst nichts weiter damit anzufangen wusste. Auf der anderen Seite befand sich die Theologie, die ich deshalb als Wissenschaft angeführt hatte, weil sie ein umfassendes Erklärungssystem bereitstellt, indem die Instanz Gott das Sein legitimiert. Gott offenbart sich jedoch als eine Instanz, von der man bis heute nur sagen kann, was sie nicht ist; auch die Theologie versucht ihre Definitionslücken durch negative Kategorien zu retuschieren. Hinzu kommt die Mathematik, die zwar exakte Formeln aufstellen kann, welche aber nur unter Ausschluss unbekannter Variablen funktionieren. Zum Schluss hatte ich noch die Philosophie angeführt, die daran scheitert, dass sie nicht erklären kann, worauf die Wahrnehmung des Seins beruht und Descartes daher einen Homunkulus annahm, der im Kopf des Menschen sitzt und für diesen wahrnimmt. Diese war von allen Erklärungsfantasien noch die netteste.
Hektor fummelte nervös an seinen Fussfesseln. Die Dunkelheit breitete sich bis in die hintersten Winkel des Raumes aus, und ich musste meine Augen fest zusammenkneifen, um das Bild an der Wand noch erkennen zu können. Ich holte tief Luft und zerbrach die Stille: „Egal, ob 10 Prozent Fehleranteil, Gott, reduzierte Formeln oder Homunkulus – das alles sind nur Hilfskonstruktionen der Wissenschaften, die überspielen sollen, dass sie etwas Entscheidendes nicht erklären können: Das Sein.“ Er zog eine Augenbraue nach oben. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte Achilles vom Wagen gestossen, um sein Siegerkinn in den Boden zu pressen. Stattdessen kratzte ich mit dem linken Fuss den Fingernagel unter meinen Stuhl und flüsterte: „Wenn man das Problem nicht kennt, findet man auch keine Lösung.“ Die andere Augenbraue schob sich ebenfalls nach oben, das Mädchen mit dem Lanzenhals rutschte ängstlich auf ihrem Stuhl hin und her, das Zimmer kannte keinen Lichtstrahl mehr und ich stand breitbeinig über dem gefallenen Achilles, der mir mit dreckverschmiertem Gesicht erstaunt entgegenblickte. Da trat Hektor hinter mich und legte seine Hand ruhig auf meine Schulter. „Wozu das alles?“ Und weil ich ihm die Frage nicht beantworten konnte, murmelte ich mehr zu mir selbst: „Das macht die alte Wissenschaft überflüssig.“, während ich das Schwert in Achilles Ferse stiess. Hektor senkte langsam den Kopf. Entgegen meiner Erwartungen beugte sich der Dozent eher gemächlich nach vorn, soweit bis die Tischkante hart gegen seine Eingeweide hätte drücken müssen, und fragte in einem Tempo, als würde seine Zunge eine Apfelsine bearbeiten, indem er jedes Wort im reinsten Hochdeutsch noch einmal zerschälte: „Und welche Lösung schlagen sie vor?“ Schemenhaft konnte ich erkennen, wie er mit seinem Stift einen einfachen Strich quer über das Blatt Papier zog, welches vor ihm lag, und den Stift in genüsslicher Ruhe wieder auf den Tisch parallel zu seiner Hand legte.
Ich hatte 14 Semester Philosophie studiert und mich dementsprechend lange auf diese Frage vorbereiten können. Meine Erklärung war einfach, sie musste es sein, damit sie auch von jedem verstanden wird. Ich war mir sicher, dass selbst das Mädchen mit dem Lanzenhals meinen Erklärungen folgen könnte. Es ist nämlich so, dass sich das Sein im Allgemeinen nur auf das Menschsein beziehen kann. Und was ist der Mensch? Er ist ein Tier. „Um das Problem des Menschseins zu lösen, muss man sein Tiersein definieren. Weil aber der Mensch im Zuge der Zivilisierung, Industrialisierung und Urbanisierung sein Tiersein verleugnet hat, kann er auch kein vollkommener Mensch sein.“
Mein Dozent sah mich für einen Augenblick lang entsetzt an, kehrte aber recht schnell wieder zu seinen alten Gesichtszügen zurück, indem er einen Mundwinkel nach oben und den anderen nach unten schob und die Augenbrauen elegant über der Nasenwurzel justierte. Während er also seine Mimik sortierte, reichte er mir mittels rechtem Arm, der durch den hochgezogenen Hemdsärmel nackt war und sich wie ein sterbender Wurm vor mir aufbäumte, das Blatt Papier mit dem nicht ganz akkurat gezogenem Strich darauf. Das Mädchen zwirbelte unablässig eine Strähne ihres dünnen und farblosen Haars und starrte unbeteiligt wie ein Passant am Unfallort auf die anderen Fingernägel, die neben meinem Stuhl verstreut wie Blumensamen herumlagen. „Und ich hatte schon befürchtet, sie sagen etwas zum Thema. Sie können gehen. Sie haben zwar keine Note, aber dafür ihren Abschluss.“ Er neigte sich zu seiner Assistentin, die ihren Kopf kaum noch in der Senkrechten halten konnte und raunte ihr zu, als würde ich seine leise Stimme in der Stille nicht hören können: „Hat sie was zu Aufgabe zwei gesagt?“ Die Assistentin wisperte: „Nein, nichts, glaube ich.“
