Das Zitat der Woche
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Über die Grenzen der Berichterstattung
Peter Scholl-Latour
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Gibt es Grenzen der Berichterstattung? In New York (September 2001) hat man vom blutigen Elend fast nichts gesehen, beim Golfkrieg war es ähnlich. Ist es richtig, bestimmte Dinge auszusparen, oder müßte man sie schonungslos zeigen, zumindest um der äußeren Wahrheit willen?
P.-S. L: Im jetzigen Fall (New York) hat man gut daran getan, diese Bilder auszusparen, denn es war im Grund wie eine Naturkatastrophe. Hätte es mehr gebracht, wenn man zerfetzte Gliedmaßen gezeigt hätte? Man muß die Scham der Opfer respektieren. Ich bin auch dagegen, schreiende Frauen an Särgen zu zeigen oder verwundete Kinder in endlosen Einstellungen. Ich sage meinen Kamerateams, wenn es beispielsweise um Leichen geht: Macht eine Totale, aber bitte keine Einzelheiten.
Bedient das Fernsehen vorhandenen Voyeurismus oder schafft es ihn erst und fördert ihn? Auch die anfangs unendliche Wiederholung der New Yorker Flugzeugeinschläge könnte mit äußerer und innerer Faszination, sogar mit Ästhetisierung zu tun haben.
P.-S. L: Das Ereignis war bildlich in seiner Art einmalig. Für mich hat es beinahe etwas Biblisches gehabt. Es war die Zerstörung des Turms von Babel. Das war es auch in den Augen der islamischen Welt. Da gibt es eine gleiche Mythologie. Die Geste war so symbolträchtig, daß man sie schon zeigen kann. Man soll allerdings damit nicht spielen, um billige Effekte zu erzielen. Aber insgesamt war es ein Symbol für den Koloss auf tönernen Füßen.
Die New-York-Bilder wurden teilweise wie eine Tapete verwendet, auf Hintergrund- und Vordergrundmonitoren, in einer Endlosschleife. Hatte das damit zu tun, daß die Redakteure auch einer Faszination erlegen waren?
P.-S. L: In dieser Form wäre es krankhaft. Aber als auslösendes Moment hatte es hohe Bedeutung, weil das Symbol des Weltkapitalismus getroffen wurde. Der Fluch der Globalisierung wird jetzt erst sichtbar. Er ist jetzt erst richtig zu spüren, wo man rund um die Welt schnell kommuniziert. Auch in Afrika, an ödesten Orten, gibt es jetzt Handys. In Kinshasa, in Ruanda, auch an verwüsteten Orten findet man Internet-Cafes. Doch das ist nur die Technik. Der wahnsinnige Gedanke Fukuyamas, daß mit der weltweiten Verbreitung der pluralistischen Demokratie und der Meinungsfreiheit sowie des offenen Welthandels der Idealzustand der Menschheit und das Ende der Geschichte erreicht wäre: Das ist eine absolute Fehleinschätzung.
Aus einem Interview mit Scholl-Latour in: Peter Scholl-Latour, Der Fluch des neuen Jahrtausends, Eine Bilanz, Goldmann 2004
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