Die Literaturzeitschrift «Kolik»
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Kritisch – polemisch – anspruchsvoll
«Kolik» sei aus dem Wunsch heraus entstanden, «jener Literatur und vor allem auch jenem Diskurs über Literatur, die nicht den Kriterien und den Anforderungen des Marktes entsprechen, weil sie zu kritisch, zu polemisch, zu anspruchsvoll sind, einen Ort zu geben. […] Insofern, als sie zu Widerspruch und Einspruch anstachelt, stellt sich die Zeitschrift ‘Kolik’ auf die Seite der Literatur und der Autoren.» Fürwahr hehrer ideeller Anspruch an sich selbst – aber auch eingelöst von den real existierenden «Kolik»-Seiten?
Beginnt man bei Äußerlichkeiten, muss man kurz nörgeln: Die Typographie bräuchte dringend den Eingriff eines Profis, und falsche Seitenangaben (z.B. «Biographien/Anmerkungen») können schnell, aber dürften eigentlich nicht passieren. Aber dann ebenso Äußerliches: Das Titel-Cover – ganz toll, ein Fänger!
Beim Lesen (und zwar kreuz und quer, wie’s richtig ist bei einer «Zeitschrift für Literatur») bestätigt sich der «Kolik»-Ruf schnell. Da ist nirgends ein Legato, sondern konsequentes Staccato. «Kühlzack» heißt ein Titel-Teil des Roman-Auszugs von H. Wimmer auf Seite 99 – und exakt dies offenbar das Programm auch des aktuellsten «Kolik»-Bandes. Querstände, Bizarres, Abgerissenes, Experimentelles auf jeder Seite, eigentlich in jedem Absatz (der zahlreich vertretenen Kurzprosa). Die Attacke, der Bruch, das Sofort, der Fetzen, der Knall, der Zugriff – unverblümte Direktheit pur und nonstop. Wahrlich, Vicky-Baum-Leser würden nicht «Kolik» kaufen (und wenn doch, dann davon eine Kolik kriegen…)
Nun weisen zwar die beiden Herausgeber Gustav Ernst und Karin Fleischanderl ihren AutorInnen grundsätzlich keinen thematischen Schwerpunkt zu (im Gegensatz zu vielen anderen Literaturzeitschriften), aber an eine Vorgabe hält sich die Text-Selektion offensichtlich doch, nämlich an die literarische Provokation. Des «normalen» Bildungsbürgers natürlich. (Den experimentell orientierten Literatur-Freak erschüttert im Jahre 2007 ohnehin nichts mehr). Manche Texte reduzieren sich in ihrer verzweifelten Desillusionierung überhaupt nur noch aufs Mitstenographieren von «Falschheit». Andrea Stift in «Zusammenleben»: «Hab ja ganz vergessen, wie es ist, mal in fremde Augen zu schauen, während man ein körperfremdes Körperteil in sich stecken hat.»; Marita Haas in «City Lights»: «Während er sich von mir löst und der andere auf mich zukommt, blicke ich auf die Lichter der Autos von der Stadtautobahn. Scheiss drauf, denk ich mir […]»; Peter Landerl in «Dunkle Gestalten»: «Ich fragte mich, was mit den Toten eigentlich passiert, wie und wo sie gelagert werden, bevor sie eingegraben oder verbrannt werden, und plötzlich bekam ich Hunger, hatte Appetit auf ein großes Wiener Schnitzel mit kaltem Erdäpfelsalat»; Monika Gentner in «Wie die Erde zerbrochen ist»: «Ich bin nicht brav. Mein Vater trinkt, weil ich schlecht bin. Durch und durch.» In ihrer Rasanz des Kontrastierens lesen sich manche der «Kolik»-Texte wirklich atemberaubend.
Bedauerlich ist demgegenüber, dass der neue Band der Lyrik kaum Platz einräumt. Wäre nicht die Wienerin Waltraud Haas mit fünf Gedichten dabei, fände gemäß «Kolik» die moderne Poesie nicht statt. Dabei wüsste «Kolik» eigentlich, was lyrische Bildhaftigkeit ist:
die flötenspielerin
im blauen kleid
im blauen garten
hinter blauem gemäuerWaltraud Haas
Und noch was bleibt in dem 160 Seiten schweren Band außen vor, das sonst gerade in nonkonformen «Lit-Mags» wie «Kolik» teils üppig präsent ist: die Politik (und sei’s auch nur die Politik der vielen Autorenverbände…). Hier löst die 36. Ausgabe nicht ganz ein, was eingangs zitiert wurde, nämlich den «Diskurs über Literatur, die nicht den Kriterien und den Anforderungen des Marktes entspricht». Einen Anschein von «Theorie» leistet immerhin ein 30-seitiger Schwerpunkt über «(Krieg und Welt)» des experimentellen Sprachvirtuosen Peter Waterhouse: Dessen Poetik untersucht ein Essay von Martin Kubaczek, während ein Interview von Beatrice Simonsen mit dem eigenwilligen, mehrfach ausgezeichneten Schriftsteller persönliche Aufschlüsse gibt über den neuesten Waterhouse, der bis anhin vom deutschen Feuilleton bei weitem noch nicht adäquat gewürdigt wurde.
Ein zweiter, diesmal fast 40-seitiger Schwerpunkt der neuesten «Kolik» gilt dem szenischen Schreiben der jungen Grazerin Gerhild Steinbuch (geb. 1983). Auch hier, in ihrem Stück «Schlafengehn», wieder das Staccato in den zwischenmenschlichen Beziehungen und in deren sprachlichem Ausdruck. Dialoge – eigentlich Monologe:
ELM Du bist nie da. Warum bist du nie da.
MILAN Ich war spaziern.
ELM Hab mir gedacht, das ist gar nicht so
interessant da draußen.
MILAN Ja.
ELM Ja.
MILAN Ja.
Was.
ELM Hab nur gedacht, dass das alles nicht mehr
so interessant ist. Hab ich mir gedacht.
Hier ist es besser, hab ich mir gedacht,
mit mir.
MILAN Ja.
ELM Was ja. Du stammelst. Du wirst senil.
MILAN Ich war spaziern.
ELM Aha.
(we/07)
Kolik, Zeitschrift für Literatur, Nr.36/2007, Verein für neue Literatur Wien, ISSN 1560-6775, 8,0 EUR
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