Als ich die schwere Tür des Instituts aufstiess, strahlte mir eine kühle Wintersonne unverhohlen ins Gesicht, und ich hielt mir die Hand vor die Augen. Hektor würgte das Blatt Papier in seinen Händen, unschlüssig, ob er es auf den Boden oder doch lieber in die Mülltonne schmeissen sollte. Ohne sich entschieden zu haben, zupfte er mir sogleich am Ärmel und blickte mich aus seinen braunen Augen zweifelnd an, indem er seine Stirn in Falten legte. Ich blinzelte durch meine gespreizten Finger hindurch zu ihm und fragte mich, ob er solch ein Gesicht auch auf dem Schlachtfeld gezeigt hatte und er deshalb seinen Feinden unterlegen gewesen war. Er war unruhig, er zog und schob mich wieder in Richtung Tür, während seine Arme nun hektisch um seinen Körper flatterten. Ich lächelte ihn nachsichtig an: „Nein, den Achilles beerdigen wir nicht, auch wenn es bei euch so Brauch ist. Bei uns lässt man die Toten liegen. Das erledigt nämlich ein Fachmann.“ Immer heftiger bedrängte er mich und blickte dabei so verzweifelt, wie nur Kinder blicken können. Ich wand mich aus seinem Griff und drehte ihm, da ich mir nicht anders zu helfen wusste, den Arm auf den Rücken, so dass sein Körper abrupt in sich zusammen sackte.
Mein Lösungsvorschlag war nicht sehr umfangreich, aber es war ein Anfang und nur darum ging es ja. Einer musste den Anfang machen, einer musste für die, die ihm folgen werden, den Weg ebnen, sozusagen mit seiner Fantasie eine Schneise für die kommenden Generationen schlagen. Ich war bereit. Nur musste ich zunächst einmal Hektor davon überzeugen, sich von mir nicht nur die Strasse entlang ziehen zu lassen, sondern auf eigenen Beinen zu stehen und mit denen möglichst schnell neben mir her zu laufen. Von einem griechischen Helden hatte ich mehr Wagemut erwartet. Wir durften keine Zeit verlieren, schliesslich lag schon der erste braune Schneeschlamm zwischen Fahrbahn und Bürgersteig, der Himmel war ergraut wie das melierte Haar alternder Männer und die Menschen zogen sich die Kapuzen über die frierenden Köpfe. Es würde nicht mehr lange dauern und das Dröhnen der Streumaschinen würde sich über der Stadt ausbreiten und alles unter sich begraben. Der Winter in grossen Städten war die Zeit der Selbsterkenntnis und Antidepressiva. Ich hatte dazu eine Statistik gelesen.
Trotz des Widerstandes von Hektor gelangten wir zügig in meine von blattlosen Rotbuchen gesäumte Strasse. Um sich dem Tiersein zu nähern, müsste man das tun, was ein Tier tut, in unserem Falle ein Säugetier. Mit einer Hand hielt ich Hektor fest, der sich immer weniger zur Wehr setzte, mit der anderen schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf. Es war nicht nur einfach dunkel im Zimmer, sondern nahezu so schwarz wie die hinterste Windung eines Fuchsbaus. Hektor versuchte vergeblich, den Lichtschalter im Flur zu betätigen, ein sinnloses Unterfangen, schliesslich hatte ich schon vor Wochen die Glühbirnen rausgeschraubt, zusätzlich dicke Teppichvorleger über die Fenster gespannt und mit Gaffaband abgedichtet. Um wenigstens die Sauerstoffzufuhr in der Wohnung zu sichern, blieb nur das kleine Fenster im Bad geöffnet, was nicht weiter störte, da es sowieso zum Hinterhof zeigte und dieser von den Schatten umliegender Häuser abgedunkelt wurde. Kurz und gut, es herrschte kaum eine Andeutung von Licht, und so tasteten wir uns blind wie Welpen an der Wand entlang zu meinem Schlafzimmer. Hektor stolperte mir willenlos hinterher und schien jegliche Kraft verloren zu haben. Seine Hand lag schlaff in meiner und hätte ich ihn nicht an den Schultern festgehalten, er wäre wohl zu Boden gegangen. Was war von seiner Stärke noch übriggeblieben? Ich lehnte ihn behutsam gegen den Türrahmen und betastete seine Stirn, die viel schmaler wirkte, als ich sie von heute Nachmittag in Erinnerungen hatte. Seine Haut war kalt und fühlte sich fremd an. „Wenn uns der Verstand nicht zu besseren Menschen macht, herrscht das Gesetz des Instinktes.“ Am liebsten hätte ich ihn fest in meine Arme geschlossen und ihm durch sein gelocktes Griechenhaar „Vertrau mir“ zugeflüstert, aber ich konnte diese Leere, die mit einem Mal zwischen uns aufgekommen war, nicht überwinden.
So standen wir uns lange schweigend gegenüber, fanden in der Dunkelheit nicht den Blick des anderen, und ich konnte nichts weiter tun als seinem Atmen zu lauschen, welches immer schwerer wurde, als hätte Achilles seinen Fuss auf Hektors Brustkorb gesetzt und würde nun nach und nach sein Gewicht nach vorn verlagern. Ich wartete auf ein Zeichen des Einverständnisses von ihm, er war mein Freund, ich konnte ihn nicht einfach dazu zwingen, mit mir den Anfang zu machen, die Schneise zu schlagen.
Ein Geräusch riss mich aus den Gedanken heraus, besser gesagt, es war das Fehlen eines Geräusches, welches mich irritierte; ich begriff zunächst nicht, was genau an diesem Moment seltsam war. Hektor hatte kurzzeitig aufgehört zu atmen, ich wusste, dass er dies mit Absicht getan hatte, und so schlug ich ihm mit der flachen Hand gegen die Rippen, erst erschrocken und dann aus Wut. „Also los“ rief ich ihm zu und schob ihn bestimmt in mein Zimmer, in dem etliche Kissen und Decken wild verstreut herumlagen und uns mit den ersten Schritten einsinken liessen. Die Möbel hatte ich schon im März an die Studenten, die ein Stockwerk unter mir eingezogen waren, verschenkt. Danach wurde mir ein Platz auf ihrem kaputten Sofa angeboten und eine Flasche Bier in die Hand gedrückt. Der Abend begann recht angenehm und es wurden nach und nach weitere Weinflaschen entkorkt.
Ich war gerade dabei, ihnen meine Theorie des Menschseins zu erläutern, immer bestrebt darin, weitere Wegegefährten für die Sache zu gewinnen, als mir ein ziemlich betrunkener Lehramtsstudent ins Wort fiel, in dem er lachend verkündete: „Das ist doch nicht neu. Tarzan hat es vorgemacht!“ Nach dem das darauf folgende Handgemenge von den umstehenden Zuhörern aufgelöst wurde, glättete ich bedächtig mein Shirt und überliess diese Menschheit sich selbst. Die Möbel sollten sie trotzdem behalten. Ich hatte schliesslich keine Verwendung mehr dafür. Zwischen den Kissen stapelten sich Thunfischdosen, dutzende Packungen verschiedener Trockenkekssorten und Wasserflaschen.
Eine funktionierende Rückbesinnung auf das Tier in uns muss gut vorbereitet sein. Ich drückte Hektor sanft in die Kissen und warf einige Decken über uns. Dann hielt ich ihm meine geöffnete Handfläche entgegen, in der sich zwei kleine, weisse Tabletten versteckten und darauf warteten, verdaut zu werden: „Du eine, ich eine“. Hektor berührte vorsichtig meine zerfurchten Fingerkuppen, und für einen kurzen Augenblick fühlte es sich wie ein Streicheln an. Ich tastete wieder nach seiner Stirn und stellte traurig fest, dass er seine Augenbrauen misstrauisch zusammengezogen hatte. „Wenn du aufwachst, nimmst du gleich zwei. Ich hab das genau berechnet.“ Nun zwang ich ihm die erste Tablette in den Mund, schluckte auch meine hinunter und legte die kleine Metalldose hinter mich. Ich wollte, dass er mir vertraut und sprach ihm aufmunternd zu: „Du kannst auch was von dem Thunfisch essen, wenn du Hunger hast.“ Hektor war ein Held, weil er nach seinen Prinzipien handelte, und doch lag er nun teilnahmslos neben mir, als würde sein Körper wieder der Leichnam sein, den man bis zum Sonnenaufgang über das Schlachtfeld gezogen hatte. Ich empfand plötzlich einen Schmerz irgendwo zwischen Bauch und Hals, ohne mir recht erklären zu können, warum dieser Schmerz da, war und der Umstand, dass ich es mir eben nicht erklären konnte, stürzte mich in eine seltsame Verzweiflung. Er hatte damit begonnen, seinen Kopf von einer Seite auf die andere zu werfen, gleichzeitig hob und senkte er seine Schultern, alles verkrampfte sich in ihm und aus seinem Mund kam ein tiefes Grollen, was mir Angst einflösste. Es war ein Beben und Erzittern, so stark, dass es sich auf mich übertrug, und weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, drückte ich ihm mit zwei Fingern die Augenlider zu, umschlang ihn fest mit Armen und Beinen und flüsterte ihm ins Ohr: „Träum`, Hektor, schlafe und träume etwas Gutes. Wir sehen uns in zwei Monaten wieder, wenn der Winterschlaf zu Ende ist.“ ♦


Angela Mund - Autorin - Glarean MagazinAngela Mund

Geb. 1986 in Illmenau/D, Studentin der Psychologie, Kulturwissenschaften und Medienpädagogik, Arbeit im Theaterbetrieb als Regisseurin und Autorin, lebt in Leipzig

Lesen Sie im Glarean Magazin auch von Angela Mund: Hundegespräche (Fabel)

ausserdem im GLAREAN zum Thema Satire von Ernst-Edmund Keil: Milch und Blut

Rainer Wedler: Die Weihnachtsaktion (Satire)

Die Weihnachtsaktion

Rainer Wedler

Sehr verehrte, liebe Marktleiterinnen und Marktleiter!
Ganz herzlich darf ich Sie begrüssen zu unserer alljährlichen Weihnachtsaktion. Wie Sie sehen, möchte ich Sie mit der zwar bekannten, aber doch jedes Jahr wieder neuen Spezialkleidung einstimmen auf die kommenden Wochen und Monate, die der eigentlichen Aktion vorausgehen, die den Älteren unter Ihnen noch als Weihnachtsfest bekannt sein dürfte. Zwar ist mein rotes Aktionskleid etwas zu warm für diesen wunderbaren Spätsommer, ha, ha, aber neue Entwicklungen auf dem Stoffsektor haben es leichter und weniger warm gemacht.
Aber was rede ich von mir, meine lieben und verehrten Marktleiterinnen und Marktleiter. Reden wird von der Aktion der Aktionen, reden wir von der Weihnachtsaktion. Sie sehen hier zu meiner Linken unser bekanntestes Produkt, unseren Schnelldreher, unser GOLDNUSS-PÄRCHEN. Nun dreht euch mal. Sind sie nicht zum Anbeissen? Braun wie VON HAUSEN-Schokolade, diese braunen Brüstchen, wie sie hüpfen, und erst der Hintern, die kleinen Arschbäckchen, alles goldbraun-nussig. Eine aufmerksamkeitsstarke und ungewöhnliche Weihnachtspromotion. Und nun, meine sehr verehrten Marktleiterinnen und Marktleiter, zu meiner Rechten ein weiterer Blickfang. Der echte Weihnachtsmann in seiner typischen Kleidung: rotes Gewand mit Kapuze, wahlweise auch mit Mitra, weisser Bart und kleiner Jutesack. Als nette Geschenke für die kleinen Kunden verteilt er aus dem Säckchen FLUPPIES, das sind wuschelige und flauschweiche Kerlchen mit Fühlern und beweglichen Knopfaugen. Und der Gag: Die lustigen kleinen FLUPPIES haben selbstklebende Füsschen. Und natürlich verteilt der gute Weihnachtsmann GOLDNUSS-PÄRCHEN an die lieben Grossen.
Nun, jetzt kennen Sie die Akteure. Wir kommen sodann zur Durchführung der Aktion:
1) Einsatztermin und Aktionspunkt müssen mit dem Markt vereinbart werden. Der Markt verfügt über angemessene Bestand an Produkten der SIANOVE-Gruppe.
2) Es ist die aktionstypische Kleidung, wie soeben erwähnt, zu tragen.
3) Die SIANOVE-Gruppe stellt Ihnen die kleinen FLUPPIES zur Verfügung. Pro Einsatztag dürfen maximal 100 FLUPPIES (= Verpackungseinheit) ausgegeben werden. Die Ausgabe erfolgt aus dem Jutesäckchen. Entfernen Sie die Folie unter den Füsschen und heften Sie das lustige Kerlchen den Kindern an oder auch den Grossen.
4) Nutzen Sie den ganzen Einzugsbereich des Aktionsplatzes und gehen Sie aktiv auf den Verbraucher zu.
5) Sorgen Sie für Ordnung und Sauberkeit an Ihrem Aktionspunkt.
6) Füllen Sie den Einsatzbericht mit exakten, eindeutigen Angaben aus.
7) Unser GOLDNUSS-PÄRCHEN wird direkt aus der Box angeboten, damit der Verbraucher neben dem softig-nussig-feinen Geschmack auch die schöne Innengestaltung und die farbtypische Gesamtgestaltung wahrnimmt.
8) Die Übergabe der ganzen Praline erfolgt, indem Sie das Pralinenkörbchen unten anfassen und nach vorn aus dem Tiefzieheinsatz lösen. Greifen Sie mit Daumen und Zeigefinger den Körbchen-Henkel und überreichen Sie das Probierstück mit der aufgeklebten Siegelmarke nach vorn – in Richtung des Konsumenten. Der Konsument darf die Praline auf keinen Fall selbst aus der Box nehmen !
9) Vermeiden Sie auf jeden Fall Mehrfachabgaben der Probe an eine Person.
Wenn Sie sich genau an unsere Vorschriften halten, kann eigentlich nichts schiefgehen und Sie werden grossen Erfolg mit den Produkten der SIANOVE-Gruppe haben. Sie sollten allerdings von eventuell auftretenden Einsatzhindernissen ohne Verzug per Lockruf die oberste Einsatzleitung am Stammsitz unserer Firma in Kenntnis setzen. Nur dann haben wir die Chance, notwendige Korrekturen zu veranlassen.
Sollten Sie noch irgendwelche Fragen haben, so stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung. Wie ich Ihren schon weihnachtlich glänzenden Gesichtern entnehme, scheint dies aber nicht der Fall zu sein. Deshalb darf ich mich ganz herzlich von Ihnen verabschieden, nicht ohne Ihnen recht guten Erfolg bei unserer gemeinsamen Pflege altchristlichen Brauchtums und wahrer Gläubigkeit zu wünschen. Zum Abschluss unserer alljährlichen Einsatzbesprechung darf ich unser GOLDNUSS-PÄRCHEN nun bitten, uns mit ihrer wunderbaren, exotischen SIANOVE-SHOW zu erfreuen und mit heissen Rhythmen auf das Fest der Feste einzustimmen.
Sie alle, meine lieben Marktleiterinnen und Marktleiter, darf ich gleichzeitig zu einem Glas Sekt einladen und zum Genuss unserer vielfältigen SIANOVE-Produkte. – Vielen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit! ♦


Rainer Wedler - Schriftsteller - Glarean MagazinRainer Wedler

Geb. 1942, nach dem Abitur als Schiffsjunge in die Türkei, nach Algerien und Westafrika; Studium der Germanistik, Geschichte, Politik, Philosophie, Promotion über Burleys „Liber de vita“, zahlreiche Lyrik-, Kurzprosa- und Roman-Veröffentlichungen

Lesen Sie im Glarean Magazin auch die Satire von Bernd Giehl: Museumsreif
ausserdem im Glarean Magazin zum Thema Weihnachten über Weihnachten mit Ringelnatz (Diogenes Verlag)

Angela Mund: Hundegespräche (Satirische Fabel)

Hundegespräche

Angela Mund

„Ich glaube ja, es ist ein Fluss.“ – „Nein, vielleicht eher ein Äther!“ – „Es fliesst auf jeden Fall.“ – „Ja, fliesst die ganze Zeit.“ – „Ewig.“ – „Und unsere Seelen schwimmen darin wie Kronkorken in der Pfütze.“ – „Klingt irgendwie unlyrisch, versuch doch mal das: Schwimmen darin wie Fische im Strom.“ – „Ja, und wenn man eine wichtige Erkenntnis hatte, dann ist man sozusagen eine Kurve weiter.“ – „Und das hört nie auf?“ – „Nein, niemals.“ – „Ich find ja auch das Strom-Motiv ziemlich stark, daher auch solche Redewendungen wie Von-Eifersucht-geschüttelt, oder: Von-Freude-ergriffen“ – „Oder: Vom-Zorn-gepackt.“ – „Ja, das ist stark, das hat Aussage, da steckt ganz viel drin.“ – „Man wird da einfach mit reingerissen.“ – „Wichtig ist aber auch die Gerechtigkeit, der Ausgleich, die Harmonie der Dinge.“ -„Ja, klar.“ -„Ich meine, alles, was man anderen antut, wird einem selbst angetan.“ – „Hm, aber letztlich widerfährt man nur sich selbst.“ – „Das sagen doch auch die französischen Existenzialisten, glaub ich.“
So sassen die beiden alternden Hunde einander gegenüber und reflektierten ihr Dasein im Angesicht des ewigen Kosmos, während der Lastwagen über eine schlecht gebaute Strasse fuhr und die Hunde im Innenraum durchgeschüttelt wurden, als wolle man sie mürbe würfeln. Joe, ein 15-jähriger Mischling, war in seinem Leben immer gut alleine durchgekommen, bis ihn die Arbeiter einer Chemiefabrik in Thessaloniki fanden, abgemagert, sein Fell zerzaust wie ein Weihnachtsbaum Ende Januar, eingelebt zwischen den Kartons auf dem Fabrikgelände. Ausgerechnet ein deutscher Arbeiter hatte Mitleid mit ihm gehabt und eine Tierschutzorganisation benachrichtigt. Diese Gutmenschen hatten dann auch nichts Besseres zu tun gehabt, als ihn seiner Wohnung zu berauben, ihm die Eier abzuschneiden und in einen wenig komfortablen Transporter nach Deutschland zu stecken. Aber ihn hatte man ja nicht gefragt, knurrte Joe.
Im Transporter herrschte eine lichtvergessene Dunkelheit, nur ab und zu funkelte ein glänzendes Augenpaar auf, misstrauisch wie Frühlingsknospen – die Enge war drückend, dutzende Hunde lagen dicht an dicht, jeder konnte das nervöse Zucken im Pelz des Nachbarn spüren, der Gestank ergoss sich in den Raum wie heisser Teer und liess selbst die Alten würgen.
Jack, ein Boxer mit riesigen Lefzen, nickte bedächtig. Auch ihn hatte die Tierschutzorganisation gekidnappt, bloss weil er ziellos über die Strände von Korfu lief, zufrieden mit den Streicheleinheiten der Touristen und den paar Fischköpfen, die ihm die alten Fischer abends, wenn sie vom Fang zurückkamen, zugeworfen hatten. So dachte man wohl, er hätte kein Zuhause mehr und müsse sofort gerettet werden, damit er als ein Geburtstagsgeschenk von den Eltern an ein kleidtragendes Menschenkind weitergereicht werden kann, die ihm dann eine Puppe auf den Rücken setzt, Kartoffelbrei ins Fell schmiert und das für Liebe hält.
Jack hatte sich mit Buddhismus beschäftigt und war überhaupt im Allgemeinen sehr belesen – das hatte er von seinem ersten Herrchen gelernt, einem herumreisenden Hippie, der ihn nach anderthalb Jahren Strassenurlaub aus Versehen in Griechenland vergessen hatte. Zumindest kannte er von ihm das Prinzip der Wiedergeburt und hielt vor den anderen Hunden umfangreiche Vorträge darüber, um die lange Fahrt etwas angenehmer zu gestalten. Jack und Joe hatten während der Plenarsitzung am Rasthof Eichelborn den Vorschlag unterbreitet, noch eine schlechte Tat zu begehen. Damit, so Jack, würde die Wahrscheinlichkeit steigen, im nächsten Leben als Hund wiedergeboren zu werden. Die anderen Hunde nickten schweigend in tiefem Einverständnis, denn sie hätten sich in dem Moment nichts Besseres vorstellen können als ein Hundeleben im ewigen Äther.
Als der Transporter gerade wieder losfahren wollte, gab Joe ein Zeichen, und alle Hunde begannen gleichzeitig zu jaulen und zu bellen, was ihre müden Stimmbänder noch herzugeben vermochten. Aus den Hundekehlen dröhnte das Getöse in allen erdenklichen Lautstärken und Rhythmen, die sich harmonisch wie ein Choral über den Roggenfeldern wiederfanden und gemeinsam in den Himmel emporstiegen, um auch der höchsten Wolke die Töne ins Fleisch zu schlagen, auf dass sie das Gebet in die Schwärze des Alls begleiten möge. Manche Hunde zitterten schon vor Erschöpfung und röchelten mit letzter Kraft ihr Lied aus dem Leib, und je schwächer der eine wurde, desto lauter kläffte sein Nebenmann für ihn mit. Der Transporter hielt zögerlich auf dem Standstreifen an, die Tierschützer riefen sich aufgeregt ein paar Worte zu und öffneten die Hintertür des Wagens, um nach dem Wohlergehen ihrer Schützlinge zu schauen.
Da sprangen alle Hunde wild heulend aus der Dunkelheit des Verladeraums hinaus in das gleissende Licht einer untergehenden Abendsonne, die ihre letzten Strahlen dem hundgewordenen Himmelfahrtskommando widmen sollte. Wie die Reiter der Apokalypse sprangen sie den verwundert blickenden Tierschützern entgegen, und in ihren Augen spiegelte sich die Ignoranz derer, die ausser ihrem Leben nichts zu verlieren haben. Noch im Sprung sahen ihre geöffneten Mäuler aus wie die düsteren Tore zur Unterwelt, und mit einer Wucht, die das Alter der Hunde vergessen liess, stürzten sie auf die Tierschützer, bohrten scharfe Zähne in leicht teilbares Fleisch, um in wenigen Sekunden die Tierschützerkörper zu zerreissen, so dass ihre Eingeweide in Fetzen wie Schneeflocken rot durch den Himmel perlten und sachte auf das Fell der Hunde fielen. Arme und Beine wurden demokratisch untereinander verteilt. Selbst die Grossen wurden satt davon.
Joe blinzelte zufrieden dem Roggenfeld entgegen: „Das sollte reichen. Wir werden wohl keine Menschen mehr.“ Jack schmatzte: „Jaja, fast so gut wie die Fischköpfe früher.“ ♦


Angela Mund - Autorin - Glarean MagazinAngela Mund

Geb. 1986 in Illmenau/D, Studentin der Psychologie, Kulturwissenschaften und Medienpädagogik, Arbeit im Theaterbetrieb als Regisseurin und Autorin, lebt in Leipzig

Lesen Sie im Glarean Magazin auch die Groteske von Daniel Ableev: Opa Traurig

… sowie die Klima-Umwelt-Satire von
Peter Biro: Raus aus der Klimafalle!

Rainer Wedler: Keiner hat Gottfried Wilhelm gefragt (Satire)

Keiner hat Gottfried Wilhelm gefragt

Rainer Wedler

Keiner hat Gottfried Wilhelm gefragt, wie auch, der war schliesslich tot, ziemlich lange schon. Hermann Bahlsen ficht das nicht an. Leibniz hat noch Glück gehabt, weil Bismarck schon für den Hering vergeben war. Nicht auszudenken, ein saurer Leibnizhering mit weichen Gräten! Immerhin kriegt der Leibniz postum als Cakes eine Goldmedaille auf der Weltausstellung in Chicago, wenn schon die Welfen ihren Philosophen nicht zu schätzen wussten. Leibniz – Hannover – Bahlsen – Keks. Natürlich hat der hinterlistige Herr Bahlsen die Konnotation gewollt: Bahlsenkeks – dem Leib nizt! Und was haben wir heute? Den couch cake. Der Gerechtigkeit halber sei allerdings hinzugefügt, dass viele dem Hannoveraner gefolgt sind, die Beukelaers und die Griessons, die Lambertzs und die Coppenraths usw. usf.

Ich kekse, wenn du kekstest.
Ich kaks bereits, sagst du, mein Keksweib, meine Kebse.
Wie schade, wo wir doch stets zusammen keksend auf dem Laken lagen.
Und Krümel piekten.
Nicht wenn ich die Kekse im Apfelkorb versteckte.
Und doch, sagt sie, die Kekse haben Zähne.
Ich weiss, ich weiss, bei Leibniz sind´s gar 48. Wenn ich genau sein will, sind an den vier Ecken noch furchteinflössend grosse Reisszähne, macht nach Adam Riese 52.
Und du, sagt sie, hast nicht mal 32 mehr.
Du gehst mir auf den Keks, sag ich, ich kekse jetzt allein, du Keifweib von einer Kekse.

Leibniz sei´s geklagt, der Keks ist alt und wabbelig, heraus kriecht die Monade. Die Keksverkäuferin hat mich betrogen, die graugraue Kellerassel, die nachts nackte Egelschnecke. Zu hoch gegriffen, Freund, es fehlt das on, genau schau hin, es ist nur eine Made, eine ganz gemeine Made nur, just made in Moder. Da hat sich´s ausgekekst.

Kegelkekse sollen rollen für den Sieg. Siech heil! Was sollen Prinzenrollen sollen? Nichts und abermals nichts. Kackkekse sind´s, dreh fleissig die beiden runden Deckel gegenläufig in deinen warmen Händen, bis sie sich lösen. Was siehst du dann? Kackbraunen Keksekleber, den Kinder mit viel zu grossen Schneidezähnen herunterkratzen, bis sie Keksbrei kotzen (pardon!) und das Verhältnis der Anzahl ihrer Zähne sich bald verschlechtert zur Leibnizzahl von 52.

Der Keksfortschritt in Gestalt des Fortschrittskekses ist unaufhaltsam. Panta rhei. Heraklit soll´s gesagt haben, sagt Simplikios aus Kilikien, sagt die Zunft der Philosophen. Aber auch das Volksgut weiss davon zu berichten: Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein (neues) Kekslein her. Und das heisst: Soft Cake Orange. Kein Agent Orange zwar, doch reicht´s, die Geschmacksknospen zum Verdorren zu bringen. For ever! Einen Big Mac in seinen Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Zur Not kommt er eben als Cake Orange. Basis = ein fluffy Keks, Zwischenlage = Pampe mit chemorange Geschmack, obendrauf ein Schokoladenhut, tut immer gut.

Wer nun glaubt, der Panzerkeks schützte ihn gegen alle Arten von aufdringlichen, aber auch heimtückisch getarnten Keksen, der irrt. Er ist ein grosser Irrer vor dem Herrn, aber er möge sich trösten, er ist nicht allein. Hier gilt die altüberlieferte Weisheit: errare humanum est (nach Hieronymus, Brief 57). Der Panzerkeks, auch Panzerplatte, ist zwie- und dri-, gar viegebacken, furztrocken ist er dann und diente einst als Proviant für Krieger und Seeleute. Letztere tunkten ihn ins Brackwasser ihrer Trinkgefässe, dann schoben sie die amorphe Masse zwischen ihre skorbutösen Zähne und würgten sie hinunter. Als Heldenspeise hat das panis militaris bis heute überlebt und soll so manchem zum Überleben verholfen haben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Schnupftabaksdose des Alten Fritzen. Das schussfeste Stück, nicht Friedrich, die Dose natürlich, kann heute noch im Museum bewundert werden. Und was, bittschön, ist der Unterschied zwischen einem kleinen Holzkästchen und einer Panzerkeks 4x5x0,5 cm?

Alleine keksen ist wie einsam koksen, ergo mach ich kehrt und kriech auf krebsesweise zurück zu meiner Kebse. Genug des Stabens, wo laben wir denn? Im Labsaal, dem dämmerig erleuchteten, da find ich sie, ausgebreitet in ihrer ganzen Pracht, aufbereitet, ja zubereitet und wunderbar drapiert. Für mich? Für mich! Fürcht ich mich? Ich Johann Fürchtegott und sonst nichts auf der Welt.
Mein süsser kleiner Knabberkeks, so fang ich an.
Nichts, nur ihre Kügelchen gehen langsam auf und ab und auf und ab.
Rate mal, was ich dir mitgebracht?
Nichts, nur ihre Kügelchen…
Einen Glückskeks.
Nichts, nur…
Knusper, knusper Knäuschen, welch Sprüchlein ruht in meim Kabäuschen?
Sie stellt die Beine auf, sie lebt!
Ich singe: Wie freu ich mich, wie freu ich mich, wie treibt mich das Verlangen.
Die Quietschkautsch fällt ein in meinen Lustgesang.
Lass den Qietsch, sagt sie unwirsch. Und räkelt sich und röchelt was, ruckeldiezuckel, fällt hinter sich. Aufs Kanapee. Zurück
Bleib liegen, Wittchen weiss wie Schnee! Mein Zweiunddreissigzähnigs.
Wer knappert an meim Kekschen? fragt sie.
Ich bin´s der Wolf und fress dich auf mit Haut und Härchen.
Ich ruf den Jägersmann und dann! Und dann.
Dass ich nicht lach, der weide Mann hat sich verkekst im finstern Tann, wo ihm der Fuchs geklaut sein Navy-Navi. Warum auch hat er nicht sein Waldi-Navi mitgenommen.
Du kecke quecke Schnecke, steh auf und wandle, dich, und mich zum Zwecke, weisst schon was.
Warum schon wieder das!
Why not! Und dies und das, zum Spaks, mein Knabberkeks. Vastekst?

Notwendiger Ekskurs: Prof. Dr. Käk S. Deause will in seiner über erkleksliche Jahre sich erstreckenden Forschungsarbeit herausgefunden haben, dass ein direkter Zusammenhang bestehe zwischen dem Keks als solchem und der Libido als solcher, nicht hingegen zwischen der Libido an und für sich und dem Keks für sich an. Alles Keksolores, meint hingegen sein schärfster Widersacher in rebus panificiorum Prof. Dr. mult. Butt R. Cakes von der Oxford University, Department Cooking & Baking,  Deause habe als Franzose die Interessen der Biscuit- und Gâteaulobby der Grande Nation vertreten, man solle sich doch nur einmal seinen Namen genau ansehen. Damit stehe er, Deause, in der verkorksten Tradition des unseligen Marquis de la Galette, der im Fin de Siècle eine Professur an der Sorbet in Paris innehatte, dem man den Schlund beizeiten mit Brei von Keks hätte zustopfen müssen. Der Wissenschaftsgesellschaft wäre viel Ungemach erspart geblieben.

Ich, Schüler des kritischen Empirismus, neige nach zahlreichen Experimenten und deren exakter Auswertung den Ergebnissen der Deauseksen Forschung zu, ja, ich würde sie, wenn es denn sein müsste, jederzeit in einem Streitgespräch verteidigen. Und, dies würde allerdings die Grenzen der Sittlichkeit für manchen überschreiten, und ich würde sogar einen kleinen Kreis von Exzellenzforschern zu einem Feldexperiment einladen.

Zurück in der guten Stube.
Der Boden voller Brösel. Der Bröselhund ist tot, der Putzfrau hat gekündigt, was tun? Tschto delat? (Lenin 1912) Das haben wir´s: Schoko lad. Der dunkle Schokokeks, die Haare wirr, liegt immer noch auf weicher Lade, schade, und weiss nicht, tschto delat.
Der tiefe Brunnen weiss es wohl; In den gebückt, begriffs ein Mann, Begriff es und verlor es dann.
Hartkeks, der ich bin, partiell, doch immerhin, lass ich mich von dir erweichen, deiner weichen Weisheit.
Dann komm, mein Prinz, zum Doppelkeks.

Pan di stelle meldet sich zum Dienst, tiefbraungebrannt, hochdekoriert mit elf Zuckersternen, leuchtend weiss wie Kristall, fürs Nahkampfkeksen ohne Kettenhemd und Helm. Reiss mir die Sterne ab, Kiksilitzchen sind´s sonst nichts, und degradier mich zum Gemeinen! Ganz unten will ich wieder anfangen und mich hochkeksen in der Kekserkarriere, mir Stern für Stern aufs neu im ketzerischen Kebsendienst erwerben.

Nun aber, in Zeiten fortschreitender Profanierung des Heiligen, so auch des allerheiligsten Kekses, duplo und dreieinig, soll´s Kekse geben in Form und Grösse von Visa Card und Visitenkarten. Darf ich Ihnen meinen Visitenkeks überreichen? Oder:tut mir leid, aber wir akzeptieren keine Visakekse. Nicht bewährt hat sich der Postkartenkeks. Nicht einer soll den Empfänger nach der Stempelung unverkrümelt erreicht haben, die Deutsche Post weigert sich daher, weiterhin Kartenkekse zu befördern. Natürlich ist es jedem unbenommen, seinen Nachrichtenkeks höchstpersönlich zu überbringen, es sind allerdings nur wenige derartige Fälle bekannt geworden und diese sollen sich auf innerörtliche Bereiche erstreckt haben. Kinder, so geht die Fama, haben sich als nicht zuverlässig erwiesen, weil sie – man hätte es sich denken können – die Nachrichtenkekse kurzermund gegessen haben.

Eine längere Karriere war dem Kassiberkeks beschieden. Lesen und essen ist eins. Da konnten die Ärzte noch so oft röntgen oder lange auf den Stuhlgang warten, nichts zu sehen, nichts zu finden, viel zu riechen. Mancher Kokserchef hat seine Geschäfte aus dem Knast problemlos weitergeführt. Auf welch krummen Wegen nun irgendein Kriminaler, dem das Ganze gewaltig auf den Krimikeks gegangen war, hinter das Geheimnis gekommen ist, weiss die interessierte Öffentlichkeit bis heute nicht. Die Behörden mauern. Den Journalisten zeigen sie die Monsterkekseszähne.

„Back dir deinen Feind“ war der Slogan für den Psychokeks aus der Esoterik-Dunkelkammer. Mitgedacht war natürlich „Und friss ihn!“ Menschenschützer haben dem Spuk ein Ende gesetzt. Allerdings mussten sie einen weiten Weg gehen über alle Instanzen bis nach Karlsruhe. Ob der Geschäftsfrachter heute unter fremder Flagge fährt, weiss ich nicht, denkbar ist es alle Mal.

Mir jedenfalls hat der Mörderkeks als solcher sehr gut getan, und keiner kann mich daran hindern, hin und wieder mir einen Feind zu backen und zu fressen und letztendlich der cloaca maxima zuzuführen. In schönster Bastarda für den älteren Feind oder in Verdana für jüngeren steht auf dem keksekleinen Platz, um nur zwei Beispiele zu nennen: Möge es dir übel ergehen im Lande (Bastarda) oder To hell with you, motherfucker! (Verdana). Ich kann mir Zeit lassen, die Rache kalt geniessen, erst die Zähne am Rand abbeissen, dann Wort für Wort zerbeissen und zerspeicheln. Genuss ist langsam oder er ist nicht (deutsches Volksgut).

Oh du mein Rehkikslein auf dem Canapee. Schokoladentaler hast du statt Augen! Ohnegleichen locken deine Brüste!! Oh mandelförmiger Cantuccio sempre umido!!! An dir möcht ich mich totfressen, Komet werden am vollbekeksten Firmament, als neuer Keks dort leuchten in Ewigkeit Amen. ♦


Rainer Wedler - Schriftsteller - Glarean MagazinRainer Wedler

Geb. 1942, nach dem Abitur als Schiffsjunge in die Türkei, nach Algerien und Westafrika; Studium der Germanistik, Geschichte, Politik, Philosophie, Promotion über Burleys „Liber de vita“; zahlreiche Lyrik-, Kurzprosa- und Roman-Veröffentlichungen

Lesen Sie im Glarean Magazin von Rainer Wedler auch Die Weihnachtsaktion (Satire)
ausserdem zum Thema Satiren über das „Tintenfass“ im Diogenes-Verlag: „Was zum Teufel ist mit Gott los?“